Der unglückliche Zug des Cestius gegen Jerusalem.


Da Gallus jede aufrührerische Regung in Galiläa erstickt sah, kehrte er mit seiner Abteilung nach Cäsarea zurück. Jetzt brach Cestius selbst mit seiner gesammten Heeresmacht auf und drang bis Antipatris vor. Hier hörte er von einem nicht unbedeutenden jüdischen Rebellenhaufen, der sich in einem festen Schloss, namens Aphek, zusammengefunden haben sollte, und wollte ihn durch ein eigens vorausgesandtes Detachement zum Treffen zwingen.

Doch hatte die Furcht, welche vor den Römern herging, die Juden schon früher auseinandergejagt, bevor es noch zum Handgemenge kam, so dass die Römer bei ihrer Ankunft nur das verlassene Lager und die Dörfer in der Runde in Asche legen konnten.

Von Antipatris rückte Cestius gegen die Stadt Lydda vor, die er ebenfalls ohne Einwohner antraf, da alles Volk wegen des Laubhüttenfestes nach Jerusalem hinaufgepilgert war.

Nur fünfzig waren zu Hause geblieben, die im Augenblick, wo sie sich blicken ließen, in Stücke gehauen wurden. Die Stadt ward eingeäschert. Im weiteren Vormarsche erklomm Cestius die Höhen von Bethhoron, um dann bei einer Ortschaft, namens Gabao, fünfzig Stadien von Jerusalem entfernt, ein festes Lager zu beziehen.


Als nun jetzt die Juden das Kriegsgewitter sich immer mehr der Hauptstadt nähern sahen, da ließen sie das Fest beiseite, eilten zu den Waffen und stürmten in kühnem Vertrauen auf ihre Massen ohne Ordnung und unter wildem Geschrei zum Kampfe hinaus, ohne auch nur auf die Arbeitsruhe des siebenten Tages, die gerade einfiel, und die bei den Juden sonst sehr strenge gehalten wird, im geringsten Bedacht zu nehmen.

Aber gerade dieser Ingrimm, der sie sogar aus dem gewohnten Geleise ihrer Frömmigkeit hinauswarf, gab ihnen auch im Kampfe das Übergewicht, da sie mit einer solchen Wucht auf die Römer prallten, dass sie ihre Schlachtreihen durchbrachen und in ihrer Mitte Tod und Verderben verbreiteten.

Würde nicht in diesem Augenblick der erschütterten Heeressäule die Reiterei durch eine Umgehung des Feindes, wie auch der weniger bedrängte Teil des Fußvolkes zu Hilfe gekommen sein, so wäre Cestius mit seiner ganzen Armee in eine äußerst kritische Lage geraten. Von den Römern fielen dabei 515 Mann, darunter 400 vom Fußvolk und das übrige Reiter; die Juden verloren nur 22 Streiter.

Auf ihrer Seite glänzten durch ihre Tapferkeit die Verwandten des Monobazus, des Königs von Adiabene, nämlich Monobazus und Kenedäus, an die sich Niger von Peräa und der Babylonier Silas würdig anreihten. Letzterer war früher unter den Fahnen des Königs Agrippa gestanden, hatte sich aber dann auf die Seite der Juden geschlagen.

An der Front waren nun allerdings die Juden geworfen und zur Rückkehr nach der Hauptstadt gezwungen, aber im Rücken des Heeres stürzte sich dafür Simon, der Sohn des Gioras, plötzlich auf den römischen Nachtrab, wie er gerade die Höhe von Bethhoron hinaufmarschieren wollte, jagte ihn zum großen Teil auseinander und erbeutete eine große Zahl von Lasttieren, die er nach Jerusalem schaffte.

Da Cestius zudem noch drei Tage an Ort und Stelle verblieb, konnten die Juden auch noch die Höhen besetzen und sich der Engpässe versichern, so dass den Römern kein Zweifel mehr blieb, sie würden von ihnen beim ersten Schritt vorwärts neuerdings angefallen werden.


In diesem Augenblick entschloss sich Agrippa, der das Bedenkliche der Lage, und zwar diesmal auf Seite der Römer, gar wohl durchschaute, da alle Berge ringsum von zahllosen Feinden wimmelten, es mit den Juden auf gütlichem Wege zu versuchen, um sie entweder alle zur Niederlegung der Waffen zu bewegen oder der Rebellenpartei wenigstens jenen Teil des Volkes abspenstig zu machen, der mit ihr innerlich nicht übereinstimmte.

Er schickte demnach zwei Männer aus seiner Umgebung zu ihnen, die beim Volke noch im besten Andenken stehen mussten, Borkäus und Phöbus, und ließ den Juden im Namen des Cestius eine friedliche Vereinbarung und vollständigen Pardon für das Vergangene von Seite der Römer unter der Bedingung anbieten, dass sie die Waffen strecken und zu Agrippas Leuten übergehen wollten.

Wirklich bekamen die eigentlichen Rebellen Furcht, es könnte sich am Ende das ganze Volk in der Hoffnung auf Begnadigung auf die Seite des Agrippa schlagen, und stürzten sich darum auf seine Gesandten, um sie zu massakrieren.

Durchbohrt sank Phöbus nieder, ohne dass er auch nur den Mund hatte öffnen können, während Borkäus nur verwundet wurde und sich durch schnelle Flucht noch retten konnte. Als sich ein Teil der Bürgerschaft über dieses Benehmen empört zeigte, ward er von den Rebellen sammt und sonders mit Steinwürfen und Holzknüppeln zur Stadt hineingetrieben.


Sofort nahm Cestius in dem Tumulte, der unter den Juden selbst ausgebrochen, die günstige Gelegenheit zu einem Angriffe wahr und machte mit dem ganzen Heere einen Vorstoß, der mit der Zurückwerfung der Juden und ihrer Verfolgung bis unter die Mauern Jerusalems endete.

Er schlug dann auf dem sogenannten Skopus in einer Entfernung von sieben Stadien gegenüber der Hauptstadt sein Lager auf und enthielt sich drei Tage lang jeder Feindseligkeit gegen Jerusalem, weil er vielleicht darauf rechnen mochte, dass ihm die Stadt ohnehin von den Juden drinnen in die Hände gespielt werden würde. Nur in die umliegenden Dörfer ließ er zur Plünderung von Getreide eine Menge Soldaten ausschwärmen. Am vierten Tage jedoch, welcher gerade der dreißigste des Monates Hyperberetäus war, führte er sein Heer in Schlachtbereitschaft gegen die Stadt heran.

Auch jetzt hielten die Rebellen das eigentliche Volk noch in Schach, aber die militärische Entfaltung des Römerheeres jagte ihnen einen solchen Schrecken ein, dass sie aus den äußeren Stadtteilen zurückwichen und sich auf die Verteidigung der inneren Stadt und des Tempels beschränkten.

Cestius drang nach und setzte die sogenannte Bezethavorstadt, die Neustadt und auch den Balkenmarkt, wie er hieß, in Flammen. Vor der Oberstadt angekommen, ließ er gegenüber dem Königshof ein festes Lager schlagen.

Hätte er dafür zur selben Stunde noch stürmen lassen, um auch hinter diese Mauer zu kommen, so hätte er sich auf der Stelle der Stadt bemächtigen können, und der ganze Krieg wäre aus gewesen: aber so redeten ihn der Lagerpräfekt Tyrannius Priscus und die meisten Reiterobristen, die von Florus erkauft waren, von einem sofortigen Sturme ab.

Das war der eigentliche Grund, dass sich der Krieg so furchtbar in die Länge zog, und die Juden noch ein Meer von Unheil und Unglücksschlägen auskosten mussten.


Unterdessen hatten sich viele angesehene Bürger von Ananus, dem Sohne des Jonathas, bewegen lassen, dem Cestius zu erklären, dass sie ihm die Tore öffnen wollten.

Dieser aber achtete infolge seiner Aufregung nicht sonderlich darauf und wollte schon darum, weil er ihnen nicht recht traute, lange nicht an die Sache heran, bis die Rebellen endlich den Verrat witterten und die Anhänger des Ananus von der Mauer herabstießen und mit Steinwürfen bis zu ihren Häusern verfolgten. Gleichzeitig besetzten sie mit ihren Leuten die Türme und sandten von da ihre Geschosse auf die bereits an der Mauer arbeitenden Römer.

Obschon die letzteren auf allen Punkten ihre Angriffe versuchten, konnten sie sich doch durch fünf Tage an keiner einzigen Stelle ernstlich festsetzen. Erst am sechsten Tage, als Cestius mit zahlreichen Kerntruppen, unterstützt von den Bogenschützen, den Tempel von der Nordseite angriff, mussten die Juden, die sich von der Säulenhalle herab verteidigten, nach vielen abgeschlagenen Stürmen endlich doch, durch einen Hagel von Geschossen vertrieben, von der Mauer weichen.

Jetzt stemmten die vordersten Römer ihre Schilde gegen die Mauer, ihre Hintermänner wieder neue Schilde unter die ihrer Vordermänner, ebenso auch die folgenden Soldaten und formierten damit das bei den Römern unter dem Namen Schildkröte bekannte Schutzdach. Alle Geschosse, die darauf geschleudert wurden, glitten spurlos darüber hin, so dass die Soldaten jetzt, ohne im geringsten verletzt zu werden, an der Untergrabung der Mauer arbeiten und daran denken konnten, an das Tor zum Heiligtum Feuer zu legen.


Ein panischer Schrecken bemächtigte sich nunmehr der Rebellen. Viele gaben bereits Fersengeld und verließen die Stadt, weil sie schon in den nächsten Augenblicken den Fall derselben erwarteten. Dagegen schöpfte das Volk aus demselben Anlasse wieder neuen Mut, und in dem Maße, als sich das Gesindel verzog, suchten die Bürger an die Mauer heranzukommen, um die Tore zu öffnen und Cestius als Befreier zu begrüßen.

Würde dieser nur eine kleine Weile noch die Belagerung betrieben haben, so hätte er alsbald die Stadt in seine Hand bekommen müssen! Aber nach meiner Überzeugung hat Gott selbst, der sich wegen der Ruchlosen auch von seinem eigenen Heiligtum bereits zurückgezogen hatte, es nicht zugelassen, dass der Krieg mit diesem Tage schon beendet würde.


Cestius rief nämlich ganz plötzlich, ohne von der Verzweiflung der Belagerten noch von der wachsenden Zuversicht des Volkes Notiz zu nehmen, seine Soldaten ab und brach, tiefentmutigt, trotzdem seine Hoffnungspläne gar keinen äußeren Stoß erlitten hatten, ohne jeden vernünftigen Grund von Jerusalem auf.

Bei seinem ganz unerwarteten Abmarsch gewann das Raubgesindel seine alte Keckheit wieder, stürzte hinter den letzten Römern zur Stadt hinaus und hieb viele Reiter und Fußgänger nieder.

Die erste Nacht campierte Cestius in dem früheren Lager am Skopushügel, den er am folgenden Tage wieder verließ, um seinen Rückmarsch fortzusetzen, was die Feinde erst recht anlockte. Sie drängten teils von rückwärts nach und lichteten die letzten Reihen, sie stürmten aber auch zu beiden Seiten des Weges gegen die Römer heran und bestrichen mit ihren Wurfgeschossen deren Flanken.

Die Soldaten im Nachtrab wagten es gar nicht, gegen die Feinde, die ihnen im Rücken zusetzten, Front zu machen, weil sie sich von einer ungezählten Menge verfolgt glaubten, während die durch den Flankenangriff bedrohten Römer überhaupt nicht in der Lage waren, denselben zurückzuweisen, weil sie schwer bepackt waren und Reih’ und Glied zu stören fürchten mussten, wogegen die Juden ohne Gepäck und ganz ungehindert, wie die Bedrängten zu ihrem Leidwesen sahen, die Angriffsbewegungen ausführen konnten. So musste es kommen, dass die Römer die empfindlichsten Verluste erlitten, ohne den Feinden auch zu nur den geringsten Schaden tun zu können. Auf dem ganzen Wege sank bald da, bald dort einer, getroffen und aus seiner Reihe gerissen, zu Boden, bis man endlich nach vielen Verlusten, worunter besonders Priscus, der Lagerpräfekt der sechsten Legion, der Tribun Longinus und der Anführer eines Reitergeschwaders, Aemilius Jucundus, hervorzuheben wären, mit harter Mühe zum früheren Lager in Gabao gelangte, nachdem man auch noch den größten Teil der Bagage eingebüßt hatte.

Hier blieb Cestius zwei Tage, ohne zu wissen, was er beginnen sollte. Als er aber am dritten Tage noch weit mehr Feinde, ja, alles rund herum voll Juden sah, kam er zur Einsicht, dass er nur zu seinem eigenen Schaden gewartet habe, und falls er noch länger bliebe, nur desto mehr Feinde finden würde.


Um den Rückzug rascher zu bewerkstelligen, befahl Cestius, alles, was das Heer im Marsche behindern könnte, daran zu geben. Demzufolge schlug man alle Maultiere, Esel und alle sonstigen Lasttiere mit Ausnahme jener ab, die die Geschosse und Kriegsmaschinen transportierten: auf letztere musste man schon wegen ihres Wertes im Felde und ganz besonders darum sorglich Bedacht nehmen, weil zu fürchten stand, dass sie, einmal von den Juden erbeutet, gegen die Römer gerichtet werden könnten. So brach nun Cestius mit dem Heere gegen Bethhoron auf.

So lang man sich auf mehr flachem Terrain bewegte, merkte man den nachsetzenden Feind nicht so stark, wie man aber beim Abstieg in die Engpässe sich zusammendrängen musste, da eilte ein Teil der Feinde voraus, um den Römern den Ausgang zu verlegen, während andere mit aller Gewalt noch die letzten im Zug in die Schlucht hinunterzudrängen suchten. Ihre Hauptmacht aber hatte sich zur Seite über der Steilwand des Weges postiert und bedeckte die römische Heeressäule mit einer Wolke von Geschossen.

War es da schon für die Fußsoldaten schwierig, sich zu helfen, so war die Gefahr für die Reiter eine noch ernstere, da sie weder die Marschordnung bergab unter dem Geschossregen einhalten, noch auch den jähen Abhang gegen die Feinde hinansprengen konnten.

Gegen die andere Seite zu waren lauter Abgründe und Schluchten, ein Fehltritt – und Mann und Ross lagen in der Tiefe! Ohne jeden Ausweg zur Flucht und ohne alle Aussicht auf Verteidigung überließ man sich in dieser ohnmächtigen Lage lauten Weheklagen und dem ganzen Jammer der Verzweiflung. Als Echo antwortete ihnen nur das anfeuernde Kommando, der Siegesjubel und das Wutgeheul der Juden.

Auf ein Haar hätten die Juden die ganze Macht des Cestius aufgehoben, wenn nicht die Nacht dazwischen gekommen wäre, unter deren Schutze sich die Römer nach Bethhoron flüchten konnten. Unterdessen besetzten die Juden die ganze Umgebung und passten mit der größten Aufmerksamkeit auf einen etwaigen Aufbruch der Römer.


Verzweifelnd gab nun Cestius den offenen Weitermarsch auf und dachte nur mehr an ein Mittel, um heimlich zu entrinnen. Zu diesem Zwecke wählte er sich bei 400 der muthigsten Krieger aus, mit denen er die Lagerwälle besetzte, und die den Auftrag erhielten, die Standarten der im Lager üblichen Wachposten dort oben aufzupflanzen, damit die Juden glauben sollten, dass seine ganze Heeresmacht noch immer an Ort und Stelle sei; er selbst brach mit den übrigen Truppen in aller Stille auf und kam in der Nacht noch dreißig Stadien weit.

Erst als es zu tagen begann, gewahrten die Juden, dass die Lagerstätte vom römischen Heere verlassen sei, und stürzten sich nun auf die 400 Soldaten, die sie so erfolgreich getäuscht hatten, schossen dieselben rasch über den Haufen und setzten dann wieder dem Cestius nach.

Dieser war aber schon während der Nacht den Juden ein nicht unbedeutendes Stück zuvorgekommen und marschierte jetzt bei Tage mit einer solchen Hast, dass die Soldaten in ihrer Verwirrung und Angst die Helepolen und Katapulten, wie auch die meisten anderen Belagerungsmaschinen liegen ließen, deren sich nunmehr die Juden bemächtigten, um sich ihrer später gegen eben jene zu bedienen, denen man sie abgejagt hatte.

Im Eifer der Verfolgung kamen die Juden bis Antipatris. Da sie aber die Römer nicht mehr erreichen konnten, kehrten sie wieder um und nahmen wenigstens die Maschinen in Beschlag, beraubten die Gefallenen, machten von dem, was die Römer zurückgelassen, reiche Beute und eilten dann unter Triumphgesängen in die Hauptstadt zurück.

Ihr Verlust war ein ganz unbedeutender gewesen, während sie den Römern und ihren Bundestruppen zusammen 5300 Mann Fußvolk und 380 Reiter niedergemacht hatten! Diese Niederlage der Römer war am achten des Monates Dius, im zwölften Jahre der Regierung des Kaisers Nero erfolgt.