Marsch der Römer gegen Jerusalem. Gefährlicher Recognoszierungsritt des Titus. Ankunft der Legionen vor der Stadt. Einigung der Rebellen. Titus rettet zweimal die zehnte Legion am Ölberg vor den wütenden Angriffen der Juden.


An der Spitze des ganzen Belagerungsheeres des Titus zogen die Königlichen mit sämmtlichen Hilfstruppen. Nach ihnen kamen die Wegmacher und Lagervermesser; hierauf der Gepäckstrain der höchsten Offiziere und hinter der Bedeckung desselben, die aus Schwerbewaffneten bestand, Titus selbst mit seinen Elitetruppen, namentlich den Lanzenträgern, gefolgt von der Reiterei der Legionen.

Letztere zog vor dem Geschütztrain, worauf die Tribunen und Cohortenführer mit ihrer auserlesenen Schutzmannschaft kamen. Ihnen schlossen sich die Feldzeichen an, geschart um ihren Legionsadler, an der Spitze derselben die Trompeter.

Endlich das Schlachtheer, die Colonne sechs Mann hoch, gefolgt von dem jeder Legion beigegebenen Tross, der die Lasttiere für das Gepäck vor sich hertrieb. Den Schluss des ganzen Zuges machten die Söldner, gedeckt von der eigentlichen Nachhut.

So ließ Titus in musterhafter Ordnung, wie es bei den Römern von jeher üblich war, sein Heer vorrücken und drang zunächst über Samarien in das schon früher von seinem Vater eroberte und jetzt bereits gesicherte Gebiet von Gophna ein.

Daselbst campierte er eine Nacht, um mit dem Morgengrauen wieder weiter zu marschieren. Nach einem abermaligen Tagesmarsche nahm er sein Lager in dem von den Juden in ihrer Sprache sogenannten „Dornenthal“, welches bei einem Dorfe, namens Gabathsaul, das ist: „Sauls Hügel“, liegt und von Jerusalem etwa 30 Stadien entfernt ist.

Hier nahm er von der Elite 600 Reiter und ritt an ihrer Spitze Jerusalem zu, teils um die Stadt selbst und ihre Festungswerke zu recognoszieren, teils auch, um die Stimmung der Einwohner auszuholen, wenn sie vielleicht doch sein bloßes Erscheinen schon zur Furcht und Nachgiebigkeit bewegen könnte, ehe es zur Anwendung von Gewalt käme.

Er hatte nämlich erfahren – und das war auch die reinste Wahrheit – dass die unter der Tyrannei der Rebellen- und Räuberparteien zitternde Bürgerschaft den Frieden sehnlichst wünsche, aber, weil zu schwach für eine Gegenrevolte, zur Untätigkeit verurteilt sei.


Solange nun Titus auf der zur Stadtmauer führenden Heeresstraße geradeaus ritt, ließ sich keine Seele vor den Toren blicken.

Als er aber vom Wege gegen den Psephinusturm hin abschwenkte und seine Reiterschwadron mit der Flanke gegen die Mauer reiten ließ, da stürzten plötzlich bei den sogenannten Frauentürmen durch das dem Helenamonumente gegenüberliegende Stadttor eine Unzahl von Juden heraus, zerteilten den Reiterzug, machten gegen die noch die Straße heransprengenden Reiter Front, um ihre Vereinigung mit den seitwärts abbiegenden zu verhindern, und schnitten wirklich den Titus mit einer kleinen Zahl seiner Krieger ab.

Vorwärts konnte er nicht mehr, da das ganze Terrain an der Mauer hin von Gräben, welche die Pflanzungen einschlossen, durchzogen und von Gartenanlagen in die Kreuz und die Quere, wie auch von vielen Zäunen coupiert war.

Eine Flucht zu den Seinigen zurück, von denen die meisten nicht einmal eine Ahnung von der Gefahr des Cäsars hatten, sondern in der Meinung, dass er schon mit ihnen umgekehrt sei, davongaloppierten, war, wie er sah, wegen der feindlichen Massen, die sich dazwischen geschoben hatten, und wegen des Rückzuges seiner Leute auf der Landstraße ein Ding der Unmöglichkeit.

Als nun Titus sein Heil nur mehr auf die eigene kräftige Faust gestellt sah, riss er sein Pferd herum und sprengte mit einem lautschallenden Kommando an die Begleiter: „Mir nach!“ mitten unter die Feinde, um sich mit Gewalt zu den Seinigen durchzuschlagen.

Da nun konnte man wieder so recht sehen, wie auch das Zünglein an der Schlachtenwage und der Lebensfaden der Fürsten nur in der Hand Gottes ruht.

Denn soviele Geschosse auch gegen Titus geschleudert wurden, der noch dazu ohne Helm und Panzer war, da er, wie erwähnt, noch nicht zum Angriff, sondern bloß zur Recognoszierung vorgedrungen war, so traf ihn doch nicht ein einziges, sondern alle sausten, als hätten die Juden zu Fleiß fehlgeschossen, ohne Schaden an ihm vorüber.

Dagegen schmetterte in einemfort bald rechts, bald links sein Schwert die anstürmenden Feinde zurück, während er jene, die ihn von vorne packen wollten, in Masse niederritt und über die gestürzten hinwegsetzte.

Mit einem wahren Wutgeheul begleitete der Feind diese Heldentat des Cäsar, und alles schrie: Nur los auf den! Aber wohin er ritt, da floh alles und stob in Massen auseinander.

Seine Schicksalsgenossen hielten sich dicht hinter ihm, obschon es Hiebe und Stiche im Rücken und an der Seite regnete; denn jeder sah nur einen Hoffnungsschimmer: ehe Titus umzingelt würde, mit ihm noch freie Bahn zu bekommen.

Nur zwei der hintersten erlagen: der eine wurde umzingelt und mit dem Pferde erschossen, der andere war abgesprungen und wurde niedergestoßen, sein Pferd aber als Beute fortgeführt. Mit den anderen schlug sich Titus durch und kam glücklich ins Lager.

Infolge des Umstandes, dass man schon beim ersten Angriff im Vorteil geblieben, und der daran geknüpften voreiligen Hoffnungen war die Stimmung unter den Juden eine sehr gehobene, und der kurzlebige Sieg gab ihnen eine gewaltige Zuversicht für die Zukunft.


Nachdem noch während dieser Nacht die Legion von Emmaus sich mit Titus vereinigt hatte, brach er am anderen Tage von da auf und gelangte nach dem sogenannten Skopus, von wo man bereits der Stadt und des gewaltigen Tempels in seiner ganzen Pracht ansichtig wurde. Aus diesem Grund hat denn auch die an die Nordseite der Stadt anstoßende Hochebene ganz entsprechend den Namen Skopus erhalten.

Nur noch sieben Stadien von der Stadt entfernt, ließ jetzt Titus seine zwei Legionen für beide zusammen ein einziges Lager schlagen, während die fünfte Legion drei Stadien hinter ihnen eines beziehen sollte, weil sie noch vom anstrengenden Nachtmarsche erschöpft war, und Titus sie deshalb decken zu müssen glaubte, damit sie dann umso ruhiger an ihren Lagerwällen arbeiten könnte.

Eben hatten sich die Legionen an den Bau gemacht, als auch schon die zehnte Legion in der Richtung von Jericho her erschien, wo von früher her eine Heeresabteilung lag, um den schon von Vespasian eroberten Pass, zu hüten.

Sie hatte den Befehl, in einer Entfernung von sechs Stadien bei Jerusalem am sogenannten ölberg, welcher der Stadt nach Osten vorgelagert und durch ein dazwischenliegendes tiefes schluchtartiges Thal, Kedrontal genannt, davon geschieden ist, sich zu verschanzen.


Die von außen her so plötzlich mit aller Gewalt heranstürmende Kriegsfurie unterbrach jetzt zum erstenmal den inneren Hader und die ewigen Zusammenstöße in der Stadt.

Starr vor Schrecken sahen die Aufrührer auf die römischen Heeresmassen, wie sie auf drei Punkten zugleich ihr Lager aufschlugen, und ließen sich nun endlich zu einer, freilich ebenso unrühmlichen, Verständigung herbei, indem sie sich gegenseitig diese und andere Worte der Ermunterung gaben: „Wozu zaudern wir denn noch, oder was haben wir denn eigentlich, dass wir uns so geduldig durch die drei Schanzen da die Luftlöcher verstopfen lassen, und während sich dort ungestört eine ganze feindliche Veste uns gegenüber zum Trutze auftürmt, wir sein ruhig, die Hände im Schoß und die Rüstung am Boden, hinter der Mauer hocken, gleich als hätten wir nur ein gar säuberliches und nutzbares Werk mit Interesse zu beschauen.

Also sind wir“, schrien sie höhnisch, „nur tapfer gegen einander, und dem Römer soll wegen unseres Zwistes ohne einen Blutstropfen von seiner Seite die Stadt in den Schoß fallen!“ Mit diesen und ähnlichen Worten feuerten sich die nunmehr vereinigten Scharen gegenseitig an, warfen sich dann eilends in ihre Rüstungen, um sofort auf die zehnte Legion einen Ausfall zu machen. Unter einem betäubenden Geschrei stürmen sie durch die Thalschlucht und fallen die eben an der Befestigung des Lagers arbeitenden Römer an.

Die Römer, welche, in mehrere Partien verteilt, an der Arbeit waren und zu letzterem Zwecke auch die meisten Waffen abgelegt hatten, zumal sie ja annehmen konnten, dass die Juden nicht so toll sein würden, einen Ausfall zu wagen, und dass, wenn sie schon dazu Lust haben sollten, ihre Kampfbegier durch die inneren Feinde in Anspruch genommen sein würde, waren im Nu in allgemeiner Verwirrung: Alles ließ von der Arbeit, einige um geradewegs zu fliehen, viele, um sich schnell ihre Waffen zu holen; sie wurden jedoch, bevor sie sich den Feinden damit entgegenwerfen konnten, getroffen und niedergestreckt.

Kühn gemacht durch den Vorteil, welchen die ersten beim Ausfall über die Römer errungen, strömten den Juden immer mehr Streiter nach, und sie schienen sich bloß darum, weil sie Glück hatten, sowohl in ihren eigenen Augen, wie vor denen der Feinde zu vervielfachen.

Was aber bei Soldaten, die an Reih’ und Glied gewöhnt sind, und die nach einer bestimmten Ordnung, wie auch unter einem bestimmten Kommando zu kämpfen gelernt haben, am allerschlimmsten wirkt, ist ein unvorhergesehener Durchbruch der militärischen Ordnung. Das war denn auch damals die Ursache, dass die überraschten Römer vor dem Ansturm zurückwichen.

Allerdings, so oft sie, von dem Feinde zum Stehen gezwungen, sich gegen ihn wehrten, hemmten sie auch die Juden in ihrem Siegeslaufe und verwundeten sie bei ihrer unvorsichtigen Verfolgung. Als aber immer mehr Juden nachstürmten, stieg auch bei den Römern der Schrecken, und sie wurden endlich gar aus ihrem eigenen Lager zurückgedrängt, ja es wäre jetzt wahrscheinlich um die ganze Legion geschehen gewesen, wenn nicht Titus, von der Gefahr schnell unterrichtet, ihr zu Hilfe gekommen wäre. Nachdem er zunächst die Fliehenden unter einer Flut von Vorwürfen über ihre Feigheit wieder zum Stehen gebracht, fiel er mit den Gardetruppen, die er mitgenommen hatte, den Juden in die Flanke, hieb eine Menge von ihnen nieder, verwundete eine noch größere Anzahl, bis er die ganze Masse zum Fliehen gebracht und alle miteinander die Schlucht hinabgeworfen hatte.

Ungeachtet der großen Verluste, welche die Juden den steilen Abhang hinunter erlitten, kehrten sie sich sobald sie glücklich die Thalsohle hinter sich hatten, auf der anderen Seite wieder um und setzten, gedeckt durch die dazwischen liegende Kluft, den Kampf mit den Römern von dieser Entfernung aus fort.

So zog sich nun das Gefecht bis Mittag hin. Als dann die Sonne schon ein wenig tiefer stand, beorderte Titus die eigentlichen Legionäre zur Wiederaufnahme der Lagerarbeiten auf die Berghöhe, während die von ihm zur Hilfe mitgebrachten Truppen und die Auxiliarcohorten der erwähnten Legion in Schlachtordnung zu ihrer Deckung gegen einen neuerlichen Ausfall aufgestellt bleiben sollten.


Aber gerade diese Bewegung sahen die Juden für ein Zeichen der Flucht an, und sofort schwenkte auch schon der Signalmann, der oben auf der Zinne sitzend die Juden von allen Vorgängen zu unterrichten hatte, seinen Mantel hinab. In demselben Augenblick brach eine Menge ganz neuer Kämpfer mit einem solchen Ungestüm hervor, dass ihr Lauf den Sätzen der wildesten Bestien glich.

Niemand konnte denn auch in der ganzen römischen Schlachtordnung einem solchen Ansturm Widerstand leisten, und nicht anders, als wenn eine abgeschossene Steinkugel sie zurückgeschmettert hätte, stürzten sie aus ihren Reihen und wandten dem Feinde den Rücken, um die Höhe des Berges zu gewinnen.

Nur Titus war mit einer kleinen Schar in der Mitte des Abhanges geblieben. Seine Freunde, soviele ihrer überhaupt aus Scheu vor dem Feldherrn mit Verachtung der eigenen Todesgefahr bei ihm ausgehalten hatten, baten ihn auf das dringendste, sich vor den mit fanatischer Todeslust erfüllten Juden zurückzuziehen und sein Leben nicht für jene in die Schanze zu schlagen, deren heiligste Pflicht es wäre, dies für den Feldherrn zu tun. Er möge doch bedenken, wer er sei, und in seiner Eigenschaft als Kriegsherr und künftiger römischer Kaiser doch nicht für einen gemeinen Soldaten in die Lücke springen, wo ihn im nächsten Augenblicke das Verhängnis ereilen könne, ihn, auf dem der Erdkreis ruhe.

Doch Titus schien diese Bitten nicht einmal zu hören. Kräftig behauptete er sich gegen die heraufstürmenden Feinde und streckte, Mann gegen Mann ringend, jeden nieder, der über ihn hinauf wollte, dann rannte er wieder in den dichtesten Haufen am steilen Abhang und stieß die feindlichen Massen zurück.

Ein solcher Heldenmut, verbunden mit einer so wuchtigen Körperkraft, machte die Juden ganz stutzig, doch wandten sie sich darum noch nicht der Stadt zu, sondern wichen jetzt nur dem Titus nach beiden Seiten aus, um den Flüchtlingen weiter droben nachzusetzen. Aber auch da packte sie Titus an der Seite und hemmte sie in ihrer hitzigen Verfolgung.

Unterdessen hatten auch die Lagerbauer oben die Flucht unter ihnen bemerkt

und werden aufs neue von Schrecken und Angst befallen: bald zerstiebt die ganze Legion in alle Winde, da man jetzt glauben musste, es gebe wirklich für den Ausfall der Juden keinen Widerstand mehr, und auch Titus selbst sei geworfen, weil sonst die anderen gewiss nie geflohen wären, wenn er noch am Platze wäre.

Und wie von einem panischen Schreckbild verfolgt, eilt der eine dahin, der andere dorthin, bis endlich einige ihren Feldherrn mitten im Kampfgetümmel erblicken und, das schlimmste für ihn befürchtend, mit laut hinschallender Stimme der fliehenden Legion zurufen:

Der Feldherr in Gefahr!“ Nun trieb das Schamgefühl die Soldaten wieder zurück, wobei es nicht an gegenseitigen Vorwürfen fehlte, dass sie so feige geflohen, und was noch ärger, selbst den Cäsar im Stiche gelassen hätten. Dann stürzten sie sich mit aller Wucht auf die Juden und drängten die einmal ins Wanken gebrachte Masse von der Berglehne gegen die Thalmulde zu.

Nur Schritt für Schritt wichen die Juden unter fortwährendem Kampfe zurück, und nur ihrer günstigen Position verdankten es die Römer, dass sie endlich den Feind vollends in die Schlucht hinabtreiben konnten.

Bei der Verfolgung der Juden half Titus für seinen Teil redlich mit. Als das geschehen, sandte er die Legion aufs neue zum Bau der Lagerwälle zurück, während er selbst mit den früher schon zum Schutze aufgestellten Truppen die Feinde zurückwies.

Auf solche Weise hat also der Cäsar in höchst eigener Person, wenn man überhaupt einerseits ohne schmeichlerische Übertreibung, andererseits ohne neidisches Mäkeln nur der Wahrheit die Ehre geben will, zweimal die ganze Legion aus der höchsten Gefahr gerettet und die ungestörte Vollendung der Lagerumwallung ihr ermöglicht.