Cestius schickt den Tribun Neapolitanus zur Untersuchung nach Judäa. Ansprache des Agrippa an das jüdische Volk.


Um der kriegerischen Bewegung einen neuen Stoß zu geben, richtete nun Florus an Cestius ein Schreiben, in welchem er die Juden als Rebellen verleumdete und ihnen sowohl die Eröffnung der Feindseligkeiten zuschob, als auch die von den Römern gegen die Juden verübten Greueltaten ins gerade Gegenteil verkehrte. Aber auch die Häupter in Jerusalem blieben nicht stumm und schickten ebenfalls einen schriftlichen Bericht an Cestius, der sich über die von Florus an der Hauptstadt begangenen Untaten verbreitete, und den auch Berenice durch ein Schreiben unterstützte.

Nach Durchlesung der von beiden Seiten eingelaufenen Berichte hielt Cestius mit seinen Generälen eine Beratung, in deren Verlaufe sich eine Anzahl derselben dahin aussprach, dass Cestius mit einer Armee nach Jerusalem hinaufziehen solle, um, wenn es wirklich einen Aufruhr gegeben hätte, die Juden dafür zur Verantwortung zu ziehen, oder, wenn sie ohnehin in der alten Treue verharrten, sie wenigstens darin noch, zu bestärken. Was Cestius anging, so schien es ihm geraten, zunächst einen seiner Freunde nach Judäa zu schicken, der ihn nach einem genauen Einblick in die Verhältnisse über die Gesinnung der Juden in zuverlässiger Weise unterrichten könnte.

So schickte er denn einen seiner Obersten, namens Neapolitanus, dahin ab. In der Nähe von Jamnia traf dieser mit dem von Alexandrien zurückkehrenden König Agrippa zusammen und teilte ihm Ausgangsort und Veranlassung seiner Sendung mit.


Hier stellten sich auch die jüdischen Hohenpriester und Vornehmen mit dem ganzen hohen Rate ein, um den König zu bewillkommnen. Nach den ersten Höflichkeitsbezeigungen begannen sie aber bitter über ihre Leiden zu klagen und verbreiteten sich ausführlich über die Grausamkeit des Florus.

Obschon Agrippa selbst darüber innerlich empört war, so spielte er doch seinen Zorn aus kluger Berechnung auf jene hinüber, die er im Grunde bemitleidete, nämlich auf die Juden, weil es ihm darum zu tun war, ihre nationale Eingenommenheit herabzustimmen, und sie dadurch, dass er ihnen den Ruhm der verfolgten Unschuld nahm, von Rachegelüsten zurückzuhalten.

Da die Versammlung eine sehr gewählte war, und ihre Teilnehmer schon im Interesse ihres Besitzes den Frieden sehnlichst wünschen mussten, so würdigten sie verständnisinnig die wohlmeinenden Hiebe des Königs. Was das Volk anlangte, so zog es auf eine Entfernung von sechzig Stadien vor Jerusalem hinaus, dem Agrippa und Neapolitanus zur Begrüßung entgegen.

Vor dem Volke liefen die Frauen der Hingeschlachteten unter lautem Schluchzen einher, und auch das Volk selbst begann, gerührt von ihrem Jammer, sich in Klagen zu ergießen und Agrippa um seine Unterstützung anzuflehen; dem Neapolitanus aber schrie man vor, was man alles von Florus habe erdulden müssen, und wies ihn und Agrippa beim Betreten der Stadt mit Fingern auf den verwüsteten Markt und die in Schutt gesunkenen Häuser.

Hierauf drangen die Juden durch Vermittlung des Agrippa in den römischen Tribun, dass er, nur von einem einzigen Diener begleitet, die ganze Stadt bis zur Siloamschlucht abgehen möchte, damit er selbst sehen könne, wie folgsam die Juden gegen alle anderen Römer, und wie sie nur auf Florus wegen seiner maßlosen Grausamkeit gegen sie erbittert wären. Als sich nun Neapolitanus bei seinem Gange durch die Stadt aus eigener Erfahrung von der Gutmütigkeit ihrer Bewohner hinlänglich überzeugt hatte, stieg er zum Tempel hinauf und rief dort das Volk zusammen.

In seiner Ansprache spendete er den Juden wegen ihrer Treue gegen die Römer hohes Lob und eiferte sie nachdrücklichst dazu an, dass sie auch in Zukunft den Frieden bewahren möchten. Er verrichtete dann in Gottes Heiligtum, soweit er es als Heide betreten durfte, seine Andacht und kehrte wieder zu Cestius zurück.


Jetzt wandte sich neuerdings das ganze Volk an den König und die Hohenpriester und forderte von ihnen, dass sie gegen Florus mit einer Gesandtschaft an Nero auftreten sollten, um ja nicht den Verdacht einer Rebellion auf der Nation sitzen zu lassen, was geschehen würde, wenn man über ein so grässliches Gemetzel einfach mit Stillschweigen hinweggehen wollte. Denn ganz gewiss werde es in diesem Falle heißen, dass die Juden den Kampf begonnen haben, wenn sie nicht schnell genug den eigentlichen Störefried dem Kaiser anzeigen würden.

Es musste jedem klar sein, dass die Juden, im Falle man die Gesandtschaft rundweg abschlug, die Sache erst recht nicht ruhen lassen würden. Da nun Agrippa auf der einen Seite keine bestimmten Ankläger gegen Florus namhaft machen wollte, weil ihm dieser Vorgang allzu gehässig erschien, auf der anderen Seite aber sehen musste, wie es unmöglich in seinem Interesse liegen könne, der unter den Juden immer mächtiger auflodern den Flamme des Aufruhres ruhig zuzusehen, so berief er das Volk zu einer Versammlung auf den Xystus und hielt dort beim Hasmonäerpalast, wo er sich mit seiner Schwester Berenice an einem weithin sichtbaren Punkt postiert hatte, da dieser Palast gerade oberhalb des durch eine Brücke mit dem Tempel verbundenen Xystus lag, an der Stelle, wo sich die Oberstadt mit seinem Gegenüber berührte, folgende Ansprache:


„Wenn ich die Wahrnehmung machen müsste, dass ihr alle miteinander zum Kriege mit den Römern fest entschlossen wäret, und nicht vielmehr gerade der unbescholtenste und solideste Teil des Volkes Frieden halten möchte, so wäre ich weder zu euch hergekommen, noch hätte ich es gewagt, euch einen guten Rat zu erteilen, da jedes Wort der Aneiferung zur Erfüllung des Pflichtgemäßen dort verschwendet ist, wo alle Zuhörer zum Schlechten zusammenhalten.

Nachdem aber einige nur von ihrem jugendlichen Ungestüm, der von den Leiden eines Krieges noch nie etwas erfahren hat, andere von einer ganz aussichtslosen Hoffnung auf politische Freiheit, etliche selbst auch von einer schmutzigen Leidenschaft und durch die von der unterliegenden Partei, wenn einmal alles durcheinandergeht, zu erhoffende Beute zum Kriege aufgestachelt werden, so habe ich es für meine Pflicht gehalten, euch insgesammt zu dieser Versammlung einzuberufen und euch meine Meinung darüber zu sagen, was euch vorteilhaft sein könnte, damit einesteils die genannten Elemente unter euch durch meine Belehrung zur besseren Einsicht zurückgebracht werden könnten, anderenteils aber auch die guten Bürger nicht die Früchte der Torheit einiger weniger mit ihnen zu kosten bekämen.

Mache mir aber Niemand einen Lärm, wenn es ihm etwa nicht gerade angenehm in den Ohren klingen sollte! Denn diejenigen, welche schon ganz heillos dem Revolutionsfieber verfallen sind, haben auch nach meinen guten Ratschlägen noch die Freiheit, auf ihrer Meinung zu beharren: bei mir hingegen wäre in dem Falle, dass ihr nicht alle insgesammt Ruhe beobachtet, das Wort auch für jene in den Wind gesprochen, die es doch gerne hören möchten.

Ich weiß nun zunächst, dass gar viele die von den Landvögten erfahrene übermütige Behandlung, wie auch das Lob der Freiheit mit schauspielerischem Pathos übertreiben. Dem gegenüber will ich nun, bevor ich noch des Näheren untersuche, mit welchen Kräften und gegen was für eine Macht ihr den Krieg unternehmet, vor allem das Gespinst der dafür angegebenen Vorwände zu zerzausen versuchen.

Wenn ihr euch wirklich bloß gegen die Ungerechtigkeiten einzelner Persönlichkeiten verteidigen wollt, was stellt ihr dann immer die Freiheit selbst als ein so heiliges Gut hin? Haltet ihr aber umgekehrt die politische Knechtschaft an sich schon für etwas unerträgliches, so ist ja der gegen die Statthalter erhobene Tadel eine Spiegelfechterei, da die Knechtschaft gleich schändlich bleibt, mögen jene auch noch so gerecht und billig verfahren!

Beachtet aber auch im Einzelnen, auf wie schwachen Füßen eure Berechtigung zum Kriege beruht, und zwar in erster Linie eure Beschwerden gegen die Landpfleger! Es ist doch Grundsatz, dass man die Obrigkeiten ehre, nicht aber sie reize:

wenn ihr aber über so kleine Missgriffe von ihrer Seite schon ein so großes Gezeter macht, so rückt ihr nur zu eurem eigenen Schaden die also Geschmähten ans Licht und erreichet nur das eine, dass die Betreffenden, die euch bisher nur in versteckter Weise und mit einer gewissen Zurückhaltung zu schaden gesucht haben, dafür euch nunmehr mit offener Gewalt zerfleischen. Nichts lähmt den Arm des Peinigers so wirksam, als das Dulden, und das Stillschweigen von Seite derer, die Unrecht leiden, ist das beste Mittel, den Übeltäter zu erschüttern.

Aber nehmen wir einmal an, dass die Organe der Römer wirklich so heillose Bedrücker wären, so ist ja damit noch nicht gesagt, dass darum schon alle Römer miteinander und auch der Kaiser euch Unrecht tun: und doch gilt der von euch gewollte Krieg auch diesen Personen! Nein, ein Schurke wird mit ihrem Wissen und Willen nicht ins Land geschickt, und sicher reichen auch die Blicke der Abendländer nicht zu uns ins Morgenland herüber, von wo selbst mündliche Gerüchte in der Regel nur langsam ihren Weg nach Rom finden.

Es wäre nun aber gewiss übel angebracht, wegen eines Einzigen mit Vielen und aus so nichtigen Ursachen mit so gewaltigen Gegnern anzubinden, die zudem nicht einmal um unsere Beschwerden wissen!

Dazu kommt, dass eben diesen Klagen von unserer Seite wohl baldigst abgeholfen werden dürfte, weil ja ein und derselbe Landpfleger doch nicht immer dableibt, und seine künftigen Nachfolger, wie billig zu erwarten steht, auch wieder gemäßigter auftreten werden. Ist aber einmal der Stein im Rollen, so ist es ebenso schwer, den begonnenen Kampf ohne harte Opfer einzustellen, als ihn weiterzuführen.

Ja, ich sage noch mehr: für das Streben nach Freiheit ist jetzt die Zeit schon abgelaufen, während es früher allerdings ganz in der Ordnung war, alle Kräfte einzusetzen, um ihren Verlust zu verhüten. Denn mit der Knechtschaft erst Bekanntschaft machen zu müssen, ist etwas sehr bitteres, und ist deshalb der Kampf gegen ihre erste Einführung sicher ein berechtigter.

Wer aber später erst, nachdem er schon einmal gebändigt worden ist, sich gegen das Joch auflehnt, der ist und bleibt doch nur ein protziger Sklave und wird damit noch keineswegs ein freiheitsliebender Charakter! So hätte man also auch gleich anfangs, zu jener Zeit, da Pompejus seinen Fuß ins Land setzte, alles aufbieten sollen, um den Römern den Weg zu versperren.

Aber leider waren unsere Väter und deren Könige, obschon in Bezug auf Geldmittel, Körperkraft und Entschlossenheit in einer weit günstigeren Verfassung, als ihr, nicht imstande, auch nur einem geringen Teil der römischen Heeresmacht Halt zu gebieten. Und ihr, die ihr das Joch schon von euren Ahnen geerbt habt und an Hilfsquellen so tief unter den ersten Unterjochten stehet, ihr wollt dem gesammten römischen Reiche die Spitze bieten?

Selbst die Athener, welche einst für die Freiheit von Hellas sogar ihre eigene Hauptstadt den Flammen preisgegeben und den stolzen Xerxes, der das Land nur auf Segelschiffen, das Meer aber auf gebahnten Straßen befahren wollte, dem die Meere zu eng wurden, und der eine Heeresmacht zu Lande befehligte, breiter als ganz Europa, zuletzt als Flüchtling auf seinem letzten Schiffe vor sich hergejagt haben, nachdem sie Asiens Riesenmacht beim kleinen Salamis zertrümmert, selbst diese Athener, sage ich, dienen jetzt den Römern, und die Stadt, die einst die Hegemonie von Hellas besaß, empfängt nun für ihre eigene Verwaltung die Befehle aus Italien!

Auch die Lacedämonier haben nach Heldentaten, wie bei den Thermopylen und bei Platää, und nach einem Führer, wie Agesilaus, der ins Herz Asiens eingedrungen, gleichfalls die Römer als Gebieter jetzt liebgewonnen.

Ebenso haben sich die Macedonier, die jetzt noch von ihrem Philippus schwärmen und ihn nebst Alexander noch immer vor sich zu sehen glauben, wie er über Macedonien hinaus sein Weltreich pflanzt, mit dem ungeheuren Umschwung versöhnt und beugen sich in Ehrfurcht vor jenen, auf die ihr eigenes Glück hinübergerollt ist.

Noch tausend andere Völker, deren Brust von einem stärkeren Freiheitsmut geschwellt ist, haben sich gefügt: nur ihr allein haltet es unter eurer Würde, jenen zu dienen, denen alles untertan ist!

Auf welches Heer, auf was für Waffen baut ihr denn eigentlich? Wo ist denn eure Armada, welche die römischen Meere beherrschen soll? Wo denn euer Kriegsschatz, der für die Kosten eurer Unternehmungen aufkommen könnte?

Glaubt ihr etwa, es handle sich bei dieser Bewegung um einen Strauß, wie mit den Ägyptern und Arabern? Könnt ihr euch denn gar kein Bild von dem Umfange der römischen Herrschaft machen, um an diesem Maßstab eure eigene Schwäche abzunehmen? Sind denn nicht eure Kräfte gar oft schon selbst den Nachbarvölkern erlegen, während die Macht Roms auf dem ganzen bekannten Erdenrunde unerschütterlich dasteht?

Nicht bloß das, sondern ihr Streben geht sogar noch darüber hinaus! Denn weder die Euphratgrenze im Osten noch der Ister im Norden noch Libyen im Süden, das sie schon bis zu den unwirtlichsten Gegenden durchstöbert haben, noch Gadira im Westen hat ihren Eroberungsdrang befriedigt, sondern sie haben sich jenseits des Oceans noch eine neue Welt gesucht und ihre Waffen zu den früher ganz unbekannten Britannen hinübergetragen.

Wie also? Seid ihr wohlhabender als die Gallier, kräftiger als die Germanen, findiger als die Hellenen, volkreicher als alle Nationen der Erde zusammengenommen? Was ermutigt euch denn in aller Welt zur Erhebung gegen die Römer?

»Ja, das Sklavenjoch ist so schwer,« wird mir jemand sagen. Um wie viel schwerer noch, antworte ich, für die Hellenen, welche den Ruf genießen, das hochgesinnteste von allen Völkern unter der Sonne zu sein, und die zudem ein so ausgedehntes Land bewohnen! Trotzdem müssen sie sich vor sechs römischen Rutenbündeln ducken! Genau so die Macedonier, welche noch triftigere Gründe hätten, als ihr, die Selbständigkeit anzustreben.

Und was ist es mit den 500 Städten von Asia? Beugen sie sich nicht alle ehrfurchtsvoll vor einem einzigen Herrscher und vor den Rutenbündeln des Proconsuls, auch ohne die Anwesenheit einer Besatzung? Was soll ich noch erwähnen die Heniochen und Kolcher und den Stamm der Taurier, die Bosporaner und die um den Pontus und die mäotische See herum wohnenden Völkerschaften,

die früher nicht einmal einen einheimischen Herrscher kannten, jetzt aber einer Garnison von bloß 3.000 Schwerbewaffneten sich fügen, indes vierzig Kriegsschiffe die Sicherheit auf dem zuvor ganz unfahrbaren und stürmischen Meere aufrecht halten?

Wie viele Ansprüche auf ihre Unabhängigkeit hätten Bithynien, Kappadozien und das Volk der Pamphylier, die Lyzier und Cilizier zu erheben, die sich aber dennoch alle ohne Militärgewalt von den Römern besteuern lassen! Und was machen die Thrazier, die ein Land von fünf Tagmärschen Breite und sieben in der Länge mit ihren Stämmen bedecken, ein Land, sage ich, das rauher und viel schwerer zugänglich ist, als das eure, und das schon durch seine tiefen Fröste vor einer feindlichen Invasion abschrecken muss? Werden sie nicht durch eine Besatzung von nur 2.000 Römern im Gehorsam erhalten?

Die Illyrier dann, welche das Land zwischen Thrazien und Dalmatien, beziehungsweise bis zur Istergrenze, bewohnen, lassen sie sich nicht durch ganze zwei Legionen beherrschen, denen sie überdies noch bei der Abwehr der dacischen Streifzüge ihre Unterstützung leihen?

Wie oft hat doch der dalmatinische Löwe seine Mähne zum Freiheitskampf gesträubt und ward er nicht stets nur dazu niedergeworfen, um sich frische Kräfte zu sammeln und dann aufs neue sich zu erheben? Und jetzt? Jetzt hält er sich ganz ruhig, obschon nur eine einzige römische Legion das Land bewacht!

Ja, wenn überhaupt Jemand mächtige Beweggründe hätte, die ihn mit aller Gewalt zum Abfall treiben müssten, so trifft das am meisten bei den Galliern zu, die von der Natur selbst wie mit einem gewaltigen Mauergürtel umgeben sind: im Osten von den Alpen, im Norden vom Rheinstrom, im Süden von der Gebirgskette der Pyrenäen und im Westen vom Ocean.

Aber trotz dieser mächtigen Schutzwehren, die ihnen vorgelagert sind, trotz ihres Volkreichtums, der 305 Stämme umfasst, und trotzdem dass sie, um mich so auszudrücken, die Quellen ihres Wohlstandes im eigenen Lande haben, ja, mit ihren herrlichen Producten fast den gesammten Erdkreis überschwemmen, sind sie doch die geduldige Melkkuh Roms und lassen über den eigenen Nationalreichtum die Römer wirtschaften.

Das lassen sie sich aber nicht etwa aus Liebe zur Bequemlichkeit oder aus feiger Gesinnung gefallen – haben sie ja doch die Last des Freiheitskampfes achtzig Jahre hindurch getragen! – sondern aus dem Grunde, weil sie nicht bloß vor den Waffen, sondern auch vor dem Glücke Roms einen heillosen Respekt bekommen haben, ein Glück, sage ich, das den Römern noch mehr Schlachten gewinnt, als selbst ihr Schwert! So dienen sie also den Römern unter der Aufsicht von nur 1200 Soldaten, denen fast eine größere Zahl von Städten gegenübersteht!

Auch den Iberern haben weder die natürlichen Goldkammern ihrer Erde noch die riesigen Entfernungen von Rom sowohl auf dem Landweg, wie auf dem Seeweg, noch die äußerst kriegslustigen Stämme der Lusitanier und Cantabrer, ja nicht einmal der Ocean, der das Land bespült und dabei durch seine Flut und Rückflut selbst den Einheimischen immer unheimlich bleibt, im Freiheitskrieg einen dauernden Erfolg gesichert.

Im Gegenteil, der Römer hat selbst über die Säulen des Hercules hinüber sein Schwert ausgestreckt und hat sogar den Weg über die wolkenbehangenen Scheitel der Pyrenäen gefunden, um sich auch diese Völker noch zu unterwerfen, und bald war für die schier unbezwinglichen und so weitab wohnenden Iberer nur eine Besatzung in der Stärke einer einzigen Legion mehr notwendig.

Wer von euch wüsste dann nicht etwas, wenigstens vom Hörensagen, über die Völkermassen der Germanen? nicht zu reden von ihrer Körperkraft und Leibesgröße, von der ihr euch ja wohl schon oftmals durch Augenschein habt überzeugen können, da die Römer überall kriegsgefangene Sklaven von dieser Nationalität besitzen.

Aber obschon diese Völkerstämme ein unermessliches Gebiet bewohnen und in einem gewaltigen Körper einen noch gewaltigeren Freiheitssinn und eine Seele voll Todesverachtung besitzen, obschon sie in ihrem Grimme noch fürchterlicher sind, als die wildesten Tiere, hat sich dennoch ihr Ansturm am Rheine gebrochen, und wird das Volk von acht Legionen in der Weise niedergehalten, dass ein Teil desselben, jener nämlich, der in die Hände des Siegers geraten ist, Sklavendienste leisten, die Hauptmasse der Nation aber durch die Flucht ins Innere sich vor den Römern schützen muss.

Sehet euch aber auch die Mauer der Britannen etwas näher an, ihr, die ihr so sehr auf die Mauern Jerusalems pochet! Sind ja doch selbst diese meerumschlungenen Völker, deren Inselreich hinter unserem bewohnten Festland an Ausdehnung nicht zurücksteht, von den Römern nach Übersetzung des Oceans geknechtet worden, und nur vier Legionen hüten jetzt diese ungeheure Insel!

Wozu aber noch viele Worte machen, wenn selbst die Parther, die kriegerischeste Nation, die über soviele Völker ihr Szepter schwingt und an der Spitze einer so gewaltigen Wehrkraft steht, den Römern Geiseln stellen müssen, und man in Italien sehen kann, wie die Blüte des Morgenlandes unter der verschämten Phrase von „Sicherung des Friedens“ im Grunde genommen Sklaven abgeben muss.

Und während so fast Alles unter der Sonne der eisernen Gewalt der Römer huldigt, wollet ihr ganz allein es mit ihnen aufnehmen, statt euch wenigstens durch das Ende der Karthager witzigen zu lassen, die trotz ihres großen Hannibal und trotz ihres edlen phönizischen Geblütes, auf das sie so stolz waren, dem Arme des Scipio erlagen!

Ja, weder die Cyrenäer, obschon ein Zweig vom lakonischen Stamme, noch das Volk der Marmariden, das sich bis zur heißen Wüste ausdehnt, noch die schon durch ihre bloße Erwähnung Grauen erweckenden Syrten, noch die Rasamonen und Mauren und das unermessliche Gewimmel der Nomadenstämme konnten die römische Tapferkeit aufhalten.

Vielmehr haben die Römer jenen ganzen Strich, der ein volles Drittel des bewohnten Erdkreises ausmacht, dessen Völkerstämme auch nur aufzuzählen keine leichte Aufgabe wäre, der erst am atlantischen Ocean und bei den Säulen des Hercules sein Ende findet und andererseits bis zum roten Meer hin die zahllosen Horden der Äthiopier nährt, unter ihre Botmäßigkeit gebracht.

Abgesehen von den jährlichen Erträgnissen des Bodens, welche durch acht Monate die Einwohner der römischen Hauptstadt versorgen müssen, werden diese Völker überdies noch in jeder Weise besteuert und sie leisten auch gerne ihren Beitrag für die Bedürfnisse des Reiches, ohne, wie ihr, in solchen Aufträgen gleich eine unwürdige Behandlung zu erblicken, obgleich nur eine einzige Legion unter ihnen steht.

Indes, wozu soll ich euch durch weithergenommene Beispiele die Macht der Römer beleuchten, da ich es doch gleich am benachbarten Ägypten tun kann, welches trotz seiner Ausdehnung bis zu den Äthiopiern und zum glücklichen Arabien, ja bis in die Nähe von Indien hin, trotz seiner Bevölkerung von 7.500.000 Menschen, die man aus dem Betrage der Kopfsteuer nachweisen kann, und worin die Bewohner von Alexandrien noch nicht eingeschlossen sind, trotz all’dem, sage ich, die römische Herrschaft für nicht entwürdigend hält. Welch’ einen gewaltigen Herd des Aufstandes hätte es doch in der Stadt Alexandrien sowohl wegen der Zahl wie des Wohlstandes ihrer Einwohner und wegen ihrer Ausdehnung,

deren Länge bekanntlich dreißig, deren Breite nicht weniger als zehn Stadien beträgt! An Steuern zahlt das Land den Römern in einem einzigen Monat mehr, als eure Steuerleistung im ganzen Jahre ausmacht, und liefert außer dem Gelde auch noch das für vier Monate notwendige Getreidequantum nach Rom. Dabei ist das Land von allen Seiten entweder von fast undurchquerbaren Wüsteneien oder Meeren ohne Ankerplätze oder auch von Flüssen und Sümpfen, wie mit ebensovielen natürlichen Befestigungen umgeben.

Aber nichts von all’dem hat die Probe gegenüber dem Glücke Roms bestanden, da im Gegenteil jetzt nur zwei in der Hauptstadt liegende Legionen sowohl das Innere Ägyptens als auch das edle macedonische Blut der Alexandriner im Zaume halten.

Woher werdet ihr nun in den unbewohnten Gegenden der Erde Bundesgenossen für diesen Krieg herbekommen? Denn was die bewohnten betrifft, so steht dort alles unter Rom, es müsste denn Jemand seine Luftschlösser gar jenseits des Euphrat bauen und sich einbilden, dass die Landsleute von Adiabene uns zu Hilfe kommen werden.

Aber gewiss werden sich diese Juden nicht um solcher Lappalien willen in einen so verhängnisvollen Kampf hineinziehen lassen, noch würde es ihnen, wenn sie schon so übel beraten wären, der Parther erlauben, der da ängstlich darauf bedacht ist, mit den Römern Waffenruhe zu halten, und der einen Bruch der Verträge schon in dem Falle fürchten müsste, wenn er auch nur ein anderes, aber ihm unterstehendes, Volk gegen die Römer ziehen ließe.

Die letzte Zuflucht wäre demnach nur die Bundesgenossenschaft von Seite der Gottheit! Aber auch diese steht sicher auf Seite der Römer, da sich ganz unmöglich ein so ungeheures Reich ohne Gottes Fügung hätte bilden können!

Ihr müsst außerdem in Erwägung ziehen, wie schwer euch die Einhaltung eurer ungewöhnlich reichen Religionsvorschriften selbst in dem Falle ankommen würde, als ihr keine ernsteren Gegner vor euch hättet. So wäret ihr also gezwungen, gerade dasjenige, was euch am meisten Hoffnung auf die Mithilfe Gottes macht, zu übertreten und auf solche Art auch Gott selbst zurückzustoßen.

Wenn ihr, um nur dies hervorzuheben, die herkömmliche Sabbatsfeier beobachtet und euch zu keiner Arbeit rührt, so werdet ihr eine leichte Beute eurer Feinde werden, wie es euren Ahnen unter Pompejus ergangen ist, welcher gerade jene Tage zu allermeist für die Belagerung ausgenützt hat, an denen die Belagerten mit der Arbeit aussetzten.

Setzt ihr euch aber umgekehrt im Kriege über das väterliche Gesetz einfach hinweg, so wüsste ich wahrlich nicht mehr, wofür ihr dann überhaupt noch auf den Kampfplatz treten sollet, da euer Streben doch einzig und allein nur darauf gerichtet ist, von euren väterlichen Gesetzen ja kein einziges zu opfern!

Wie wollt ihr denn die Gottheit um Hilfe anrufen, wenn ihr aus freien Stücken die ihr schuldige Ehrfurcht verletzet? Man hebt doch in der Regel nur dann einen Krieg an, wenn man sich entweder auf göttliche oder auf menschliche Unterstützung verlassen kann: wo aber die Natur der Umstände die Hilfe von diesen beiden Seiten geradezu ausschließt, dort laufen die Kämpfer ihren Feinden offen in die Hände.

Was hindert euch denn, jetzt gleich mit eigener Hand eure Kinder und Frauen zu erwürgen und diese eure prachtvolle Vaterstadt in Asche zu legen? Ihr würdet für euch durch eine solche Raserei wenigstens das eine gewinnen, dass ihr der Schande einer Niederlage entginget.

Keine Schande ist es aber, meine Freunde, sondern nur lobenswert, solange noch das Schiff im sicheren Port liegt, sich wegen des kommenden Sturmes vorzusehen, um nicht vom ruhigen Hafen mitten in den Orkan hinauszusteuern. Denn wer unversehens ins Unglück stürzt, mit dem hat man doch wenigstens noch Mitleid; wer aber mit offenen Augen ins Verderben rennt, der hat zum Schaden auch noch den Spott.

Es wird doch schließlich Niemand im Ernste glauben, mit seinem Feinde nach bestimmten Abmachungen kämpfen zu können, und dass die Römer nach ihrem Siege mit euch gnädig umgehen und nicht vielmehr zum abschreckenden Exempel für die anderen Völker die heilige Stadt niederbrennen und eure Nation mit Stumpf und Stiel ausrotten werden! Ich sage: mit Stumpf und Stiel, da nicht einmal die letzten Volksreste einen Zufluchtsort werden auffinden können, indem alles die Römer entweder schon zu Herren hat oder wenigstens zu bekommen fürchten muss.

Übrigens werden durch den Krieg nicht bloß die Juden hier im Stammlande, sondern auch jene gefährdet, die in fremden Städten sich niedergelassen haben. Gibt es ja doch auf der ganzen bewohnten Erde kein Volk, das nicht Glieder eurer Nation bei sich hätte.

Greift ihr nun zu den Waffen, so werden alle diese eure Landsleute von ihren Widersachern niedergemetzelt werden, und wegen ein paar Übelberatener werden alle Städte mit den Leichen gemordeter Juden angefüllt. Man könnte es den Heiden schließlich auch nicht so verargen, wenn sie sich dazu hinreißen ließen. Ist aber von ihrer Seite vorauszusetzen, dass solches nicht geschieht, so müsstet ihr erst recht bedenken, wie frevelhaft es wäre, gegen so humane Leute die Waffen zu erheben.

Lasset euch doch zum Mitleid, wenn schon nicht mit euren Kindern und Frauen, so doch mit dieser eurer Hauptstadt und ihren heiligen Mauern bewegen! Schonet doch eures Heiligtums und erhaltet euch das Tempelhaus mit seinen gottgeweihten Gefäßen. Die siegreichen Römer werden auch vor diesen umsoweniger mehr Halt machen, als gerade ihre frühere Schonung für den Tempel einen so schlechten Dank geerntet hat.

Ich rufe nun für meine Person alle diese eure Heiligtümer, ich rufe die heiligen Engel Gottes, ich rufe die gemeinsame Vaterstadt zu Zeugen an, dass ich keine Mahnung unversucht gelassen habe, um euch vom Verderben zu retten. Euch aber steht es frei, entweder rechten Rates zu pflegen und so mit mir das Glück des Friedens zu teilen, oder aber von eurer Leidenschaft euch hinreißen zu lassen und ohne mich den Sprung ins dunkle zu wagen!“


Am Ende seiner langen Rede traten dem König wie seiner Schwester die Tränen in die Augen, und ihr Weinen brach die Kraft des revolutionären Sturmes. Man schrie nur zu ihnen hinauf: „Wir wollen ja nicht mit den Römern, sondern bloß mit Florus wegen der erlittenen Unbilden Abrechnung halten!“ worauf der König entgegnete: „Aber das, was ihr treibt, ist ja doch schon die reinste Rebellion gegen Rom! Denn ihr habt dem Kaiser die Steuer nicht gezahlt und die Hallen an der Antonia abgerissen!

Ihr könnt die Anklage auf Empörung nur damit zurückweisen, dass ihr die Hallen wieder an die Burg anbauet und die Abgaben entrichtet. Gehört ja doch die Antonia bis zur Stunde noch nicht dem Florus, noch ist es Florus, dem eure Steuergelder zufließen.