Titus lässt viele Gefangene kreuzigen und verstümmeln. Antiochus Epiphanes von Kommagene. Vollendung der Dämme und Vernichtung derselben durch einen Doppelangriff der Juden.


Die von Titus angeordneten Belagerungsdämme schritten rüstig vorwärts, obwohl die Soldaten durch die Feinde von der Mauer herab großen Schaden litten. Er hatte auch einer Abteilung Reiter den Befehl gegeben, jene Juden, die sich in die umliegenden Thalschluchten herauswagten, um essbare Kräuter zu sammeln, dabei zu überraschen.

Zu den letzteren gehörten auch einige bewaffnete Rebellen, die mit den geraubten Nahrungsmitteln nicht mehr das Auslangen finden konnten, aber zum größten Teil waren es arme Leute aus dem Volke, welche die Furcht für das Schicksal der Ihrigen von einem Übergang zu den Römern zurückhielt.

Denn dass sie in Begleitung von Weib und Kindern die Flucht zu den Römern bewerkstelligen könnten, ohne von den Aufrührern bemerkt zu werden, durften sie keinesfalls hoffen; andererseits konnten sie es auch nicht übers Herz bringen, dieselben den Banditen zurückzulassen, von denen sie ja, wie sie wussten, ganz sicher aus Rache für sie selbst würden hingeschlachtet werden.

Da nun der Hunger sie trotz ihrer Furcht aus der Stadt hinaustrieb, so mussten sie natürlich in die Gewalt der dort lauernden Feinde geraten. Bei der Gefangennahme nun wehrten sie sich notgedrungen aus Angst vor dem Tode, einmal aber überwältigt, meinten sie, es sei mit dem Bitten ohnehin vorbei. So wurden sie denn gegeißelt und mussten vor dem Tode noch allen Schimpf und alle Martern über sich ergehen lassen, bis sie endlich im Angesichte der Stadtmauer ans Kreuz geschlagen wurden!

Obschon dem Titus das Elend dieser Unglücklichen, von denen jeden Tag bei 500, manchmal auch noch mehr, in Gefangenschaft gerieten, zu Herzen ging, so schien es ihm doch nicht geheuer, Leute, die mit Gewalt hatten überwältigt werden müssen, einfach wieder frei zu lassen; wollte man aber soviele bewachen lassen, so hätte im Grunde genommen die Wachmannschaft selbst eher einer Schar von Gefangenen gleich gesehen. Was Titus aber am meisten bestimmte, nicht einzugreifen, das war die Erwartung, es würden sich doch vielleicht die Juden durch diesen Anblick einschüchtern lassen, weil sie die gleiche Strafe für den Fall weiteren Widerstandes zu gewärtigen hatten.

In ihrem Grimm und Hass nagelten übrigens die Soldaten die Gefangenen zum Spotte jeden in einer anderen Stellung ans Kreuz, und ob ihrer Masse wurde der Raum für die Kreuze, die Kreuze aber für die Leiber der Opfer zu wenig.


Weit entfernt aber, dass die eigentlichen Aufrührer wenigstens beim Anblick dieser Marter anderen Sinnes geworden wären, schlugen diese daraus auch noch Capital für die Verhetzung der übrigen Menge.

Sie schleppten nämlich die Familien der Überläufer und die für die Übergabe eingenommenen Bürger auf die Stadtmauer und zeigten ihnen von dort, was für Qualen die Römer für jene hätten, die zu ihnen ihre Zuflucht nähmen. Dabei erklärten sie noch bestimmt, dass die an den Kreuzen schwebenden Opfer als hilfeflehende Überläufer zu den Römern gekommen wären, während sie factisch nur mit Anwendung von Gewalt waren ergriffen worden.

Diese Erklärung hielt viele, die sonst gerne zu den Römern übergelaufen wären, in der Stadt zurück, bis man endlich auf die Wahrheit kam. Einige aber suchten trotzdem gleich auf der Stelle das Weite, einem sicheren Tode durch Henkershand entgegen, wie sie glaubten, weil sie den Tod unter Feindeshand im Vergleich zu den Hungerqualen für eine wahre Erlösung ansahen.

Titus ließ auch vielen Aufgegriffenen die Hände abhauen, damit man sie nicht in der Stadt für Überläufer halten und der Aussage der Krüppel eher Glauben schenken möchte. In diesem Zustande schickte er sie dann zu Johannes und Simon hinein, um sie in seinem Namen aufzufordern, dass sie doch jetzt endlich einmal inne halten und ihn nicht zwingen sollten, die Stadt vom Erdboden zu vertilgen. „Möchtet ihr doch“, ließ er sagen, „wenigstens die letzten Stunden noch zur Umkehr benützen, um euer eigenes Leben und eure wundervolle Vaterstadt zu retten, wie auch den Tempel in seiner alten Unverletzlichkeit zu erhalten“.

Zu gleicher Zeit ging er aber auch fleißig bei den Dämmen herum und trieb die Arbeiter zur Eile an, um jeden Zweifel zu zerstören, dass er über Kurzem dem Worte die Tat folgen lassen werde.

Diese Aufforderungen hatten indes bei den Juden auf der Mauer nur Lästerungen über den Cäsar selbst und seinen Vater zur Folge. „Wir verachten“, schrien sie, „den Tod, besser ihn wählen, als die Knechtschaft! Wir werden euch aber bis zum letzten Atemzuge zu schaden suchen, so viel wir nur können! Und was sollten sich Leute, die, wie du sagtest, ohnehin dem Tod geweiht sind, noch um ihre Vaterstadt kümmern? Was den Tempel betrifft, so hat Gott noch einen herrlicheren als diesen da, nämlich die ganze Welt.

Übrigens wird auch dieser Tempel hier von dem, der ihn zu seinem Wohnsitz erwählt hat, sicher gerettet werden. An der Seite eines solchen Bundesgenossen spotten auch wir aller deiner Drohungen, die notwendig leere bleiben müssen; denn das letzte Wort hat immer Gott!“ Diese und ähnliche Reden schleuderten sie unter einem Wust von Schmähungen den Römern zu.


Um diese Zeit traf im römischen Lager Antiochus Epiphanes ein, in dessen Gefolge sich außer zahlreichen anderen Bewaffneten auch eine sogenannte macedonische Truppe zu seiner persönlichen Sicherheit befand. Alle davon hatten das gleiche Alter und waren lauter schlanke, nur erst wenig über die Knabenjahre hinausgekommene junge Leute, die nach macedonischer Art bewaffnet und eingeübt waren, woher sie denn auch ihre Bezeichnung hatten, obschon die meisten darunter nicht gerade geborene Macedonier waren.

Der damalige Fürst von Kommagene war bis zu der Stunde, wo auch er die Laune des Schicksals verkosten musste, unter allen Vasallenkönigen der Römer vom Glücke am meisten begünstigt. Doch sollte auch er noch in seinem Greisenalter die Wahrheit des Satzes beleuchten, dass man niemand vor dem Tode glücklich preisen dürfe.

Zu unserer Zeit nun, wo derselbe noch auf der Höhe des Glückes stand, kam sein Sohn ins römische Lager und sprach sofort seine Verwunderung darüber aus, warum denn in aller Welt die Römer nicht frischweg gleich auf die Mauer losgingen. Antiochus war nämlich ein tüchtiger Haudegen und verwegenes Blut, zugleich aber auch von einer so enormen Körperkraft, dass sein kühner Mut nur hie und da sich verhaute.

Titus gab mit einem seinen Lächeln zur Antwort: „Das Schlachtfeld steht jedem offen“, worauf Antiochus, wie er war, mit seinen Macedoniern gegen die Mauer stürmte.

Während nun der Prinz für seine Person dank seiner Stärke und seiner Kriegserfahrung den Geschossen der Juden keine Blöße gab und ihnen selbst mit seinem Bogen zusetzte, holten sich dagegen die Jünglinge in seiner Begleitung alle, mit wenigen Ausnahmen, nur blutige Köpfe, zumal sie, aus Rücksicht auf ihr früheres Wort auch noch mit zähem Eifer im Kampfe aushalten wollten.

Endlich mussten sie sich mit vielen Verwundeten zurückziehen und nahmen dabei wenigstens die Überzeugung mit, dass selbst wirkliche Macedonier, wenn sie schon siegen sollten, notwendig auch ein Alexanderglück haben müssen.


Die Römer brachten ihre am zwölften des Monates Artemisius eröffneten Dammarbeiten mit harter Not erst am 29. desselben Monates, also nach einer siebzehntägigen ununterbrochenen Anstrengung, zustande.

Es waren aber auch vier außergewöhnlich große Dämme, die zu machen waren, und zwar wurde von den ersten zwei, die gegen die Antonia gerichtet waren, einer durch die fünfte Legion in der Mitte des sogenannten Struthionteiches angelegt, der zweite durch die zwölfte Legion in einem Abstand von etwa zwanzig Ellen.

Weit entfernt von beiden genannten Legionen, an der Nordseite der Stadt, wo der sogenannte Mandelteich liegt, war der zehnten Legion ihre Arbeit angewiesen, während die fünfzehnte Legion in einer Entfernung von dreißig Ellen beim Hohenpriesterdenkmal mit ihrem Damme eingesetzt hatte.

Schon standen die Römer im Begriffe, die Sturmmaschinen auf den Dämmen heranzuschieben, als Johannes, der unterdessen von innen heraus die ganze Strecke von der Antonia bis zum Ende der Wälle unterminiert, die Minengänge mit Stützbalken versetzt und auf diese Weise die Werke der Römer förmlich in die Luft gestellt hatte, mit Pech und Asphalt bestrichenes Holz in die Gänge bringen und Feuer daranlegen ließ.

Sowie nun die Stützbalken drunten verkohlt waren, gab der Minengang in seiner ganzen Ausdehnung nach und unter furchtbarem Dröhnen stürzten die Dämme in den Stollen hinein.

Eine Staubwolke, gemischt mit dichtem Rauchqualm, war das erste, was aus der Tiefe hervorquoll, da die zusammenbrechenden Dämme das Feuer beinahe erstickt hätten. Als aber die Glut das nachdrückende Holzwerk der Dämme durchfressen hatte, da brachen die hellen Flammen hervor.

Das alles geschah so plötzlich, dass die Römer zunächst eines Gedankens überhaupt nicht fähig waren. Dann aber, als sie die Hand des Feindes dahinter merkten, versanken sie in gänzliche Mutlosigkeit, und je sicherer sie jetzt schon auf den Sieg gerechnet hatten, desto gewaltiger musste der Zwischenfall ihre Hoffnung auch für die Zukunft dämpfen. Sie hielten es auch nicht mehr der Mühe wert, das Feuer zu bekämpfen, weil selbst nach dem Gelingen der Löschungsversuche die Dämme ja doch ein- für allemal verschwunden blieben.


Zwei Tage später wurden auch die anderen Dämme und zwar durch die Leute des Simon angegriffen, nachdem die Römer an diesem Punkte schon die Widdermaschinen hatten auffahren lassen und damit bereits die Mauer bearbeiteten.

Es waren nun ein gewisser Tephthäus von der galiläischen Stadt Garis und ein ehemaliger königlicher Bedienter der Mariamne, namens Megassarus, wie auch ein Adiabener, Sohn des Nabatäus, der, man weiß nicht warum, den Namen Chagiras, d. h. der Krüppel, führte, diese Männer also waren es, welche zuerst, mit Brandfackeln bewaffnet, auf die Maschinen hinausstürzten.

Es gab wohl in der ganzen Stadt Jerusalem keinen Mann mehr, der in diesem Kriege durch seine Waghalsigkeit und gefürchtete Tapferkeit jene Männer noch übertroffen hätte.

Denn gerade so, als wären es nur liebe Freunde, und nicht vielmehr ein feindlicher Haufe, sprangen sie ohne Furcht und Zögern unaufhaltsam mitten durch den feindlichen Knäuel, um die Maschinen anzuzünden.

Von allen Seiten mit Pfeilen überschüttet und mit Schwertklingen zurückgestoßen, wichen sie nicht aus dem blutigen Getümmel, bis die Widder wirklich Feuer gefangen hatten.

Schon züngelten die Flammen hoch empor, als erst die anderen Römer aus dem Lager zur Rettung herbeiliefen. Doch die Juden suchten jede Hilfe von der Mauer aus zu vereiteln und rangen sogar, ganz unbekümmert um Tod und Wunden, Leib an Leib mit den Soldaten, die das Feuer löschen wollten.

Die Römer versuchten die Widder, über denen die Schutzdecken schon lichterloh brannten, aus dem Feuer herauszureißen, aber die Juden griffen selbst durch die Flammen noch nach ihnen, packten das fast schon glühend heiße Eisen und ließen den Sturmbock nicht los. Da sprang das Feuer auch auf die Dämme selbst über und zwar mit einer Schnelligkeit, dass jede Hilfe umsonst war.

Jetzt, da die Römer mitten im Feuer standen, mussten sie allerdings an der Rettung ihrer Werke verzweifeln und zogen sich gegen das Lager zurück.

Die Juden, die unterdessen durch Succurs aus der Stadt immer zahlreicher geworden waren, drängten ihnen nach und stürzten, kühn gemacht durch ihren Sieg, wie Rasende vorwärts, bis sie die Lagerwälle erreichten und nun sogar mit den Lagerwachen den Kampf aufnahmen.

Es steht nämlich vor dem römischen Lager abwechselnd immer eine Wacheabteilung unter Waffen, welche nach dem strengen römischen Kriegsgesetz das Leben verwirkt hat, wenn sie aus was immer für einem Grunde vom Platze weicht.

Darum blieben auch diese Männer, die lieber den Tod der Tapferen leiden wollten, als den Henkertod, fest auf ihrem Posten, was zur Folge hatte, dass viele fliehende Römer sich schämten, ihre Kameraden in solches Gedränge gebracht zu haben, und sich wieder gegen den Feind wandten.

Man stellte auch auf verschiedenen Punkten der Lagermauern Katapulten auf und suchte damit die aus der Stadt heranstürmende Menge zum Stehen zu bringen, die sich übrigens nicht im geringsten um ihre körperliche Sicherheit oder eine Deckung kümmerte. Denn sie packte vielmehr jeden, wie er ihr gerade in den Wurf kam, und stürzte, wie blind, geradewegs in die Lanzenspitzen, so dass die Juden oft erst, den Spieß im eigenen Leibe, die Feinde mit sich niederrissen, wie denn überhaupt ihr Sieg weit weniger ein Ausfluss ihrer Tüchtigkeit, als ihrer Verwegenheit war, und das Zurückweichen der Römer mehr in der Tollheit der Feinde, als in wirklichen Verlusten seinen Grund hatte.


Mittlerweile war auch Titus von der Antonia herübergeeilt, wohin er sich zu dem Ende entfernt hatte, um für neue Dämme einen geeigneten Platz ausfindig zu machen. Unter vielen Vorwürfen gegen seine Soldaten, dass sie, bereits hinter den feindlichen Mauern stehend, jetzt gar für die eigenen Lagermauern noch fürchten müssten und aus Belagerern auf einmal Belagerte würden, nachdem sie mit eigener Hand sozusagen den Juden die Kerkertüre aufgemacht und den Feind sich selbst auf den Leib gehetzt hätten, machte er mit seinen Garden eine Schwenkung und griff in Person die Feinde in der Flanke an.

Obwohl nun die Juden ohnehin in der Front zu tun hatten, so nahmen sie es doch auch mit Titus auf und blieben unerschüttert. Es war ein furchtbares Gewühl. Das Auge sah nichts mehr als Staub, auch das Ohr vernahm nur ein wirres Getöse, so dass man weder hüben noch drüben mehr Feind oder Freund erkennen konnte.

Es war jetzt nicht so sehr das Vertrauen auf die eigene Kraft, was die Juden noch aufrecht hielt, als vielmehr die Verzweiflung an ihrer Rettung. Die Sehnen der Römer aber stählte der Blick auf ihren Ruhm, auf die römischen Waffen und den Cäsar an ihrer Spitze in einer Weise, dass sie wohl zuletzt, wie mich bedünken will, in ihrer furchtbaren Kampfeswut die ganze feindliche Masse vernichtet haben würden, wenn die Juden nicht durch einen raschen Rückzug in die Stadt noch dieser Wendung des Gefechtes zuvorgekommen wären.

Doch blieben die Dämme ruiniert, und musste der Gedanke, ein so langwieriges Werk im Verlaufe einer einzigen Stunde verloren zu haben, die Römer mutlos machen. Viele gaben überhaupt die Hoffnung auf, dass die Stadt mit den damals bekannten Belagerungsmaschinen je erobert werden könnte.