Buch-Rezension: Die Herrnhuter Brüdergemeine - Evangelische Brüder-Unität / Unitas Fratrum

Die Herrnhuter Brüdergemeine

Autor:

Hauptabsicht des hier besprochenen Buches ist die Darstellung der Brüdergemeine als vielfältige, tolerante und weltoffene Organisation. Immer wieder werden die theologische und die alltägliche Bandbreite der Unität in den verschiedenen Ländern hervorgehoben (12, 84, 124, 168f.). Nicht nur in Traditionen und Gewohnheiten, auch in der Auffassung über den Stellenwert der Bibel haben Herrnhuter durchaus recht unterschiedliche Auffassungen (84). Nach einem alten Leitspruch der Brüder Unität gelte in eigenen Reihen bis heute: „In den wesentlichen Dingen Einheit, in den unwesentlichen Dingen Freiheit, in allen Dingen die Liebe.“ (85). Die Heilige Schrift zählt nach Auffassung der Autoren heute bei den Brüdergemeinen zu den „nicht wesentlichen“ Dingen. Sie habe mit der Vermittlung des Heils demnach nicht direkt zu tun (87, 110). Auch die konkrete Lehre über Gott wird als sekundär betrachtet (87). Die Suche nach theologischer Wahrheit müsse deutlich hinter Toleranz und Einheit zurückstehen (88).

Deutlich stärker als in vielen früheren Darstellungen der Herrnhuter Brüdergemeine tritt in diesem Band das vielfältige internationale Gepräge der ehemals pietistischen Konfession zutage (90ff., 109). Gut zugänglich und lesbar wird hier über die Entwicklung der Herrnhuter in den ehemaligen Missionsländern informiert. Konsequent bemüht man sich, eine eurozentristische Sicht zu vermeiden (113, 124, 177f.).

Viel zu häufig distanzieren sich die Autoren von der eigenen missionarischen Vergangenheit, die Menschen vorgeblich bedrängt habe. Mission soll nach Auffassung der Buchautoren „ganzheitlich“ betrieben werden, auch wenn nicht genau definiert wird, was dieser Modebegriff in diesem Zusammenhang genau zu bedeuten hat (105). Beispiele für missionarische Projekte der Brüder Unität im 21. Jahrhundert erschöpfen sich zumeist in politisch-gesellschaftlichen und sozialbildungsbezogenen Aktivitäten (105, 107, 110, 114, 130, 134, 211f.). Auch Friedens- und Frauenförderung gehören inzwischen zum Standardprogramm (115, 136f.). Das eigentliche theologische Anliegen und die konkrete missionarische Tätigkeit der Herrnhuter bleiben zumeist ziemlich schwammig.

Angesichts der eigenen Geschichte und Theologie wird dann auch nicht ganz unproblematisch die frühere Kritik an Aberglauben, Heidentum und Unmoral moniert (109f., 116, 147f.). Aus heutiger Sicht müsste man demnach von einer vorchristlichen Offenbarung Gottes ausgehen (139f.), ethische Aspekte wie die Polygamie sollten als kulturelle Besonderheit eher akzeptiert werden (11, 111). Eine große Offenheit anderen Kulturen und Lebensweisen gegenüber wird mittlerweile als selbstverständlich vorausgesetzt (114, 207f.).

Mit 259 Seiten eignet sich das Buch natürlich nicht zur schnellen Information über Geschichte und Gegenwart der Herrnhuter Brüdergemeine weltweit. Wer aber etwas tiefer einsteigen will oder ein besonderes Interesse an der Entwicklung der Brüder Unität in den ehemaligen Missionsländern hat, bekommt hier gut recherchierte und zusammengefasste Informationen; vor allem über Strukturen, Aufbau, Gremien, Tätigkeitsbereiche und ökumenische Beziehungen. Wer nach der pietistisch geprägten Brüdergemeine des Grafen von Zinzendorf sucht, kommt mit diesem Buch allerdings nicht auf seine Kosten.

 Die Rezension/Kritik stammt von: Michael Kotsch
 Kategorie: Geschichte, Kirchengeschichte

  Verlag: Vandenhoeck & Ruprecht
  Jahr: 2020
  ISBN: 978-3-525-82552-5
  Seiten: 259
 €    Preis: 25,00 Euro