Buch-Rezension: Völker im Lande Kanaan

Völker im Lande Kanaan

Autor:

Christen reden zuweilen von der „Sprache Kanaans“, ohne dass es dabei um die Sprache der Völker im biblischen Lande Kanaans ginge, oder stolpern in den historischen Büchern (1-5 Mose, Josua, Richter) immer wieder über kurze oder lange Aufzählungen der verschiedenen „-iter“-Völker, die vor oder neben Israel das Land Kanaan bevölkert haben. Doch wer waren diese Völker?

Der vorliegende Band ist die deutsche Ausgabe von Peoples of the Past: Canaanites (London: The British Museum Press, 1998). Nach einer kurzen sehr guten Einleitung in Geschichte und Methoden der Archäologie des alten Vorderen Orients beschreibt Tubb einleitend „Kanaan und seine Bevölkerung“ (13-22). Dabei geht es im Wesentlichen um die Bibel als geschichtliche Quelle, die sog. Biblische Archäologie und den geografischen Hintergrund (Topografie und Klima, 19-22). Anschließend folgt Tubb einem chronologischen Abriss (Vorgeschichte: Jungsteinzeit und Kupfersteinzeit (8500-3300 v. Chr.); die Frühbronzezeit und die ersten Städte (3300-2400 v. Chr.); Rezession als Zwischenspiel: Die Frühbronzezeit IV (2400-2000 v. Chr.); die Mittelbronzezeit und die Hyksos (2000-1550 v. Chr.); Leben unter fremder Herrschaft: Die Spätbronzezeit (1550-1150 v. Chr.), die Seevölker und das „ägyptische Kanaan“, die frühe Eisenzeit und der Aufstieg Israels (1150-900 v. Chr.), die späte Eisenzeit (900-539 v. Chr.), die Perserzeit (539-332 v. Chr.) und das kanaanitische Erbe, nämlich Griechen, Römer und Phönizier. (S. 123-35) Eine Zeittafel, Anmerkungen, Literaturhinweise und Sachregister schließen den (mit etwas Mühe) allgemeinverständlichen Band ab. Der Schwerpunkt liegt auf einer Grabung in Jordanien, an der Tubb im Auftrag des Britischen Museums seit 1985 beteiligt ist (Beschreibung S. 36-44). Der Band ist mit vielen schwarz-weißen Photographien und Illustrationen sowie 18 Farbtafeln versehen. Die beiden Karten auf S. 6f sind wenig detailliert und bilden leider nicht die Topographie ab. Tubb gibt einen guten Überblick über den Stand der archäologischen Erforschung der Völker Kanaans.

Enttäuschend ist dagegen seine Einschätzung und Behandlung des Alten Testaments als historischer Quelle. Er bleibt ganz den Ansätzen, Ergebnissen und der Rekonstruktion der Geschichte Israels nach der historischen Kritik verpflichtet. Für Tubb waren die Israeliten selbst Kanaanäer: „Das ‚historische’ im Unterschied zum ‚literarischen’ Israel [der biblischen Texte] war in Wirklichkeit eine Untergruppe, ein eigener Stammesverband innerhalb der kanaanitischen Kultur“ (15). Die Bibel darf nicht als historische Primärquelle herangezogen werden, denn: „Nicht ein einziges Buch des AT kann als zeitgenössisches Dokument gelten, alle seine Schriften beruhen auf Texten, die in den meisten Fällen erst mehrere hundert Jahre nach den Ereignissen verfasst worden sind“ (16, vgl. auch 18f). Für die Geschichten der Bibel fordert Tubb: „Man muss sie nur neu bewerten als Teil des literarischen Erbes der Nation, der nur bedingt etwas mit der historischen Realität zu tun hat“ (18). Gegen die Bibel führt Tubb an: „Bei der Durchsicht der archäologischen Befunde fällt besonders die kulturelle Kontinuität der kanaanitischen Zivilisation zumindest seit dem 4. Jahrtausend bis in der Zeit der Abfassung oder Kompilation der biblischen Texte auf“ (19). Daher kann von einem aus Ägypten ins Land ziehenden Volk Israel keine Rede sein. Dass die Bibel selbst von dieser (für Israel in vielfacher Hinsicht) verhängnisvollen Kontinuität mit den Göttern und Sitten der Völker des Landes spricht, entgeht dem Autor.

Dieses Buch stellt die Kanaaniter der modernen archäologischen Forschung dar, die freilich ihre Funde ebenfalls interpretiert (teils vom historisch-kritischen Verständnis des AT her) und teils bewusst auf die biblischen Texte und auch auf andere vorderorientalische Quellen verzichtet. Nicht umsonst gibt es für beide Texte kein Register! Eine derartige Selbstbeschränkung ist fragwürdig gerade angesichts der sowohl spärlichen und in sich oft mehrdeutigen materiellen Überlieferung. Daher ist der Nutzen für den Bibelleser beschränkt. Spannend wäre ein Buch, das die Kanaaniter in der biblischen Überlieferung darstellt ohne dabei archäologische Funde zu vernachlässigen.

 Die Rezension/Kritik stammt von: Christoph Stenschke
 Kategorie: Geschichte, Kirchengeschichte

  Verlag: Konrad Theiss
  Jahr: 2005
  ISBN: 3-8062-1863-3
  Seiten: 144
 €    Preis: 14,95 Euro