Vollendung der Dämme. Neuer, missglückter Ausfall der Juden. Einsturz der Burgmauer. Titus muntert zur Besteigung der Bresche auf. Des Sabinus Heldenmut und Unglück. Nächtliche Erstürmung der Antonia. Kampf um den Tempel. Tapferkeit des Julianus.


Die Bedrängnis Jerusalems stieg von Tag zu Tag auf eine immer furchtbarere Höhe, da einerseits die Rebellenbande bei der Zunahme des Elendes immer wütender ward, und andererseits die Hungersnot ihre verheerende Wirkung, die bis jetzt nur das Volk verspürt hatte, auch unter den Aufrührern zu zeigen begann.

War doch die Masse der in der Stadt aufgeschichteten Leichen geradezu schauderhaft anzusehen, und der Geruch, den sie ausströmten, schon die leidige Pest. Sogar bei den Ausfällen der Verteidiger bildeten sie bereits ein ernstliches Hemmnis, da dieselben gezwungen waren, auf den todten Leibern herumzutreten und über sie hinzustürmen, wie die rauhen Krieger im Schlachtengewühl auf tausenden von Leichen herumstampfen müssen.

Doch die Juden stiegen mit einer wahren Lust auf die Leichen, sie kannten dabei weder Schauder noch Erbarmen, noch sahen sie in diesem Frevel gegen die Toten eine böse Vorbedeutung für ihren eigenen Tod; im Gegenteil, noch warm vom Blute ihrer Stammesbrüder, in das sie eben ihre Hand getaucht, stürzten sie zum Kampf gegen die Heiden hinaus, als wollten sie damit, wie es auf mich wenigstens den Eindruck machte, die Gottheit mit aller Gewalt zur schnelleren Rache gegen sich herausfordern. Schon längst beruhte ja ihre Kühnheit im Kampfe nicht mehr auf der Hoffnung zu siegen, sondern allein auf der Verzweiflung an ihrer Rettung.

Die Römer hatten unterdessen, wenn auch unter riesigen Beschwerden, die ihnen das Herbeischleppen des Holzes bereitete, die Dämme in 21 Tagen ausgebaut, nachdem sie freilich, wie oben schon gesagt worden, die ganze Umgebung der Stadt aus neunzig Stadien in der Runde rasiert hatten.

Das Land bot denn auch einen Anblick zum Erbarmen. Denn die vordem von Baumgruppen und Ziergärten so reich belebte Gegend war jetzt eine vollständige Wüste und ringsum abgeholzt.

Wohl kein einziger Ausländer, der noch das alte Judäa und die wunderschönen Vorgärten der Stadt geschaut, konnte jetzt diese Öde ansehen, ohne die schreckliche Veränderung bei jedem Schritte aufs bitterste zu beklagen und darüber schmerzlich aufzuseufzen.

Kein Zug der ehemaligen Schönheit, den der Krieg nicht entstellt hatte, und würde jemand, der die Gegend von früher her kannte, plötzlich dorthin versetzt worden sein, er hätte sie wohl nimmer erkannt, sondern, obschon an Ort und Stelle, erst die Stadt suchen müssen.


Das Ende der Dammarbeiten bedeutete für Römer sowohl als Juden gleicherweise den Anfang zu neuem Hangen und Bangen.

Die letzteren mussten sich ja sagen, dass, wenn sie nicht auch diese Dämme noch durchs Feuer vernichten könnten, die Stadt sicher fallen würde; die Römer aber hätten nach einer abermaligen Zerstörung der Dämme wohl überhaupt auf eine Einnahme Jerusalems verzichten müssen,

da nicht bloß kein Holz mehr aufzutreiben gewesen wäre, sondern bereits unter den physischen Anstrengungen auch der Körper des Soldaten, unter den wiederholten Schlappen aber selbst die Spannkraft des Geistes zu erlahmen begann.

Wirkte doch sogar die in Jerusalem herrschende Not seltsamer Weise auf die Römer noch niederschlagender, als auf die von ihr betroffenen Einwohner. Denn weit entfernt, dass die erlittenen Schläge ihre Gegner etwas mürber gemacht hätten, wie sie hofften, zertrümmerten diese umgekehrt den Römern eine Hoffnung nach der andern: die Hoffnung auf die Belagerungsdämme durch die bekannte Überlistung, die Hoffnung auf die Sturmmaschinen durch die unbezwingliche Festigkeit ihrer Mauer und die auf einen Sturm durch die überlegene Verwegenheit, mit der sie sich im Handgemenge schlugen. Am meisten entmutigte aber die Römer die Wahrnehmung, dass die Juden trotz der Parteikämpfe, Hungersnot und Belagerung und so vieler anderer Drangsale dennoch den Kopf obenauf behielten, was sie zum Schlusse nötigte, diese Männer müssten, wenn sie zur Offensive schreiten könnten, ebenso unwiderstehlich sein, wie ihr Gleichmut im Unglück ein unerschütterlicher war. „Denn was würden“, dachten sie sich, „solche Männer erst unter einem glücklicheren Stern nicht alles zu leisten imstande sein, wenn schon das ewige Missgeschick für sie nur ein Sporn zu immer neuer Kraftentfaltung ist“. Aus diesen Gründen stellten nun auch die Römer diesmal eine besonders starke Wachmannschaft zum Schutze der Wälle auf.


Die Leute des Johannes auf der Antonia trafen übrigens auch schon für die Zukunft, für den Fall nämlich, dass die Festungsmauer wirklich in Trümmer sinken sollte, ihre Vorsichtsmaßregeln und versuchten überdies, ehe noch die Widder auf die Dämme gebracht wurden, einen Sturm auf die Werke selbst.

Diesmal aber erreichten sie ihr Ziel nicht, sondern wandten sich, nachdem sie, mit Brandfackeln bewaffnet, einen Ausfall gemacht hatten, bevor sie noch in die Nähe der Dämme gelangten, halb und halb entmutigt wieder zurück.

Denn fürs erste schien der ganze Plan an Zerfahrenheit zu leiden, da nur immer ein Trupp und auch dieser verzettelt und mit furchtsamer Bedächtigkeit, mit einem Wort, nicht nach Judenart, zu den Toren hervorbrach. Man vermisste hier die ganze eigentümliche Kampfesweise der Nation: einen kühnen und stürmischen Angriff, einen kompakten Vorstoß und einen meisterhaften Rückzug!

Außerdem aber, dass sie diesesmal ihre gewohnte Energie zu Hause ließen, fanden sie auch die Reihen der römischen Wachen ungewöhnlich verstärkt.

Denn Schulter an Schulter und Schild an Schild, hatten sie die Dämme von allen Seiten in einer Weise abgesperrt, dass sie den Juden jede Möglichkeit benahmen, sich mit ihren Feuerbränden irgendwo durchzudrängen. Das Herz aber hatte jeder Römer mit dem Entschluss gewappnet, lieber zu fallen, als sich aus seiner Reihe verdrängen zu lassen.

Denn abgesehen davon, dass mit einer neuerlichen Einäscherung der Werke alle ihre Hoffnungen abgeschnitten worden wären, wollten die Soldaten um keinen Preis die Schande erleben, dass die List über die Tapferkeit, Wahnwitz über Waffenruhm, die Masse über die Erfahrung und Juden über die Römer den vollständigen Sieg erringen sollten.

Auch die Geschütze taten das ihrige, indem sie in die Reihen der Stürmenden einschlugen und ebenso sehr durch den Fall der Getroffenen ihre Hintermänner aufhielten, wie sie ihren Ansturm durch den Schrecken, den sie verbreiteten, lähmten.

Von denen aber, die bereits über die Schusslinie vorgedrungen waren, gerieten die einen, bevor sie noch handgemein wurden, schon beim bloßen Anblick der wohlgefügten, starrenden Feindesreihen in die größte Verwirrung, während die anderen, von einem Wald von Lanzen zurückgestoßen, sich gleichfalls schleunigst auf die Fersen machen mussten. Zuletzt erfolgte, ohne dass man etwas erreicht hätte, ein allgemeiner Rückzug, bei dem natürlich einer dem andern seine Feigheit vorwarf. Der Ausfall hatte am Neumond des Panemus stattgefunden.

Nach dem Rückzug der Juden suchten nun die Römer die Sturmmaschinen an die Mauer heranzuschieben, wurden jedoch mit einem wahren Hagel von Felstrümmern, Feuerbränden, Eisenstücken und allen möglichen Wurfgeschossen, die den bedrängten Juden gerade unter die Hände kamen, von der Antonia herab empfangen.

Denn obgleich die Juden sich sehr stark auf die Mauer verließen und der Widdermaschinen nicht achteten, so suchten sie dennoch die Annäherung derselben zu verhindern.

Gerade das aber reizte hinwieder die Römer zu noch größerem Eifer an, weil sie den Grund des heftigen Widerstandes der Juden gegen eine Berennung der Antonia in der Schwäche der Mauer suchten und die Hoffnung hegten, dass die Grundmauern schon mürbe seien.

Indes rührte sich an der getroffenen Stelle gar nichts. Aber trotz des fortwährenden Geschossregens hielten auch die Römer allen Gefahren des Mauerkampfes mutig Stand und ließen in einemfort ihre Widder spielen.

Da aber die Zahl der dabei beschäftigten Leute immer nur eine ziemlich geringe sein konnte, und von allen Seiten die Felstrümmer um sie hersausten, so suchten andere Soldaten unter einem über den Köpfen gebildeten Schilddache mit Händen und Brechstangen die Fundamente zu untergraben, und es gelang ihnen wirklich, vier Steine durch ihre Ausdauer loszureißen.

Die Nacht schaffte auf beiden Seiten Ruhe, und gerade während dieser Nacht stürzte plötzlich die von den Widdern schon erschütterte Mauer an jenem Punkte in Trümmer, wo Johannes bei seinem Anschlag auf die früheren Dämme den unterirdischen Gang gegraben hatte, welcher Gang jetzt unter der Last der Mauer eingebrochen war.


Dieser Zwischenfall machte auf die Kämpfer beiderseits einen entgegengesetzten und von niemand erwarteten Eindruck.

Während man nämlich von den Juden vorausgesetzt hätte, dass der ganz unvorhergesehene Einsturz sie hätte entmutigen und unvorbereitet treffen müssen, gebärdeten sie sich merkwürdigerweise gerade so keck, wie wenn die Antonia noch unversehrt dastünde.

Auf Seite der Römer aber wurde die Freude über den unverhofften Zusammenbruch der Burgmauer schnell wieder gedämpft durch das Erscheinen einer anderen Mauer, welche da die Krieger des Johannes innerhalb der ersteren und ihr gerade gegenüber aufgeführt hatten. Allerdings war ein Angriff auf die letztere offenbar nicht mehr so schwierig, wie auf die frühere Mauer, da schon der Aufstieg zu ihr durch den Mauerschutt der Bresche leichter gemacht schien. Ferner musste auch diese Mauer nach der Annahme der Römer viel schwächer sein, als die der Antonia, und konnte, weil eben nur eine Notmauer, keinen langen Widerstand leisten. Aber niemand wagte den Aufstieg, weil den ersten, die es gewagt hätten, der augenscheinliche Tod bevorstand.


Da nun Titus der Überzeugung war, dass die Begeisterung des Soldaten am allermeisten durch eine lockende Aussicht und ein feuriges Wort entstammt würde, und dass Aufmunterungen, wie Versprechungen häufig der Gefahren vergessen lassen, ja manchmal sogar eine wahre Todesverachtung erzeugen, so ließ er die wackersten Römer zusammenkommen, um ihre Entschlossenheit auszuhorchen, und begann folgendermaßen:

„Waffenbrüder! Eine Aufforderung zu ganz harmlosen Taten dürfte von dieser Stelle aus für diejenigen, an die sie ergeht, ebensowenig ehrend sein, als sie ganz gewiss auch dem Redner selbst den Vorwurf der Feigheit eintragen müsste.

Eine Aufforderung ist nach meiner Meinung vielmehr nur dort angezeigt, wo es sich um eine gewagte Sache handelt, da man die anderen auch ohne solche Anregung ins Werk setzen sollte.

Ich verhehle euch somit selbst nicht, dass nach meiner eigenen Anschauung der Sturm auf die Mauer seine Schwierigkeiten habe, aber ich möchte zugleich ausführlicher darauf hinweisen, wie herrlich gerade der Kampf mit den schwersten Hindernissen jenen anstehe, welchen um echten Mannesmut zu tun ist, wie schön der Tod im Ruhmesglanz sei, und dass gewiss auch die ersten beim Wagnis die Frucht ihres Heldenmutes nicht verlieren sollen.

Was euch nun zunächst zum Ansporn dienen soll, ist gerade das, was einige vielleicht eher abschrecken möchte, nämlich der zähe Mut der Juden und ihre Ausdauer bei ihrem Missgeschicke.

Es wäre doch eine wahre Schmach, wenn ihr, die Römer, ihr, meine Soldaten, die ihr schon im Frieden mit der Kriegskunst vertraut und im Kriege nur zu siegen gewohnt seid, euch mit den Fäusten oder der Verwegenheit der Juden nicht messen könntet, noch dazu im Angesichte des Triumphes und unter dem wirksamen Beistande Gottes!

Denn während die Verluste auf unserer Seite nur von der verzweifelten Gegenwehr der Juden herrühren, werden dagegen ihre Drangsale, abgesehen von euren Waffentaten, auch noch durch das Eingreifen Gottes gesteigert, indem der Bürgerkrieg und der Hunger in Verbindung mit der Belagerung und der durch keine Maschinen hervorgerufene plötzliche Einsturz der Mauer wohl nichts anderes sein kann, als ein Zeichen, dass Gott den Juden grollt, dass Gott auf unserer Seite steht.

Nun dürfte es aber doch kaum unserer Römerart entsprechen, dass wir nicht allein von Schwächeren uns schlagen lassen, sondern sogar den Arm Gottes durch unsere Feigheit bloßstellen sollten. Pfui der Schmach!

Die Juden, denen es doch keine große Schande bringt, wenn sie den Kürzeren ziehen, weil ihnen ja ohnehin die Knechtschaft nichts Neues ist, diese bäumen sich mit wahrer Todesverachtung gegen das alte Joch auf und machen von der Stadt aus einen Sturm nach dem anderen auf unsere Reihen, nicht etwa, weil ihnen eine Siegeshoffnung winkt, sondern einzig, um eine Probe ihrer Tapferkeit abzulegen.

Und wir, die wir die Herren fast aller Länder und Meere sind, für die selbst ein bloß unentschiedener Kampf eine Schande ist, wir wollten auch nicht ein einziges Mal uns kühn unter die Feinde wagen, sondern mit unserer ungeheuren Streitmacht nur träge dahocken, um zu warten, bis der Hunger mit ihnen aufgeräumt hat, oder ein Zufall uns die Tore öffnet, und das alles, obschon wir durch einen kleinen Handstreich den ganzen Feldzug glücklich beendigen könnten!

Denn sind wir oben auf der Antonia, so haben wir auch schon die Stadt. Mag es dann auch noch, was ich übrigens nicht glaube, zu einem Straßenkampfe mit den Einwohnern kommen, so verbürgt uns doch wenigstens unsere dominierende Stellung, die den Feinden, sozusagen, den Atem verlegt, einen baldigen und vollständigen Sieg.

Ich werde mich jetzt nicht in Lobeshymnen über den Tod am Schlachtfelde und über die den gefallenen Helden bestimmte Unsterblichkeit ergehen, wohl aber möchte ich jetzt wünschen, dass jene, die anders darüber denken, für einen Augenblick den stillen Tod im Bette zu verkosten bekämen, den Tod, sage ich, bei welchem mit dem Leibe auch die Seele zu den Schrecken des Grabes verurteilt wird.

Welcher brave Mann wäre nicht davon überzeugt, dass die Seelen, welche der mörderische Stahl auf dem Schlachtfelde vom Fleische abgelöst hat, vom reinsten Element, das es gibt, dem Äther, umfangen und nach den Gestirnen emporgetragen werden, um von da als Schutzgeister und gnädige Heroen ihren Nachkommen sich zu zeigen,

während die im kranken Leibe hinwelkenden Seelen, mögen sie auch noch so rein von jeder Makel oder Befleckung sein, die Nacht der Unterwelt bedeckt und der Strom der Vergessenheit begräbt, da mit ihrem Leibe und Leben auch ihre Erinnerung abschließt.

Wenn nun aber der Lebensfaden des Menschen nach dem unerbittlichen Schicksale einmal zu Ende gehen muss, und andererseits das feindliche Schwert uns viel besser denselben zerschneiden hilft, als jegliche Krankheit, so wäre es doch gemein, wollten wir den Tribut, den wir sonst dem Verhängnis notwendig zollen müssen, nicht lieber unserem eigensten Interesse schenken.

Meine bisherigen Ausführungen sind von der Voraussetzung ausgegangen, dass die Stürmenden unfehlbar verloren wären; aber es besteht auch die Möglichkeit, dass sich wackere Männer selbst aus der gefährlichsten Lage heraushauen.

Denn fürs erste ist der Mauerschutt leicht zu ersteigen, und dann kann auch die neue Mauer nirgends einen ernsten Widerstand leisten. Eure Überzahl, wie auch die Kühnheit, mit der ihr frisch ans Werk geht, wird euch gegenseitig Ansporn und Hilfe sein, und der Mut der Feinde wird durch eure Entschlossenheit rasch erschüttert sein.

Ja es könnte sogar geschehen, dass der Sieg ein ganz unblutiger wird, wenn ihr nur einmal herzhaft den Anfang macht. Beim offenen Aufstieg werden sie allerdings begreiflicherweise alles aufbieten, um euch zurückzuschlagen, aber wenn ihr euch hinanschleicht und einmal über die Mauer euch Bahn gebrochen habt, so dürfte der Feind, auch wenn ihn nur eine kleine Zahl von euch überrumpelt hat, weiter keine Gegenwehr mehr leisten.

Ich aber würde mich schämen, wenn der erste, der die Mauer ersteigt, von mir nicht in einer Weise entlohnt würde, die ihn zu einem beneidenswerten Manne machen muss. Kommt er mit dem Leben davon, so wird er den Befehl über seine jetzigen Kameraden erhalten. Wer aber fällt, den wird ein seliger Ehrenpreis noch ins Grab hineinbegleiten“.


Ungeachtet dieser herrlichen Ausführungen wollte die Furcht vor der großen Gefahr bei der Zuhörermenge nicht schwinden. Nur ein Krieger aus den Cohorten, namens Sabinus, ein gebürtiger Syrer, entpuppte sich bei dieser Gelegenheit als ein überaus handfester und entschlossener Mann, obschon ein oberflächlicher Beobachter ihn, nach seiner leiblichen Erscheinung wenigstens, nicht einmal für einen brauchbaren Soldaten gehalten haben würde. Er hatte eine fahle Hautfarbe, schmächtigen Körperbau, an dem das Fleisch wie eingeschrumpft war; aber in dem hagern und für die wirkliche Kraft viel zu engen Gehäuse des Leibes wohnte die Seele eines Helden. Er war es also, der zuerst sich erhob und sprach:

Ich bin gerne bereit, Cäsar, mein Leben dir zu weihen.

Ich will der erste die Mauer ersteigen und habe nur den Wunsch, dass meinem Arm und meinem Entschluss auch dein Glück, o Cäsar, folgen möchte. Sollte mir aber das Geschick die Erreichung meines Zieles missgönnen, so wisse, dass es mich nicht unerwartet zerschmettert, sondern dass ich selbst mit voller Überlegung für dich den Tod gesucht habe“.

Sprachs und hob mit der Linken seinen Schild schützend über den Kopf empor, riss mit der Rechten das Schwert aus der Scheide und wandte sich sofort gegen die Mauer. Es war so ziemlich um die sechste Stunde.

Auch von den Übrigen schlossen sich ihm einige, allerdings nur elf, Soldaten an, die seiner Tapferkeit nacheifern wollten. Doch war ihnen der Mann, der wie ein Kriegsgott einherstürmte, allen weit voran.

Die feindlichen Posten empfingen sie mit Wurfspeeren, die sie ihnen von der Mauer aus entgegenschleuderten, und bedeckten sie von allen Seiten mit einer Wolke von Pfeilen, ja wälzten sogar riesige Felsblöcke auf die elf Stürmenden herab, von denen einige dadurch auch wirklich weggerissen wurden.

Sabinus aber drang, von Geschossen umschwirrt, immer weiter und mäßigte, wenn auch fast verschüttet von einem Wald von Pfeilen, nicht eher seinen Ungestüm, als bis er auf der Zinne angelangt war und die Feinde zurückgejagt hatte.

Denn ein großer Schrecken hatte die Juden ob solcher Streiche und solcher Kühnheit ergriffen und sie zum Weichen gebracht, zumal sie der Meinung waren, es seien schon mehr Römer auf der Mauer.

Hier aber hatte man wieder einmal Gelegenheit, das Schicksal ob seines Neides gegen wackere Taten und ob seiner Tücke anzuklagen, mit der es gerade dem ungewöhnlichsten Heroismus stets ein Bein zu stellen sucht.

Denn als dieser Held seine Aufgabe schon glücklich gelöst hatte, da machte er einen Fehltritt, strauchelte an einem Felsstück und stürzte mit großem Gedröhn kopfüber auf den Stein hin. Sofort schauten die Juden um und sahen nur einen einzigen Mann und den schon am Boden liegen. Jetzt hagelte es wieder von allen Seiten Geschosse.

Sabinus konnte sich noch auf ein Knie erheben und wehrte sich eine Zeitlang, gedeckt von seinem Schilde, so tapfer, dass er viele, die ihm zu nahe kamen, verwundete.

Endlich ließ er, von vielem Blutverlust erschöpft, seinen Arm sinken und ward zuletzt, noch ehe er seine Seele aushauchte, von einem Haufen Geschosse begraben: ein Mann, der um seiner Tapferkeit willen wahrlich ein besseres Schicksal verdient hätte, dessen Tod aber auch seines großen Unternehmens würdig war.

Von den übrigen wurden noch drei, die bereits vor der Zinne standen, durch Steinwürfe zerschmettert und augenblicklich getödtet, während die anderen acht, von Wunden bedeckt, noch über die Trümmer herabgeschleppt und ins Lager zurücktransportiert werden konnten. Der Fall ereignete sich am dritten des Monates Panemus.


Zwei Tage später taten sich zwanzig Leute aus der Wachmannschaft, die bei den Dämmen stand, zusammen und zogen auch den Adlerträger der fünften Legion, ferner noch zwei Reiter aus den gewöhnlichen Geschwadern, wie auch einen Trompeter zu ihrem Vorhaben bei. Um die neunte Nachtstunde steigen sie alle geräuschlos über die Mauertrümmer zur Antonia hinauf, stechen die äußersten Wachposten im Schlafe nieder, bemächtigen sich der Mauer und lassen sofort den Trompeter das Signal zum Angriff blasen.

Auf das hin schnellten auch die anderen Wachen in die Höhe und ergriffen, ohne dass auch nur ein einziger sich Zeit genommen hätte, sich nach der Zahl der Eingedrungenen umzusehen, die Flucht. In ihrer Bestürzung sahen sie schon die Mauer voll von Feinden, worin sie der Trompetenklang noch bestärkte.

Auch der Cäsar hatte gleich das Signal vernommen und machte nun in aller Eile das Heer schlagfertig. Dann stieg er selbst an der Spitze seiner Generäle, gefolgt von seinen Garden, die Bresche hinauf.

Da die Juden bereits in voller Flucht dem Tempel zuströmten, konnten die Römer jetzt auch durch den Gang, den Johannes unter die Dämme der Römer gegraben hatte, eindringen.

Unterdessen hatten aber die Rebellen beider Parteien, des Johannes und des Simon, jede für sich, um den Tempel wieder Stellung genommen und suchten die Römer mit einem ganz außerordentlichen Aufgebot von Kraft und Entschlossenheit zurückzuschlagen, da mit dem Eindringen der Römer in den Tempel, wie sie wussten, ihr Untergang besiegelt war, und die Römer auch ihrerseits darin den entscheidenden Wendepunkt zum Siege sahen.

So wogte nun denn um die Tempeltore ein grimmiger Kampf: die Römer wollten mit aller Gewalt hinein, um endlich auch das Heiligtum in ihre Hand zu bekommen, während die Juden sie wütend zurückstießen und gegen die Antonia hindrängten.

Pfeil und Speer war da völlig unnütz; es arbeitete nur das blitzende Schwert, und man konnte im Handgemenge nicht einmal mehr unterscheiden, wo denn Freund oder Feind stand: so entsetzlich war das Gewühl, und so unentwirrbar waren die Kämpfer ineinander gekeilt! Auch Kommando und Losung blieben im sinnbetäubenden Getümmel ganz unverständlich.

In Strömen floss das Blut der Juden und der Römer, und in der Wut des Kampfes zerstampfte man selbst noch Körper und Rüstung der Gefallenen unter den Füßen.

Je nachdem des Kampfes Schwergewicht bald dahin, bald dorthin drängte, hörte man stets die Gewinnenden ein begeisterndes Jubelgeschrei, die Geschlagenen ein banges Weheklagen ausstoßen. Dabei erlaubte der Raum weder eine ordentliche Flucht noch eine ordentliche Verfolgung, sondern es waren lauter unentschiedene Vorstöße und Rückstöße eines regellosen Kampfes.

Die Vordersten hatten rein nur die Wahl, zu fällen oder zu fallen, ein Rückzug war ganz unmöglich, da die Hintermänner ihre Leute von beiden Seiten vorwärts stießen und gar kein Plätzchen freien Gefechtsfeldes übrig ließen.

Endlich bekam doch der wütende Ungestüm der Juden das Übergewicht über die sonst so kriegsgeübten Römer, und auf der ganzen Linie ging der blutige Strauß, der ja bereits von der neunten Nachtstunde bis zur siebenten Stunde des Tages gedauert hatte, allmählich seiner Wendung entgegen.

Zu derselben trug besonders der Umstand bei, dass die Juden ihre ganze Macht ins Treffen geworfen und in ihrer Angst vor der völligen Erstürmung einen Ansporn zur verzweifeltsten Tapferkeit gefunden hatten, während die Römer nur mit einem Teile ihrer Streitkräfte in den Kampf verwickelt waren, da die Legionen, auf die man sich verlassen hatte, noch immer nicht die Veste erstiegen hatten. Vor der Hand erschien es daher am ratsamsten, sich mit der Einnahme der Antonia zufrieden zu geben.


Bei den Truppen aus Bithynien diente damals auch ein Centurio, namens Julianus, ein Mann von nicht unansehnlichem Geschlechte, der sich unter allen Soldaten, mit denen ich auf jenem Feldzuge bekannt geworden bin, was Übung im Waffenhandwerk, Leibesstärke und Heldenmut angeht, am meisten hervortat.

Als der nun auf der Antonia, wo er an der Seite des Titus stand, bemerkte, wie die Römer schon zu weichen und in ihrem Widerstande zu erlahmen anfingen, da stürzte er selbst in den Kampf und trieb ganz allein die schon siegreichen Juden bis zur Ecke des inneren Heiligtumes zurück. In hellen Haufen flohen die Juden vor dem Manne, in dem, wie sie glaubten, eine dämonische Kraft und Verwegenheit wohnen müsse.

Er aber schoss, wie ein Wetterstrahl, bald dahin, bald dorthin, mitten durch die zersprengten Haufen und zerschmetterte, wen er erreichte, ein Schauspiel, das selbst den Cäsar mit einer unvergleichlichen Bewunderung, die anderen aber mit einem nie empfundenen Grauen erfüllte.

Und doch sollte nun auch dieser Edle vom Verhängnisse, dem kein Sterblicher entfliehen kann, ereilt werden.

Wie jeder andere Soldat, trug auch Julian Halbstiefel, die mit spitzen Nägeln dicht beschlagen waren. Wie er nun damit über das Steinpflaster hinlief, glitt er nach hinten aus, stürzte rücklings zusammen, dass das Klirren der Rüstung weithin klang und die fliehenden Feinde aufmerksam machte.

Gleichzeitig erscholl aus den Reihen der Römer auf der Antonia, die jetzt alles für den Mann fürchteten, ein Schrei des Entsetzens, während die Juden ihn auch schon massenhaft umringten und mit ihren Spießen, wie mit ihren großen Schwertern von allen Seiten bearbeiteten.

Doch gelang es Julian zumeist, das mörderische Eisen mit dem Schilde zu parieren, und er machte auch öfter den Versuch, sich vom Boden zu erheben, wurde aber stets von dem Haufen, der auf ihn einhieb, auf den Rücken niedergeworfen. Doch selbst in dieser Lage rannte er noch vielen sein Schwert in den Leib und konnte auch nicht so schnell tödtlich getroffen werden, da alle Teile des Leibes, wo ein Stich lebensgefährlich werden musste, vom Helm und Brustharnisch geschützt waren, und Julian überdies seinen Nacken fest zusammenzog. Erst als man ihm Hände und Füße zerhackt hatte, musste er, da ihm niemand zu Hilfe zu kommen wagte, sich aufgeben: zum tiefsten Leidwesen des Cäsars, der es innigst bedauerte, dass ein so vortrefflicher Mann und zwar angesichts sovieler Kameraden so elend hingeschlachtet werden musste. Er selbst hätte ihm beim besten Willen von seinem Standpunkte aus unmöglich zu Hilfe kommen können; denen es aber möglich gewesen wäre, die bannte das Entsetzen an ihre Stelle.

Nach einem furchtbaren Ringen mit seinen Mördern, von denen nur wenige mit heiler Haut davonkamen, empfing er den so lange abgewehrten Todesstoß, um nicht bloß bei den Römern und ihrem Cäsar, sondern auch bei seinen Feinden das ruhmvollste Andenken zu hinterlassen.

Den Leichnam schleppten die Juden als Trophäe beiseite und trieben dann die Römer noch weiter zurück, bis sie dieselben vollends hinter die Mauern der Antonia gedrängt hatten.

Mit besonderer Auszeichnung hatten in diesem Kampfe auf Seite der Juden in den Reihen des Johannes ein gewisser Alexas und Tephthäus, in denen des Simon aber Malachias und Judas, der Sohn des Merton, wie auch Jakobus, der Sohn des Sosa, Befehlshaber der Idumäer, und aus der Schar der Zeloten die zwei Brüder, Simon und Judas, Söhne des Ari, gefochten.