Die Juden von Masada führen den entsetzlichen Entschluss aus. Die Römer finden 960 Leichen und eine brennende Veste. Nur einige Frauen und Kinder waren übrig geblieben.


Als Eleazar den Juden noch weiter zureden wollte, da schnitten sie ihm das Wort ab, um, noch ganz erfüllt von unwiderstehlicher Begeisterung, gleich zur Tat selbst zu schreiten. Wie besessen rannten sie hin, und einer suchte vor dem anderen einen Vorsprung zu gewinnen, weil er von der Überzeugung beseelt war, es würde der Ruhm seiner Mannhaftigkeit und Einsicht davon abhängen, dass er sich nicht erst unter den letzten blicken lasse: so gewaltig war jetzt die Lust, die sie befallen, ihre Frauen und Kinder, sowie ihre eigene Person hinzuschlachten!

Ja, es kühlte sich dieser Fanatismus, wie man doch hätte vermuten können, auch in dem Augenblicke nicht ab, wo man vor der Tat selbst stand, sondern mit derselben ungeschwächten Begeisterung, mit der sie früher die Ansprache des Eleazar für ihren Vorsatz entflammt hatte, führten sie ihn auch aus: nicht so, als ob die zarten Gefühle für Bekannte und Angehörige in einem aus ihnen erloschen wären; sie wurden nur von der höheren Erwägung beherrscht, dass man das Beste für seine Theuren getroffen habe.

Mit innigster Zärtlichkeit umschlangen sie noch ihre Frauen, schlossen dann liebkosend auch ihre Kindlein noch einmal in die Arme und bedeckten mit den letzten Küssen und Tränen ihre Lippen: in demselben Augenblicke aber, als hätte eine fremde Macht ihnen den Arm geliehen, vollbrachten sie auch schon ihr Werk und führten den peinlichen Stoß, nur durch den einen Gedanken getröstet: „Was würden meine Lieben erst unter den Händen des Feindes zu leiden haben!

So fand sich denn schließlich kein einziger mehr, der vor dem Ungeheuren noch zurückgeschauert wäre: ohne Ausnahme stieß ein jeder seine Theuren bis auf das letzte Würmlein nieder. O ihr Unglücklichen, wie entsetzlich musste doch eure Bedrängnis sein, dass es euch noch das kleinste Übel däuchte, mit eigener Faust eure Frauen und Kinder zu erwürgen!

Nachdem nun die Tat geschehen war, konnten sie ihren brennenden Schmerz darüber nicht länger mehr ertragen, ja sie hielten es für eine Sünde gegen die Hingeopferten, wenn sie auch nur eine ganz kurze Zeit dieselben überleben wollten. So warfen sie denn in aller Hast ihre sämmtlichen Wertsachen auf einen Haufen zusammen und legten Feuer an den Stoß.

Dann wählten sie aus ihrer Mitte zehn Männer, welche die Schlächter aller übrigen sein sollten, und nun ließ sich Jedermann, hingebettet zu den Leichen seiner Frau und seiner Kinder, die er noch einmal mit seinen Armen umklammerte, von den für diesen traurigen Dienst bestimmten Genossen willig den Todesstoß versetzen.

Ohne Wanken vollzogen diese ihre Blutarbeit, um hierauf dieselbe Ordnung mit dem Lose auch untereinander einzuhalten, dass nämlich der ausgeloste Mann zuerst den anderen neun und darauf, als letzter von allen, sich selbst den Tod geben sollte. So fest also war das Vertrauen, das sie sich alle gegenseitig schenkten, es werde einer, wie der andere, ohne Unterschied ebenso kaltblütig seine Kameraden in den Tod schicken, als ihm selbst unverzagt ins Auge schauen.

Das Ende war, dass auch die neun sich dem mörderischen Eisen stellten, worauf der einzige und letzte, nach einem prüfenden Blick auf die zahllosen Leichen, ob nicht vielleicht bei der großen Schlächterei Jemand übersehen worden, der noch seines Gnadenstoßes bedürfte, als er keinen mehr am Leben fand, im ganzen Palaste Feuer legte und dann mit beiden Händen die Klinge bis ans Heft sich durch den Leib bohrte, um neben seiner Familie zusammenzubrechen.

Obwohl nun die Hingeschiedenen den Glauben mit sich in den Tod genommen, sie hätten keine Seele den Händen der Römer überlassen, so hatte sich doch eine alte Frau und außerdem eine Verwandte des Eleazar, eine einsichtsvolle und feingebildete Frau, wie es deren wenige gibt, mit fünf Kindern in den Canälen, die das Trinkwasser unterirdisch fortleiteten, in dem Augenblick zu verstecken gewusst, wo die übrigen alle ihre Gedanken eben auf den Mordplan gerichtet hatten.

Die Zahl der Opfer belief sich, die Frauen und Kinder mit eingeschlossen, auf 960.

Das entsetzliche Trauerspiel hatte sich am fünfzehnten des Monates Xanthikus abgespielt.


Als der Morgen graute, trafen die Römer, die sich noch auf einen heißen Kampf gefasst machten, ihre Vorbereitungen zum Sturme, stellten mit den Sturmbrücken die Verbindung zwischen den Wällen und der Festung her und begannen den Angriff.

Doch nirgends zeigte sich ein Feind, überall nur düstere Öde und Todesschweigen, unterbrochen nur von dem Knistern der Flammen im Innern, so dass die Römer anfangs ratlos standen und vergebens sich die Sache zu enträtseln suchten. Endlich ließen sie, um vielleicht auf diese Art einzelne Leute von der Besatzung nach der Bresche zu ziehen, ihren Schlachtruf erschallen, der sonst den Ansturm der Geschosse einzuleiten hatte.

Auf dieses Geschrei, das auch zu den genannten Frauen drang, schlüpften dieselben aus dem Canal und erzählten den Römern was alles, und wie es geschehen war, wobei besonders die zweite Frau bis auf die kleinsten Züge ein klares Bild sowohl von der Beratung wie auch von der Durchführung des schrecklichen Dramas entrollte.

Kaum, dass die Römer sie anhörten, zu unglaublich klang die entsetzliche Märe! Erst machten sich die Römer an die Löschung des Brandes und brachen sich rasch über die noch rauchenden Trümmer Bahn, um in das Innere des Palastes einzudringen.

Beim Anblick nun der zahllosen Leichen, auf die sie hier stießen, war es nicht mehr das Gefühl der Freude über einen gefallenen Feind, das sich ihrer bemächtigte, sondern einzig nur das des Staunens über einen so hochsinnigen Entschluss und die unbeugsame Todesverachtung, mit der er von so vielen und verschiedenen Menschen auch zur Tat war gemacht worden.