Tod des Lucilius Bassus. Flavius Silva rückt vor Masada. Geschichte und Beschreibung der Veste. Fall der Mauer. Zerstörung der Notmauer durch Feuer. Eleazar, das Haupt der Sicarier, fordert in zweimaliger Rede die Juden zum Selbstmorde auf.


Inzwischen war Bassus gestorben, und Flavius Silva sein Nachfolger in der Statthalterschaft von Judäa geworden. Da derselbe sonst das ganze Land durch das Schwert der Römer gebändigt und nur noch eine einzige Veste denselben trotzen sah, so machte er sich an die Eroberung des Platzes, indem er zunächst die ganze in verschiedenen Teilen des Landes befindliche Streitmacht concentrierte.

Es war das die Festung Masada, die von den Sicariern unter der Anführung des Eleazar, eines Mannes von großem Ansehen, besetzt worden war. Derselbe war ein Abkömmling jenes Judas, welcher, wie wir oben erzählt haben, nicht wenige Juden zu der Zeit, als Quirinius in der Eigenschaft eines Censor nach Judäa gesandt worden war, zum Widerstand gegen diese Schätzung verleitet hatte.

Die Sicarier waren bekanntlich solche Leute, die sich zu unserer Zeit gegen alle jene, die sich den Römern fügen wollten, zusammenrotteten und dieselben in jeder Beziehung wie Feinde behandelten: sie plünderten ihre Habseligkeiten, trieben ihr Vieh als gute Beute fort und schleuderten die Brandfackel in ihre Behausungen,

indem sie dabei meinten, ihre Opfer seien ohnehin um nichts besser, als die Heiden, weil sie die von den Juden so heiß umstrittene Freiheit in so niederträchtiger Weise von sich würfen und ganz ungescheut nach dem römischen Sklavenjoche griffen.

Diese Sprache war aber nur ein leerer Vorwand, um ihre Grausamkeit und Habgier zu bemänteln, wie es ihre spätere Handlungsweise klar genug gezeigt hat.

Denn gerade jene Mitbürger, die sich an ihrer Empörung beteiligten und sie im Kampfe gegen die Römer unterstützten, hatten unter ihren Streichen das Aergste zu leiden, riss man ihnen aber hinwieder die Maske ihrer Verlogenheit öffentlich vom Gesichte, so antworteten sie auf die nur zu sehr verdienten Vorwürfe über ihre Verruchtheit mit noch grausameren Misshandlungen.

Überhaupt war das Judentum jener Zeit ein äußerst fruchtbarer Boden für alle Arten von Schlechtigkeiten, so dass wohl kein noch so verruchtes Werk unter ihnen unversucht blieb, und Niemand, wenn er auch absichtlich hätte etwas aushecken wollen, eine neue Ruchlosigkeit hätte mehr ausfindig machen können.

So tief und allgemein war das Leben des Einzelnen, wie das der Gesellschaft vergiftet, und einer suchte den anderen durch seine Ruchlosigkeiten gegen Gott und seine Ungerechtigkeiten gegen den Nächsten zu überbieten, die großen Herren saugten das Volk aus, und die Massen suchten wieder die Großen zu vernichten.

Die einen wollten Tyrannen spielen, die anderen ihre brutale Gewalt brauchen und die Schätze der Reichen ausplündern.

Diese Bahn der Gesetzlosigkeit und der Grausamkeit gegen die eigenen Stammgenossen eröffneten zunächst die Sicarier, die den Opfern ihrer Hinterlist keine Beschimpfung ersparten und keinen Anschlag zu ihrem Untergang unausgeführt ließen. Und dennoch sollte das Benehmen des Johannes den Beweis liefern, dass die Sicarier eigentlich noch zu den Gemäßigten gehörten.

Denn nicht allein räumte dieser Mann alle jene aus dem Wege, deren Ratschläge nur auf die Gerechtigkeit und die öffentliche Wohlfahrt abzielten, und wütete gerade gegen diese Bürger, wie gegen die schlimmsten Feinde, sondern er überhäufte auch in seiner öffentlichen Thätigkeit sein ganzes Vaterland mit tausendfachem Unheil, wie es nur ein solcher Mensch zu tun vermochte, der bereits gegen Gott selbst seine Frevlerhand zu erheben den traurigen Mut gehabt hat.

Er deckte nämlich seinen Tisch mit verbotenen Speisen und ließ in seinem täglichen Leben die herkömmlichen und von den Vätern überlieferten Reinigungsgesetze ganz außeracht, als wollte er damit den klaren Beweis erbringen, wie ein rasender Feind der Gottesverehrung ganz natürlich auch von einer Milde und liebevollen Teilnahme gegenüber den Menschen nichts wissen wolle.

Und nun endlich Simon, der Sohn des Gioras, was hat der Mensch nicht für Schlechtigkeiten angestiftet! Oder hat er irgend eine Schmach und Qual dem Leibe seiner Bürger erspart, jener Bürger, sage ich, die ihn doch zu ihrem Herrscher erklärt hatten?

Hat je ein Band der Freundschaft oder des Blutes diese Schurken so stark gefesselt, dass sie im Gegenteil dadurch nicht täglich zu neuen Bluttaten gegen die ihnen Nahestehenden aufgemuntert worden wären? Denn wer nur fremde Leute schädigte, der war in ihren Augen nichts als ein ganz gewöhnlicher Lump, erst die Grausamkeit gegen die vertrautesten Männer gab nach ihrer Ansicht dem Schurken seine glänzende Heldengestalt.

Und mit dem Wahnwitz dieser Bösewichter wetteiferte noch die tolle Wut der Idumäer! Diese Scheusale schlachteten zuerst die Hohenpriester ab, um die Gottesverehrung vollständig in Verfall zu bringen, und beseitigten dann noch die letzten Trümmer staatlicher Ordnung,

um in jeder Beziehung die vollendetste Anarchie an ihre Stelle zu setzen. Das war auch der rechte Nährboden, auf dem das Gewächs der sogenannten Zeloten seine üppigsten Giftblüten trieb, Leute, die ihren Namen durch ihre Taten nur allzuwahr gemacht haben, indem sie jeden Ausfluss der Bosheit aufs getreueste nachahmten und selbst von den Greueltaten der Vergangenheit, soweit ihnen die Geschichte davon Kunde gab, keine einzige ohne Nacheiferung von ihrer Seite ließen.

Allerdings legten sie sich diese Bezeichnung bei, um sich als Eiferer für die gute Sache hinzustellen, ob sie nun das in ihrer tierischen Roheit nur aus Hohn für die Opfer ihrer Bosheit taten oder wirklich die größten Schandtaten für lauter Tugenden ansahen!

So fand nun denn auch ein jeder das verdiente Ende, indem Gott der Herr über sie alle die gerechte Strafe verhängte.

Denn alles, was nur immer eine Menschennatur unter seiner Strafrute dulden kann, brach über sie herein, bis sie zuletzt noch ein gewaltsames Ende unter tausendfachen Todesqualen nehmen mussten.

Und dennoch dürfte man sogar behaupten, dass sie im Verhältnis zu dem, was sie verschuldet, noch zuwenig gelitten haben, da bei diesen Menschen eine ganz entsprechende Sühne überhaupt nicht möglich war.

Was aber das traurige Geschick jener anlangt, die in ihre grausamen Hände gefallen sind, so dürfte es hier wohl nicht am Platze sein, dasselbe nach seinem ganzen Umfang mit trauernder Feder zu schildern. Ich will dafür den fallengelassenen Faden meiner Erzählung wieder aufnehmen.


Wie schon gesagt, rückte der römische Feldherr an der Spitze seiner Streitkräfte gegen Eleazar und die unter seiner Anführung stehende Besatzung von Masada, bestehend aus Sicariern, heran. Rasch sah er sich im Besitze des ganzen offenen Landes, dessen strategisch wichtigste Punkte er überall durch Besatzungen gesichert hatte.

Rings um die ganze Festung zog er dann einen Mauerwall, um den Belagerten die Flucht zu erschweren, und versah ihn in bestimmten Abständen mit Wachposten.

Für das eigentliche Lager wählte er eine Stelle, die für die Belagerungsarbeiten am allergünstigsten lag, indem sich dort die Felsabhänge der Veste am stärksten dem anschließenden Berge näherten, die aber sonst der Verproviantierung große Schwierigkeiten bereitete.

Denn nicht bloß mussten die Speisevorräte aus weiter Entfernung und unter den größten Beschwerden von den zu diesen Lieferungen kommandierten Juden herbeigeschleppt werden, sondern selbst das Trinkwasser musste, da der Boden dort keine einzige Quelle in der Nähe spendete, ebenfalls durch Lastträger ins Lager transportiert werden.

Nach diesen Vorkehrungen schritt Silva zur Belagerung, die bei der Stärke des Platzes, wie aus der folgenden Beschreibung desselben zu ersehen ist, an die Kriegskunst und körperliche Ausdauer der Römer die größten Anforderungen stellte.


Rings um einen ziemlich umfangreichen und gewaltig aufstrebenden Felsenhügel ziehen sich von allen Seiten tief eingeschnittene und jäh abstürzende Schluchten herum, die sich unten in eine unergründliche Tiefe verlieren und von keinem Fuß eines lebenden Wesens betreten werden können, mit Ausnahme zweier Stellen, wo der Felsen einem, wenn auch nicht gerade leichten, Aufstieg zur Höhe Raum lässt.

Der eine Steig führt auf der Morgenseite vom Asphaltsee her hinauf und der andere hinwiederum von der Abendseite, wo man bequemer hinaufkommt.

Der erste führt den Namen Schlangenpfad, weil er mit seiner dünnen und von zahllosen Windungen gebildeten Linie lebhaft an eine Schlange erinnert, indem er an den steilen Vorsprüngen zum Zickzack gezwungen wird und gar oft sich zurückwinden muss, dann wieder ein kleines Stück gerade ausläuft, um auf solche Weise mühsam hinaufzukriechen.

Wer hier gehen will, der muss sich bald mit diesem, bald mit jenem Fuß allein am Pfade festhalten: ein Fehltritt bedeutet den sicheren Tod, da auf beiden Seiten tiefe Abgründe heraufgähnen, die durch ihren schauerlichen Anblick auch den Verwegensten schwindelig machen könnten.

Hat man auf diesem Wege dreißig Stadien zurückgelegt, so steht man endlich vor dem Gipfel, der sich übrigens nicht scharf zuspitzt, sondern so gebildet ist, dass er oben eine förmliche Ebene trägt.

Auf diesem Gipfel nun hat zuerst der Hohepriester Jonathas eine Veste gebaut, die er Masada benannte.

Später hat sich dann Herodes die Befestigung des Platzes sehr angelegen sein lassen. Er führte nämlich um den ganzen Rand des Gipfels in einer Ausdehnung von sieben Stadien eine Mauer aus weißen Steinen auf, die eine Höhe von zwölf und eine Dicke von acht Ellen bekam, und die von 37 Türmen mit einer Höhe von fünfzig Ellen überragt war. Gleich von diesen Türmen aus kam man in die eigentlichen Wohnräume, die an den ganzen inneren Mauerkreis angebaut waren, während die Gipfelfläche mit ihrem fetten und über jedes Ackerfeld weichen Boden von dem König dem Landbau überlassen ward, damit, wenn einmal der Proviant von draußen zu Ende ginge, dennoch die Leute drinnen, die ihr Leben der Veste anvertraut hatten, nicht ausgehungert werden könnten.

Auch ein Schloss baute er am Berge und zwar am westlichen Aufstieg unterhalb der Ringmauer des Gipfels mehr gegen Norden zu. Die Mauer des Schlosses war von bedeutender Höhe und mächtiger Dicke und von vier sechzig Ellen hohen Ecktürmen flankiert.

Die Ausstattung der Wohnräume, der Säulenhallen und Bäder im Innern zeigte eine ebenso große Abwechslung als kostbaren Aufwand. Allüberall standen Säulen, die aus einem einzigen Stein gearbeitet waren, die Wände aber und Fußböden in den Gemächern waren mit bunten Steinmustern geziert.

Überall, wo menschliche Wohnungen lagen, sowohl oben als auch im Schloss und dann vor der Festungsmauer, hatte er viele große Behälter zur Aufbewahrung des Wassers in die Felsen hauen lassen, wodurch er die Veste auf künstliche Weise so reichlich mit Wasser versorgen konnte, wie das sonst nur bei Benützung von Quellen möglich ist.

Ein in den Felsen gehauener Gang, den man von außen nicht bemerkte, führte vom Schlosse zum Gipfelrande hinauf. Übrigens bot selbst die Benützung der offenen Pfade einem Feinde große Schwierigkeit, da der östliche, wie schon oben bemerkt wurde, eine solche Benützung seiner Natur nach einfach ausschloss, während der auf der Abendseite gerade an der engsten Stelle, mindestens noch 1000 Ellen von dem Gipfel weg, von Herodes mit einem Turm gesperrt worden war, dem man weder ausweichen noch auch leicht beikommen konnte. Selbst zur Friedenszeit war hier für Passanten der Durchlass schwierig.

So hatte also Natur und Kunst zusammengeholfen, um die Festung gegen alle feindlichen Stürme sicher zu stellen.


Was jedoch vielleicht noch mehr Bewunderung erregen dürfte, das war der Reichtum und das hohe Alter der hier lagernden Vorräte.

Es war nämlich eine Menge Getreide hier aufgestapelt, das für lange Zeit reichlichen Unterhalt bieten konnte, desgleichen auch große Vorräte an Wein und an öl und außerdem alle Arten von Hülsenfrüchten und Datteln.

Alles dies fand Eleazar, als er sich der Festung mit seinen Sicariern durch einen Handstreich bemächtigte, in einem noch ganz frischen Zustande vor, der sich in gar nichts von eben eingeheimsten Producten unterschied, obwohl seit ihrer Einlagerung bis zur Eroberung von Masada durch die Römer ein Zeitraum von fast hundert Jahren verstrichen war. Auch die Römer konnten sich von der Unversehrtheit der noch vorfindlichen Feldfrüchte überzeugen.

Man dürfte nicht fehlgehen mit der Annahme, dass der Grund für diese Widerstandsfähigkeit in der durch die hohe Lage des Gipfels bedingten Reinheit der Luft, die mit keinerlei erdartigen und trüben Dunstschichten versetzt ist, zu suchen sei.

Man fand auch eine Unmasse der verschiedenartigsten Waffen, die der König hier hinterlegt hatte, und mit denen man ganz gut 10.000 Mann hätte ausrüsten können, außerdem noch rohes Eisen, Erz und sogar Blei, lauter Rüstungen, die ihre besonders guten Gründe hatten.

Man erzählt sich nämlich, dass Herodes im Sinne hatte, diesen Platz zu einer Zufluchtsstätte für seine Person einzurichten, weil er früher eine doppelte Gefahr zu besorgen hatte: die eine von Seite der jüdischen Nation, die ihn möglicherweise vom Throne stürzen und dafür der alten Dynastie vor ihm wieder zur Herrschaft verhelfen konnte; die größte und schlimmste Gefahr aber kam ihm von der ägyptischen Königin Kleopatra, die sich nicht einmal die Mühe gab, ihre Pläne zu verbergen, sondern ganz offen und zwar wiederholt an den Antonius die Forderung, beziehungsweise Bitte, richtete, den Herodes aus dem Wege zu räumen und ihr das Königreich Judäa zu überlassen.

Und es war in der Tat schon der eine Umstand, dass der in ihre Netze bereits so arg verstrickte Mann nicht längst ihrem Machtgebot sich gefügt hatte, weit auffallender, als das Gegenteil, gar nicht davon zu reden, dass überhaupt eine bestimmte Abweisung der Königin hätte erhofft werden können.

Indem nun Herodes, einzig von diesen Bedenken geleitet, die Befestigungen von Masada anlegte, sollte er damit, ohne es zu ahnen, den Römern die letzte Plage im Kampfe mit den Juden auferlegen.


Nachdem der römische Feldherr bereits den ganzen Platz, wie wir vorher erwähnt haben, durch die äußere Umwallung abgesperrt und gegen einen etwaigen Fluchtausbruch die peinlichste Vorsorge getroffen hatte, nahm er die eigentliche Belagerungsarbeit in Angriff. Nur einen einzigen Punkt hatte er gefunden, der die Anlage von Dämmen gestattete.

Er befand sich hinter dem Turme, der den westlichen zum Schlosse und von da zur Bergspitze führenden Weg durchschnitt, und ward von einem Felsenrücken gebildet, der bei einer ansehnlichen Breite auch sehr stark vorsprang, aber noch 300 Ellen unter der Kuppe von Masada lag.

Er hieß der weiße Felsen. Silva rückte nun dort hinauf und setzte sich daselbst fest, worauf das Heer den Befehl erhielt, den Schutt zu den Dämmen herbeizuschaffen. Da sich viele Hände emsig zum Werke rührten, so wuchs der starke Wall zu einer Höhe von 200 Ellen empor.

Aber selbst diese gewaltige Masse schien noch nicht jene Tragkraft und Höhe zu besitzen, dass sie den Belagerungsmaschinen ein geeignetes Fundament bieten konnte, weshalb auf ihr noch ein wohlgefügtes Lager von großen Quadern in der Breite und Höhe von fünfzig Ellen aufgesetzt wurde.

Zu den sonstigen Kriegsmaschinen, deren Form ganz nach dem System der früher von Vespasian und dann von Titus zu Belagerungszwecken ausgedachten Maschinen gehalten war, kam noch der Bau eines sechzig Ellen hohen Turmes, der vollständig mit Eisen gepanzert war, und von dem aus die Römer mittels starker Batterien von Katapulten und Steinschleudergeschützen sehr rasch die Kämpfer auf der Mauer zurückscheuchten und ihnen sogar das Ausgucken verleideten.

Auf derselben Stelle ließ Silva auch eine gewaltige Widdermaschine errichten, die in einemfort die Mauer mit ihren Stößen bearbeiten musste. Wenn auch mit harter Mühe, so glückte es ihm endlich doch, dass er ein Stück der Mauer aufbrechen und in Trümmer legen konnte.

Schnell hatten aber die Sicarier bei Zeiten innerhalb der Mauer eine andere hergestellt, die nach ihrer Meinung nicht mehr dasselbe Schicksal haben und selbst den Maschinen trotzen sollte: man hatte sie nämlich aus weicher Masse und in einer Weise gebaut, dass sie die Wucht des Anpralles lähmen musste, wie aus der folgenden Beschreibung ersichtlich ist.

Man legte große Balken der Länge nach aufeinander und zimmerte diese Schichte an den Schnittflächen fest. Es wurden immer zwei solche Schichtenwände, und zwar genau in Mauerbreite, einander gegenübergestellt, und der dadurch gebildete Zwischenraum mit Schutt angefüllt.

Damit jedoch bei der immer wachsenden Höhe der Schuttmasse das Erdreich nicht etwa auseinandergehen möchte, wurden die Längsschichten durch andere Balken auch in der Quere miteinander verbunden, so dass die ganze Arbeit einem Hausbau ziemlich ähnlich sah.

Da jetzt die Stöße der Maschinen eine Wand trafen, die nachgab, so verloren sie ihre ganze Gewalt, ja, sie machten dieselbe, da infolge der Erschütterung das Erdreich sich immer besser setzte, noch widerstandskräftiger.

Wie Silva das sah, dachte er am besten mit Feuer der Mauer beikommen zu können und gab daher den Soldaten den Befehl, gleichzeitig eine große Anzahl brennender Fackel gegen dieselbe zu schleudern.

Da zum Mauerwall größtenteils Holzwerk verwendet worden war, so fing er auch rasch Feuer, das, durch den lockeren Schutt nur wenig gehemmt, immer tiefer fraß und seine Garben weit herauswarf.

Indes wäre der Nordostwind, der gleich anfangs in die Flammen fuhr, für die Römer bald verhängnisvoll geworden, da er die Feuerfunken von den Juden in der Höhe weg und gegen die Römer jagte, so dass die letzteren fast schon alle Hoffnung aufgaben, ihre Maschinen vor dem Feuer noch retten zu können.

Da drehte sich plötzlich, wie auf einen Wink von Gott, der Wind nach Südwest und wehte jetzt mit Sturmeskraft von der entgegengesetzten Seite, wobei er die Lohe mit aller Gewalt auf den Mauerwall zurückschlug und ihn nunmehr nach seiner ganzen Ausdehnung durch und durch in Glut verwandelte.

Nach diesem Erweise göttlicher Hilfe zogen sich die Römer freudig bewegt in das Lager zurück, um am nächsten Tage den Hauptsturm auf die Festung zu unternehmen. Während der Nacht verdoppelten sie ihre Wachsamkeit, um ja niemand heimlich entrinnen zu lassen.


Indessen zog Eleazar weder für seine eigene Person eine Flucht in Erwägung, noch möchte er eine solche jemand anderem erlaubt haben.

Im Gegenteil, da er einerseits den Mauerwall in Feuer aufgehen sah und sonst keinen anderen Rettungsweg noch ein Verteidigungsmittel mehr ausfindig machen konnte, auf der anderen Seite aber sich das schreckliche Schicksal vor Augen stellte, das den Verteidigern mit ihren Frauen und Kindern nach dem Falle der Veste von Seite der Römer bevorstand, so beschloss er, alle miteinander sterben zu lassen.

Mit diesem Entschlusse, den er nach den obwaltenden Umständen noch für den besten hielt, sammelte er seine mannhaftesten Gefährten um sich und suchte sie durch die folgende Ansprache zu der beabsichtigten Tat zu ermuntern:

„Schon längst“, sprach er, „sind wir, wackere Männer, fest entschlossen gewesen, uns weder vor den Römern noch sonst jemand anderem zu beugen, als vor Gott, dem einzig wahren und gerechten Herrn der Menschen. Und nun ist der Augenblick gekommen, der gebieterisch von uns verlangt, dass wir diesen unseren Hochsinn auch einmal durch die Tat beweisen.

Wir wollen uns im Angesichte dieser heiligen Stunde nicht mit der Schmach bedecken, dass dieselben, die früher nicht einmal von einem gepolsterten Joche etwas wissen wollten, jetzt auf einmal ein Joch auf sich nehmen, das die Römer, wenn wir lebend in ihre Gewalt geraten, sicher mit Todesqualen spicken werden! Denn wohlgemerkt, wir waren die ersten von allen, die die Fahne des Aufruhres erhoben haben, wir sind auch die letzten, die sie noch hochhalten!

Meines Erachtens ist es aber nur eine gnädige Fügung Gottes, dass gerade wir den schönen Tod des freien Mannes sterben können, während soviele andere, die unvermutet in die Hände der Feinde gefallen sind, dieses Glück nicht gehabt haben.

Wir haben so ziemlich die Gewissheit, dass morgen die Veste fällt, aber auch die Freiheit, den Tod der Wackeren mit unseren Liebsten zu sterben. Weder können die Feinde das letztere verhindern, wenn sie auch um jeden Preis uns lebend in ihren Händen sehen möchten, noch vermögen wir selbst mit all’ unserer Anstrengung den Sturm des Feindes abzuschlagen.

Ich sage: »mit all’ unserer Anstrengung«; denn man hätte vielleicht schon gleich zu Anfang, wo gerade wir, die feurigsten Verfechter der Freiheit, mit all’ unseren Plänen bei den eigenen Leuten einen schlechten, vor dem Feinde aber den schlechtesten Erfolg gehabt haben, auf den göttlichen Willen schließen und einsehen sollen, dass das einst so gottgeliebte Volk der Juden zum Untergang verurteilt sei.

Denn wäre Gott uns wirklich gewogen geblieben oder nur ganz leicht über uns erzürnt gewesen, so hätte er wohl einem solchen Massenuntergang nicht ruhig zusehen und seine heiligste Stadt nicht der Brandfackel und dem Brecheisen der Feinde ausliefern können!

Wir haben uns denn also mit der Hoffnung geschmeichelt, dass wir allein aus dem ganzen Judengeschlechte unsere Existenz und unsere Freiheit behaupten würden, als hätten wir uns vor allem Frevel gegen Gott stets rein bewahrt und vor jeder Befleckung uns gehütet, obschon wir dazu auch noch die anderen angeleitet haben!

So müsst ihr nun denn selbst sehen, wie Gott unsere Erwartung jämmerlich zu Schanden macht, indem er uns in eine so verzweifelte Drangsal gestürzt hat, dass in uns auch die leiseste Hoffnung ersticken muss.

Denn nicht allein hat uns die natürliche Unbezwingbarkeit der Veste gar keinen Schutz gewährt, sondern auch Gott selbst hat uns in Mitte eines unerschöpflichen Proviantes und unter ganzen Bergen von Waffen und sonstigen zahllosen Verteidigungsmitteln durch ein ganz unzweideutiges Zeichen jede Hoffnung auf Rettung geraubt:

ich meine das Feuer, das sich von seiner Richtung gegen den Feind gewiss nicht rein zufällig auf den von uns gebauten Mauerwall zurückgeworfen hat. Das alles ist vielmehr nur die göttliche Rache für die vielen Bosheiten, die wir in unserer Raserei gegen die eigenen Stammgenossen verübt haben, und für die wir nun auch, nicht etwa unseren ärgsten Feinden, den Römern, sondern einzig Gott dem Herrn durch das Selbstopfer unseres Lebens eine Genugtuung geben wollen.

Diese Genugtuung ist doch sicher noch die leichteste: sterben werden dann, ohne Schmach zu leiden, unsere Frauen, sterben werden dann unbekannt mit dem Joch der Knechtschaft unsere Kinder, und nach ihnen wollen wir selbst uns einander den edelsten Liebesdienst erweisen, und die reinbewahrte Fahne der Freiheit wird das schönste Leichengewand für uns sein.

Vorher aber wollen wir noch die Veste mit all’ ihren Schätzen in den Flammen begraben: wie werden sich doch – ich sehe es schon im Geiste – die Römer grämen, wenn sie uns wenigstens nicht lebend, Geld aber gar keines bekommen!

Nur die Lebensmittel lassen wir unversehrt, damit sie uns nach unserem Ende noch bezeugen können, dass wir nicht dem Hunger zum Opfer gefallen sind, sondern, wie es schon von Anfang an unser fester Entschluss gewesen, lieber sterben, als Knechte sein wollten“.


Mit diesen Worten traf es jedoch Eleazar nicht bei allen Anwesenden. Denn während ein Teil sich ihm bereitwilligst zur Verfügung stellte und sich fast mit einer gewissen Wollust an dem Gedanken weidete, wie schön doch ein solcher Tod sein müsse, überkam dagegen die Weichherzigeren aus ihnen Mitleid mit ihren Frauen und Kindern, und da sie überdies dann auch für ihre eigene Person sich den Tod zu geben hatten, so stierten sie einer auf den anderen, und die Tränen in ihren Augen sagten nur allzu deutlich, wie wenig das nach ihrem Geschmacke war.

Wie nun Eleazar diese Leute verzagt werden und ihre Herzen unter der Riesengröße seines Entschlusses zusammenbrechen sah, da besorgte er, sie möchten mit ihrem Jammer und ihren Tränen auch jenen noch die Kraft lähmen, die starkmütig seine Worte entgegengenommen hatten.

Weit entfernt also, jetzt seine Aufmunterung einzustellen, nahm er erst recht alle Kräfte zusammen und schlug mit dem ganzen Feuer seiner Entschlossenheit die schönsten Töne über die Unsterblichkeit der Seele an, indem er dabei seinen Blick voll des heiligsten Unwillens unverwandt auf die Weinenden gerichtet hielt: „Ich habe mich fürwahr“, hub er an, „einer gewaltigen Täuschung hingegeben, wenn ich da geglaubt habe, an der Seite braver Männer mich in den Freiheitskampf zu stürzen, an der Seite von Männern, die fest entschlossen sind, entweder mit Ehren zu leben oder unterzugehen!

Ihr seid ja doch, wie ich sehen muss, überhaupt nie echte Männer und noch weniger Heldenseelen, sondern nur Leute ganz gewöhnlichen Schlages gewesen, die ihr vor dem Tode selbst dann noch Angst habet, wenn er euch auch vor den schlimmsten Übeln rettet, anstatt euch ohne Zögern und unaufgefordert demselben in die Arme zu werfen.

Haben es uns ja doch die väterlichen und göttlichen Gesetze die längste Zeit, gleich vom ersten Gebrauche unserer Vernunft an, unausgesetzt eingeschärft, und unsere Ahnen durch ihr hochsinniges Beispiel bekräftigt, dass ein Unglück für die Menschen nur das Leben, und nicht der Tod ist.

Denn der Tod gibt den Seelen ihre Freiheit und lässt sie nach den reinen Stätten ihrer wahren Heimat ziehen, wo sie kein Leid mehr empfinden werden. Solange sie aber noch im sterblichen Leibe, wie in einem Kerker, weilen und die Fülle seines Elendes teilen, sind sie im vollsten Sinne des Wortes todt, da die Bereinigung zwischen Göttlichem und Sterblichem ein Missverhältnis ist.

Nun entfaltet zwar die Seele auch eine große Macht in dem Zustande, wo sie mit dem Leibe zusammengeschlossen ist, indem sie denselben zum Werkzeug ihrer Sinneswahrnehmungen macht, ihn unsichtbarer Weise in Bewegung seht und in ihren sittlichen Handlungen sogar über seine sterbliche Natur emporträgt: aber was ist das im Vergleich zu jenem Zustand, wo sie, losgelöst von ihrer Bürde, die sie immer zur Erde hinabzieht und nie loslässt, und in ihrem himmlischen Vaterlande angelangt, endlich einmal eine wahrhaft selige Lebenskraft, wie auch eine allseits ungehemmte Macht empfängt, für immer den Augen der Menschen entrückt, wie Gott selbst es ist.

Kann ja die Seele nicht einmal in diesem ihrem Leibesleben eigentlich geschaut werden: unsichtbar zieht sie in den Körper ein und ungesehen wandert sie wieder aus: nur eine Natur hat sie, die unsterbliche, und von dieser hängt auch das veränderliche Leben des Leibes ab.

Denn alles, was immer die Seele berührt, das lebt und blüht; was sie verlässt, das dorrt ab und stirbt: so reich ist die unsterbliche Lebensmacht, die der Seele zu Gebote steht!

Als schlagender Beweis für meine Behauptung möge auch der Schlaf dienen. Im Schlafe findet die Seele gerade darum die angenehmste Ruhe, weil sie sich nicht mit dem Leibe abzugeben hat und für sich selbst leben kann; ja sie tritt dann sogar infolge ihrer Wesensverwandtschaft mit Gott in Verkehr und wird dadurch befähigt, überall hinzudringen und viele zukünftige Dinge vorauszusagen.

Lieben wir aber die mit dem Schlafe verbundene Ruhe, warum sollten wir dann gerade den Tod fürchten? Wie töricht von uns, der Freiheit dieses irdischen Lebens nachzujagen und uns selbst die ewig dauernde nicht zu gönnen!

Eigentlich sollten wir, Juden, ohnehin schon nach unserer ganzen Geistesrichtung, die uns von Haus aus eingepflanzt worden ist, den übrigen Menschen in der bereitwilligen Übernahme des Todes mit gutem Beispiele vorangehen. Sollten wir aber wirklich auf die Zeugnisse von heidnischen Völkern angewiesen sein, so müssten wir uns einmal jene Indier betrachten, welche die Pflege der Weisheit zu ihrer besonderen Aufgabe machen.

Sehet, wie diese Männer in ihrer hohen Gesinnung die Zeit des Lebens wie eine von der Natur auferlegte allgemeine Zwangsarbeit nur sehr ungerne abdienen.

Ja, sie beschleunigen selbst die Loslösung der Seele vom Leibe, indem sie, ohne von einem Leiden dazu gedrängt oder mit aller Gewalt aus der Welt geschafft zu werden, rein nur aus Sehnsucht nach dem unsterblichen Leben einfach ihrer Umgebung den Entschluss eröffnen, dass sie jetzt aus der Welt scheiden wollen. Anstatt dass sie nun jemand davon zurückhalten würde, beglückwünscht sie alles, und ein jeder gibt ihnen Botschaften an seine verstorbenen Verwandten mit, ein Beweis, für wie sicher und fest beglaubigt sie das Weiterleben und die Gemeinschaft der abgestorbenen Seelen untereinander halten.

Haben sie nun die ihnen gegebenen Aufträge vernommen, so überliefern sie ihren Leib dem Feuerelemente, um auf solche Art die Seele auch so rein als möglich aus dem Leibe herauszubekommen. Ihre Vollendung vollzieht sich unter den Hymnengesängen ihrer Theuren, denen das Herz bei diesem Todesgeleite nicht einmal so schwer wird, als anderen Menschen, wenn sie einem Mitbürger nur auf eine etwas weitere Reise das Geleite geben. Sie weinen nur über sich selbst und preisen das Glück der Toten, die bereits unter den Unsterblichen ihren Platz bekommen haben.

Und nun sollten wir, Juden, uns nicht schämen, dass wir mit unserer Denkungsart noch unter den Indiern stehen und durch unsere Feigheit die Gesetze unserer Väter, deren Glanz doch allen Völkern in die Augen sticht, so schmählich entehren?

Doch gesetzt auch, wir hätten von Anbeginn gerade die entgegengesetzten Grundsätze eingesogen, dass nämlich das größte Gut für die Menschen das Leben, der Tod aber ein Unglück sei, so müsste uns wenigstens der gegenwärtige Augenblick zur herzhaften Ertragung desselben bewegen, da wir jetzt nach dem Ratschluss Gottes und dem Gebot der Notwendigkeit zu sterben haben.

Denn allem Anschein nach hat ja Gott selbst schon längst über die ganze große jüdische Nation dieses Todeslos geworfen, so dass wir es naturgemäß mit Gott zu tun haben, wenn wir von einer Scheidung aus diesem Leben nichts hören wollen.

Denn nicht euch selbst dürft ihr die letzte Schuld geben noch in der Größe Roms den Grund dafür suchen, dass der Kampf gegen die Römer uns vollständig aufgerieben hat. Fürwahr nicht die Kraft des römischen Armes hat diese Wendung herbeigeführt, sondern eine höhere Gewalt hat eingegriffen, um den Römern nur den äußeren Glanz des Sieges zu überlassen.

Waren es denn etwa die Waffen der Römer, denen die jüdischen Bewohner von Cäsarea erlegen sind?

Obschon die letzteren gar keinen Abfall von Rom im Sinne hatten, wurden sie doch, gerade unter der Sabbatsfeier, ohne auch nur eine Hand zur Abwehr zu erheben, mit Frauen und Kindern von der Volksmenge im Auflaufe niedergemetzelt und zwar unter Missachtung der römischen Autorität, die nur jene Juden als Feinde betrachtete, welche, wie z. B. wir, tatsächlich die Fahne des Aufruhres erhoben hatten.

Allerdings könnte jemand in diesem Falle bemerken, dass die Cäsareenser beständig Reibungen mit den dortigen Juden gehabt und deshalb nur eine günstige Gelegenheit beim Schopf genommen haben, um ihrem alten Hass einmal gründlich Rechnung zu tragen.

Was wird man aber dann von den Juden in Scythopolis sagen, die soweit gegangen sind, dass sie den Griechen zu Liebe sogar gegen uns selbst gefochten haben, anstatt in den Reihen ihrer Stammesbrüder den Verteidigungskampf gegen die Römer mitzumachen? Gewiss hat ihnen nun die treue Ergebenheit gegen die Heiden sehr viel eingetragen?

Im Gegenteil, in martervoller Weise wurden sie mit all’ ihren Angehörigen abgeschlachtet und so für ihre Bundesgenossenschaft von den Heiden entlohnt!

Denn gerade das, was sie durch ihr Eingreifen den Heiden von unserer Seite erspart haben, das mussten sie nun selber erleiden, als wenn sie etwas im Schilde geführt hätten. Es würde mich zu weit führen, wollte ich mich hier über alle Ereignisse einzeln verbreiten.

Ist euch ja doch bekannt, dass es in Syrien keine einzige Stadt gibt, die ihre Judencolonie nicht ausgemordet hätte, obwohl gerade diese Juden gegen uns noch feindseliger gesinnt waren, als selbst die Römer.

Dort war es auch, wo die Damaszener, ohne auch nur einen gut erdichteten Vorwand bei der Hand zu haben, ihre Stadt mit einem ganz grässlichen Blutbad überschwemmten, in welchem 18.000 Juden mit Frauen und Kindern untergingen.

Die Zahl der Juden endlich, die in Ägypten unter schimpflichen Martern massakriert worden sind, soll nach uns zugekommenen Berichten gar über 60.000 betragen haben! Mag nun auch vielleicht ein Grund für den Untergang dieser Stammesgenossen darin gesucht werden, dass sie auf fremdem Boden gar keinen Rückhalt gegenüber ihren Feinden finden konnten, was ist es aber dann mit allen jenen, die auf vaterländischem Boden die Waffen gegen die Römer erhoben haben, standen denn diesen Männern nicht sämmtliche Mittel zu Gebote, die nur immer eine gute Aussicht auf den Sieg zu bieten vermögen?

Da gab es solche Waffenvorräte und Bollwerke, bis zur Uneinnehmbarkeit befestigte Burgen und einen kriegerischen Geist, der sich mit einer solchen Unerschrockenheit für die Freiheit in alle Gefahren zu stürzen bereit war, dass alles mit unerschütterlichem Vertrauen dem Ausbruch der Rebellion entgegensah.

Aber alles dies hielt nur eine kurze Zeit vor und diente nur dazu, uns mit hochgespannten Erwartungen zu erfüllen, um sich endlich als eine Quelle von noch größeren Leiden zu enthüllen. Alles ward mit stürmender Hand genommen, alles sank vor dem Feinde in den Staub, ganz so, als wäre es nur für die Verherrlichung des siegreichen Feindes und nicht vielmehr zum Schutze derer vorgerichtet worden, die sich damit zu decken suchten.

Die auf dem Schlachtfeld Gefallenen freilich sollte man nur glücklich preisen, da sie nach tapferer Gegenwehr, im Bewusstsein, die Freiheit dem Feinde nicht geopfert zu haben, gestorben sind; aber die Masse derer, die lebendig in die Gewalt der Römer geraten sind, wem möchte diese nicht inniges Mitleid einflößen? Oder wer möchte sich nicht schleunig den Tod geben, um einem gleichen Schicksal zu entgehen?

Von der Folter verrenkt, von glühenden Fackeln versengt, von Geißelstreichen zerfleischt, starben die einen; schon zur Hälfte von den Bestien angefressen, wurden die anderen als lebendiges Spielzeug für die Lachlust und Kurzweil der Feinde zu einem zweiten Fraß ausgespart!

Die Aermsten der Armen nun, glaube ich, müssen jene sein, die noch immer am Leben sind, sie, die so oft und flehentlich den Tod herbeirufen und ihn nicht erbitten können.

Und wo ist denn dann jene großmächtige Stadt, die da einst des ganzen Judenvolkes Metropole war, die Stadt mit dem vielfachen gewaltigen Mauergürtel, mit den zahlreichen Burgen und hochragenden Türmen an ihren Flanken, mit dem ungeheuren Kriegsmaterial, für das der Raum fast zu wenig wurde, die Stadt, sage ich, die so viele Myriaden von Männern zu ihren Verteidigern zählte?

Wohin ist sie uns entschwunden, die nach unserer heiligsten Überzeugung der Wohnsitz Gottes war? Mit der Wurzel ist sie ausgerottet, bis in ihre Fundamente zertrümmert, und nur ein einziges Denkmal erinnert an Jerusalem, das Lager ihrer Mörder, das sich noch über ihren Ruinen erhebt.

Etliche jammervolle Greise sitzen am Aschenhügel des Heiligtums, wie auch einige wenige Frauen, von der feindlichen Soldateska für die schimpflichste Schmach aufgespart.

Wer von uns könnte, wenn er diese entsetzlichen Ereignisse an seiner Seele vorüberziehen lässt, es über das Herz bringen, noch länger das Licht des Tages zu schauen, auch für den Fall, dass er für sein Leben gar nichts mehr zu fürchten hätte! Wer könnte ein solcher Feind seiner Vaterstadt, ein so unmännlicher und weichlicher Charakter sein, dass er es nicht bedauern möchte, auch nur bis zu dieser Stunde noch am Leben geblieben zu sein?

O wären wir doch alle früher gestorben, bevor wir Zeugen sein mussten, wie die Hände unserer Feinde jene hochehrwürdige Stadt abgebrochen, wie sie den Tempel, den hochheiligen, in ruchlosester Weise umgegraben haben!

Nachdem wir uns aber leider durch eine für uns allerdings nicht unehrenhafte Hoffnung haben vertrösten lassen, dass wir vielleicht irgendwie Jerusalem an ihren Feinden noch rächen könnten, eine Hoffnung, die nunmehr vollständig geschwunden ist und nur uns allein noch in der Drangsal übrig gelassen hat, so wollen wir jetzt wenigstens keine Zeit mehr verlieren, um den Tod der Edlen zu sterben! Haben wir doch Erbarmen mit uns selbst, mit unseren Kindern und unseren Frauen, so lange wir noch in der Lage sind, einer vom andern den barmherzigen Streich zu empfangen!

Zum Sterben sind wir ja geboren, zum Sterben haben wir unsere Leibesfrucht gezeugt, und selbst die glücklichsten Menschen können dem Tode nicht entrinnen.

Dagegen sind Entehrung, Sklaverei und der bittere Schmerz, die Frauen mit ihren Kindern von roher Gewalt der Schande überliefert zu sehen, für die Menschen durchaus keine naturnotwendigen Übel, sondern lauter Leiden, die sie sich aus reiner Feigheit gefallen lassen, weil sie sich, so lange es noch möglich war, nicht entschließen konnten, denselben durch den Tod zuvorzukommen.

Stolz auf unseren Mannesmut haben wir den Römern den Gehorsam aufgekündigt und zu guterletzt haben wir noch jetzt für ihre Aufforderung, uns auf Gnade zu ergeben, nur taube Ohren gehabt.

Wer könnte sich also nicht den Grimm der Römer gegen uns ausmalen, wenn sie uns lebend in ihre Gewalt bekommen sollten! Wehe eurer strotzenden Leibeskraft, ihr Jünglinge, an der gar viele Martern zu zehren haben werden! Wehe euch, die ihr über die Manneskraft schon hinaus seid, wehe über euer Alter, das unter der Last so vielen Unheiles erliegen muss!

Hier wird einer ohnmächtig zusehen müssen, wie man sein Weib von ihm reißt, um es zu vergewaltigen, da wieder wird einer den Jammerlaut seines Kindes hören, das nach der Hilfe des Vaters schreit, obwohl ihm selbst die Hände zugeschnürt sind. Doch sie sind ja noch frei, sie haben ja noch ihr gutes Schwert, wohlan, sie sollen uns jetzt einen schönen Dienst erzeigen! Unberührt vom Feindesjoch wollen wir sterben, als freie Männer mit unseren Frauen und Kindern gemeinschaftlich von hinnen scheiden.

Das ist der Wille unserer Gesetze, das ist der flehentliche Wunsch unserer Frauen und Kinder; das ist eine Notwendigkeit, die Gott selbst herbeigeführt hat, und eine Tat, die der Feind zu vereiteln wünscht, weil er nichts so sehr besorgt, als dass jemand aus der Gefangenschaft durch den Tod entkomme.

Beeilen wir uns darum, unseren Feinden für die aus unseren Qualen erhoffte Lust nur des Todes unheimliches Grauen und die stumme Bewunderung eines großen Dramas zu hinterlassen!“