Buch-Rezension: Leben mit Vision - Wozu um alles in der Welt lebe ich?

Leben mit Vision

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Das Buch war ein Bestseller, bevor es erschien. Als noch keine Seite gedruckt war, lagen 500.000 Vorbestellungen vor. Es beschreibt eine 40-tägige Reise, um den Sinn des Lebens zu entdecken. Versehen mit Empfehlungen von den höchsten evangelikalen Autoritäten Amerikas (Billy Graham, Bruce Wilkinson, Max Lucado, etc.) erklomm es bald die Hitlisten der Verlage. Die hohe Auflage kommt u. a. dadurch zustande, dass ganze Gemeinden das Buch in ihren Kleingruppen lesen – manche so gar statt der Bibel in ihrer Stillen Zeit.

Mein erster Fehler beim Lesen des „Millionen-Sellers“ war, dass ich es nicht in 40 Tagen, sondern in weniger als 40 Stunden las. Das mag mir Rick Warren ja noch verzeihen. Schwerer wiegt dagegen mein zweiter Fehler. Ich legte nicht – wie er es fordert – meine grundsätzlich kritische Haltung ab. Doch das Erfreuliche zu erst. „Leben mit Vision“ ist ein alles in allem erbauliches Buch. Ich bin davon überzeugt, dass besonders junggläubige Leser eine Menge aus diesem Buch lernen könnten (nur kein tiefes verständnis vom Evangelium).

Der dritte Teil enthält ausgezeichnete Kapitel, über die ich mich von Herzen gefreut habe. Was er z.B. über die Umgestaltung in das Bild Jesu schreibt, hätte genauso aus der Feder von William MacDonald kommen können. Doch jetzt wird es kritisch. An welche Adresse ist dieses Buch eigentlich gerichtet? Zunächst dachte ich: an Nichtchristen; der Autor konzipierte es, um Menschen für den Herrn zu gewinnen. Aber als ich weiter las, fragte ich mich allen Ernstes: wie konnten sich durch die Lektüre von „Leben mit Vision“ Hunderte oder gar Tausende bekehren? Die Darlegung des Evangeliums im ersten Teil des Buches ist ausgesprochen mager, oberflächlich und mangelhaft. Ein einziges Mal spricht Warren von der Verantwortung vor Gott. Zwei oder drei mal werden Himmel und Hölle er wähnt. Die Sündhaftigkeit und völlige Verderbnis des Menschen wird ebenfalls unzulänglich ausgeführt.

Rick Warren setzt beim „Kunden“ an, und der Kunde mag keine schlechten Nachrichten. In seinem früheren Bestseller „Kirche mit Vision“ schreibt er auf Seite 213: „Es gibt genügend schlechte Nachrichten auf der Welt, deshalb sind das Letzte, was die Menschen hören müssen, wenn sie in die Gemeinde kommen, noch mehr schlechte Nachrichten.“ Zentrale biblische Begriffe wie „Heiligkeit Gottes“ oder „Bekehrung“ kommen überhaupt nicht vor. Und was noch schwerer wiegt: Der Begriff und Vorgang der Umkehr fehlt völlig. Warren spricht lediglich vom „Glauben“. Gott hat aber vor die Erlangung des rettenden Glaubens die biblische Buße gesetzt (Mt 4,17; Apg 2,38; 17,30; 26,20, etc.). Kann man ein solches „Evangelium light“ oder „Soft-Gospel“ überhaupt noch Evangelium nennen? Don’t get me wrong. Ich weiß wohl, dass der lebendige Gott souverän ist. Zum Glück kann er auch durch unvollkommene menschliche Predigten oder Bücher Menschen zu sich ziehen. Aber dass der Höchste auf krummen Zeilen gerade schreiben kann, erlaubt uns nicht, bewusst solche krummen Zeilen zu fabrizieren.

Die Schwäche von „Leben mit Vision“ besteht weniger indem, was der Autor sagt. Über die absolut pragmatische Aussage, dass Gott jede Art von Musik Liebe (S. 63), wollen wir jetzt einmal großzügig hinwegsehen. Die Schwäche des Buches besteht mehr in dem, was Rick Warren nicht sagt. Auf S. 9 verspricht der Schreiber seinen Lesern: „Diese neue Perspektive wird Ihnen helfen, Stress zu verringern, leichter Entscheidungen zu fällen, zufriedener zu leben, und sie wird Sie vor allem auf die Ewigkeit vorbereiten.“ Ich kann mir beim besten Willen nicht vor stellen, dass der Apostel Paulus seine Verkündigung mit solchen Schalmeien eingeleitet hätte. Schlimmer noch. Solche Versprechungen leiten den Leser von Anfang anauf ein falsches Gleis. Wie soll man jenen Leuten später beibringen, dass die Nachfolge Jesu Christi ungemein schwer, angefeindet und entbehrungsreich sein kann? Oder ist „Leben mit Vision“ doch an die Adresse von Christen gerichtet? Der Autor scheint diese Fragebewusst offen zu lassen. Das wäre jedoch weder redlich noch geistlich. Es entstünde ein „hermeneutischer Mischmasch“.

Überhaupt ist Warrens Umgang mit der Schrift in diesem Buch genauso oberflächlich, pragmatisch und manch malfalsch wie in „Kirche mit Vision“. Es könnte als Lehrbuch dienen: Wie missbrauche ich Bibelstellen, um meine vorgefasste Meinung zu belegen? Und noch etwas bereitet mir Kopfzerbrechen. Das Buch wird vornehmlich solche Leser, die sich die Schätze aus der Blütezeit der Brüderbewegung noch nicht durch eigenes Bibelstudium angeeignet haben, zu dem Gedanken verleiten: „Sieh mal da, es geht scheinbar auch ohne die alten Zöpfe der Väter. Wir können auch auf moderne Weise Gemeinde bauen: offen, tolerant, freikirchlich.“ Wenn schon gestandene Brüder in Holland und an anderen Orten von den Büchern Rick Warrens schwärmen, wieviel mehr dann junge, ungefestigte?

Zudem werden viele Leser durch „Leben mit Vision“ – wenn zuvor noch nicht geschehen – auf das frühere Buch „Kirche mit Vision“ aufmerksam werden, über welches ich noch viel unglücklicher bin. Rick Warren nennt sein Konzept „purpose driven“ (vom Auftrag getrieben, auftragsorientiert). Das ist inzwischen ein eingetragenes Markenzeichen. In Wirklichkeit arbeitet er sehr stark „market driven“, das heißt auf der Grundlage von Marktforschung und demographischen Umfragen. Wenn uns schon etwas „treiben“ muss, dann sollte es der Heilige Geist sein (Röm 8,14). Der wird dann auch dafür Sorge tragen, dass wir „geistliche Dinge auf geistliche Weise“ vermitteln (1. Kor. 2,2-5.10-13).

Noch etwas. „Leben mit Vision“ erklomm mühelos die weltliche Bücherhitliste der New York Times. Das ist ungefähr damit vergleichbar, wie wenn „Jesus unser Schicksal“ an der Spitze der Bücherhitliste des „Spiegel“ stehen würde. Dort stehen zur Zeit eher die Harry-Potter-Bände. Amerika ist zwar nicht Deutschland, aber der Herr Jesus Christus warnte seine Jünger einmal: „Wehe, wenn alle Menschen wohl von euch reden …“ (Lk. 6,26). Das sollte uns ein wenig zu denken geben. Nach den Willow-Wellen erreichen uns nun immer mehr die Ausläufer von Saddleback.

Idea Spektrum berichtete Ende Januar sehr positiv von den Erfahrungen der Matthäus-Gemeinde in Bremen, die das Projekt „40 Tage mit Vision“ als erste deutsche Gemeinde erfolgreich getestet habe (Ausgabe Nr. 5/2004). In den USA führten im vergangenen Jahr 1500 Gemeinden die Kampagne durch und erreichten mehr als zwei Millionen Menschen. Dennoch betrachte ich die Entwicklung mit großer Sorge. Ich freue mich zwar über jeden, der geistlichen Gewinn aus „Leben mit Vision“ ziehen konnte. Aber ich würde es keinem Nichtchristen in die Hand geben. Und wenn Sie das Buch als Gläubiger lesen, machen Sie keine Fehler. Oder Lieber doch dieselben wie ich?

 Die Rezension/Kritik stammt von: Wilfried Plock
 Kategorie: Nachfolge, Leben als Christ

  Verlag: Gerth Medien GmbH
  Jahr: 2004
  ISBN: 978-3865918802
  Seiten: 416
 €    Preis: 17,99 Euro