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Predigten zu Johannes 20,29

"Jesus spricht zu ihm: Weil du mich gesehen hast, hast du geglaubt. Glückselig sind, die nicht gesehen und geglaubt haben!"

Autor: Adolf Schlatter (* 16.08.1852; † 19.05.1938) schweizer evangelischer Theologe und Professor fürs Neues Testament
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Jesus sieht auf Gottes Gaben, die er dem Menschen bringt, und hier sieht er noch etwas Größeres, als was er jetzt dem Thomas gewährt. Ihm reichte er seine durchbohrte Hand und zeigte ihm seine durchstochene Seite. „Sieh und glaube“, sagte er ihm. Das ist aber nicht das Größte und Herrlichste, was er uns geben darf. Was steht noch über dem, was Thomas empfing? Nicht sehen und glauben. Ist aber das Schauen nicht mehr als das Glauben? Verlangt nicht unser Glauben nach dem Schauen von Angesicht zu Angesicht, nach der Zeit, da wir nicht mehr in der Fremde, sondern dahim beim Herrn sind und darum nicht mehr im Glauben wandern, sondern vor die Gestalt gestellt sind? Aber dieses Schauen des Herrn, von dem die Verheißung spricht, das uns seine bei uns bleibende Gegenwart gewährt, war auch Thomas noch nicht beschieden; denn die Ostertage brachten es ihm noch nicht. Jesus reichte Thomas seine Hand nicht dazu, damit er sie für immer festhalte, und tritt nicht deshalb vor ihn, damit er Tag um Tag bei ihm sei. Was er ihm gewährte, hatte darin seinen Zweck, daß er glaube, und er konnte das, was er schaute, als Jesus wieder verschwunden und die Ostertage vorüber waren, nur dadurch festhalten, daß ihm der Anblick zum Glauben verhalf. Das ist aber nicht der einzige Weg, auf dem uns Jesus zum Glauben führt. Es entsteht der Glaube auch, ohne daß wir sehen, weil er aus dem Wort hervorwächst, und diesen Glauben pries Jesus als die größte Offenbarung der göttlichen Gnade. Das ist das Wunder, durch das der Geist sich kundgibt, daß das Wort von dem, den wir weder sahen noch sehen, in unser Inneres dringt, unwiderstehlich als Herrscher, der sich unser Denken und Wollen untertan macht und uns über uns selbst emporhebt zu dem, von dem das Wort zu uns kommt. So kräftig berührt uns Gott in unserem inwendigen Leben, so wirksam macht er in uns seine Gnade, so schöpferisch offenbart sich der Geist.

Du gründest, Vater, unser Leben nicht auf das Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare, auf dich, den Unsichtbaren, auf dein Wirken, das im Verborgenen geschieht, auf deine Gnade, die uns in der Stille des Herzens heimlich besucht. Das ist dein Geheimnis, das wir nicht ergründen; denn es zeugt von dir. Amen.