Der Kriegsrat des Titus beschließt die Umwallung der Stadt. Die Hungersnot steigt immer höher. Die Leichen werden über die Mauern geworfen. Titus lässt die Dämme an der Antonia erneuern.


Nun hielt Titus mit seinen Generälen Kriegsrat. Die Heißblütigeren darunter meinten, man möge einmal die gesammte Heeresmacht auf die Stadt werfen und die Mauer kurzweg im Sturme zu nehmen versuchen; denn bis zur Stunde hätten nur immer einzelne Abteilungen in den Kampf eingegriffen: würden aber die Römer alle auf einmal der Stadt zu Leibe rücken, so könnten die Juden nicht einmal den ersten Vorstoß aushalten, da sie schon unter der Wolke von Geschossen begraben werden müssten.

Die Vorsichtigeren dagegen rieten teils zur Wiederherstellung der Dämme, teils schlugen sie vor, man möge ohne Dämme einfach vor der Stadt sitzen bleiben und sich darauf beschränken, auf jene, die aus der Stadt herauskämen, und auf die Zufuhr von Lebensmitteln ein scharfes Auge zu haben, kurz, man solle die Bezwingung der Stadt dem Hunger überlassen, ohne mit den Feinden selbst handgemein zu werden.

Mit der Verzweiflung sei ja kein Kampf möglich, da die Juden ohnehin nur den Wunsch hätten, unter dem Schwerte zu fallen, und überdies eine noch schrecklichere Qual, falls sie vom Schwerte verschont blieben, vor sich sähen.

Die Meinung des Titus ging dahin, dass es den Römern doch nicht gut anstehe, mit einer so ungeheuren Heeresmacht völlig untätig zu bleiben, dass aber andererseits auch der Kampf mit solchen Leuten, die sich gegenseitig noch aufzehren würden, keinen Zweck habe.

Das Aufwerfen von Dämmen, äußerte er sich, sei wegen Mangels an Holz schwer ausführbar, das Bewachen der Ausgänge aber eine noch schwierigere Sache, da es bei dem großen Umfange und der ungünstigen Terraingestaltung der Stadt nicht leicht angehe, sie durch das Heer vollständig einschließen zu lassen, was übrigens auch bei einem Ausfalle von Seite der Juden verhängnisvoll werden könnte.

Würde man aber bloß die auffälligeren Wege überwachen lassen, so würden die Juden sicher in ihrer Bedrängnis und bei ihrer Ortskenntnis Schleichwege ausfindig machen, auf denen dann die Lebensmittel ganz und gar unbemerkt hineingeschmuggelt würden, was natürlich für die Belagerung eine noch größere Verzögerung bedeuten müsste.

Nun besorge er ohnehin schon, es möchte die Länge der aufgewendeten Zeit ihm den Glanz seiner Waffentat verkümmern, da man mit der Zeit schließlich Alles zu Ende bringen könne, während der Ruhm auch Schnelligkeit fordere.

Wolle man nun sowohl rasch als auch sicher zu Werke gehen, so müsste man wenigstens um die ganze Stadt eine Mauer ziehen, weil man nur auf diese Weise alle Ausgänge abschneiden und das erreichen könnte, dass die Juden entweder in heller Verzweiflung an einer Hilfe die Stadt selbst übergeben oder, vom Hunger ausgemergelt, leicht bewältigt würden.

Er beabsichtige im Übrigen ja gar nicht, sich völlig untätig zu verhalten, sondern werde später auch auf die Errichtung von Dämmen wieder Bedacht nehmen, weil dann die Juden infolge ihrer wachsenden Entkräftigung die Römer weniger stören könnten.

Sollte aber einem dieses Unterfangen zu gewaltig und schwer durchführbar scheinen, so dürfe er nicht übersehen, dass es unter der Würde der Römer sei, sich mit Spielereien abzugeben, und dass nicht leicht Jemand sonder Müh’ etwas Großes zuwege bringen könnte, es wäre denn Gott selbst.


Diese Vorschläge wurden von den Generälen beifällig aufgenommen, und sofort erging der Befehl, die Streitkräfte auf die einzelnen Arbeitsstrecken zu verteilen. Wie eine höhere Begeisterung kam es nun über die Soldaten, und auf die Verteilung der Mauerstrecken hin entstand ein wahrer Wettstreit in der Arbeit, nicht bloß zwischen den einzelnen Legionen, sondern selbst unter allen ihren Abteilungen.

Der Gemeine trachtete das Auge des Decurio, dieser das Auge des Hauptmanns, und der Hauptmann das des Obristen auf sich zu ziehen, während der Ehrgeiz der Obristen auf die Anerkennung von Seite der Generäle zielte, und der Wettkampf der Generäle untereinander wieder den Cäsar selbst zum Preisrichter hatte, der da jeden Tag öfter die Strecke abging, um das Werk zu inspirieren.

Von dem Assyrerlager, wo sein eigenes Hauptquartier war, zog er nun die Mauer gegen die untere Neustadt und von da über den Kedronbach auf den ölberg.

Dann gab er der Mauer eine Wendung nach Süden und umzog den Berg bis zum sogenannten Taubenschlagfelsen, wie auch den folgenden Hügel, welcher an die Schlucht bei der Siloahquelle stößt. Von da ließ er die Mauer wieder westlich verlaufen und zwar zunächst in die genannte Quellschlucht hinab, führte sie dann wieder aufwärts, bei dem Grabmal des Hohenpriesters Ananus vorüber und umsäumte damit den Berg, auf dem früher Pompejus sein Lager aufgeschlagen hatte, worauf er den Mauerlauf nach Norden richtete.

Nachdem er damit zu einem Dorfe, namens Erbsenhaufen, gelangt war und hinter demselben das Herodesdenkmal umgangen hatte, gab er ihr nach Osten hin wieder den Anschluss an sein Hauptquartier, von wo er auch ausgegangen war.

Der ganzen Mauerlänge fehlte zu vierzig Stadien nur ein einziges Stadium. An ihre Außenseite wurden noch dreizehn Castelle angebaut, deren gesammter Umfang allein wieder die Zahl von zehn Stadien ergab.

Und diese ganze Mauer ward innerhalb dreier Tage gebaut, eine Schnelligkeit, die bei dem Umstand, dass auch ihre Güte einer Arbeit von Monaten gleichkam, geradezu fabelhaft erscheint.

Sobald die Umwallung der Stadt vollendet war, und die Castelle vom römischen Militär besetzt waren, übernahm Titus persönlich die erste Nachtwache, um auf seinem Rundgange von der Mauer herab die Stadt zu beobachten, die zweite hatte Alexander zu nehmen, während um die dritte die Legaten losen mussten.

Außerdem musste auch die Besatzung der Castelle ihre Ruhestunden durch das Los verteilen und schritt während der ganzen Nacht von Turm zu Turm ihre betreffende Runde ab.


Mit der Absperrung aller Auswege war den Juden auch jede Hoffnung auf Rettung abgeschnitten, und die immer tiefer greifende Hungersnot frass jetzt ganze Häuser und Familien weg.

Voll waren die Dächer von Frauen und kleinen Kindern, die der Auflösung entgegengingen, voll die Straßen von verschmachteten Greisen. Gleich blutlosen Schatten drängten sich Knaben und Jünglinge, bis zur Unförmlichkeit aufgedunsen, auf den Plätzen zusammen und sanken zu Boden, wo einen jeden eben sein letztes Schicksal traf.

Einen Verstorbenen zu begraben, waren die Verwandten oft nicht mehr imstande vor Erschöpfung, und jene, die noch dazu die Kraft gehabt hätten, zauderten wegen der Menge von Leichen und beim Gedanken an die Unsicherheit der eigenen Kraft. Denn oft geschah es, dass diese Totengräber noch auf dem frischen Grabe selbst sterbend zusammenbrachen. Viele wankten, noch ehe das Verhängnis an sie herantrat, zu ihrem eigenen Grabe.

Keine Totenklage, kein Jammerlaut erhob sich bei diesen Trauerszenen, da der Hunger alle anderen Regungen niederhielt. Vertrockneten Auges und mit grinsend verzogenem Munde starrten sie, die selbst fast mit dem Tode schon rangen, auf die anderen, die ihnen zur ewigen Ruhe vorausgegangen. Tiefes Schweigen umfing die Stadt, immer dichter umzogen sie die schwarzen Schatten des Todes. Aber noch grauenhafter war das Wüten der Banditen, die sogar als Leichenräuber in die Häuser eindrangen, die Toten ausplünderten und, nachdem sie ihnen selbst die Hüllen heruntergerissen, unter rohem Gelächter sich wieder entfernten. An den Leichnamen probierten sie auch die Schneide ihrer Schwerter, ja einigen Opfern des Hungers schnitten sie sogar noch ins lebendige Fleisch, bloß um die Schärfe ihrer Klingen zu prüfen.

Wenn aber manche sie flehentlich baten, ihnen doch mit derselben Hand und Klinge barmherzig den Rest zu geben, so überließen sie dieselben aus Übermut sicher dem Hunger zur Beute, und wenn der Sterbende seine brechenden Augen zuletzt noch auf dem Tempel ruhen lassen wollte, so musste er gerade dort die Aufrührer wieder schauen, die trotz ihrer Frevel ihn überlebten.

Während die Gewalthaber in der ersten Zeit die Leichen auf Kosten der Stadt begraben ließen, warf man später, als man damit nicht mehr das Auslangen fand, die Leichen einfach von den Mauern in die Schluchten hinab.


Als nun Titus auf seiner Runde diese Thalschluchten mit Toten angefüllt und die tiefen Lachen von Blutwasser sehen musste, die sich unter den modernden Leichen gebildet hatten, da hob er seufzend die Hände zum Himmel und rief Gott zum Zeugen an, dass er an all dem keine Schuld habe.

Während es nun in der Stadt so entsetzlich aussah, herrschte bei den Römern froher Mut, da sie nunmehr von den Ausfällen der Rebellen, die jetzt selbst auch den Zahn der Verzweiflung und des Hungers zu spüren bekamen, verschont waren und andererseits auch Getreide und andere Lebensmittel, die ihnen aus Syrien und den umliegenden Provinzen zukamen, in Hülle und Fülle besaßen.

Viele Römer stellten sich auch in die Nähe der Mauer und zeigten die große Menge ihrer Esswaren her, um durch den Anblick des bei ihnen herrschenden Überflusses den Heißhunger der Feinde erst recht zu entflammen.

Da aber das entsetzliche Elend ohne jeden Eindruck auf die Rebellen blieb, so machte sich Titus aus Erbarmen mit den Trümmern des Volkes und in der Absicht, wenigstens den Rest noch den Klauen derselben zu entreißen, aufs neue an die Erbauung von Dämmen, obschon er sich das Holz dazu nur mit großer Mühe verschaffen konnte.

Das ganze Holz in der Umgebung der Stadt war bereits für die früheren Dammarbeiten geschlagen worden, und so mussten denn die Soldaten aus einer Entfernung von neunzig Stadien neues Bauholz zusammenbringen, womit sie zunächst nur bei der Antonia an vier Stellen Dämme von noch weit größeren Dimensionen, wie die früheren, aufwarfen.

Überall war der Cäsar unter den arbeitenden Legionen zu sehen und spornte sie zum Fleiße an, um so den Banditen immer klarer zu machen, dass sie geliefert seien.

Aber in denen war ja, und zwar in ihnen ganz allein, jedes Reuegefühl über ihre Untaten völlig erstorben. Seele und Leib schienen bei ihnen wie voneinander getrennt, und sie waren damit in einer Weise tätig, wie man mit einem fremden Stück hantieren würde.

Keine milde Regung berührte ihre Seele, wie auch kein Schmerz ihren Leib: waren es doch dieselben Leute, die sogar die Leichen der Bürger noch wie Hunde zerrissen und die Gefängnisse noch mit halbverhungerten Leuten vollpfropften.