Fruchtlose Vermittlung der Berenice. Neuerliche Misshandlung des Volkes durch die Soldaten. Florus sucht in den Tempel zu dringen, wird aber vom Volke zurückgeschlagen. Die Juden brechen die Hallen an der Antonia ab. Florus kehrt nach Cäsarea zurück.


Leider weilte gerade um diese Zeit der König Agrippa in Alexandrien, wohin er zu dem Zwecke gereist war, um dem von Nero mit der Verwaltung Ägyptens betrauten und dorthin bereits abgesandten Alexander seine Glückwünsche darzubringen.

Wohl aber befand sich eben seine Schwester Berenice in Jerusalem, die nun, von ungeheurem Schmerz zerrissen, Zeuge der Greueltaten der Soldaten sein musste. Wiederholt hatte sie schon die Offiziere ihrer berittenen Garde und ihre sonstigen Leibwachen zu Florus geschickt mit der Bitte, doch einmal dem Gemetzel Einhalt zu gebieten.

Aber der hatte kein Auge weder für die große Zahl der bereits hingeschlachteten Menschen, noch für den Adel der hohen Bittstellerin, sondern einzig und allein für den aus den Plünderungen zu erhoffenden Gewinn und blieb taub gegen alle Bitten.

Ja, die entfesselte Soldateska ließ ihre Wut sogar an der Königin aus, indem sie nicht allein gerade vor ihren Augen die eingefangenen Opfer misshandelte und niederstieß, sondern bald auch sie selber getödtet haben würde, wenn sie sich nicht noch bei Zeiten in den Königshof geflüchtet hätte. Hier blieb sie die ganze Nacht unter dem Schutze einer Wache, weil sie immer einen Angriff der Soldaten befürchten musste.

Ihr damaliger Aufenthalt in Jerusalem hieng mit einem Gelübde zusammen, das sie Gott dem Herrn lösen wollte. Es besteht nämlich bei uns die Sitte, dass jene, die von einer schweren Krankheit oder einem anderen Unglück niedergebeugt sind, das feierliche Versprechen ablegen, die dreißig Tage hindurch, welche der Entrichtung der eigentlichen Gelübdeopfer vorausgehen, sich des Weines zu enthalten und sich dann das Haupthaar scheren zu lassen.

Bei dieser Gelegenheit also, wo Berenice ihr Gelübde einzulösen im Begriffe stand, war es, dass sie persönlich und zwar bloßfüßig den Florus vor seinem Richterstuhle für die Juden anflehte und, statt eine zarte Rücksicht zu finden, sogar für ihr Leben Gefahr lief.


Diese Vorgänge hatten sich am sechzehnten des Monates Artemisius abgespielt. Am folgenden Tage strömte die Volksmenge, von übergroßem Schmerz erfüllt, nach dem oberen Markt, um in einem erschütternden Klagegeschrei ihrem Jammer um die Hingemordeten Luft zu machen: es überwogen aber bald die Stimmen, die um Rache gegen Florus schrien.

Bei dieser Wahrnehmung zerrissen die jüdischen Häupter und die Hohenpriester, von neuer Angst ergriffen, ihre Kleider und baten fußfällig alle und jeden insbesondere, sich doch jetzt ruhig zu verhalten und nach einem solchen Blutbad den Florus nicht zu einem zweiten Schritt von unberechenbaren Folgen zu reizen.

Bald hatte sich das Volk gefügt, teils aus ehrerbietiger Scheu vor der Persönlichkeit der Bittenden, teils auch, weil es hoffte, dass sich Florus in Zukunft keine solchen Zügellosigkeiten mehr gegen die Juden erlauben werde.


Wem es aber leid tat, dass die Glut der Erregung wieder gestillt wurde, das war Florus, der nun, um sie neuerdings zum Auflodern zu bringen, die Hohenpriester und Angesehensten holen ließ und ihnen erklärte, sie könnten ihm den Beweis dafür, dass das Volk keinen weiteren Versuch zum Aufstande mehr machen werde, nur dann liefern, wenn die Juden den von Cäsarea heraufmarschierenden Soldaten zur Stadt hinaus entgegenziehen würden. Es kamen nämlich noch zwei Cohorten nach.

Während aber die Häupter noch daran waren, die Volksversammlung einzuberufen, sandte Florus an die Hauptleute der Cohorten eine Botschaft voraus mit dem Bedeuten, den unterstehenden Mannschaften den strengen Auftrag zu geben, dass sie die Begrüßung der Juden nicht erwidern und, wenn diese dann sich gegen den Landpfleger irgendwie verlauten ließen, gleich zu den Waffen greifen sollten.

Mittlerweile hatten die Hohenpriester die Volksmenge im Tempel versammelt, und redeten nun auf sie ein, dass sie den Römern entgegengehen und lieber noch die Cohorten bewillkommnen, als ein ganz heilloses Unglück herbeiführen möchte. Diesen Vorstellungen widersetzte sich jedoch das aufrührerische Element, und selbst das eigentliche Volk neigte unter dem Eindruck des Blutbades bereits zur Partei der Verwegeneren hin.


In diesem Augenblicke geschah es nun, dass alle Priester und alle Diener Gottes insgesammt in feierlicher Procession die heiligen Gefäße hervorholten und in ihrem vollen Ornat, in welchem sie den Gottesdienst zu feiern pflegten, die Harfenspieler aber und Hymnensänger mit ihren Musikinstrumenten vor dem Volke niederfielen und es auf den Knien beschworen, ihnen doch den heiligen Schmuck zu retten und die Römer nicht auch noch zum Raube des göttlichen Zierrates herauszufordern.

Selbst das Haupt der Hohenpriester sah man mit Asche bedeckt, und durch die im Schmerz zerrissenen Gewande blickten die nackten Brüste. Man flehte die Vornehmen einzeln, Name für Name, die große Menge aber insgesammt an, sie möchten doch nicht durch Außerachtlassung einer so kleinen Aufmerksamkeit die Vaterstadt jenen in den Rachen werfen, die sie ohnehin gern von Grund aus zerstört sähen.

Die Begrüßung von Seite der Juden räume ja doch dem römischen Militär keinen Vorteil ein, noch könne man dadurch, dass man ihnen nicht entgegengehe, das einmal geschehene Unglück wieder wettmachen.

Gäben sie aber jetzt den Nahenden, wie üblich, einen guten Willkomm, so würde damit dem Florus jeder Vorwand zum Kampfe abgeschnitten, und ihr Gewinn wäre sowohl die augenblickliche Rettung der Vaterstadt, wie auch das Bewusstsein, nichts weiter mehr fürchten zu müssen. Im Übrigen wäre es ein Zeichen arger Schwäche, wollte sich ein so großes Volk von ein paar Stänkerern am Gängelbande führen lassen, statt umgekehrt diese Leute zum Anschluss an die eigene besonnene Haltung zu zwingen.


Während sie durch diese Worte das Volk begütigten, hielten sie zu gleicher Zeit die eigentlichen Aufrührer zum Teil durch Drohungen, zum Teil durch ihre priesterliche Autorität nieder. Hierauf zogen sie an der Spitze des Volkes in aller Ruhe und Ordnung den Soldaten entgegen und bewillkommneten sie, wie sie nahe genug waren. Da aber von Seite der Soldaten keinerlei Antwort erfolgte, so fingen die Unzufriedenen aus dem Volke über Florus zu schreien an.

Gerade dies war aber das von Florus gegen die Juden vereinbarte Signal. Denn auf der Stelle umringten die Soldaten die Juden und ließen ihre Knüttel auf sie niedersausen, während die Reiter hinter den Fliehenden her waren und sie einfach zusammenritten. So viele aber auch unter den Streichen der Römer niedersanken, so wurden doch noch mehr von den eigenen Leuten im Gedränge getödtet.

Geradezu entsetzlich war das Ringen an den Toren, wo ein jeder zuerst hineinzukommen suchte: dadurch staute sich aber die ganze Masse der Fliehenden, und wer da zu Boden fiel, der endete grässlich! Denn erdrückt und zerstampft von der darüber hinwegstürmenden Menge, wurden diese Unglücklichen bis zur Unkenntlichkeit entstellt, und nicht einmal eine derartige Leiche übrig gelassen, die von der eigenen Familie behufs des Begräbnisses hätte agnosziert werden können.

Zugleich mit dem Volke drangen aber auch die Soldaten in die Stadt, ganz unbändig auf alles losschlagend, was in ihren Bereich kam: sie wollten die Menge durch die sogenannte Bezethavorstadt immer weiter hinauftreiben, um sich bis zum Tempel freie Bahn zu machen und sich dann des letzteren, wie auch der Antonia zu bemächtigen. Auch Florus hatte es auf diese zwei Punkte abgesehen und ließ gleichzeitig die bei ihm befindlichen Truppen aus dem Königshofe ausrücken, um sich den Zugang zur Burg zu erzwingen.

Indes missglückte sein Plan vollständig. Denn das Volk kehrte sich jetzt um, machte gegen seine Verfolger Front und schlug ihren Ansturm zurück, während andere sich auf die Dächer verteilten und von da aus die Römer beschossen. Auf solche Weise hart mitgenommen durch die Geschosse von oben und zu schwach, um sich durch die Menge, welche die Gassen vollgepfropft hatte, einen Weg zu bahnen, mussten sich die Römer in das beim Königspalast gelegene Lager zurückziehen.


Da die Aufrührer fürchteten, es könnte Florus den Sturm wiederholen lassen und sich doch endlich des Heiligtums auf dem Wege über die Antonia bemächtigen, so stiegen sie alsbald auf die mit der Antonia in Verbindung stehenden Tempelhallen und brachen sie ab.

Das dämpfte die Habgier des Florus, der es gerade auf den Gottesschatz abgesehen hatte und aus diesem Grunde gar so gern in die Burg Antonia gelangt wäre. Mit dem Abbruch der Hallen musste er seinen Herzenswunsch fahren lassen. Er ließ nun die Hohenpriester und den Rat vor sich kommen und erklärte ihnen, dass er jetzt die Stadt verlasse und nur eine nach ihrem Dafürhalten ausreichende Besatzung ihnen zurücklassen wolle.

Die Rathsherren glaubten sich vollständig für die Sicherheit und die Nimmerwiederkehr der aufständischen Bewegung verbürgen zu können, wenn er ihnen eine einzige Cohorte zurücklassen wollte, aber nur nicht jene, welche früher gegen das Volk das Schwert gezogen, da das Volk gegen diese Cohorte wegen der erlittenen Gewalttätigkeiten höchst erbost sei. Florus wechselte die Cohorte, wie sie es wünschten, und kehrte mit der übrigen Macht wieder nach Cäsarea zurück.