Die Partei des Johannes. Die Sicarier von Masada rühren sich. Vespasian nimmt Gadara. Großes Gemetzel am Jordan.


Da Johannes (von Gischala) sein Auge auf die Gewaltherrschaft geworfen hatte; so fand er es bereits unter seiner Würde, sich genau so wie seine Genossen behandeln zu lassen, und suchte allmählich kleinere Gruppen der abgefeimtesten davon auf seine Seite zu bringen, um sich auf diese Weise von der Hauptpartei der Zeloten frei zu machen.

Immer störrisch gegen die Beschlüsse der übrigen, bestand er desto herrischer auf seinen eigenen Befehlen und verrieth so deutlich, dass nur nach der Alleinherrschaft sein Verlangen gehe.

Manche ließen sich aus Furcht, manche aber auch aus wirklicher Anhänglichkeit zu seiner Gefolgschaft bewegen, da er eine besondere Gabe hatte, mit Trug und List die Leute an sich zu ziehen. Viele andere wieder gab es, die im Interesse ihrer Sicherheit es für geboten hielten, dass man die Schuld an den Freveltaten nunmehr auf einen einzigen Mann abwälzen konnte, statt sie auf viele verteilen zu müssen.

Übrigens war es schon bei seinem persönlichen Mute und seiner Findigkeit begreiflich, dass er nicht wenige Spießgesellen besitzen musste.

Immerhin blieb noch eine zahlreiche Partei von Gegnern übrig, bei welchen zum Teil der Neid den Ausschlag gab, da sie es für eine arge Demütigung hielten, vor einem früheren Genossen sich jetzt auf einmal ducken zu müssen, während die meisten die Besorgnis vor der Alleinherrschaft vom Anschluss zurückhielt.

War er nämlich einmal am Ruder, so konnten sie wohl nicht mehr hoffen, ihn auf leichte Weise wieder wegzubringen, wie sie sich auch sagen mussten, dass er dann ihr anfängliches Widerstreben zum Vorwand nehmen werde, um sie desto besser knebeln zu können. Sie waren aber alle fest entschlossen, lieber alles mögliche im Kampfe zu leiden, als freiwillig unter das Joch zu kriechen und nach Sklavenart darunter zu verderben.

Damit war eine neue Fraction fertig, der Johannes mit seinen Königsgelüsten gegenübertrat.

Doch hüteten sie nach außen sorgfältig ihr gegenseitiges Verhältnis, und kam es auch zu keiner oder höchstens nur zu einer unbedeutenden Plänkelei mit den Waffen. Dafür zeigten sie ihren Wettstreit umsomehr dort, wo es auf Kosten des Volkes ging, indem sie miteinander eiferten, wer von ihnen beiden sich beim Volke die meiste Beute holen könnte.

So war die Stadt von drei der größten Plagen, von dem Kriege, der Tyrannei und dem Bruderzwist bedrängt, unter denen noch der Krieg den Bürgern verhältnismäßig am wenigsten wehe tat. In Wirklichkeit nahmen ja viele vor ihren eigenen Leuten Reißaus, um zu den Fremden ihre Zuflucht zu nehmen, und sie fanden auch richtig bei den Römern ihre Rettung, an der sie unter den Ihrigen schon verzweifelt hatten.


Schon nahte aber ein viertes Unheil zum Verderben des Volkes.

Es lag nämlich eine sehr starke Festung nicht weit von Jerusalem, welche die alten Könige zu dem Zwecke angelegt hatten, um für die Wechselfälle eines Krieges ihre Schätze dort unterzubringen und für ihre eigene persönliche Sicherheit zu sorgen.

Sie hieß Masada. Der Platz war schon vor einiger Zeit von den sogenannten Sicariern besetzt worden, welche bis jetzt auf ihren Streifzügen ins umliegende Land außer den Lebensmitteln, die sie notwendig brauchten, sich sonst nichts angeeignet hatten: die Furcht hatte sie von einer ausgiebigeren Plünderung abgehalten.

Als sie aber von der Untätigkeit des römischen Heeres und von der Spaltung gehört hatten, die unter den Juden zu Jerusalem infolge eigener Uneinigkeit und versuchter Gewaltherrschaft eingerissen, da wagten sie sich auch an Unternehmungen größeren Stiles heran.

Es war am Feste der ungesäuerten Brote, welches die Juden zum Andenken an ihre Rettung seit jenem Tage feiern, da sie aus der ägyptischen Knechtschaft entlassen in ihr Vaterland zurückkehrten, als die Sicarier nächtlicherweile und von Niemandem auf dem Wege bemerkt über ein Städtchen, namens Engaddi, herfielen.

Alles, was sich hier noch hätte verteidigen können, das war schon, bevor es zu den Waffen zu greifen und sich zu sammeln vermochte, überrumpelt, auseinandergesprengt und zur Stadt hinausgejagt: was dagegen nicht einmal fliehen konnte, Weiber und Kinder, wurde in der Zahl von über 700 ohneweiters niedergestoßen.

Hierauf räumte man die Häuser vollständig aus, raffte das Getreide, so weit es schon reif war, zusammen und schleppte alles nach Masada.

Ähnlich plünderte man alle Dörfer in der Umgebung der Veste und verheerte das ganze Land, wobei sich ihnen Tag für Tag nicht wenig schlechtes Gesindel von allen Windrichtungen her beigesellte.

Auch in den übrigen Teilen Judäas rührte sich wieder das Raubgesindel, das sich bis dahin stille verhalten hatte. Genau so, wie bei einem menschlichen Leibe, wurden mit der Entzündung des edelsten Organes zugleich alle anderen Glieder von der Krankheit ergriffen: Das heißt, infolge der in der Hauptstadt herrschenden Parteiungen und Wirren bekamen auch die Bösewichter auf dem Lande ganz freie Hand für ihr Räuberhandwerk, das jeder zunächst auf seine Faust und im eigenen Dorfe ausübte, um sich alsdann nach abgelegenen Orten zurückzuziehen.

Dort sammelten und verschworen sie sich, um nunmehr schon in förmlichen Rotten, die zwar kleiner waren, als wirkliche Heere, immerhin aber auch gewöhnliche Räuberbanden an Größe übertrafen, über Heiligtümer und ganze Städte herzufallen.

Die Leute, gegen die sie ihre Raubzüge richteten, hatten dabei das eigentümliche Schicksal, dass sie einerseits einen Schaden erlitten, wie er selbst mitten im Kriege nicht größer sein konnte, aber auf der anderen Seite gar nicht zur Gegenwehr, wie im Kriege, kommen konnten, da die Feinde, wie echte Räuber, mit ihrer Beute sofort auf und davon liefen. Es gab in Judäa keine Gegend, die nicht in die Katastrophe der Hauptstadt verwickelt worden wäre.


Alle diese Vorgänge wurden dem Vespasian von den Überläufern hinterbracht. Denn mochten auch die Rebellen sämmtliche Ausgänge bewachen und alle niederstechen, die sich unter was immer für Vorwänden denselben zu nähern suchten, so gab es doch immer wieder solche, die durchschlüpften und zu den Römern fliehen konnten, wo sie dann regelmäßig den Oberfeldherrn bestürmten, der Hauptstadt doch einmal zu Hilfe zu kommen und wenigstens die Reste eines Volkes vor der gänzlichen Vernichtung zu bewahren, das zum größten Teil bereits seine Anhänglichkeit an die Römer mit dem Tode habe büßen müssen, während die Überlebenden dafür immer dem Tode ins Auge sähen.

Jetzt erbarmte sich endlich Vespasian über ihr Unglück und rüstete sich zum Aufbruch gegen Jerusalem, das er äußerlich zwar erobern, in Wirklichkeit aber aus der Bedrängung durch dessen eigene Feinde befreien wollte.

Vorher musste er aber noch die übrigen Teile des Landes unterwerfen, und so mit allem aufräumen, was noch von außen her die Belagerung Jerusalems hätte stören können. Er marschierte also zunächst auf Gadara, die stark befestigte Hauptstadt von Peräa, los und hielt am vierten des Monates Dystrus seinen Einzug in diese Stadt.

Es hatten nämlich gerade zuvor die Größen der Stadt, ohne dass die Aufständischen daselbst etwas davon merkten, eine Gesandschaft an Vespasian abgeschickt, um wegen der Übergabe zu verhandeln, wozu sie ebensowohl die Liebe zum Frieden, wie die Sorge um ihr Vermögen veranlasst hatte: in Gadara wohnten ja viele reiche Leute.

Von ihrer Gesandtschaft hatte, wie gesagt, die Gegenpartei keine Ahnung: erst als Vespasian schon nahe stand, brachten sie es in Erfahrung. Da sie aber ihren Gegnern in der Stadt selbst numerisch nicht gewachsen waren und die Römer schon nicht mehr weit von der Stadt entfernt sahen, mussten sie alle Hoffnung aufgeben, die Stadt halten zu können, und beschlossen die Flucht zu ergreifen: dies sollte jedoch schandenhalber nicht geschehen, ehe nicht Blut geflossen, und ehe sie nicht an den Schuldigen irgendwie Rache genommen hätten.

Sie ergriffen demnach den Dolesus, welcher nicht bloß nach seiner Stellung und Abkunft der vornehmste Mann der Stadt war, sondern auch die Gesandtschaft veranlasst haben sollte, und ermordeten ihn. Selbst den Leichnam verstümmelten sie noch in ihrer maßlosen Wut und verließen hierauf eiligst die Stadt.

Als jetzt die römische Heeresmacht herankam, nahm die Bevölkerung von Gadara den Vespasian mit Begeisterung auf und erhielt von ihm sowohl die Zusicherung der vollen Gnade wie auch eine Besatzung aus Reiterei und Fußvolk, um sich gegen die Streifzüge der flüchtigen Rebellen verteidigen zu können, was für die Stadt gerade jetzt umso schwieriger war, da die Gadarener aus eigenem Antriebe, ohne erst von den Römern dazu aufgefordert zu sein, ihre Mauer geschleift hatten, damit schon der Umstand, dass sie auch beim besten Willen keinen Widerstand mehr leisten könnten, ihre aufrichtige Friedensliebe verbürgen möchte.


Vespasian sandte zunächst den Flüchtlingen von Gadara den Placidus mit 500 Reitern und 3.000 Fußgängern nach und kehrte dann selbst mit dem übrigen Heere nach Cäsarea zurück.

Als die Flüchtigen so urplötzlich die verfolgenden Reiter gewahrten, drängten sie sich in ein Dorf, namens Bethennabris, zusammen.

Daselbst trafen sie eine nicht unbeträchtliche Zahl junger Leute an, welche sich von ihnen zum Teil freiwillig bewaffnen ließen, zum andern Teil aber dazu gezwungen wurden, worauf man auf gut Glück auf die Mannschaft des Placidus heranstürmte.

Dieselbe wich beim ersten Stoß ein wenig zurück, nicht ohne die schlaue Absicht, den Feind von der Mauer weiter wegzulocken.

Sobald sie denselben in der rechten Lage hatten, schwenkten die Reiter um die Juden herum und überschütteten sie mit ihren Wurfspießen: wer fliehen wollte, dem war auf diese Weise durch die Reiter der Weg abgeschnitten, während das Fußvolk kräftig auf die noch stehenden Massen einhieb.

Die Juden sanken, ohne einen anderen Erfolg zu erreichen, als den, ihre Tollkühnheit gezeigt zu haben. Die Römer, auf die sie einstürmten, standen in dichten Schlachtreihen und glichen in ihren Rüstungen lebendigen Mauern, so dass die Juden weder mit ihren Geschossen eine verwundbare Stelle zu treffen noch bei aller Anstrengung die Schlachtlinien zu durchbrechen vermochten, wohl aber umgekehrt von deren Wurfgeschossen selbst vollständig durchbohrt wurden und wie die tollsten Bestien selber ins Eisen liefen. So erlagen die einen im stehenden Kämpfe dem Schwerte des Feindes, die anderen auf der Flucht den Attaquen der Reiter.


Placidus hatte es nämlich besonders darauf abgesehen, dem ganzen Haufen den Rückzug nach dem Dorfe zu verlegen. Zu diesem Zwecke sprengte er in Person gestreckten Laufes nach dieser Richtung an den Juden vorüber, warf dann das Pferd herum und schoss sofort auf die Feinde, von denen die allernächsten ihm ein sehr gutes Ziel boten und darum leicht niedergestreckt wurden, während die entfernteren in ihrer Angst vor ihm Kehrt machten, bis sich endlich doch die tapfersten aus ihnen mit aller Gewalt durchschlugen und fliehend die Mauer erreichten.

Jetzt aber kamen die Wachen in die größte Verlegenheit: denn die Gadarener zum Dorfe hinauszusperren, das konnten sie schon wegen ihrer eigenen Leute nicht über sich bringen, ließ man aber dieselben herein, so waren voraussichtlich alle miteinander verloren. Das blieb auch nicht aus.

Schon in dem Momente, da sich alles in dichten Haufen an die Mauern herandrängte, wären auf ein Haar fast auch die römischen Reiter mit eingedrungen. Aber auch dann, nachdem es den Juden noch gelungen war, die Tore zuzuwerfen, brachte Placidus durch einen Sturm, den er bis zum Eintritt der Dämmerung in heldenmütigster Weise unterhielt, Mauer und Stadt in seine Gewalt.

Die kampfunfähige Menge ward nun kurzweg niedergestoßen, während die kräftigere Mannschaft entfliehen konnte. Die Häuser wurden von den Soldaten ausgeplündert, und dann das Dorf angezündet.

Die Flüchtlinge des Ortes aber brachten auch die Leute am flachen Lande bei ihrem Erscheinen in Aufruhr und scheuchten sowohl durch die übertriebene Schilderung ihrer ausgestandenen Leiden, wie auch durch die Angabe, dass schon das ganze Römerheer heranrücke, allenthalben die gesammte Bevölkerung von ihren Wohnsitzen auf. So schwollen sie zu einem großen Menschenstrom an, der seine Flucht in der Richtung nach Jericho zu nahm, weil ihnen diese ebenso stark befestigte, wie stark besetzte Stadt allein noch Hoffnung auf Rettung versprechen konnte.

Die ausgezeichnete Reiterei, wie auch das bisherige Waffenglück ermuthigte aber auch den Placidus zur weiteren Verfolgung, auf welcher er bis zum Jordan immer neue Flüchtlinge einholte und ohne Ausnahme niedermachte. Endlich hatte er die ganze Menschenmasse gegen den Fluss hin zusammengetrieben, dessen von Regengüssen angeschwollenes und ganz unzugängliches Bett sie unmöglich überschreiten konnte, und stellte sich nun ihr gegenüber in Schlachtordnung auf.

Die Verzweiflung trieb jetzt die Juden, die keinen Ausweg zur Flucht mehr hatten, in den Kampf. In einer langgestreckten Linie an den steilen Uferrändern aufgestellt, erwarteten sie den Hagel der Geschosse und den Ansturm der Reiterei. Eine große Zahl von Juden sank von derselben getroffen den Strom hinab: was unter den Händen der Römer unmittelbar den Tod fand, betrug allein an 15.000 Menschen, während die Zahl derjenigen, die mit Gewalt in den Jordan hineingesprengt wurden, ganz ungeheuer war.

Bei 2.200 Gefangene und eine riesige Menge Beute von Eseln, Schafen, Kameelen und Ochsen fiel in die Hände der Sieger.


Dieser Schlag nun, den hier die Juden erlitten hatten, und der allerdings an Schwere den früheren nichts nachgab, erschien den Rebellen sogar noch größer, als er in Wirklichkeit war. Denn nicht bloß war der ganze Landstrich, durch den sie hingeflohen waren, mit Gefallenen besäet, und selbst der Jordanübergang durch die Toten gesperrt, sondern es wurde sogar der Asphaltsee mit den Leichen angefüllt, die massenhaft von der Strömung des Flusses in denselben hinabgetragen wurden.

Placidus benützte aber auch seinen Vorteil, indem er sich eilig gegen die Städtchen und Dörfer in der Runde wandte und Abila, sowie auch Julias und Besimoth nebst allen Ortschaften bis zum Asphaltsee in seinen Besitz brachte, die er dann mit den geeignetsten Personen aus der Zahl der Überläufer besetzte.

Hierauf bemannte er mit seinen Kriegern eine Reihe von Kähnen und säuberte auch den See von den Flüchtigen. So war jetzt auch das ganze Gebiet von Peräa bis Machärus hinunter zum Teil aus freien Stücken auf die Seite der Römer getreten, zum Teil mit Gewalt unterworfen.