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Predigten zu Apostelgeschichte 9,11

"Der Herr aber sprach zu ihm: Stehe auf und geh in die Straße, welche die gerade genannt wird, und frage im Hause des Judas nach einem, mit Namen Saulus, von Tarsus, denn siehe, er betet;"

Autor: Charles Haddon Spurgeon (* 19.06.1834; † 31.01.1892) englischer Baptistenpastor
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"Siehe, er betet."

Gebete finden im Himmel die aufmerksamste und ununterbrochenste Beachtung. Sobald Saulus von Tarsen anfing zu beten, erhörte ihn der Herr. Hier ist Trost für die betrübte, aber betende Seele. Oft beugt ein armer Mensch mit gebrochenem Herzen seine Kniee, aber er vermag seine Traurigkeit nur in Seufzern und Tränen kund zu geben; dennoch hat dies Seufzen alle himmlischen Harfen mit lautem Jubelgetöne erfüllt; jene Träne ist von Gott aufgehoben worden und wird von Ihm aufbewahrt in dem Tränenbecken des himmlischen Schatzhauses. "Fasse meine Tränen in Deinen Sack" (Ps. 56), das bezeugt, dass keine Träne verloren geht, sondern dass alle der göttlichen Traurigkeit aufgehoben werden. Der Flehende, dessen Angst seine Worte unterdrückt, wird von dem Höchsten nicht missverstanden. Er darf den trüben Blick nur in die Höhe richten; schon das Fallen einer Träne ist ein Gebet. Die Tränen sind himmlische Diamanten; Seufzer sind Gesänge und Reigen vor Jehovahs Thron und gehören zu den lieblichsten Melodien, die hinaufdringen zum erhabenen Stuhl der Majestät. Du darfst nicht meinen, deine Tränen und Gebete bleiben unbeachtet; ob sie noch so schwach und furchtsam sind, finden sie dennoch ein geneigtes Ohr. Die Leiter des Erzvaters Jakob reicht hoch hinauf; aber dein Gebet wird getragen vom Bundesengel und steigt so die schwindelnden Stufen freudig hinan. Unser Gott hört nicht nur die Gebete, sondern Er hört sie gern. "Er vergisst nicht des Schreiens der Armen." Wahrlich, Er achtet nicht auf hoffärtige Augen und glatte Worte; Er kümmert sich nicht um die Pracht und den Pomp der Könige; Er lauscht nicht auf das Getöse der Kriegsmusik; Er siehet nicht auf den Stolz und Triumph der Menschen; wo aber irgend ein Herz vom Kummer gedrückt ist, oder ein Mund vor Angst und Schmerz bebt, wo ein tiefer Seufzer aufsteigt oder eine Bußträne hervorbricht, da ist das Herz Jehovahs weit offen; Er schreibt alles nieder auf die Pergamentrolle seiner Erinnerungen; Er legt unsere Gebete wie Rosenblätter zwischen die Seiten seines Gedenkbuches, und wenn einst dies Buch eröffnet wird, so wird ein lieblicher Duft daraus hervordringen. "Lass den Mund alle Stund' Vom Gebet und Flehen Heilig übergehen!"


Autor: Alfred Christlieb (* 26.02.1866; † 21.01.1934) deutscher Theologe
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"Siehe, er betet."

Das Wort: "Siehe, er betet", hat eine verurteilende, tröstende und mahnende Seite.

1. Indem der Herr den Zustand des Saulus mit den Worten: "Siehe, er betet," beschreibt, bricht er über alles bisherige vermeintliche beten des Pharisäers Saulus den Stab.

Wenn Saulus jetzt erst wirklich betet, was war dann alles bisherige Beobachten der pharisäischen Gebetsvorschriften? Hatte Saulus, der alle Satzungen so genau hielt, nicht schon seit Jahren gebetet? Soll das alles nichts gewesen sein? Wenn Saulus den Tempel besuchte und seine Gebete dort verrichtete, so hätte mancher Volksgenosse sagen können: "Sieh, wie der fromme Saulus betet!" Aber in Jesu Augen begann das wahre Beten erst jetzt. Alles frühere verdiente den Namen Beten noch nicht.

Diese verurteilende Seite, die in dem Worte "Siehe, er betet" liegt, mahnt uns alle, unser Gebetsleben zu prüfen, ob es vor Gott auch diesen Namen verdient .

Wie oft bekommt ein Seelsorger die Worte zu hören: "Glauben Sie etwa, ich betete nicht?" Wir wollen dies niemandem abstreiten. Aber wir möchten jeden bitten, über den Unterschied zwischen dem früheren und nunmehrigen Beten des Saulus nachzusinnen und zu fragen, welcher von beiden Gebetsarten sein Gebet gleiche. (Amos 5, 23; Jesaja 1, 15; Matthäus 6, 7; Lukas 11, 1.)

2. Das Wort: "Siehe, er betet" ist nicht nur ein verurteilendes, sondern auch ein tröstliches Wort , denn es erkennt das Beten des noch nicht zum völligen Gnadenlicht hindurchgedrungenen Saulus als wirkliches Beten an. Als Saulus in jenem Haus des Judas in Damaskus den Herrn anrief, fehlte ihm noch der volle Trost der Sündenvergebung. Er sah in erster Linie seine Sünden und sein verfehltes Leben. Die Gnade in ihrer ganzen Herrlichkeit war ihm noch nicht aufgegangen. Dennoch suchte er das Angesicht des Herrn. Was er gebetet haben mag, wird uns im Text nicht gesagt. Aber eines wissen wir. Wir wissen, dass der Herr, der all sein bisheriges häufiges Beten nicht gelten ließ, dieses Rufen des Sünders Saulus annahm und würdigte. Welch ein Trost liegt darin für alle, welche sich der Vergebungsgnade noch nicht getrösten können! Dieses Wort ruft ihnen zu: Du brauchst nicht zu warten, bis du dich des Gnadenbesitzes rühmen und ihn schmecken darfst; du kannst als Sünder zum Gnadenthron gehen und als Sünder Gott anflehen. Der Herr wird dich nicht abweisen (Lukas 18, 13. 14; Psalm 102, 18; 22, 25.)

Das Wort "Siehe, er betet!" hat auch eine mahnende Seite; denn es zeigt uns, welches Gewicht der Herr bei Beurteilung eines Menschen gerade auf wirkliches Beten legt. Jesus hätte den inneren Zustand des Saulus auch ganz anders beschreiben können, durch das Saulus völlig verändert war. Aber Jesus beurteilt den Saulus weder nach dem, was er früher gesündigt, noch nach dem, was er nachher erlebt hatte, sondern nach dem, was er jetzt tat und trieb. Dass er jetzt betete, war entscheidend vor dem Herrn. So beurteilt der Herr Jesus auch uns nicht nach dem, was wir einst in unserer Verblendungszeit gefehlt, noch nach dem, was wir an inneren Erfahrungen erlebt haben, sondern nach dem, was wir jetzt sind und tun. Das eine ist die Frage, ob wir jetzt wirkliche Beter sind, denen die Gemeinschaft mit dem Herrn Jesus über alles geht. Wenn der Herr solchen Wert auf das Gebet legt, sollten wir ihm dann nicht die gleiche Bedeutung beimessen? (1. Timotheus 2, 1; Lukas 18, 1 - 8.)


Autor: Alfred Christlieb (* 26.02.1866; † 21.01.1934) deutscher Theologe
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Ein dreifacher Trost aus dem Bild des in Damaskus betenden Saulus.

Das Bild des in Damaskus betenden Saulus kann dreierlei Leuten, die in unserer Zeit zahlreich vertreten sind, zum Trost dienen.

Erster Trost: Hier ist ein Einsamer, der doch den besten Verkehr hat.

Saulus war einsam. Die Menschen, mit denen er früher denselben Weg zusammen gegangen war, verstanden ihn nicht mehr und gingen andere Wege. Der Anschluss an die, zu denen er jetzt innerlich gehörte, war noch nicht gefunden. Er kannte die gläubigen Christen in Damaskus noch nicht. So stand er einsam da. Und trotz dieser Einsamkeit war er nicht allein. Er hatte einen Umgang und Verkehr, den die Welt nicht kennt. In unserer Zeit gibt es viele Einsame. Aber an diesem Verkehr dürfen sie sich erquicken.

War nicht die hochbetagte Hanna auch eine einsame Frau? (Lukas 2, 36. 37.). Doch hatte sie einen Verkehr, der über allen menschlichen Umgang geht. Stand nicht Joseph in Ägypten einsam da? Aber er hatte in diesem fremden Land eine Gemeinschaft, die ihn glückselig machte (1. Mose 39, 2). Wie viele Frauen sind durch den Weltkrieg zu einsamen Witwen geworden! Aber die Schrift zeigt ihnen den Weg zur kostbarsten Gemeinschaft. (1. Timotheus 5, 5.) Gerade in der Einsamkeit können wir den Reichtum und Segen erfahren, der im Umgang mit dem liegt, zu dem der einsame Saulus hier betete. (Psalm 25, 16; 102, 8.)

Zweiter Trost: Hier ist ein Arbeitsloser, der die wichtigste Tätigkeit ausübt.

Ja, Saulus war, menschlich gesprochen, arbeitslos. Als fleißiger, schaffender Mann hatte er in seinem Beruf manches Jahr zugebracht. Eifrige Tätigkeit war ein besonderes Kennzeichen seines Lebens. Die bisherige Wirksamkeit war ihm genommen und zerschlagen. Eine andere konnte er noch nicht beginnen. Gerade für feurige Naturen wie Saulus ist das Herausgenommenwerden aus jeder Tätigkeit nicht leicht zu ertragen.

Trotzdem war Saulus nicht untätig. Er trieb eine Arbeit, die alle andere an Wichtigkeit übertraf. Durch sein Gebet in diesen Tagen wirkte er mehr als durch seinen Eifer für das Gesetz in den vergangenen Jahren.

Hier ist ein Arbeitsfeld, das jedem offen steht. Viele Arbeitsmöglichkeiten sind in unserer Zeit verschlossen. Starke junge Männer stehen ohne Arbeit da und wissen oft nicht, wie sie die Zeit verbringen sollen. Mancher, der auf das Krankenlager gelegt wird, empfindet es auf das schmerzlichste, dass er seine Arbeit nicht fortsetzen kann. Das ist zu verstehen. Wenn aber der Segen dieser Tätigkeit, die Saulus hier trieb, erkannt wird, so tut sich ein reiches Arbeitsfeld auf. Für Beter gibt es keine Arbeitslosigkeit und keine verlorene Zeit.

War nicht dem Mose in Midian auch jede seinen Gaben und Fähigkeiten entsprechende Tätigkeit genommen? (2. Mose 3, 1). War nicht Elias am Krith auch ohne besondere äußere Arbeit? (1. Könige 17, 3 ff.). Samuel gab mit seiner Amtsniederlegung die gewohnte Leitung des Volkes auf. Aber er ließ nicht nach, für sein Volk zu bitten. (1. Samuel 12, 23).

Im Licht der Ewigkeit wird einst offenbar werden, wie wichtig der verborgene Gebetsdienst gewesen ist (Epheser 6, 18). Ihn lasst uns treiben, wenn andere Tätigkeit uns genommen wird.

Dritter Trost: Hier i st ein Man in Dunkelheit und empfängt doch die besten Lichts kräfte. Saulus war durch seine Blindheit in völliger Dunkelheit. Aber durch seinen Umgang mit Gott empfing er Licht. Gott ist die Quelle des Lichtes. Wer mit ihm Gemeinschaft pflegt, nimmt Licht in sich auf . Das tat Saulus. Menschliches Licht hatte er in vergangenen Jahren in reichem Maße empfangen. Jetzt gab es ein besseres. Wie anders lernte er jetzt die verstehen, mit denen er früher nichts anzufangen wusste. Jetzt erschien ihm der Tod des Stephanus in einem ganz neuen Licht. Jetzt gab es auch Licht über manche Schriftstelle, die er früher nur nach der äußeren Erkenntnisseite hin erfasst hatte. Jetzt wurden ihm die Augen geöffnet für die Abgründe des eigenen Herzens und vieles andere.

Wer betet, der ist an der rechten Lichtquelle. Auch in Zeiten innerer Verdunkelung wollen wir sie aufsuchen und benutzen. (Psalm 51, 10; 55, 17; 57, 3; 86, 3-7).


Autor: Alfred Christlieb (* 26.02.1866; † 21.01.1934) deutscher Theologe
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Was erfahren wir aus dem Wort "Siehe, er betet" über Jesus?

1. Das Wort "Siehe, er betet" zeigt uns, dass Jesus ins Verborgene schaut.


In den bisherigen Betrachtungen stand meist der betende Saulus im Vordergrund. Lasst uns nun auf Jesus selbst unseren Blick richten. Was sagt uns dieses Wort "Siehe, er betet" über ihn? Das allererste, was wir hier erkennen, ist die Tatsache, dass er durch alle Türen hindurch bis in die verborgensten Winkel hinein schaut, was die einzelnen Menschen treiben. Saulus war, soweit wir wissen, in jenem Gemach in Judas' Haus unbeobachtet. Kein Mensch sah, was er da trieb. Und doch war Ein Auge auf ihn gerichtet. Jesus selbst sah auf ihn. Er, der den Nathanael unter dem Feigenbaum sah (Johannes 1, 48), er, der die Gänge eines Judas Ischarioth genau verfolgte, er, der den sieben Gemeinden zurief: "Ich weiss deine Werke" (Offenbarung 2, 2. 9), er sah den Saulus beten. Was der Herr einst dem König Hiskia sagen ließ, galt auch ihm: "Ich habe dein Gebet erhört und deine Tränen gesehen" (Jesaja 38, 5).

Dasselbe Auge, das jenen Saulus beten sah, schaut auch uns. Er sieht unser Tun und Lassen. Er sieht unsere inneren Kämpfe und unsere Schwachheit (Psalm 103, 14; Hiob 10, 9). Lasst uns zu unserem Trost, aber auch zu unserer Warnung nie vergessen, dass Jesus ins Verborgene schaut (Psalm 139, 1 - 12).

2. Jesus weiht seine Knechte ins eine Geheimnisse ein.

Mit den Worten "Siehe, er betet" zog der Herr einen gewissen Vorhang vor Ananias hinweg und ließ ihn hineinblicken in ein Geheimnis, das noch keiner der Christen in Damaskus wusste.

Zu welchem Zweck tat das der Herr? Nicht zur Befriedigung irgendwelcher Neugier, sondern zur Stärkung für die zuerfüllende Aufgabe. Ananias kannte den Saulus bisher nur als den gefährlichsten Christenverfolger. Bei dieser Meinung über Saulus konnte ihm der Mut entschwinden. Der Gang wäre ihm zu schwer geworden. Darum gab ihm der Herr so viel Licht, wie zur freudigen Ausrichtung des ihm übertragenen Dienstes nötig war. So handelt Gott häufig. Einem Gideon wurde Einblick in die Mutlosigkeit und Furcht der Midianiter gewährt, damit er selbst mutig die Aufgabe in die Hand nähme, die Gott ihm befahl (Richter 7, 9 - 15).

Dem Hesekiel offenbarte der Herr die Unterhaltung seiner Volksgenossen beim Gang zu seiner Wortverkündigung (Hesekiel 33, 30 - 33), ja, er enthüllte ihm alle hinter verschlossenen Türen getriebene Abgötterei (Hesekiel 8, 7 - 18), damit er seine prophetische Pflicht, die Warnung vor dem Abfall, fest und getrost erfüllen könne.

Dem Paulus zeigte der Herr in jenem Nachtgesicht zu Troas das innere Verlangen, welches im mazedonischen Volk nach dem Wort des Lebens vorhanden sei, damit er auch mit großer Zuversicht dorthin gehe (Apostelgeschichte 16, 9. 10). So gab er auch hier durch das Wort "Siehe, er betet" das Licht, das Ananias für seine Aufgabe brauchte.

3. Jesus spricht mit großer Weisheit über innereVorgänge bei anderen.

Lasst uns die Weisheit Jesu bei der Enthüllung des inneren Zustandes von Saulus beachten! Durch das Wörtlein "Siehe" bereitete er Ananias auf eine Überraschung vor. Er deutete ihm an, dass es etwas Besonderes zu sehen gebe.

Ja, in der Tat gab es in jener Stunde unter allen Sehenswürdigkeiten der Stadt Damaskus im Lichte der Ewigkeit keine grössere als den bussfertigen Mann im Haus des Judas. Wie aber teilte er dem Ananias die wunderbare Änderung mit, die bei Saulus eingetreten war?

Es liegt eine gewisse Vorsicht und Zurückhaltung in der Art, wie Jesus den inneren Vorgang bei Saulus beschrieb. Saulus stand damals mitten in der Bekehrung. Von dem bisherigen Weg der Christenverfolgung hatte er sich abgewandt. Sein Unrecht hatte er eingesehen. Aber zur vollen Vergebungsgnade war er noch nicht durchgedrungen. Er stand in einem Übergang.

Gerade über solche Menschen, die erweckt sind, und sich in einem Übergang zum neuen Glaubensleben befinden, wird oft recht unvorsichtig und unweise geredet. Wie leicht gebraucht man über sie einen Ausdruck, der zu viel sagt und übertreibt. Man sagt vielleicht zu schnell: "Er ist bekehrt", wo bisher nur ein Anfangssegen vorhanden ist.

Bei Mitteilungen über innere Vorgänge ist Zurückhaltung und Vorsicht am Platz. Wohl dürfen wir andere an der Freude, die Gottes Wirken an bisher feindlich gesinnten Menschen bereitet, teilnehmen lassen. Doch wollen wir dabei achthaben, dass keine Überschreitung der Wahrheitsgrenzen und keine Übertreibung unterläuft. Jesus drückte sich behutsam aus. Seine Art bleibt massgebend für uns.

Als einst Pastor Engels in Nümbrecht vom Besuch eines in der Buße stehenden höhergestellten Mannes zurückkam und seine Hilfsprediger von ihm wissen wollten, wie es mit jenem Mann innerlich stehe, antwortete er nur: "Der Herr ist am Segnen". Mehr sagte er nicht. In dieser Antwort lag etwas von der Weisheit Jesu, mit der er den inneren Vorgang bei Saulus andeutet mit dem Ausdruck: "Siehe, er betet" (Jakobus 3, 2; Psalm 19, 13; Sprüche 10, 13 a. 20; 13, 3).


Autor: Carl Eichhorn (* 11.07.1810; † 08.02.1890) deutscher lutherischer Pastor
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Wann einer wirklich zu beten beginnt

"Siehe, er betet!"

Er betet! Dieses Zeugnis gibt der Herr Jesus dem Saulus, nachdem er ihn vor Damaskus gefunden und ergriffen hatte. Zum ersten Mal in seinem Leben betet er. Aber hat er vorher nicht auch schon viel gebetet? Ja, nach der Pharisäer Weise. Er betete und schnaubte dabei mit Drohen und Morden gegen die wahren Anbeter Gottes, die ihn in Jesu Namen und darum im Geist anbeteten. Der Pharisäer im Gleichnis betete bei sich, in der Richtung auf sich selbst. Sein Gebet ging nicht in der Richtung nach oben, es blieb auf ihn selbst beschränkt, er betete im Grunde sich an. Er war voll Selbstvertrauen und Selbstvergötterung. Er suchte nicht Gott, sondern nur sich. Alles Beten ist alsdann ein Scheingebet, das auf den Erdboden fällt, nur ein selbstsüchtiges Gebet, weil der Mensch im Grund nur seine Zwecke verfolgt und sich lebt.

Jetzt erst betet Paulus so, dass es wirklich gebetet ist. Er sucht Gott und ringt danach, dass Gott in seinem Leben zu seinem Recht kommt, dass Christus bei ihm zur Geltung gelangt. Der Heiland hat ihn erfasst, nun muss er ihn auch erfassen. Sein alter Mensch widersetzt sich: "Wenn ich ein Bekenner Jesu werde, wie stehe ich dann da? Als einer, der nicht weiss, was er will: Heute tue ich dem Namen Jesu alles zuwider, morgen bekenne ich ihn. Ich verscherze die Huld der Obersten, der Hohenpriester und des Hohen Rates. Alle meine Freunde ziehen sich von mir zurück." Solche Gedanken, die aus dem Selbstleben stammten, stellten sich ihm entgegen. Aber er überwand sie im Gebet. Er hielt an Tag und Nacht und wurde erhört. Er hat sich durchgebetet an das Herz Gottes, hineingebetet in die Gnade des Herrn Jesu. Jetzt erlebte der Apostel, was der Psalmist einmal sagt: "Ich bin ganz Gebet" (wörtl. Übersetzung Ps. 109, 4). Jetzt war er ganz auf den Herrn gerichtet. Alles war unter seinen Füßen gewichen. Er war nur auf Gott geworfen. Ihn muss er haben, ohne ihn kann er nicht mehr sein. Jetzt ist sein Beten ein Nahen zu Gott. Nur eine Empfindung beherrscht ihn: das Verlangen nach ihm und seinem Leben. Jetzt schaut er ins Vaterauge Gottes, jetzt dringen seine Gebetsworte ins Ohr und Herz Gottes. Freude erfüllt das Vaterherz über das Flehen dieses zerbrochenen Menschen: Siehe, er betet! Endlich hat ihn der Herr soweit.

Von jetzt an war er ein Beter. Vorher war sein Gebet tot; denn er war selbst tot. Dabei hat er sich auf sein Beten viel zugute getan und damit geprunkt wie alle Pharisäer. Jetzt konnte er selbst nicht beten, sondern nur der Geist Jesu in ihm. Dazwischen kamen Stunden der Schwachheit, wo er nicht wusste, was er beten sollte, und wie sich's geziemt vor Gott. Da konnte er sich nur Seufzern überlassen, die der Geist in ihm wirkte. - So kann sich's ändern. Ach, dass auch uns das Zeugnis von oben ausgestellt werden könnte: Er betet, sie betet; dass wir nicht beten, nur dass gebetet ist, sondern dass wir in unserem Gebet wirklich und nur Gott suchten!