Aufführung der Dämme gegen die Oberstadt. Hinrichtung der Idumäerdeputation durch die Schreckensmänner. Haufenweiser Übergang des Volkes. Auslieferung versteckter Tempelschätze. Durchbruchsversuch der Empörer. Die Römer in der Oberstadt.


Da man der Oberstadt wegen ihres ringsum steil abfallenden Gehänges ohne Wälle unmöglich beikommen konnte, so teilte Titus seine Streitmacht und nahm am zwanzigsten des Monates Lous wieder die Dammarbeiten in Angriff.

Ein schweres Stück Arbeit war besonders das Herbeischleppen des Holzes, indem, wie ich schon gesagt habe, die ganze Gegend um die Stadt in einem Umkreis von hundert Stadien für den Bau der früheren Dämme abgestockt worden war.

Die vier Legionen bauten ihre Schanzwerke auf der Abendseite der Oberstadt, gegenüber dem Königshof, die Hilfstruppen aber und die übrige Heeresmasse begannen in der Gegend des Xystus, der dortigen Brücke und des Simonturmes, den sich Simon als Vorwerk in seinem Kampfe mit Johannes errichtet hatte, mit der Aufschüttung ihrer Dämme.


In diesen Tagen kamen die Anführer der Idumäer zu einer geheimen Beratung zusammen, deren Gegenstand die Übergabe an die Römer bildete. Es ward beschlossen, fünf Abgesandte an Titus zu schicken, um sich seiner Gnade zu empfehlen.

Da Titus die Hoffnung hegte, es würden durch die Lostrennung der Idumäer, die im Kampfe schwer in die Wagschale fielen, auch die Tyrannen zum Nachgeben genötigt werden, so bewilligte er ihnen, wenn auch erst auf längeres Bitten, schließlich doch wenigstens den verlangten Pardon und entließ die Männer.

Wie sich nun die Idumäer zum Abzuge rüsten wollten, kam es Simon zu Ohren, der auf der Stelle die fünf Männer, welche die Gesandtschaft an Titus übernommen hatten, hinrichten ließ. Die Führer, darunter den berühmten Jakobus, Sohn des Sosa, befahl er zu verhaften und in den Kerker zu werfen, während er das gemeine idumäische Kriegsvolk, das infolge der Aufhebung seiner Anführer zunächst ganz ratlos war, nicht aus dem Auge ließ und auch die Mauer nur mit ganz verlässlichen Wachen besetzte.

Trotzdem waren die Posten ganz ohnmächtig gegenüber der Flut von Überläufern, die sie aufhalten sollten: so viele auch von ihnen niedergestreckt wurden, so waren es immer noch weit mehr, die ihnen entschlüpfen konnten.

Alles fand jetzt bei den Römern Aufnahme, teils weil Titus selbst sich in seiner Herzensgüte über die früher von ihm erlassenen scharfen Verordnungen hinwegsetzte, teils weil die Soldaten, angeekelt von dem vielen Blutvergießen, von nun an schonender vorgingen, zumal sie auch für ihren Beutel dabei etwas herauszuschlagen hofften.

Die Soldaten ließen nämlich nur die eigentlichen Bürger Jerusalems ungeschoren, während sie die übrige Volksmasse mit Weib und Kind verkauften, natürlich nur um eine Bagatelle, da die Zahl der Menschenwaren zu groß, die der Käufer zu klein war.

Sogar solche Überläufer, die ganz allein kamen, wurden von Titus angenommen, obschon er früher in der Absicht, auch die Familien herauszubekommen, die öffentliche Kundmachung erlassen hatte, dass keiner ohne seine Angehörigen zu ihm übergehen dürfe. Doch setzte Titus eine Kommission ein, welche die Aufgabe hatte, die mit einem todeswürdigen Verbrechen belasteten Überläufer von den übrigen zu sondern.

Die Zahl derer, die in die Sklaverei verkauft wurden, war eine immense, die Zahl der eigentlichen Bürger aber, die sich glücklich gerettet hatten, betrug über 40.000. Den letzteren erlaubte der Cäsar hinzugehen, wohin ein jeder wollte.


In denselben Tagen verließ auch ein gewisser Jesus, der Sohn des Priesters Thebuthi, sein Versteck, nachdem er von Titus die eidliche Zusicherung seiner Begnadigung unter der Bedingung erhalten hatte, dass er einige Gegenstände aus dem heiligen Schatze ausliefere, was er auch tat.

Er brachte aus der Wand des Tempelhauses zwei Leuchter zum Vorschein, welche den im Heiligtum stehenden sehr ähnlich waren, dann auch Tische, Mischkrüge und Schalen,

Alles von massivem Golde und von bedeutendem Gewichte. Ferner lieferte er die Vorhänge und die Amtskleidung des jeweiligen Hohenpriesters mit den Edelsteinen daran, wie auch viele andere beim heiligen Dienst in Verwendung kommende Gerätschaften aus.

Auch der Tempelschatzmeister, namens Phinees, fiel den Römern in die Hände und musste ihnen die Kleider und die Gürtel der Priester und eine Menge Purpur- und Scharlachstoffe verraten, die zum Zwecke der Erneuerung der Vorhänge immer bereit lagen, überdies noch einen großen Vorrat von Zimmt und Kasia und anderer Gewürze, die täglich in einem bestimmten Gemenge als Rauchwerk Gott dem Herrn dargebracht wurden.

Auch viele andere Kostbarkeiten und nicht wenige heilige Paramente spielte er den Römern in die Hände, wofür er dann den gleichen Pardon, wie die Überläufer, empfing, auf den er als eigentlicher Kriegsgefangener sonst keinen Anspruch gehabt hätte.


Als endlich nach achzehntägiger Arbeit am siebenten des Monates Gorpiäus die Dämme fertig gestellt waren, rückten die Römer mit den Maschinen an die Mauer heran. In diesem Augenblicke entsank vielen Rebellen jede Hoffnung auf die Rettung der Stadt, und sie zogen sich von der Mauer auf die Burg zurück, während andere in den unterirdischen Gängen verschwanden.

Immerhin blieb noch eine starke Zahl von Verteidigern auf ihren verschiedenen Posten und suchte die Annäherung der Sturmböcke zu verhindern. Doch brach sich ihr Widerstand an der Übermacht und Stärke, ganz besonders aber an der Siegeszuversicht der Römer, der sie jetzt nur Entmutigung und Abspannung entgegenstellen konnten.

Als nun erst gar ein Stück von der Mauer einstürzte, und schon einige Türme unter den Widderschlägen erzitterten, da ließen sich die Verteidiger keinen Augenblick mehr halten, und selbst die Tyrannen überkam plötzlich ein Schrecken, der durch die wirkliche Gefahr sicher nicht in solchem Grade gerechtfertigt war.

Denn noch bevor ein Feind seinen Fuß auf die Mauer gesetzt hatte, waren sie schon starr vor Angst und dachten hin und her, wie sie ihm nur entrinnen könnten. Die vordem so aufgeblasenen Menschen, die sich noch aus ihren Schandtaten eine Ehre gemacht hatten, boten jetzt in ihrer Niedergeschlagenheit und schlotternden Angst ein so klägliches Schauspiel, dass einen selbst diese abgefeimten Bösewichter in ihrer jetzigen Verfassung hätten dauern können.

Zunächst hatten sie es auf eine Überrumplung der Umwallung abgesehen, deren Wachen sie zurückwerfen wollten, um dann durch eine Bresche zu entkommen.

Da sie aber nirgends mehr ihre alten getreuen Trabanten sahen, – diese waren in alle Winde zerstoben, wie es einem jeden die Angst eingab – und überdies einige in aller Eile schon den Einsturz der ganzen westlichen Mauer, andere auch schon den Feind im Innern meldeten, wieder andere wussten, dass er in der nächsten Nähe stehe und schon nach den Tyrannen suche, und einige in den Trugbildern ihrer geängstigten Phantasie ihn sogar schon auf den Türmen gesehen haben wollten, da fielen sie auf ihr Angesicht, um mit lautem Stöhnen ihren Wahnwitz zu beweinen, und waren eine Zeitlang ganz außerstande zu fliehen, nicht anders, als wären ihnen die Sehnen durchschnitten.

Da konnte man wieder einmal so recht den starken Arm Gottes über dem Haupte der Frevler, wie auch das Glück der römischen Waffen kennen lernen! Die Tyrannen beraubten sich ja selbst der sichersten Schutzwehr, indem sie aus eigenem Antriebe die Türme verließen, wo sie keine Gewalt je, sondern nur der Hunger hätte bezwingen können.

Auf diese Weise bekamen die Römer, nachdem sie auf die Eroberung der schwächeren Mauern unsägliche Mühe hatten verwenden müssen, gerade jene Mauern, die sonst den stärksten Maschinen getrotzt hätten, durch einen glücklichen Zufall in ihre Gewalt. Es waren das die drei Türme, von denen wir weiter oben eine Schilderung entworfen haben, und deren Stärke alle Belagerungsmaschinen zu Schanden gemacht haben würde.


Nachdem die Tyrannen die Türme verlassen hatten oder, besser gesagt, durch Gottes Hand von denselben herabgeschleudert worden waren, flohen sie gleich in das Thal unter der Siloahquelle, wo sie sich von ihrer ersten Angst etwas erholten.

Hierauf machten sie einen Angriff gegen die Umwallung, bei dem sie aber, schon von Furcht und Not gelähmt, keineswegs den kühnen Heldenmut entfalteten, den die verzweifelte Lage gefordert hätte. Sie wurden von den Wachen zurückgeworfen und vollständig auseinandergesprengt, worauf die Einzelnen sich in die unterirdischen Gänge versteckten.

Die Römer aber waren unterdessen über die Mauern eingedrungen und hatten ihre Standarten auf den Türmen aufgepflanzt, wo sie nun unter Waffenklang und Jauchzen ihre Siegeslieder anstimmten und das so unerwartet leichte Ende eines Krieges feierten, der einen so harten Anfang gehabt hatte. Denn ohne einen Tropfen Blutes zu vergießen, waren sie auf die letzte Mauer hinaufgekommen, so dass sie zunächst ihren eigenen Augen nicht trauten und in eine seltsame Verlegenheit gerieten, als sie jetzt keinen einzigen Gegner mehr vor sich sahen.

Dann aber ergossen sie sich, mit dem Schwert in der Faust, in die Straßen der Stadt und hieben in zügelloser Wut alles in Stücke, was sie ereilten, und zündeten die mit Flüchtigen vollgefüllten Häuser an, dass alles miteinander verbrannte.

Wollten aber die Soldaten auf ihrem verheerenden Zuge einmal selbst in das Innere eines Hauses dringen, um Beute zu machen, so stießen sie regelmäßig auf die Leichen ganzer Familien und auf Dächer, die voll von Verhungerten lagen, bei deren Anblick sie, von kaltem Schauder gepackt, ohne etwas angerührt zu haben, wieder hinausstürmten.

So ergriffen sie aber beim Anblick dieser Toten waren, so gefühllos waren sie für die Lebenden. Wer ihnen unter die Hände kam, dem bohrten sie das Schwert in die Brust, so dass sich in den Straßen ganze Barrikaden von Leichen bildeten. Das Blut floss in der ganzen Stadt so reichlich, dass an vielen Stellen selbst die Flammen von seinen Strömen erstickt wurden.

Gegen Abend hörte das Gemetzel auf, indes das Feuer gerade bei der Nacht immer stärker um sich griff.

So stieg nun die Sonne am achten Gorpiäus über die Flammen Jerusalems auf, einer Stadt, die während der Dauer ihrer Belagerung allein schon soviele Leiden ausgestanden hat, dass dasselbe Maß von Glück, auf die ganze Zeit ihres Bestandes verteilt, sie gewiss noch immer in den Augen der Menschen beneidenswert gemacht hätte. Und an diesen entsetzlichen Drangsalen war nichts anderes, als nur das Geschlecht schuld, das Jerusalem zuletzt hervorgebracht, und von dem es auch ins Verderben gerissen worden ist.