Die drei Parteien des Aufstandes und ihre gegenseitigen Kämpfe. Johannes errichtet Belagerungstürme gegen den inneren Tempel. Stärke des römischen Belagerungsheeres.


Als Titus in der oben beschriebenen Weise die Wüste, die sich im Norden Ägyptens gegen Syrien hinzieht, durchquert hatte, traf er in Cäsarea ein, um dort seine Streitkräfte für den beginnenden Feldzug in Bereitschaft zu setzen.

Während er aber noch in Alexandrien an der Seite seines Vaters an der Neuordnung der ihnen soeben von Gott in die Hände gespielten Herrschaft arbeitete, brach gerade damals auch der Zwist in Jerusalem mit neuer Stärke aus, so dass sich jetzt sogar drei Parteien bildeten, die alle untereinander arg verfeindet waren, was man im Grunde, da es nur unter Schurken geschah, als ein Glück und als eine gerechte Fügung bezeichnen kann.

Wir haben ja schon früher die Bedrückung der Bürgerschaft durch die Zeloten, welche so recht eigentlich den Beginn des Falles der Stadt bedeutet, in ihren ersten Anfängen und in ihrer immer schrecklicher sich gestaltenden Entwicklung mit aller Ausführlichkeit dargelegt.

Nicht unzutreffend könnte man dieselbe einen Aufruhr, geboren im Aufruhr, nennen und sie mit der Wut einer tollgewordenen Bestie vergleichen, die aus Mangel an fremdem Fleisch bereits in das eigene zu beißen anfängt.


Es trennte sich nämlich Eleazar, der Sohn des Simon, derselbe, der bekanntlich auch zuerst die Zeloten der Volkspartei abspenstig gemacht und sie im Tempelbezirk gesammelt hatte, seinerseits wieder von der Partei des Johannes, scheinbar zwar indigniert über seine Tag aus Tag ein verübten Gewalttaten und das ewige Blutvergießen, in Wirklichkeit aber tat er diesen Schritt nur darum, weil er sich nicht dazu verstehen konnte, einem erst nach ihm auftauchenden Tyrannen unterthan zu sein, sondern selbst Alles haben wollte und die Herrschaft für sich allein begehrte.

Für seinen Plan gewann er den Judas, Sohn des Helkias, und den Simon, Sohn des Ezron, beides mächtige Männer, denen sich auch Ezechias, Sohn des Hobari, ein nicht unbekannter Name, beigesellte.

Jedem dieser Männer folgten nicht wenige Zeloten in die neue Partei, die nunmehr von der inneren Tempelmauer Besitz nahm und oberhalb der Tempeltore auf der Stirne des Heiligtums ihre Geschütze aufpflanzte.

Da sie infolge des Überflusses an heiligen Vorräten, die sie ohne den mindesten Scrupel hernahmen, in Hülle und Fülle zu leben hatten, so waren sie voll kecker Zuversicht. Doch wagten sie, nachdem sie sich einmal dort verschanzt hatten, mit Rücksicht auf ihre bedenkliche numerische Schwäche zunächst noch keinen Ausfall.

So sehr ihnen aber Johannes an Zahl überlegen war, ebenso stark war er mit seiner Stellung gegen sie im Nachteil. Denn da er die Feinde gerade über seinem Kopfe hatte, so konnte er nirgends einen gedeckten Angriff unternehmen, sowenig ihm auch andererseits sein Zorn Ruhe ließ.

Mochte er übrigens auch größere Verluste erleiden, als er selbst den Leuten des Eleazar zufügte, er gab darum nicht nach: von beiden Seiten folgte Ausfall auf Ausfall, begleitet von einem Hagel von Geschossen, so dass das Heiligtum auf allen Seiten von Blut und Mord geschändet ward.


Jetzt konnte auch Simon, der Sohn des Gioras, den das Volk in seiner bittersten Verlegenheit, weil es von ihm noch Hilfe erwartete, herbeigerufen hatte, um sich freilich in ihm nur einen neuen Tyrannen zu holen, seine Angriffe auf die Partei des Johannes von der Oberstadt und einem Teile der Unterstadt aus, die sich in seiner Gewalt befanden, mit umso größerem Nachdrucke erneuern, als er sie auch von oben her bekämpft sah. Doch musste er seinerseits den Sturm auf sie ebensogut von unten hinauf wagen, wie die Leute des Johannes, wenn sie das Tempelgebäude ober ihren Köpfen angreifen wollten.

Aus solche Weise von zwei Seiten zugleich gepackt, verlor Johannes ebenso leicht auf der einen Seite, als er nach der andern hin gewann, und in dem Maße, als er sich in seiner niedrigen Stellung gegenüber den Anhängern des Eleazar schwer tat, gab ihm seine Höhe über Simon das Übergewicht.

So ist es begreiflich, dass er mit bloßen Handgeschossen die Stürme von unten her mit leichter Mühe zurückweisen konnte, während er die Feinde, die vom Tempel herab ihre Wurfspieße schleuderten, mit grobem Geschütze zurücktreiben musste.

Er war nämlich im Besitze von nicht wenigen Armbrustgeschossen und Katapulten, wie auch von Steinschleudern, durch die er sich nicht bloß der Angreifer erwehrte, sondern auch viele beim heiligen Opfer befindliche Personen niederstreckte.

Denn obschon die Aufständischen in ihrer blinden Wut vor keiner Gottlosigkeit mehr zurückschreckten, so ließen sie doch noch jene, die da Opfer darbringen wollten, in den Tempel hinein, freilich nicht, ohne sie noch zuvor mit allem Misstrauen und aller Vorsicht, wenn sie Einheimische waren, weniger ängstlich aber, wenn sie Fremde waren, untersucht zu haben. War es diesen nun auch geglückt, an dem Eingang zum Heiligtum das grausame Gemüt der Zeloten durch ihr Flehen zu erweichen, so fielen sie doch noch dem Aufstand zum Opfer, indem die von den Maschinen geschleuderten Geschosse mit aller Gewalt über die Mauer hinweg bis an den Altar und das Tempelhaus flogen und dort unter den Priestern und Opfernden einschlugen.

So geschah es, dass viele, die von der Erde Grenzen herbeigeeilt waren, um die weitberühmte und allen Menschen ehrwürdige Stätte zu besuchen, noch früher, als ihre Opfer, zusammensanken und den von allen Griechen und Barbaren hochverehrten Altar mit dem eigenen Blute besprengten.

Einheimische und Fremde, Priester und Laien lagen manchmal todt übereinander, und das Blut der verschiedensten Leichen stand in den gottgeweihten Räumen zu Pfützen zusammen.

Hast du je etwas ähnliches, o, du unglückselige Stadt, von den Römern erlitten, die nur zu dem Zwecke, dich von den Greueln deiner eigenen Bürger zu säubern, in deine Mauern eingedrungen sind? Denn nicht mehr warest du Gottes Stätte, noch konntest du es bleiben, nachdem du das Grab deiner eigenen gemordeten Kinder geworden, und nachdem du den Tempel zu einem Totenacker für die Leichen des Bürgerkrieges umgewandelt hattest! Möglich, dass du wieder einmal bessere Zeiten schauest, wenn anders du je Gott zu versöhnen vermagst, der dich in Schutt und Trümmer gelegt hat.

Doch ich muss leider nach dem Gesetze der Geschichtschreibung selbst meinen schmerzlichsten Gefühlen Halt gebieten, da hier nicht der Ort ist, dem eigenen Jammer Ausdruck zu verleihen, sondern bloß die Tatsachen darzulegen. Ich will nun in der Schilderung des Aufstandes weiter fortfahren.


Dergestalt hatten sich also die eigentlichen Feinde der Stadt in drei Parteien getrennt: Die Partei des Eleazar kämpfte, und zwar oft genug betrunken, weil die Erstlingsgaben an das Heiligtum in ihrer Hut waren, gegen Johannes. Die Partei des Johannes dagegen machte unter beständigen Plünderungen der Bürger Ausfälle auf Simon, so dass also die Stadt auch ihm die Lebensmittel zum Kampfe mit den Gegenparteien liefern musste.

Wurde nun Johannes einmal von beiden Seiten zugleich angegriffen, so ließ er seine Krieger nach zwei Seiten hin Front machen und beschoss die aus der Stadt anrückenden Feinde von der Höhe der Säulenhallen herab, während er die Schützen am Tempel oben mit ihren Wurfspießen durch seine Maschinen in Schach hielt.

Ließen ihm aber einmal die Feinde ober ihm freie Hand, was oft geschah, wenn sie der Rausch und die Ermüdung kampfunfähig gemacht hatte, so stürmte er regelmäßig in größerer Stärke und mit desto größerer Verwegenheit auf die Leute des Simon heraus, wobei er auch stets in dem ganzen Bereiche der Stadt, aus dem er den Feind zurückgeworfen hatte, die Häuser anzündete, unbekümmert darum, dass eine Fülle von Getreide und mancherlei sonstiger Lebensmittel darin aufgespeichert lag. Dasselbe tat auch Simon, wenn Johannes wieder den Platz räumte, und er selbst wieder vorrücken konnte, nicht anders, als wollten beide zu Fleiß und im Dienste der Römer alle Vorräte, mit denen sich die Stadt gerade für die Zeit der Belagerung versehen hatte, zu Grunde richten und ihrer eigenen Kraft die Lebensadern unterbinden.

War doch auf diese Weise der ganze Bezirk rings um den Tempel in Flammen aufgegangen, und aus der Stadt ein wüster Tummelplatz für die beiderseitigen Kämpfer geworden. Das Getreide, welches ihnen über nicht wenige Jahre der Belagerung hinübergeholfen hätte, wurde bei dieser Gelegenheit bis auf einen geringen Rest ein Raub der Flammen, und so musste Jerusalem eigentlich dem Hunger erliegen, was gerade am allerwenigsten zu fürchten gewesen wäre, wenn nicht ihre Verteidiger sich die Hungersnot selbst geschaffen hätten.


In dem allgemeinen Kampfe, den die Meuchlerbanden und das zusammengewürfelte Gesindel gegen die Stadt führten, bildete das eigentliche Volk mitten innen, sozusagen, den großen Opferleib, den alle und jeder zerreißen durften.

Greise und Frauen flehten in ihrer verzweiflungsvollen Bedrängnis infolge der Leiden des Bürgerkrieges um den Sieg der römischen Waffen und konnten kaum die Belagerer vor den Mauern erwarten, um wenigstens des Unheils innerhalb der Mauern endlich los zu werden.

Eine furchtbare Bestürzung und Angst herrschte unter der sesshaften Bevölkerung, die weder Zeit und Gelegenheit hatte, auch nur einen ruhigen Entschluss für einen entscheidenden Schritt zu fassen, noch auch die geringste Hoffnung besaß, eine friedliche Vereinbarung mit den Römern zu treffen oder wenigstens durch die Flucht aus der Stadt, wie viele es wünschten, sich retten zu können.

Denn überall standen Wachen, und trotz ihrer sonstigen Uneinigkeit betrachteten doch die Bandenführer jene, die den Frieden mit den Römern wünschten, oder in denen man Überläufer vermutete, als gemeinsame Feinde, die man niederstieß, und nur darin waren sie einig, dass sie gerade jene ums Leben brachten, die desselben noch am würdigsten waren.

Ununterbrochen erscholl bei Tag und bei Nacht das Kampfgeschrei, aber geradezu himmelschreiend war der Jammer der Trauernden, denen ein Unheil nach dem andern stets neue Wunden des Schmerzes schlug, während ihnen doch der Schrecken jeden Seufzer in der Kehle erstickte. Indem sie aber aus lauter Furcht selbst ihren Schmerz noch knebeln mussten, litten sie unter ihrem heimlichen Wehe Wahre Folterqualen.

Die eigenen Verwandten nahmen keine Rücksicht mehr auf lebende Angehörige, waren sie aber ermordet, so sorgte man nicht einmal für ihr Begräbnis! Die Verzweiflung an der eigenen Rettung, die sich eines jeden bemächtigt hatte, erklärt uns beides. Unter den friedlich gesinnten Bürgern herrschte eben infolge der festen Überzeugung von ihrem bevorstehenden unvermeidlichen Untergang die vollste Resignation.

Kam es ja doch öfter vor, dass die Aufständischen über hoch aufgeschichtete Leichenhaufen schreiten mussten, wenn es zum Zusammenstoß kam, und sie geberdeten sich gerade da am allerwildesten, gleich als wäre aus den Leichen unter ihren Füßen eine neue Raserei in sie übergeströmt.

Immer erfanden sie neue mörderische Listen zur gegenseitigen Vernichtung, und erbarmungslos ward auch stets das Beschlossene durchgeführt, ohne eine Art von Marter oder irgend eine Eingebung der Grausamkeit zu sparen.

So verwendete Johannes selbst das für das Heiligtum bestimmte Holz zur Errichtung von Sturmmaschinen. Volk und Priesterschaft hatten nämlich früher einmal den Beschluss gefasst, das Tempelhaus in seinen Fundamenten zu verstärken und um zwanzig Ellen höher zu bauen, zu welchem Zwecke König Agrippa vom Libanon herab mit ungeheuren Kosten und Mühen das entsprechende Holz herbeischaffen ließ, schlanke und riesig lange Stämme, die man gesehen haben muss!

Leider unterbrach dann der Krieg den Bau. So ließ denn nun Johannes die Stämme zuhauen und daraus Belagerungstürme herstellen, weil er sah, dass ihre Höhe zu den Verteidigern des oberen Heiligtums hinaufreichte.

Er schob diese Türme in die Nähe des Tempels und ließ sie hinter dessen Umfassungsmauer gegenüber der westlichen Ausbuchtung (Exedra) Posto fassen, weil nur auf dieser Seite es möglich war, solche Türme anzubringen, während die übrigen Flächen im Vorhofe in bedeutender Ausdehnung von Stufen unterbrochen waren.


Durch diese nur mit einem Gottesraube zu Stande gekommenen Belagerungsmaschinen hoffte nun Johannes endlich seiner Feinde Herr zu werden. Aber all seine Anstrengung sollte sich ihm nach Gottes Fügung als ganz unnütz erweisen, da sie die Römer früher herbeirief, ehe Johannes noch einen einzigen Turm an die Tempelmauer hatte rücken können.

Es marschierte nämlich gerade jetzt Titus von Cäsarea ab, nachdem er einen Teil der Truppen um sich gesammelt, den andern aber den Befehl gesandt hatte, sich bei Jerusalem mit ihm zu vereinigen.

Die Truppen bestanden aus den drei Legionen, die schon früher unter seinem Vater Judäa verwüstet hatten, und der zwölften Legion, die noch früher unter Cestius die bekannte Niederlage erlitten hatte, eine schon an sich im Ruhme hoher Tapferkeit stehende Legion, die überdies jetzt noch das Andenken an die damaligen Leiden nach Befriedigung ihres Rachedurstes drängte.

Von diesen Legionen sollte die fünfte auf dem Wege von Emmaus, die zehnte aber in der Richtung von Jericho sich mit ihm vereinigen. Die zwei übrigen brachen mit Titus selbst auf, gefolgt von den Corps der verbündeten Könige, die alle gegen früher verstärkt waren, und zahlreichen Hilfstruppen aus den syrischen Städten.

Auch der Mannschaftsstand der vier Legionen wurde aus den mit Titus aus Ägypten gekommenen Truppen wieder um das ergänzt, was Vespasian an auserlesenen Legionären unter Mucianus nach Italien geschickt hatte.

Diese Ergänzung bildeten 2.000 ausgemusterte Soldaten von der Besatzung Alexandriens und 3.000 aus dem Wachcorps am Euphrat, die nun ebenfalls den Titus nach Jerusalem begleiteten.

Unter den Freunden in dem Gefolge des Titus ragte besonders Tiberius Alexander durch seine bewährte Anhänglichkeit und Klugheit hervor.

Früher Statthalter von Ägypten, wurde er jetzt zum Oberbefehlshaber aller Heeresabteilungen befördert, da er der erste gewesen, welcher den eben aufsteigenden kaiserlichen Stern begrüßt und als ein leuchtendes Vorbild der Treue sich mit dessen noch unsicherem Glücke aufs engste verknüpft hatte. Doch folgte er nicht in der Eigenschaft eines bloßen Führers, sondern in der eines Ratgebers für die Eventualitäten des Feldzuges, da sowohl Alter als Erfahrung ihm ein großes Übergewicht über alle andern verliehen.