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Predigten zu Psalm 22,2

"Mein Gott! ich rufe des Tages, und du antwortest nicht; und des Nachts, und mir wird keine Ruhe."

Autor: Adolf Schlatter (* 16.08.1852; † 19.05.1938) schweizer evangelischer Theologe und Professor fürs Neues Testament
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Auch die Verlassenheit von Gott wird zur Offenbarung Gottes. Darin zeigt er uns seine Herrlichkeit und vollendet seine Gemeinschaft mituns. Der Psalmist macht uns die Verlassenheit von Gott in ihrer ganzen grauenvollen Tiefe erkennbar. Er läßt keiner Hoffnung mehr Raum. Ueber jene Zustände, in der ein Mensch fürchtet, Gott könnte ihn verlassen, und deshalb bittet: verlaß mich nicht, ist der Psalm gänzlich hinausgehoben. Es ist zur unzweifelhaften Tatsache geworden, daß Gott seine Hand abzog, seine Hilfe versagte und seine Gegenwart wegnahm. Damit, daß Gott ihn verlassen hat, ist ihm der Boden unter den Füßen verschwunden und alle Bedingungen des Lebens sind zerschnitten. Es gibt keine Hand mehr, die helfen könnte. Von Seiten der Menschen ist nichts zu erwarten, nicht als der Spott über den, den Gott preisgegeben hat. Und nun tritt das Wunder ein: in der Verlassenheit von Gott vollendet sich Gottes Gemeinschaft mit ihm, auf Gottes Seite, weil er die Verlassenheit in die Erhöhung verwandelt, die den von ihm Verlassenen verklärt, auf der Seite des Beters, weil er, obgleich er von Gott verlassen ist, zu ihm ruft. Sein Blick geht unverwandt zu dem, der sich verborgen hat, und sein Herz kann sich von dem nicht lösen, der heilig ist, dem die Väter trauten und von dem sie die Hilfe empfingen, weil sie ihm trauten, der einst auch sein Gott gewesen ist und es auch jetzt noch ist. Denn es gibt keinen Gott als ihn allein, der ihn jetzt verlassen hat. Warum ist das Gottes Weise? Ist es die Weise des Zornes? Nein. Der Heilige wird hier offenbar, nicht der Zürnende, der Leben Gebende, nicht der Verderbende. Wer ehrt ihn aber, der, der ihn in der Fülle seine Gaben preist, oder der, der in der Verlassenheit zu ihm ruft? „Gott um Gottes willen“, das steht über jedem Verkehr Gottes mit uns und über allem, was uns in die Gemeinschaft mit ihm einführt. Er gibt sie mir nicht um meinetwillen, damit ich geborgen und selig sei, sondern um seinetwillen, damit er in voller Wahrheit allein der sei, den wir ehren. Wie schwer wird es uns aber, auch aus unserem Christenstand die eigensüchtige Verderbnis auszutreiben! Deshalb gehört die Gottverlassenheit zur Offenbarung Gottes und darum steht dieser Psalm in der Schrift, und er stand nicht nur in der Schrift, sondern auch in der Seele Jesu, als er das Kreuz ergriff.

Reinige mich, damit ich wirklich dir glaube. Gepriesen bist du, Lamm Gottes, das auf das Feuer des Altars gelegt wurde, weil es Gottes Eigentum war. Du bist der Versöhner auch für unser mit Eigensucht beflecktes Christentum. Amen.


Autor: Hermann Bezzel (*18.05.1861; † 08.06.1917) deutscher lutherischer Theologe
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Ich heule, aber meine Hilfe ist ferne.

Wer jetzt noch nicht glaubt, dass ein persönlicher Fürst der Lüge durch die Welt geht, dem ist nicht mehr zu raten, wer jetzt noch nicht weiß, welche Gewalt die Geister unter dem Himmel haben, die Geister der Entstellung und der Lüge, der Falschmeinung und der Falschmeldung, der hat vergeblich die Geschichte der letzten Jahrzehnte erlebt. Mit dem Psalmisten haben wir oft gefragt: „Siehe, wie meiner Feinde so viele sind und hassen mich aus Frevel“, ich höre hin, ob einer mir helfen will, aber da ist keiner, der für mich spricht; ich lausche, ob keiner vor den Riss treten will, aber niemand denkt des deutschen Namens und der deutschen Treue. „Ich suchte Hilfe bei den Menschen und fand keine. – Das greift nicht das ganze Volk an, das geht an die einzelne Seele, das empfindet man, als ob es persönliche Wehtat wäre; denn da ist keine Vaterlandsliebe, wo kein Mitleid mit dem Vaterland ist.