Johannes bemächtigt sich mit List des inneren Tempels. Rasierung des Terrains durchs die Römer. Anschlag der Juden auf die arbeitenden Soldaten. Strenge des Titus. Das Heer bezieht das Lager vor der Mauer.


Kaum dass jetzt für kurze Zeit der Kampf vor den Toren aussetzte, so erhob auch schon drinnen wieder die Zwietracht ihr Haupt.

Da nämlich der Tag der ungesäuerten Brote am vierzehnten des Monates Xanthikus, an welchem vor Alters nach dem Glauben der Juden ihre Befreiung aus der Knechtschaft der Ägypter stattgehabt, unmittelbar gekommen oder da war, öffneten die Anhänger des Eleazar mit der entsprechenden Vorsicht die Tempeltore und ließen die Leute aus dem Volke, die es wünschten, zum Gottesdienste hinein.

Unter der Maske dieses Festbesuches nun machte Johannes einen Anschlag. Er suchte sich dazu aus seinen Leuten gerade solche aus, welche noch weniger hervorgetreten waren, befahl ihnen, Waffen unter ihre Kleider zu stecken, und schmuggelte sie, obschon die meisten unrein waren, mit aller Behutsamkeit in den Tempel hinein, um denselben auf diese Weise schon vorher zu besetzen.

Wie sie drinnen waren, warfen sie die Kleider ab und entpuppten sich mit einemmale als Bewaffnete. Sofort entstand um das Tempelhaus herum ein ungeheurer Wirrwar und Tumult, indem das dem Parteigetriebe ferne stehende Volk alle ohne Unterschied bedroht glaubte, während die Zeloten ganz gut wussten, dass es auf sie allein zunächst abgesehen wäre.

Sie verließen denn auch, ohne es auf einen Kampf ankommen zulassen, ihre Wachtposten an den Toren, andere sprangen von den Brustwehren und flüchteten sich in die unterirdischen Gänge des Heiligtums hinab. Das Volk aber drängte sich zitternd an den Fuß des Brandopferaltars und um das Tempelhaus herum, wo viele im Gewühle zertreten, viele unter einem Hagel von Knüttel- und Schwertieben getroffen niedersanken.

Bei dieser Gelegenheit wurden auch viele ganz harmlose Leute aus Privatrache und rein persönlicher Feindschaft von ihren Widersachern als angebliche Parteifeinde ermordet, und wer immer in längst vergangenen Tagen mit einem der Meuchler einen Conflict gehabt und jetzt das Unglück hatte, erkannt zu werden, ward als Zelote auf die Marterstätte geschleppt.

So trieben sie es in der ärgsten Weise mit den unschuldigen Personen, während sie gleich darauf den Schuldigen Waffenstillstand und freien Abzug aus den unterirdischen Gängen gewährten. Weil sie jetzt auch über das innere Heiligtum und alle seine Schätze verfügten, schwoll ihnen nunmehr der Kamm auch gegen Simon.

Auf solche Art schmolzen die drei Parteien von früher wieder auf zwei zusammen.


Da Titus jetzt sein Lager vom Skopus weg näher an die Stadt heranrücken wollte, stellte er eine auserlesene Mannschaft von Reitern und Fußgängern in entsprechender Stärke zur Deckung gegen die Ausfälle der Juden auf, worauf die Hauptmacht den Befehl erhielt, den ganzen Streifen bis zur Stadtmauer hin zu planieren.

Infolge dessen wurden nun alle Zäune und Einfriedungen, welche die Bewohner zum Schutze um ihre Gartenanlagen und Baumpflanzungen angebracht hatten, niedergerissen, und alle Obstbäume darin umgehauen mit dem Material aber die Hohlwege und Wassergräben ringsum ausgefüllt; Felsenköpfe wurden mit eisernen Picken gesprengt: kurz, die ganze Fläche vom Skopus bis zum Herodesmonument in der Nähe des sogenannten Schlangenteiches eben gemacht.


In diesen Tagen richteten die Juden für die Römer folgende Falle her:

Die verwegensten Rebellen eilten vor die Frauentürme hinaus, allem Anscheine nach von der Friedenspartei hinausgetrieben: dort drängten sie sich nun, offenbar aus Furcht vor dem Nahen der Römer, dicht zu Hauf' und steckten voll Schrecken die Köpfe zusammen.

Zugleich tauchten oben auf verschiedenen Punkten der Mauer Leute auf, die, wie es schien, dem Volke angehörten, und die unter lautem Geschrei: „Frieden, Frieden!“ um einen Vergleich baten und mit dem Versprechen, die Tore zu öffnen, die Römer herbeilockten. Dieses ihr Geschrei begleiteten sie mit Steinwürfen auf die Ihrigen, die sie von den Toren wegzutreiben schienen.

Die letzteren taten hingegen, als wollten sie sich wieder den Eingang erzwingen und die Juden drinnen mit ihren Bitten bestürmen, wobei sie sich alle Augenblicke mit allen Zeichen des Schreckens nach den schon heraneilenden Römern umsahen.

Ihre List blieb nicht ohne Eindruck, wenigstens nicht auf die Soldaten, die wirklich der Überzeugung waren, sie hätten die einen schon beim Schopfe, um ihnen gleich den Lohn geben zu können, während sie von den andern sicher erwarteten, sie würden ihnen die Stadt aufmachen, und sich demgemäß auch sofort ans Werk begaben.

Dem Titus aber kam die ganz überraschende Einladung verdächtig vor: er hatte ja erst einen Tag zuvor die Juden durch Josephus zu Friedensverhandlungen auffordern lassen und nicht das geringste Entgegenkommen gefunden. Er schärfte also jetzt den Soldaten ein, dass sie nur auf ihrem Posten bleiben sollten.

Indessen hatten schon einige von den zum Schutze der Erdarbeiter aufgestellten Truppen zu den Waffen gegriffen und waren gegen die Tore gestürzt.

Die vermeintlichen Flüchtlinge aus der Stadt zogen sich anfangs vor den Römern zurück, sobald sich die letzteren aber zwischen den Türmen am Tore befanden, liefen die Juden vorwärts, im Kreise um die Soldaten herum und fielen ihnen in den Rücken: gleichzeitig sandten die Juden auf der Stadtmauer auf ihre Köpfe eine wahre Flut von Steinen und Geschossen jeder Art hinab, durch die eine erkleckliche Zahl getödtet, fast alle aber verwundet wurden: es wurde ihnen nicht leicht, aus dem Bereiche der Mauern zu kommen, weil sie der Feind im Rücken gerade dorthin zu drängen suchte, und ihnen überdies auch die Scham über die erlittene Täuschung, wie auch die Furcht vor ihren Offizieren gebot, die selbst eingebrockte Suppe auch auszuessen.

Aus diesem Grunde hielten sie denn auch die längste Zeit im Kampfe Stand, bis sie endlich, nicht ohne viele Hiebe von den Juden erhalten zu haben, freilich auch nicht ohne ebensoviele ausgeteilt zu haben, den Ring der Feinde durchbrechen können. Aber selbst noch auf dem Rückzug waren die Juden hinter ihnen her, um ihnen bis zum Grabmal der Helena mit ihren Geschossen zuzusetzen.


Ihr Glück schändeten jetzt die Juden durch eine geradezu bübische Ausgelassenheit. Sie höhnten die Römer, dass sie sich hatten so elend ködern lassen, schwangen die Schilde empor und tanzten und brüllten vor Freude.

Die Soldaten wurden bei ihrer Rückkehr von ihren Offizieren mit Drohungen, vom Cäsar mit finsterer Stirne empfangen: „Es ist merkwürdig“, hob er an, „wie die Juden, die sich nur von den Eingebungen der Verzweiflung leiten lassen, dennoch alles so mit Vorbedacht und Umsicht ins Werk setzen, z.B. euch Fallen und Hinterhalte zu legen wissen, und wie sich wirklich auch das Glück infolge ihres Gehorsam und ihrer gegenseitigen Anhänglichkeit und Treue an ihre hinterlistigen Anschläge heftet.

Die Römer dagegen, denen sonst immer wegen ihrer militärischen Ordnung und wegen ihrer strammen Gehorsams gegen ihre Offiziere auch das Glück treu gedient hat, diese erleiden auf einmal Schlappen über Schlappen, weil sie das Gegenteil von früher sind, und sie fallen, weil sie nicht einmal die eigene Faust beherrschen können, ja, was noch das allerschmählichste ist, weil sie ohne jede Führung, wohlgemerkt, vor den Augen des Cäsars, in den Kampf stützen!

In größtem Schmerz, fürwahr“, rief Titus aus, „werden aufseufzen die Kriegsgesetze, in größtem Schmerz mein eigener Vater, wenn ihm ein solcher Schlag zu Ohren kommen wird!

Mein Vater, sage ich, da dieser in Schlachten ergraute Held niemals noch eine solche Niederlage erlitten hat; die Gesetze sage ich, da sie trotz ihrer Strenge, mit der sie selbst eine leichtere Störung der Schlachtordnung an den Schuldigen stets mit dem Tode bestrafen, jetzt sehen mussten, wie gleich eine ganze Heeresabteilung ihren Posten verlassen hat.

Doch die eigensinnigen Kämpfer sollen es alsbald merken, dass bei den Römern selbst ein Sieg, gegen das Kommando erfochten, als eine Schande gilt“.

Diese scharfen Worte an die Offiziere ließen bereits klar durchblicken, dass Titus gegen alle insgesammt nach der ganzen Strenge des Gesetzes vorgehen wolle. Der Schuldigen bemächtigte sich die größte Mutlosigteit in der sicheren Erwartung demnächst die verdiente Todesstrafe erleiden zu müssen.

Jetzt bestürmten aber die Legionäre scharenweise den Titus mit ihren Bitten für die Kriegsgefährten und flehten ihn fußfällig an, doch die Voreiligkeit einiger weniger im Hinblick auf den pünktlichen Gehorsam aller anderen verzeihen zu wollen: gewiss würden dieselben ihren jetzigen Verstoß durch musterhaftes Benehmen in Zukunft wieder wett zu machen suchen.


Der Cäsar ließ sich durch diese Bitten nicht minder, wie durch die Rücksicht auf den eigenen Nutzen gnädig stimmen. Er ging nämlich von der Überzeugung aus, dass der einzelne schuldige Mann stets der vollen Strafe zugeführt werden müsse, dass man es aber einer größeren Zahl gegenüber bei der bloßen Drohung bewenden lassen solle.

Er machte also zunächst den Soldaten eindringliche Vorstellungen, dass sie in Hinkunft besonnener sein sollten, und ließ Gnade walten. Er selbst spähte von da an eifrig nach einer Gelegenheit, um sich für die Hinterlist der Juden bezahlt zu machen.

Nachdem in vier Tagen der ganze Abstand bis zur Mauer vollständig planiert war, beabsichtigte er, das Gepäck und den Tross unter sicherer Bedeckung näher heranzuziehen, und ließ zu diesem Zwecke seine besten Truppen in Schlachtordnung von sieben Mann Tiefe von Norden nach Westen der Stadtmauer gegenüber Aufstellung nehmen.

Die vorderen Reihen bildete das Fußvolk, die hinteren die Reiterei, beide zu je drei Reihen: zwischen ihnen waren als siebente Reihe die Bogenschützen postiert.

Da jeder Ausfall von Seite der Juden an diesem gewaltigen Ring sich brechen musste, konnten nunmehr die Lasttiere der drei Legionen und der Tross ungefährdet der Stadt entlang ziehen.

Titus bezog nun, ungefähr zwei Stadien von der Stadtmauer entfernt, an deren Eckseite gegenüber dem sogenannten Psephinusturm, wo der nach Norden verlaufende Mauerkreis eine Ausbiegung nach Westen macht, ein festes Lager.

Der andere Teil des Heeres verschanzte sich beim sogenannten Hippikusturm, gleichfalls in einem Abstand von zwei Stadien.

Die zehnte Legion blieb jedoch auf ihrem früheren Standort am ölberg.