Buch-Rezension: Wuppertaler Studienbibel - Das zweite Buch Samuel

Wuppertaler Studienbibel - Das zweite Buch Samuel

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Der zweite Samuel-Kommentar ist von Klaus vom Orde verfasst. Er arbeitet als Studienleiter der Bibelschule Falkenberg und hat auch schon den Esra/Nehemia Kommentar der WStB geschrieben. Es ist bedauerlich, dass die Kommentare von zwei sehr unterschiedlichen Auslegern erarbeitet wurden, wo doch die Samuelbücher in der hebräischen Bibel eine Einheit bilden. Leider gehen so auch die großen Linien etwas unter. Der Stil und das Herangehen der Autoren ist so verschieden, dass man es als Bruch empfindet. Schon der Ton vom Ordes ist im direkten Vergleich mit Martin Holland (Kommentar zu 1 Samuel) eher wissenschaftlich distanziert.

Der Kommentar zeichnet sich durch ein stark Historisches Interesse aus. Dies ist aus Bibeltreuer Sicht insofern erfreulich, als dass an keiner Stelle die Historische Wahrheit des im 2Sam Berichteten in Frage gestellt wird. Da der hebräische Text an einigen Stellen schlecht überliefert zu sein scheint, muss man aus den wenigen Handschriften und mit Hilfe der Parallelen in 1Chr einzelne kleinere Korrekturen vornehmen. Diese text kritischen Anmerkungen vom Ordes sind durchweg hilfreich. Die beigegebene „Arbeitsübersetzung” versucht immer wieder mit falscher deutscher Grammatik die hebräische Sprache nachzuahmen. Das ist Stil der Kommentarreihe.

In der Verheißung des beständigen Königtums Davids (2Sam 7) sieht vom Orde mit Recht den theologischen Dreh- und Angelpunkt des ganzen Buches (d.h.1Sam+2Sam). Schade nur, dass die Auslegung dazu dann sowohl in der Einleitung (21f) als auch in der Einzelauslegung farblos bleibt. Die theologische Sicht der Erzählung sei nicht so handgreiflich dargeboten wie in anderen historischen Büchern. Der Ausleger müsse „sorgfältig auf den Aufbau und den Erzählduktus achten, um die manchmal erst dadurch erkennbare Aussageabsicht herauszuarbeiten” (21). Ob der oder die Autoren der Samuelbücher ihre Aussageabsicht wirklich so verschlüsselten? Mir scheint, hier macht sich mehr die (historisch-kritische) Scheu bemerkbar ein Buch im biblischen Zusammenhang auszulegen. Vom Orde: „Das vorliegende Kapitel [2Sam 7] gehört zu den bekanntesten Abschnitten der Bibel. Da mit ist fast klar, dass es eine unüberschaubare Fülle unterschiedlicher Herangehens- und Verständnisweisen des Textes gibt”. Warum hält sich vom Orde dann aber nicht anden Anspruch der Herausgeber, sondern tritt dazu in einen gewissen Widerspruch: „Durch die bedeutsame Aufnahme der in ihm wiedergegebenen Verheißungen im NT ist man leicht geneigt, allzu schnell den christologischen Charakter zu betonen und da bei den Zusammenhang des Samuelbuches bzw. der Davidserzählung zu unterschätzen und seine Bedeutung für den alttestamentlichen Glauben in den Hintergrund drängen zu lassen” (100). Schließlich kommen dann zwar die altorientalischen Parallelen der Königsnovellen, aber nicht mehr die neutestamentlichen zur Sprache.

Schade, da bleibt bei so vielen altorientalischen Parallelen kaum etwas von Gottes großem Entwurf für ein Königtum, dessen Erfüllung er in Christus selbst sein will. Alle späteren Leser – und nicht erst die christlichen – haben etwas Besonderes in der Zusage Gottes an David gesehen und offenbar anders als vom Orde nicht gemeint, dass die Verheißung des ewigen Bestandes von Davids Königtum „nichts Außergewöhnliches” sei, weil „Könige galten im alten Orient schlechthin als Statthalter des oder eines Gottes” (108f). Statt Bibel mit Bibel legt vom Orde hier mit altorientalischen Texten und modernen Theologen aus. Von der Bibel geschult wird man bei der Davidsverheißung an die früheren Verheißungen an Abraham, Isaak und Jakob denken und zugleich staunend sehen, dass der ewige Gott sich mit seiner Zusage an einen vergänglichen Menschen und seine Nachkommenschaft bindet. Man wünscht sich beim Lesen einen entschiedener christlichen Ausleger.

Auch in der Nutzung des Ertrags der wissenschaftlichen Theologie steht der Kommentar dem Anspruch der Herausgeber entgegen. Vom Orde kann sich in seiner Auslegung nicht recht entscheiden, ob er die Ergebnisse der Literarkritik an den Samuelbüchern annehmen oder verwerfen soll. So zitiert er gerade soviel davon, dass man sein Wissen bemerkt, aber zu wenig, damit der Leser selbst beurteilen könnte. Für den normalen Leser der Studienbibel sind die Andeutungen eher verwirrend, für den wissenschaftlich Interessierten dürftig. Gab es wirklich einen „unabhängigen Erzählzyklus "Ladeerzählung”, der aus 1Sam 4-5 und 2Sam 6 bestand? Wenn ja, was weist darauf hin und trägt das etwas für die Auslegung aus? Da es offensichtlich nichts austrägt, wie die Exegese von 2Sam 6,1-15 (86ff) zeigt, warum soll die Theorie dann Verwirrung stiften? 2Sam 6 steht eben nicht an der nämlichen Stelle, weil es „hier in die Geschichte des Aufstiegs Davids eingefügt” wurde und so gut zur „inneren Konsolidierung des Reiches” passte (87), sondern weil David die Lade nach der Eroberung Jerusalems dorthin brachte und weil dies für die weitere Bedeutung Jerusalems wichtig ist. So bleibt der Sinn dieser Behauptung dunkel: „Der vornehmliche Zielpunkt der Erzählung hat sich aber durch die Einbindung in den Erzählkontext der Aufstiegsgeschichte Davids verschoben” (87). Vom Orde zeigt sich zu stark von Historisch-kritischen Kommentaren abhängig und so gerät mit der angeblichen Ladeerzählung, der im Bibeltext angegebene Grund für die Überführung der Lade aus dem Blick. Schon Kap. 7 macht doch klar, dass es Davids Wunsch war, für Jahwe ein festes Heiligtum in Jerusalem zu installieren, was auch prinzipiell im Gesetz gefordert wird, dem David als König verpflichtet ist. David erweist sich also als rechter König, weil er das Gesetz kennt und Diener des Gesetzes sein will.

Stattdessen behauptet vom Orde, dass ein Vergleich mit Texten aus der Umwelt beweise, dass Davids Tempelbauwunsch dem „Bewusstsein der damaligen Menschen” entsprungen sei. Warum denn nicht dem Gesetz? 5Mo 12 macht doch klar, dass es einmal zu einem Tempelbau kommen sollte. 5Mo 12,9-11 mit dem Hinweis auf die Ruhe, zu der das Volk kommen soll korrespondiert mit 2Sam 7,1. Aber vielleicht ist das ja dem Einfluss des „Deuteronomistischen Geschichtswerks” geschuldet, das um 587 v.Chr. durch „Theologen, die durch die theologischen Grundpositionen, die sich vorallem in 5Mo zeigen, bestimmt sind”, entstanden sein soll. Nur ist sich auch vom Orde der verschiedenen Fassungen dieser Theorie bewusst und schränkt ein „wenn man dieser Theorie Wert beimisst”. Leider bleibt unklar, wieviel Wert ihr der Autor beimisst. Die zahlreichen hilfreichen Einzelauslegungen verlieren so an Wert. Warum sollen wir aus dem Vergleich mit den Königsnovellen Ägyptens lernen, dass uns die israelitische Geschichtsschreibung sagen wollte, „dass Israel Könige wie alle anderen Völker hatte”, wo man das doch auch in 1Sam 8 lesen könnte. Nur dass doch Gott selbst mit seiner Wahl von Saul und David dazu seinen eigenen Kontrapunkt setzt. Die Gottesrede aus Nathans Mund wird dann leicht zu menschlicher Rede. Das verwundert dann auch nicht, wenn die Verheißung Gottes an David zu einer „theologischen Zusammenfassung” folgender Intension der Davidserzählung wird: „Ein durch Gott Berufener und Gesalbter wird [...] bis dort hin geführt, wo hin Gott ihn haben will” (106). Das wirkt doch arg schwach.

Es hätte dem gesamten Kommentar, der sich zu stark von den kritischen Auslegungen von Herzberg (ATD) und Stoebe (KAT) leiten lässt, m.E. besser getan, vom Orde hätte es mit der Literarkritik so gehalten wie mit der Quellenscheidung, die „sich im Verlauf der exegetischen Arbeit an den Samuelbüchern nicht bewährt” hat (18). Evangelikal geprägte Auslegung dürfte meines Erachtens ruhig etwas mutiger sein und sich über historisch-kritische Forschung hinwegsetzen, wenn sie für die Auslegung nicht hilfreich ist, mindestens in einem Kommentar der Prägung der WStB.

So erweist sich auch das hohe historische Interesse des Kommentars als zweischneidig. Einerseits zeigt es, dass vom Orde von der historischen Zuverlässigkeit des Buches ausgeht und er gibt auch viele hilfreiche Hinweise zum historischen Verständnis. Doch erweist sich dieses Interesse an mehreren Stellen als Bremsklotz für eine biblisch-theologische Auslegung. Aus Furcht vor einer zu starken „existentialen Zuspitzung” der Erzählung von Davids Ehebruch, wird sie zur „Batseba-Geschichte” mit dem „Historischen Zielpunkt” zu erklären, wie die Mutter von Davids Nachfolger auf dem Thron an den Hof kam (141). „Der bedenkenswerte Gedanke, dass die göttliche Verheißung des Fortbestandes der Dynastie durch einen Sohn, dessen Mutter in äußerst problematischer Weise an den Hof kam, erfüllt wird, kann an dieser Stelle nicht aus geführt werden” (141) und wird nur in der Fußnote erwähnt. Die Auslegung ist dann von Spekulationen über historische Details bestimmt, von denen der Text nichts sagt. Das Netz der Sünde, dessen Strickmuster im Text en detail beschrieben wird, kommt unter die Räder der historischen Rekonstruktion. Bei der Strafrede Nathans ist es kaum besser. Nicht einmal der Versuch einer Erklärung ist zu erkennen, inwiefern Gottes Ehre durch die Sünde Davids angegriffen wurde. Nur von einer „doppelten Dimension der Sünde” ist die Rede: „Menschen wird Übles angetan und – damit – auch Gott die Ehre entzogen” (155). Da hätte man doch mehr sagen können. Denn gerade, dass ein Mensch dem anderen Übles tut, tritt (fast anstößig deutlich) in den Hintergrund gegenüber dem, dass Gottes Ehre durch den von ihm erwählten König, der Mann nach seinem Herzen, der das Bild des wahren israelitischen Königtums im Gegensatz zu den umgebenden Königen darstellen sollte, in den Schmutz gezogen wird. Und das nur dafür, dass David seine Lust befriedigt und zum Ehebrecher und Mörder wird, Taten, die nach Gottes Gesetz nur mit dem Tod bestraft werden konnten. Wie soll der wahre Gott damit umgehen? Aber solche Überlegungen sucht man vergeblich.

Und so geht es weiter: Detaillierte Erwägungen wie sich Absalom mit dem Kopf im Baum verfangen haben könnte, enden darin, „dass sich diese kurze Beschreibung gegen eine exakte Erklärung der Ereignisse sperrt” (240). Eine biblisch-theologische Deutung des Absalomaufstandes entfällt. Vom Orde bemerkt zwar, dass die Haltung Davids Joab und Abischai gegenüber zu nehmend kritisch wird (253), zeigt aber nicht auf, dass die Erzählung Joabs verhalten als militärisch vernünftig darstellt und so einen Kontrast zu Davids Milde gegenüber seinem Sohn aufbaut. Der hält nämlich Absalom irrtümlich für den verheißenen Nachkommen und will ihm gemäß 2Sam 7,14 Milde zu kommen lassen. So war David Verhalten zwar folgerichtig, aber in zweifacher Hinsicht falsch, weil er erstens auf den falschen Nachkommen setzte und zweitens tat, was Gott vor behalten war.

Und wo man dann mehr historische Erwägungen gebraucht hätte, wie bei den Widersprüchen, die sich aus dem Vergleich mit Chronika er geben, da bleiben sie aus. Der unterschiedliche Kaufpreis der Tenne Araunas hätte etwa mit einem Hinweis auf den unterschiedlichen Geldwert zur jeweiligen Abfassungszeit erklärt werden können. Die unterschiedlichen Zahlen bei der Volkszählung Davids werden durch den Kommentar noch verwirrender, erscheinen vom Orde doch die Zahlen in 2Sam zu hoch, aber die noch höheren Zahlen in 1Chr als wahrscheinlicher, weil sie ein wahrscheinlicheres Verhältnis zwischen Israel und Juda widerspiegeln (312). (Hilfreiche Erklärungen für beide Probleme finden sich in "Die Unfehlbarkeit und Irrtumslosigkeit der Bibel" S. 120-121.)

Was der Leser der WStB eigentlich erwarten dürfte, nämlich eine biblisch-theologische Auslegung aus christlicher Sicht mit guten historischen Einblicken, das findet er im Kommentar von Klaus vom Orde nur im Ansatz und dabei besteht noch die Gefahr durch weitgehend überflüssige Anleihen der historisch-kritisch geprägten wissenschaftlichen Theologie verwirrt zu werden.

So spiegeln die beiden Kommentare m.E. Licht und Schatten der ganzen Reihe wider. Ein guter Anspruch der Herausgeber wird nicht konsequent durchgehalten. Gerade wenn man bedenkt, dass die Wuppertaler Studienbibel im Alten Testament, was die Zielgruppe und den Anspruch angeht, fast eine Monopolstellung einnimmt und man in absehbarer Zeit weder eine gründliche Neubearbeitung noch eine Alternative erwarten kann (bis Edition C AT fertig ist, werden wohl noch einige Jahre vergehen), dann ist die Enttäuschung umso größer, dass neben den sehr guten Kommentaren der Reihe auch solche stehen, die den Anspruch der WStB nicht erfüllen. Der wissenschaftlichen Theologie ist vereinzelt ein zu hoher Tribut gezollt, wenn auch daneben gute biblisch-theologische Auslegung und Anwendung zu Wort kommt. Viele Fragen für die man einen Kommentar aufschlägt, bleiben unbeantwortet. Und daneben findet sich solide pietistisch geprägte Auslegung als gute Hilfe, den Bibeltext genauer zu lesen und an andere weiterzugeben.

 Die Rezension/Kritik stammt von: Thomas Jeising
 Kategorie: Kommentare, Auslegung, Lexika

  Verlag: SCM R. Brockhaus
  Jahr: 2002
  ISBN: 3-417-25340-3
  Seiten: 320
 €    Preis: 28,00 Euro