Buch-Rezension: verboten - geduldet - verfolgt - Die nationalsozialistische Religionspolitik gegenüber der Brüderbewegung

verboten - geduldet - verfolgt

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Diese geschichtswissenschaftliche Dissertation schließt eine Forschungslücke. Denn auch wenn es schon bisher Bücher über die Geschichte der Christlichen Versammlung oder ihrer Zweige von Autoren aus den eigenen Reihen gab, hat doch bisher niemand alles noch verfügbare Quellenmaterial aufgesucht, erfaßt und ausgewertet. Dies gilt für Quellen auf Seiten der Brüderbewegung ebenso wie auf Seiten der mit ihr verfaßten staatlichen oder nationalsozialistischen Behörden. Entstanden ist bei der Quellenauswertung eine ausgezeichnete, sehr gut belegte Forschungsarbeit, die die Ereignisse allerdings weder allzu sehr in die Gesamtgeschichte des Dritten Reiches einbettet, noch theologische Fragen vertieft oder bewertet. Dass der Verfasser selbst der Brüderbewegung angehört, macht sich nirgends bemerkbar, wenn man einmal davon absieht, dass nur ein Insider an manche Quellen und Informationen gelangen konnte, da die Brüderbewegung nie über eine Zentrale verfügte, sondern von einer für Archivforschung fast entmutigenden Dezentralität geprägt ist.

Auch wenn mit dieser Forschungsarbeit viele historische Einzelfragen geklärt werden konnten und sich ein differenziertes Bild des Verhaltens der einzelnen Richtungen und Verantwortlichen ergibt, ist das eigentlich Neue an der Arbeit, daß der Verfasser am Ende ein recht geschlossenes Gesamtbild zeichnen kann, 1. warum dieNationalsozialisten die Christliche Versammlung verboten, ihr dann aber den Ausweg einer Neugründung des Bundes freier Christen ließen, und 2. wie die Christliche Versammlung auf den Nationalsozialismus reagierte.

Zur 1. Frage ist zu sagen: Es war die Abstinenz gegenüber dem Staat, etwa in der Wahlverweigerung, gegen die Staat und Partei im Dritten Reich zu Felde zogen, nicht irgendeine Kritik am Staat. Als man schließlich erkannte, daß es in Wirklichkeit eine Reihe aktiver Parteimitglieder und NSDAP-Wähler gab und die Bewegung im Wesentlichen zunächst für Hitlers Ernennung zum Reichskanzler dankbar war, war das Verbot bereits ausgesprochen und nicht zurücknehmbar. Das führte schließlich dazu, daß man die Möglichkeit der Gründung eines Gemeindebundes unter Leitung genehmer Führer anordnete bzw. zuließ.

Zur 2. Frage ist zu sagen: Die Christliche Versammlung verweigerte den Anordnungen der Nationalsozialisten deswegen oft den Gehorsam, weil ihre theologischen Überzeugungen keine Änderungen an Kirchenstruktur, Gottesdienstgesaltung usw. zuließen, nicht aber aufgrund einer kritischen Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus an sich. Echten, gar politischen Widerstand kann der Verfasser nirgends ausmachen, auch keinen verbalen Einsatz für Juden oder gar die aktive Rettung von Juden. Letzteres ist eine interessante Aussage angesichts der These von Hal Lindsey, daß Vertreter der dispensationalistischen Theologie sich im Dritten Reich automatisch für Juden eingesetzt hätten, während Vertreter reformierter oder anderer Ansätze automatisch gegen die Juden gewesen seien. Grund für die Zurückhaltung gegenüber einem Einsatz für die Juden war sicher nicht so sehr die theologische Einordnung der Juden, sondern neben der allen gemeinsamen Angst und Feigheit die generelle (sicher teilweise auch heilsgeschichtlich begründete) Ablehnung jeder politischen Betätigung bzw. deren Verweisung in das Privatleben der Gemeindeglieder.

Auch wenn der Verfasser sich insgesamt mit Urteilen sehr zurückhält und erst Recht in der Regel keine theologische Bewertung vornimmt, kommt er dann doch am Ende zu dem Schluß, daß die theologisch begründete Ablehnung jeder politischen Thematik die Christliche Versammlung gerade nicht dem Staat gegenüber besonders kritisch gemacht habe. Inmitten schwierigster Situation bekämpfte man doch vorrangig andere Richtungen der Brüderbewegung mit vergleichsweise geringen Abweichungen, anstatt den wahren Feind zu erkennen und zu benennen. Das ist eine wichtige Warnung an uns alle, sofern wir bereits sind, aus der Geschichte zu lernen.

 Die Rezension/Kritik stammt von: Thomas Schirrmacher
 Kategorie: Geschichte, Kirchengeschichte

  Verlag: jOTA Publikationen GmbH
  Jahr: 2002
  ISBN: 3-935707-12-6
  Seiten: 642
 €    Preis: 35,00 Euro
Buch-Rezension: verboten - geduldet - verfolgt - Die nationalsozialistische Religionspolitik gegenüber der Brüderbewegung

verboten - geduldet - verfolgt

Autor:

Auf eine Darstellung der Brüderbewegung im Dritten Reich hat man lange warten müssen. Nachdem in fast allen Freikirchen schon seit längerer Zeit Monographien über ihre Haltung im und zum Dritten Reich erschienen sind, liegt nun mit der profanhistorischen Berliner Dissertation von Andreas Liese aus Bielefeld endlich auch ein Beitrag für die Brüderbewegung vor. Liese untersucht dabei nicht in erster Linie die Haltung der Brüderbewegung zum Nationalsozialismus, sondern geht den umgekehrten Weg: Er fragt nach der Einschätzung der "Brüder" durch den nationalsozialistischen Staat und bietet damit ein exemplarisches Beispiel für dessen Umgang mit kleinen Religionsgemeinschaften. Anhand von vielen Originaldokumenten der staatlichen Behörden ergibt sich dadurch ein neues und spannendes Bild der Auseinandersetzungen der Versammlungen im totalitären Staat.

Eine der Kernfragen bilden die Hintergründe des Versammlungsverbots im Jahre 1937 und der Wiederzulassung als Bund freikirchlicher Christen – eines einmaligen Vorgangs im Umfeld der Freikirchen und religiösen Gemeinschaften im Dritten Reich. Liese kann nachweisen, dass das Verbot der "Christlichen Versammlung" 1937 nach unterschiedlichen Einschätzungen verschiedener Behörden und einem unglaublichen Kompetenzwirrwarr des Staates allein aus ideologischen Gründen ("staats- und lebensverneinend") ausgesprochen wurde. Man glaubte, die Brüderbewegung würde den NS-Staat aus prinzipiellen Gründen ablehnen, und beargwöhnte die fehlenden Strukturen. Als man sich nach mehreren Gesprächen mit leitenden Brüdern von der pro-nationalistischen Haltung überzeugen ließ, wollte man das Verbot trotzdem nicht zurücknehmen, sondern erlaubte nur die Gründung einer neuen registrierten Religionsgemeinschaft unter der Leitung eines Reichsbeauftragten, eben die Gründung des Bundes freikirchlicher Christen (BfC). Die desolate innere Situation der Brüderbewegung begünstigte diese Turbulenzen des Jahres 1937 und ließ zudem einen Mythos vom "Verbot als Strafgericht Gottes" entstehen.

Diese "geistliche" Interpretation des Verbots wurde von Reformkräften um Dr. Hans Becker, dem alleinigen Bevollmächtigten des neuen Bundes, geschickt genutzt und unter Zwang den Gemeinden aufoktroyiert. Die staatlichen Repressalien wurden somit einseitig gedeutet, um eine schon früher von Becker angemahnte theologische Kursänderung vorzunehmen und damit die eigentlich negativen Zwangsmaßnahmen noch positiv umzudeuten. Mitglieder des neuen BfC durften nur Personen werden, die "auf dem Boden des Nationalsozialismus" standen – eine regimekritische Funktion des Bundes war damit auch in Zukunft nicht zu erwarten. Ziel Beckers war dabei letztlich sogar der Bund aller Christen außerhalb der Landeskirchen, womit sich die spätere Verbindung mit den Baptisten im Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden schon 1937 andeutete. Vereinigungsideen wurden zur gleichen Zeit auch von den Baptisten geäußert, fanden 1937 jedoch noch keine Mehrheit. Die Vereinigung des BfC mit den "Offenen Brüdern", die nicht unter das Verbot fielen, erfolgte dagegen schon Ende 1937.

Liese kann trotz allgemein vorherrschender Politikdistanz der Brüderbewegung die positive Haltung aller Brüdergruppen zum Führer und zum NS-Staat nachweisen. Nur vereinzelt ortet er Gegner des Nationalsozialismus. Ebenso wird deutlich, wie lücken- und fehlerhaft die Informationen des Innenministeriums, des Sicherheitsdienstes und der Gestapo über die Brüderbewegung waren und wie unterschiedlich diese Stellen die Versammlungen beurteilten. Öfter ließ man sich durch die Namensvielfalt der Bewegung verwirren und registrierte die gleichen Versammlungen mehrfach. Zudem belegt der Autor ein interessantes Detail, nämlich die Kontakte zwischen Staat und Brüderbewegung vor 1937, und widerlegt damit die bisherige Einschätzung einer Funkstille in den ersten Jahren des NS-Staates. Örtlich kam es interessanterweise auch schon vor 1937 zu erheblichen Schwierigkeiten mit den Behörden (Literaturbeschlagnahmungen, Sammlungsverbote), ohne dass man dadurch den Opportunismus gegenüber dem Staat aufgegeben hätte.

Wer sich außerhalb des Bundes ab 1937 als "Nichtbündler" traf, gelangte in die Illegalität und wurde auch unter Mithilfe des BfC diffamiert und teilweise sogar verfolgt. Die Brüderbewegung war damit die einzige der kleinen freikirchlichen Religionsgemeinschaften, in denen es zwei unterschiedliche Haltungen gegenüber dem NS-Staat gab: eine dem Staat konforme und eine "illegale", die vom Staat bekämpft wurde. Die bisher fast unbekannte Geschichte der Nichtbündler wird bei Liese erstmalig ausführlich dargestellt. Der Autor räumt bei aller Bewunderung für diese Gruppe aber mit dem Mythos auf, ihre Anhänger hätten dem NS-Staat offensiv widerstanden. Im Gegenteil: Liese zeigt auf, dass trotz ihrer konspirativen Versammlungen auch hier eine starke Anpassung an NS-Gedankengut vorherrschte.

Liese macht zudem deutlich, dass die kleineren Religionsgemeinschaften im Dritten Reich keineswegs schutzlos dem allmächtigen Staat ausgeliefert waren, sondern durch persönliche Beziehungen sehr wohl Freiheiten erlangen konnten. Das Überleben im NS-Staat hatte aber seinen Preis: Die Loyalität zur Führung war aus Dankbarkeit für die Genehmigung, wieder Versammlungen halten zu dürfen, innerhalb des BfC sehr groß. Von politischen Äußerungen hielt man sich in Zukunft zurück. Die Auflagen der Gestapo waren bis in die Einzelheiten identisch mit den Vorüberlegungen des Mustergaues Warthegau, in dem die nationalsozialistische Religionspolitik Anfang der 40er Jahre ideal umgesetzt werden sollte. An eine oppositionelle Schlagkraft gegen das Regime war dabei nicht mehr zu denken.

Zusätzlich ist es innerhalb der Brüderbewegung zu keiner biblisch-theologischen Durchdringung des Verhältnisses von Versammlung und Staat gekommen, sodass man auch keine Leitlinien für die politische Ethik ins Feld führen konnte. Diese theologischen Defizite, angestoßen durch die Absonderungslehre, verstärkten die Hilflosigkeit im Dritten Reich.

Der Autor hat viele bisher unbekannte Dokumente der Nazis herangezogen, um seine Thesen zu belegen. Seine Untersuchung bringt manche bisher unbekannte Details aus der Geschichte einzelner Versammlungen ans Licht und kann so auch für den Lokalhistoriker von Interesse sein. Für alle an der Geschichte der Brüderbewegung Interessierten dürfte dieses Monumentalwerk Pflichtlektüre sein. Sie zeigt, dass auch biblisch begründete Bewegungen vor Verführungen nicht sicher sind.

 Die Rezension/Kritik stammt von: Stephan Holthaus
 Kategorie: Sonstiges

  Verlag: jOTA Publikationen GmbH
  Jahr: 2002
  ISBN: 3-935707-12-6
  Seiten: 642
 €    Preis: 35,00 Euro