Die Vitellianer in Rom. Die Legionen in Judäa rufen Vespasian zum Kaiser aus. Ihnen folgen Ägypten, Mösien und Pannonien. Beschreibung Ägyptens, speziell Alexandriens. Josephus wird von seinen Ketten befreit.


Um dieselbe Zeit hatte auch Rom unter ziemlich schweren Drangsalen zu leiden.

Vitellius war nämlich von Germanien her mit seinem Kriegsheere, das noch überdies einen großen Menschentross nach sich schleppte, in Rom erschienen. Da ihm die Kasernen, die sonst den Soldaten angewiesen waren, zu klein wurden, machte er ganz Rom zu einem Lager und füllte jedes Haus mit seinen Soldaten an.

Der Anblick des römischen Luxus, der sich da den Soldaten bot, war diesen etwas ganz ungewohntes, und kaum vermochten sie umglitzert auf allen Seiten von Silber und Gold, ihre Gier zu bezähmen, dass sie nicht plündernd darüber herfielen und deren Hüter niedermachten. In solcher Verfassung also waren damals die Dinge in Italien.


Als Vespasian nach der Eroberung der Umgebung Jerusalems wieder nach Cäsarea zurückgekehrt war, erhielt er daselbst die Kunde von den Wirren in Rom und der Thronbesteigung des Vitellius.

Obwohl er sich nun ebenso gut aufs Gehorchen, wie aufs Herrschen verstand, so versetzte ihn doch diese Nachricht in hellen Zorn, und er konnte gegen einen Mann, der das sich selbst überlassene Staatsruder zum Spielzeug seiner despotischen Raserei gemacht hatte, nur Verachtung empfinden.

Ganz vom Schmerz durchwühlt, vermochte er nicht länger der inneren Qual zu gebieten, noch auch den Krieg gegen eine fremde Nation zu betreiben, während sein eigenes Vaterland zerfleischt ward.

Aber so mächtig ihn auch der Unwille zur Rache für dasselbe anspornte, ebenso stark hielt ihn wieder der Gedanke an die große Entfernung von Rom zurück, da er sich sagen musste, es könnte das Geschick in seiner bekannten Tücke, ehe er noch Italiens Boden erreicht haben würde, besonders, da er zur Winterszeit hätte fahren müssen, schon längst wieder mehr als einen Wechsel vollzogen haben. Das war der Grund, dass er die schon aufzuckende Zornesglut noch niederhielt.


Dagegen besprachen sich seine Generäle und Soldaten bereits ganz unverhohlen über eine neue Wendung, die sie selbst den Dingen geben wollten, und schrieen im höchsten Zorne: „Wie? die Soldaten, die in Rom ein Schlaraffenleben führen und schon erzittern, wenn nur ein bloßes Kriegsgerücht ihnen um die Ohren schwirrt, diese schanzen den Männern ihrer Wahl die Herrschaft zu und ernennen sich einen Kaiser, je nach der Aussicht auf einen Gewinn?

Und wir, die wir soviele Strapazen hinter uns haben, und deren Haar unter dem Kriegshelm bleich geworden, wir sollten anderen Leuten die Macht in den Schoss werfen, obschon wir außerdem einen Mann unter uns haben, welcher des Thrones weit würdiger ist?

Wann werden wir denn je noch einen besseren Anlass finden, diesem Manne für das uns bewiesene Wohlwollen den schuldigen Dank zu erstatten, wenn wir diesen Augenblick unbenützt vorübergehen lassen? So hoch der Anspruch des Vespasian auf den Thron über dem des Vitellius, so hoch steht auch unser Recht auf die Kaiserwahl über dem der Vitellianer; denn die Feldzüge, die wir durchgemacht haben, sind wahrhaftig nicht minder strenge gewesen, wie die der germanischen Soldaten, und wir haben uns auch unter den Waffen gewiss nicht weniger ausgezeichnet, als jene, die nur einen Tyrannen aus Germanien nach Italien geleitet haben.

Wir werden übrigens keine schwere Mühe haben. Weder der Senat noch das römische Volk wird sich lieber den liederlichen Vitellius statt des anständigen Vespasian gefallen lassen, und sicher werden sie nicht einen der grausamsten Tyrannen lieber zum Vorgesetzten haben wollen, als einen gütigen Kaiser, noch einen kinderlosen Mann, wenn sie einen Vater haben können. Bildet ja doch stets eine legitime Thronfolge die festeste Stütze des Friedens.

Soll nun das Szepter in der Hand eines erfahrnen Greises liegen, gut, so haben wir Vespasian, soll es in der kräftigen Faust eines Jünglings ruhen, gut, so haben wir dann den Titus: kurz, es werden sich die Vorteile, die das beiderseitige Alter mit sich bringt, hier miteinander paaren.

Wir werden endlich nicht die einzigen bleiben, die jetzt den Erkornen unsere Streitkräfte, in der Starke von drei Legionen sammt den Hilfstruppen der Könige, zur Verfügung stellen, sondern es werden gewiss der ganze Orient und auch Europa, soweit es nichts von Vitellius zu fürchten hat, sowie die zwei Bundesgenossen, die wir in Italien haben, ein Bruder des Vespasian und der andere Sohn desselben, sich auf unsere Seite stellen, von denen der letztere für viele vornehme Jünglinge ein Anziehungspunkt sein wird, während dem andern die Stadtpräfektur anvertraut ist, ein Posten, der für die Besitzergreifung des Thrones nicht wenig entscheidend sein dürfte.

Mit einem Worte, wenn wir zaubern, so könnte es sich leicht ereignen, dass der Senat selbst die Ernennung des Mannes vornimmt, den seine eigenen Krieger, weil sie seinen Wert nicht kannten, auch nicht höher steigen lassen wollten.


Diese und ähnliche Reden wurden unter den Soldaten zunächst nur gruppenweise gewechselt. Dann kam es zu einer allgemeinen Versammlung, in der die Soldaten endlich, einer vom andern angefeuert, Vespasian laut zum Kaiser ausriefen und ihn aufforderten, den wankenden Thron zu retten.

Hatte nun Vespasian auch schon längst seine besorgten Blicke auf den römischen Kaiserthron gerichtet, so war es ihm doch keineswegs je in den Sinn gekommen, sich selbst darauf zu setzen, da er, wenngleich von seinen Verdiensten um denselben überzeugt, dennoch den sicheren Privatstand einem Leben voll der Gefahr im kaiserlichen Glanze entschieden vorzog.

Je mehr sich aber Vespasian sträubte, desto mehr drangen die Unterfeldherrn in ihn, die Soldaten aber umringten ihn von allen Seiten und drohten sogar mit dem Schwert in der Faust, ihm den Tod zu geben, wenn er nicht sein Leben der Ehre der Krone weihen wolle.

Zunächst suchte Vespasian viele Gründe geltend zu machen, die es ihm geböten, die Regierung auszuschlagen: als er aber damit nicht durchdrang, so fügte er sich endlich ihrem Rufe.


Während nun Mucianus und die anderen Führer Vespasian gleich zu einem Angriff auf Vitellius zu bestimmen suchten, und das ganze Heer stürmisch gegen die feindliche Hauptmacht geführt zu werden verlangte, wollte der Kaiser zunächst mit Alexandrien Fühlung bekommen. Einmal wusste er ja zu gut, dass Ägypten wegen seiner Getreidelieferungen für den Besitz der Herrschaft geradezu ausschlaggebend wäre.

War er einmal Herr dieses Landes, so konnte er auch im Falle, dass er in offener Feldschlacht den Kürzeren ziehen müsste, sicher hoffen, Vitellius zu Boden zu werfen; denn das Volk in Rom konnte, wie er wusste, eines durchaus nicht ertragen – Hunger leiden! Außerdem wollte sich Vespasian mit den zwei in Alexandrien liegenden Legionen verstärken.

Ferner gedachte er gerade diese Provinz zu einer Vormauer gegen unberechenbare Schicksalsschläge zu benützen, da ein Einfall zu Land hier sehr schwierig ist, die Meeresküste aber keinen Hafen besitzt.

Gegen Westen sind dem Lande die wasserlosen Wüsten Libyens vorgelagert, nach Süden die Grenzscheide gegen Äthiopien hin, Syene mit den unpassierbaren Stromschnellen des Nil, dann von Osten her das rote Meer, das es bis Koptus hin umspült, während nach Norden das Land bis Syrien und das sogenannte ägyptische Meer, das ganz arm an Ankerplätzen ist, eine natürliche Schutzwehr für das Land bildet.

Auf solche Art ist Ägypten von allen Seiten hin durch die Natur selbst befestigt. Seine Längenausdehnung von Pelusium bis Syene beträgt 2.000 Stadien, die Länge der Seeküste von Plinthine bis Pelusium aber 3.600 Stadien.

Der Nil ist bis zur sogenannten Elephantenstadt hinauf schiffbar, darüber hinaus wird ein weiteres Vordringen durch die vorerwähnten Katarrakten verwehrt.

Was den Hafen von Alexandrien betrifft, so ist das Einlaufen schon zu Friedenszeiten für die Schiffe mit Schwierigkeiten verbunden, weil seine Einfahrt enge ist, und das Schiff zur Vermeidung unterseeischer Felsen von der geraden Richtung abweichen muss.

Die linke Seite ist durch Quaimauern künstlich befestigt, auf der rechten Seite springt die sogenannte Pharusinsel vor, überragt von einem gewaltigen Turm, der auf eine Entfernung von 300 Stadien den ankommenden Seefahrern seinen Feuerschein entgegenwirft, damit sie wegen der Schwierigkeit der Einfahrt des Nachts schon von weitem vor Anker gehen können.

Rings um dieses Inselchen sind künstliche Steindämme angelegt, an welchen sich die Meereswellen brechen, um dann mit den Wogen, die sich am Damme gegenüber zerschellt, durch die doppelte Brandung den Seeweg recht wild zu gestalten und die Einfahrt wegen ihrer Enge sogar gefährlich zu machen.

Im Innern dagegen ist der Hafen ganz sicher und besitzt eine Größe von dreißig Stadien. In diesem Hafen werden alle Producte zugeführt, die dem Lande zu seiner gedeihlichen Entwicklung abgehen, und umgekehrt wird von da wieder der Überfluss seiner heimischen Güter in die ganze Welt verfrachtet.


Nach all dem war es nur zu natürlich, dass Vespasian, um seine Kaisermacht auf festere Füße zu stellen, gerade in diesem Lande Herr zu sein wünschte. Er schrieb daher sofort einen Brief an den Procurator Ägyptens in Alexandrien, Tiberius Alexander, in welchem er ihm die Begeisterung seines Heeres meldete und erklärte, dass er selbst nur notgedrungen sich der Bürde der Regierung unterzogen habe, und ihn nun zur Mithilfe und tätigen Unterstützung einladen möchte.

Sobald Alexander das Schreiben gelesen hatte, ließ er auch schon, und zwar mit voller Freude, die Legionen sowohl wie das Volk auf Vespasian beeiden, was beide gerne taten, da man die Tüchtigkeit des Mannes in seiner Stellung als Feldherrn bereits aus nächster Nähe kannte.

Von Vespasian bereits bevollmächtigt, alle Anstalten zur Befestigung der neuen Herrschaft zu treffen, machte sich Alexander nunmehr daran, auch seiner Person einen entsprechenden Empfang zu bereiten. Über Erwarten schnell verbreitete sich allerorts das Gerücht von dem im Oriente auftauchenden Kaiser: jede Stadt hielt Freudenfeste für diese Botschaft und brachte Bittopfer für das Wohl des Kaisers dar.

Bei den Legionen von Mösien und Pannonien, die noch vor Kurzem wegen des Unterfangens des Vitellius in Gährung waren, herrschte natürlich eine noch größere Freude, da sie Vespasian als ihrem neuen Herrscher den Huldigungseid leisten konnten.

Vespasian brach nun von Cäsarea auf und begab sich nach Berytus. Hier erschienen vor ihm bereits viele Gesandtschaften, von Syrien sowohl wie von den andern Provinzen, um ihm im Namen der einzelnen Städte goldene Kränze und Glückwunschadressen zu überreichen.

Auch Mucianus, der Statthalter von Syrien, machte ihm hier seine Aufwartung und berichtete ihm von der Begeisterung, die in allen Gauen herrsche, und wie die Eidesleistung in allen Städten ohne Anstand vor sich ginge.


Da die Sache Vespasians überall nach Wunsch ging, und fast Alles sich ihm zugewendet hatte, so drängte sich ihm jetzt der Gedanke auf, dass er gewiss nicht ohne ein höheres Absehen die Zügel der Regierung in die Hand bekommen, sondern dass ein gerechtes Walten ihm die höchste Macht in die Hand gespielt haben müsse.

Er erinnerte sich nämlich jetzt aller Zeichen, die ihm seine Kaiserwürde vorbedeutet hatten, – und deren hatte er an den verschiedensten Orten viele bekommen – darunter aber insbesondere der Aussprüche des Josephus, welcher ihn noch zu Lebzeiten Neros mit dem Worte „Kaiser“ anzusprechen gewagt hatte.

Er war ganz erschrocken bei dem Gedanken, dass ein solcher Mann noch in Fesseln an seiner Seite verwahrt würde, und schickte nach Mucianus nebst den andern Führern und Freunden, denen er nun zunächst von dem kühnen Mute des Josephus erzählte, der ihm die Eroberung von Jotapata so sauer gemacht: hierauf kam er auf dessen Weissagungen, die er, der Kaiser, damals selbst nur für ein Fabricat der Angst gehalten habe, die aber von der Zeit und den Tatsachen als göttliche Eingebungen ausgewiesen worden seien.

Es wäre nun“, schloss der Kaiser, „eine Schande für mich, wenn der, der mir die höchste Würde prophezeit hat und das Organ der Gottesstimme gewesen ist, noch weiter, wie ein anderer Kriegsgefangener, behandelt würde oder das Los eines Gefangenen tragen müsste“. Darauf ließ er den Josephus vor sich kommen und gab den Befehl, ihm seine Ketten abzunehmen, ein Act der Dankbarkeit gegen einen Fremden, welcher natürlich die anwesenden Unterfeldherrn zu den glänzendsten Hoffnungen auch für ihre Person ermutigen musste. In diesem Moment machte der gleichfalls anwesende Titus seinem Vater die Bemerkung:

Es wäre nur ein Act der Gerechtigkeit, Vater, wenn man dem Josephus mit dem Eisen auch die Schmach nehmen würde. Denn wenn wir seine Schellen nicht einfach entfernen, sondern geradezu zerschlagen, so wird das für ihn soviel bedeuten, als wäre er überhaupt nie ein Gefangener gewesen“. Das pflegt nämlich bei solchen zu geschehen, die widerrechtlich gefesselt worden sind. Der Vorschlag fand Beifall: es musste einer herbeikommen und mit einem Beile die Handschellen durchhauen.

So erhielt Josephus zum Lohne für seine Weissagungen die volle Ehrenrettung und galt von jetzt an auch als glaubwürdiger Interpret der Zukunft.