Die Idumäer werden von den Zeloten nach Jerusalem gerufen. Rede des Hohenpriesters Jesus. Die Zeloten öffnen des Nachts die Tore.


Durch dieses dick aufgetragene Schauergemälde hatte Johannes alle miteinander ins Bockshorn gejagt. Was er mit der auswärtigen Hilfe meine, hatte er sich noch nicht unverblümt zu sagen getraut, er wollte aber damit die Idumäer andeuten. Um aber auch die Führer der Zeloten noch insbesondere zu reizen, verleumdete er den Ananus als einen Wüterich und erzählte, wie er gerade gegen die Führer ganz ausnehmende Drohungen fallen ließe.

Es waren das Eleazar, der Sohn des Simon, von dem man ja überzeugt war, dass er unter den Zeloten das meiste Geschick besaß, findige Pläne zu entwerfen und die Entwürfe auch ins Werk zu setzen; dann Zacharias, Sohn des Amphikalus, beide aus priesterlichem Geschlechte.

Als nun diese Männer nebst den allgemeinen auch die gegen sie speziell gerichteten Drohungen erfahren hatten, ferner auch, wie die Partei des Ananus, um sich der Alleinherrschaft zu bemächtigen, die Römer zu Hilfe gerufen hätte – die zweite Lüge, die Johannes vorgebracht – waren sie lange Zeit ratlos, was sie denn bei der äußerst gedrängten Zeit, auf die sie angewiesen waren, anfangen sollten.

Denn, wie sie wussten, stand das Volk bereit, demnächst zum Angriff auf sie überzugehen, und hatte die Raschheit des feindlichen Planes ihnen alle Hilfe von außen abgeschnitten. Denn längst mussten sie schon ausgelitten haben, ehe nur einem ihrer Bundesgenossen etwas zu Ohren gekommen.

Dennoch wurde der Beschluss gefasst, die Idumäer herbeizurufen. Man setzte einen kurzen Brief auf, des Inhaltes, wie Ananus das Volk im Sacke habe und die Hauptstadt den Römern in die Hände spielen wolle, während die Zeloten dafür, dass sie für die Erhaltung der Freiheit von seiner Partei abgefallen seien, von ihr im Tempel jetzt eingeschlossen gehalten würden: nur noch eine Spanne Zeit entscheide über ihr Schicksal! Kämen die Idumäer nicht schleunigst zu Hilfe, so würden die Zeloten früher in die Hände des Ananus und ihrer Feinde, die Stadt aber in die Gewalt der Römer fallen. Das meiste sollten übrigens die Boten nach ihrer Weisung mündlich an die Häupter der Idumäer ausrichten.

Für den Botendienst suchte man zwei entschlossene Männer aus, die eine gewandte, aber auch diplomatische Zunge, und was in diesem Falle von noch größerem Nutzen war, ganz ausgezeichnet schnelle Beine hatten.

Denn, dass die Idumäer, ein stürmisches und wildes Volk, das es stets auf Unruhen abgesehen und an Umwälzungen seine helle Freude hat, dem eine kleine Schmeichelei und Bitte schon die Waffen in die Hand drückt, und das sich zum Kampfe drängt, als ginge es zu einem Feste, dass diese Leute auf der Stelle dem Rufe Folge leisten würden, davon waren sie überzeugt.

Es kam also bei diesem Botendienst nur auf die Schnelligkeit an, und da in dieser Beziehung die Abgesandten Alles aufboten, was an ihrem Bemühen lag – beide führten den Namen Ananias – so waren sie denn auch bald zur Stelle und traten vor die Häupter der Idumäer.


Als diese den Brief gelesen und die mündlichen Erklärungen der Überbringer vernommen, waren sie vor Schrecken außer sich und liefen wie rasend bei ihrem Volke herum, um den Heerbann aufzubieten.

Schon vor der festgesetzten Zeit war das Kriegsvolk beisammen; wer nur immer konnte, hatte mit einem wahren Feuereifer die Waffen zur Befreiung der Hauptstadt ergriffen.

Nachdem sich die Massen geordnet, zogen sie in einer Stärke von 20.000 Mann unter vier Anführern, Johannes und Jakobus, Söhne des Sosa, ferner Simon, Sohn des Kathla, und Phineas, Sohn des Klusoth, vor Jerusalem.


Hatten nun von dem Entweichen der Boten weder Ananus noch die Wachen etwas bemerkt, so war das keineswegs mehr bei dem Anmarsche der Idumäer der Fall. Ananus hatte davon rechtzeitig erfahren und ließ ihnen die Tore versperren, wie auch die Mauern sorgfältig bewachen.

Er war jedoch nicht willens, sie um jeden Preis als Feinde zu behandeln, sondern versuchte es vor dem Waffengange, auf dem Wege der Überzeugung auf sie einzuwirken.

Zu diesem Zwecke trat der älteste Hohepriester nach Ananus, namens Jesus, auf die Plattform des Turmes, der den Idumäern gegenüber lag, und hielt folgende Ansprache: „So viele und mannigfache Wirren auch unsere arme Stadt schon heimgesucht haben, so möchte doch an ihrem Unglück kein Umstand so sehr mein Staunen erregen, wie der, dass selbst das Unvermutetste als Bundesgenosse des Bösen sich einstellt:

ich meine damit eure Anwesenheit, da ihr den elendesten Schurken gegen uns mit einem solchen Eifer beigesprungen seid, den man von euch nicht einmal in dem Falle hätte verlangen können, wenn euch die Hauptstadt selbst gegen die Barbaren zu Hilfe gerufen hätte.

Würde ich freilich eure Reihen aus Leuten von der Sorte jener, die euch herbeigerufen haben, zusammengesetzt sehen, so könnte mir euer Aufzug nicht seltsam vorkommen, da nichts so sehr das gegenseitige Wohlwollen begründet, wie die Verwandschaft der Sitten. So aber wird sich jeder eurer Freunde, wenn man sie nacheinander näher beleuchtet, als ein Subjekt entpuppen, das tausendmal den Tod verdient hätte: denn es ist der Abschaum und der Auswurf des ganzen Landes, der, nachdem er sein eigen Hab' und Gut verlumpt und eine Schule der tollsten Schlechtigkeiten in den Dörfern und Städten der Umgebung durchgemacht, endlich ganz unvermerkt die heilige Stadt selbst überschwemmt hat; ein Raubgesindel, das zur Krönung seiner Ruchlosigkeiten selbst den geweihten Boden befleckt hat, und das sich, wie man es jetzt selbst sehen kann, ungescheut mitten im Heiligtum toll und voll sauft und von der Beute der Ermordeten seinen unersättlichen Wanst füllt!

Sieht man sich dagegen wieder euer Kriegsvolk und seinen ehrlichen Waffenschmuck an, so muss es den Eindruck machen, als hätten euch die Bewohner der Hauptstadt nach einem feierlichen Beschlusse als Bundesgenossen gegen fremde Eroberer herbeigerufen. Wie soll man es also anders nennen, denn eine Ironie des Schicksals, wenn man sehen muss, wie ein ganzes Volk mit abgefeimten Spitzbuben Schulter an Schulter kämpfen will?

Lange schon sinne ich hin und her, was euch denn doch in aller Welt und zwar so schnell auf die Beine bringen konnte. Denn ohne den triftigsten Grund, so sagte ich mir, würdet ihr gewiss nicht für Räuber und gegen ein stammverwandtes Volk zur Wehr und Waffe gegriffen haben.

Doch – wir haben von Römern und von Verrat etwas gehört – jetzt eben haben ja einige von euch so etwas im Lärme hervorgestoßen, wie z. B. dass sie zur Befreiung der Hauptstadt da seien – ein Wort, welches uns das Lügengenie dieser Ruchlosen noch staunenswerter erscheinen lässt, als es ihre verwegensten Taten sein könnten.

Fürwahr, man hätte ja Männer, denen die Freiheitsliebe, sozusagen, im Blute liegt, und die darum äußerst rasch bei der Hand sind, einem Feinde von außen mit den Waffen entgegenzutreten, nicht anders füglich gegen uns aufhetzen können, als dadurch, dass man von einem Verrate an der heißgeliebten Freiheit faselte.

Aber eure Sache wäre es wenigstens, sowohl die Personen der Verleumder als diejenigen, gegen welche die Lüge geschleudert wird, euch näher anzusehen und die Wahrheit nicht aus erlogenen Phrasen, sondern aus allgemein zugänglichen Tatsachen zu erschließen.

Was sollte uns denn auch angefochten haben, dass wir uns selbst gerade jetzt an die Römer verkaufen sollten, da wir doch die freie Wahl hatten, sei es, vor aller Anfang überhaupt nicht abzufallen, sei es, nach geschehenem Abfall alsbald uns wieder den Römern zu nähern, zu einer Zeit, wohl gemerkt, wo noch das Land ringsum nicht verwüstet war?

Gegenwärtig ist es ja für uns selbst mit dem besten Willen nicht mehr leicht, eine friedliche Lösung zu finden, da die Römer die Niederwerfung von Galiläa übermütig gemacht hat, und eine schmeichelnde Annäherung von unserer Seite in dem Augenblick, da sie uns schon so nahe sind, uns eine Schmach eintragen würde, bitterer als der Tod.

Ich für meinen Teil wollte freilich lieber den Frieden als den Tod; ist es aber einmal zum Kriege gekommen, und der Zusammenstoß geschehen, so geht mir ein ruhmvoller Tod über das Leben eines Kriegsgefangenen.

Übrigens, was will man denn eigentlich behaupten? dass wir etwa, die Vorsteher des Volkes, heimlich zu den Römern geschickt haben? oder dass auch das Volk selbst diesem Beschlusse allgemein beigetreten ist?

Sind es nur wir gewesen, dann heraus mit den Namen der Freunde, welche jene Gesandschaft übernommen haben, heraus mit den Namen der Diener, welche beim Verrate Handlangerdienste geleistet! Hat man Jemand beim Hingehen ertappt? oder bei der Rückkehr aufgegriffen? Ist man in den Besitz von Schriftstücken gelangt?

Wie hätten wir doch soviele Bürger, mit denen wir stündlich zu verkehren haben, überhaupt täuschen können? Den wenigen aber, die noch dazu bewacht werden, und die nicht einmal in die Stadt vom Tempel herabkommen dürfen, denen allein soll natürlich das, was sich heimlich im Lande vorbereitete, bekannt geworden sein?!

Und jetzt erst haben sie das erfahren, aus dem Grunde, weil sie gerade jetzt für ihre Untaten den gerechten Lohn empfangen sollten. Solange sie sich noch sicher fühlten, hat man auf keinen aus uns den Verdacht des Verrates geworfen!

Wollen sie andererseits die Schuld auf das ganze Volk wälzen, so konnte die Beratung doch wohl nur eine öffentliche sein, und war die Versammlung Jedermann zugänglich. Dann hätte aber das Gerücht davon, weil die Sache ganz öffentlich war, schneller, als die jetzt erfolgte Botschaft, zu euch dringen müssen. Was nun aber weiter?

Mussten denn jene, die für den Frieden stimmten, nicht auch Gesandte abschicken? Und wer ist denn dazu gewählt worden, wenn man fragen darf? –

Doch, es ist ja das Ganze nur eine Erfindung von Leuten, die dem Tode auskommen und die schon dräuende Rache vereiteln möchten. Denn, wenn wirklich die Stadt durch das Schicksal dazu bestimmt ist, verraten zu werden, so könnte auch dieser Schurkenstreich nur jenen Verleumdern vorbehalten sein, deren Schandtaten nur noch eine Erbärmlichkeit abgeht, der Verrat.

Da ihr aber nun einmal mit den Waffen in der Hand vor uns steht, so wäre es eure Pflicht, und würdet ihr der Gerechtigkeit den schönsten Dienst erweisen, wenn ihr der Hauptstadt zu ihrer Verteidigung euren Arm leihen und mithelfen würdet an der Aushebung der Tyrannenbrut, die nach Unterdrückung der Gerichte alle Gesetze mit Füßen getreten, Recht und Urteil auf die Spitze ihrer Schwerter gestellt hat.

Haben sie doch erlauchte Männer mitten vom Marktplatz ohne eine Anklage weggeschleppt, mit Fesseln beladen und endlich, ohne sich an ihr Wehgeschrei oder Flehen zu kehren, hingeschlachtet.

Es steht euch frei, allerdings nicht als Feinde, in die Stadt hereinzukommen und euch selbst die Beweise für meine Behauptungen anzuschauen: die von den Plünderern verwüsteten Häuser, die Frauen und Kinder der Ermordeten in schwarzen Trauerkleidern, Schluchzen und Weheklagen in der ganzen Stadt; denn es gibt ja niemand unter uns, der nicht den Schurken in die Quere gekommen ist und ihre Streiche verkostet hat.

So groß ist der Abgrund, in den ihre Tollheit gestürzt ist, dass sie nach dem Lande und den übrigen Städten auch das Antlitz, sozusagen, und das Haupt der ganzen Nation, Jerusalem, und nach Jerusalem auch noch das Heiligtum selbst mit ihrem räuberischen Frevelmute besudelt haben.

Der Tempel ist ihnen Kriegslager und Schlupfwinkel, wie auch das Arsenal geworden, wo sie ihre Waffen gegen uns schmieden, und so wird diese von der ganzen Welt verehrte und selbst den an den Grenzen des Erdkreises wohnenden fremden Völkern, wenigstens vom Hörensagen, ehrwürdige Stätte von diesen landesgebornen Bestien zertreten.

Bereits in einer verzweifelten Lage, machen sie sich noch den Scherz, Volk gegen Volk und eine Stadt gegen die andere aufzuhetzen und den Arm der Nation zum Stoß gegen das eigene Herz zu waffnen.

Anstatt hier mitzutun, wäre es eure schönste und heiligste Aufgabe, wie ich gesagt habe, uns bei der Vertilgung der ruchlosen Gesellen zu helfen und gerade für diese Hinterlist sie zu züchtigen, dass sie so keck waren, euch noch als Bundesgenossen herbeizurufen, anstatt, wie billig, vor eurem Racheschwert zu zittern.

Wenn ihr aber aus Rücksicht auf diese Menschen, die, so schlecht sie auch sonst sein mögen, sich doch immerhin eurem Schutze einmal anvertraut haben, nicht soweit gehen wollt, gut, so steht doch sicher nichts im Wege, dass ihr nach Niederlegung der Waffen als Stammesgenossen die Stadt betretet und die Rolle von Männern übernehmet, die weder Bundesgenossen noch Feinde, sondern nur Richter sind.

Dabei dürft ihr allerdings nicht aus dem Auge lassen, was für ein großer Vorzug ihnen damit allein schon eingeräumt wird, dass sie überhaupt noch das Recht erhalten, sich für bereits einbekannte und zwar ungeheure Verbrechen vor eurem Richterstuhl zu verantworten, sie, die ganz unbescholtenen Männern nicht einmal ein Wort zu ihrer Rechtfertigung gelassen haben. Doch mögen sie immerhin diese Vergünstigung aus eurem Erscheinen ziehen!

Wenn ihr aber weder unsere Sache unterstützen, noch auch Richter über sie sein wollt, so gibt es noch ein drittes: lasset beide Parteien in Ruhe und tretet weder auf unsere Wunden, noch leihet euren Beistand den Verrätern der Hauptstadt.

Denn, wenn ihr schon einen so starken Verdacht heget, es könnten einige von uns sich mit den Römern verständigt haben, so liegt es ja in eurer Macht, die Zugänge genau überwachen zu lassen: sollte sich dann wirklich eine der beregten Spitzbübereien auf unserer Seite als wahr herausstellen, so könnt ihr dann noch immerhin kommen, um die Hauptstadt zu besetzen und den aufgegriffenen Verrätern den Process zu machen. Auf keinen Fall könnte der Feind vor euch einen Vorsprung gewinnen, da ihr der Stadt am nächsten seid.

Sollte endlich nichts von all' dem euch vernünftig oder billig vorkommen, so dürft ihr euch auch nicht darüber wundern, dass die Tore solange in den Riegeln stecken, als ihr in Wehr und Waffen steckt.“


Soweit die Rede des Jesus, der das idumäische Kriegsvolk nicht die geringste Aufmerksamkeit geschenkt hatte: im Gegenteil, es war wütend darüber, dass es den Eingang nicht frei gefunden hatte, und auch die Führer waren höchst entrüstet über die Bemerkung vom Waffenniederlegen, da ihnen die Aufforderung zum Niederlegen der Waffen gleichbedeutend war mit dem Ruf: Ergebt euch.

Da trat Simon, der Sohn des Kathla, einer der Anführer, nachdem es ihm mit Mühe gelungen war, den wirren Lärm seiner Landsleute zum Schweigen zu bringen, auf Hörweite an die Hohenpriester heran und erwiderte ihnen: „Es wundert mich jetzt nicht mehr, dass man die Vorkämpfer für die Freiheit im Tempel eingeschlossen hält, nachdem gewisse Leute sogar dem ganzen Volke schon die gemeinsame Hauptstadt versperren und in dem Augenblick, da sie sich zum Empfange der Römer rüsten, möglicherweise sogar schon die Tore mit Kränzen behängt haben, mit den Idumäern nur von den Festungstürmen aus reden und ihnen gebieterisch bedeuten, die zum Schutze der Freiheit erhobenen Waffen wegzuwerfen.

Während sie aber auf der einen Seite den eigenen Stammgenossen nicht einmal soweit trauen, dass sie mit ihnen die Hauptstadt bewachen dürfen, machen sie dieselben zu Richtern ihres Zwistes, und während sie gegen einige die Anklage erheben, dass sie Leute ohne Process getödtet hätten, verurteilen sie in einem Athem gleich ein ganzes Volk zur Strafe der Ehrlosigkeit,

da jene Stadt, die sonst sogar allen fremden Nationen angelweit offen steht, auf dass sie dort ihrer Andacht pflegen können, den eigenen Landsleuten jetzt wie eine Feindesburg verschlossen gehalten wird.

Ei, ei, nur zu Mord und Todschlag und zum Vergießen von Bürgerblut konnten wir herbeigeeilt sein, die wir doch nur darum so schnell zur Stelle waren, um euch, Unglücklichen, die Freiheit zu retten.

Sicher wird wohl auch das Unrecht, das ihr von den Eingeschlossenen erfahren habt, von dieser Gattung gewesen sein, und dürften auch die Verdachtsgründe, die ihr gegen jene zusammengesucht habt, vermutlich von derselben Überzeugungskraft sein, wie die gegen uns gerichteten. Weiter behauptet ihr in demselben Augenblick, da ihr gerade die besten Freunde der öffentlichen Wohlfahrt bei euch drinnen mit Wachen umstellet und die engeverwandten Stämme haufenweise und zwar unter den frechsten Forderungen zur Stadt hinaussperret, ihr behauptet noch, dass man euch tyrannisiere, und hänget den Schimpfnamen von Gewaltmenschen gerade jenen an, die ihr selbst tyrannisiert!

Wer sollte bei euren Worten, voll des bittersten Spottes, noch an sich halten können, wenn er das gerade Gegenteil in euren Werken sieht? Doch Geduld, die Idumäer werden euch auch jetzt aus eurer Hauptstadt ausschließen, wie ihr sie vom Tempel ihrer Väter ferne haltet.

An den im Tempel Belagerten könnte man billigerweise nur das eine aussetzen, dass sie bei ihrem kühnen Unternehmen, die Verräter zu züchtigen, welche ihr als Gleichgesinnte natürlich »angesehene und solide Männer« nennet, nicht gleich mit euch selbst angefangen und so die Verräterei schon früher ins Herz getroffen haben.

Wenn aber auch jene über Gebür glimpflich mit euch verfahren sind, so werden wir, Idumäer, das Haus Gottes zu schützen wissen und die gemeinsame Vaterstadt mit unserem Leibe decken, indem wir gegen die auswärtigen Feinde ziehen und zugleich uns der Verräter im Innern erwehren wollen.

Hier im Angesichte der Mauern wollen wir ausharren, bis entweder den Römern die Lust vergeht, auf eure Anträge zu warten, oder ihr selbst endlich einmal anfanget, euch für die Freiheit zu begeistern.“


Diese Worte begleiteten die Idumäer mit lautem Beifallsgeschrei. Jesus aber zog sich ganz niedergeschlagen zurück: musste er ja sehen, wie die Idumäer so gar keiner billigen Erwägung zugänglich waren, und die Stadt jetzt von zwei Seiten auf einmal bedroht war.

Doch blieb auch die Stimmung bei den Idumäern keine allzu rosige. Sie waren, wie gesagt, höchst aufgebracht über die Schmach, aus der Stadt hinausgesperrt zu sein, hatten aber anfangs immerhin noch eine hohe Meinung von der Macht der Zeloten. Als sie aber dann sahen, wie die letzteren sich gar nicht rühren konnten, war die Verlegenheit fertig, und viele bereuten es schon, sich dem Zuge angeschlossen zu haben.

Doch überwog die Scham darüber, dass man ganz unverrichteter Dinge hätte zurückkehren müssen, das Gefühl der Reue, und so blieb man an Ort und Stelle vor der Mauer, so schlecht man auch campieren konnte.

Es brach nämlich bei der Nacht ein unbändiger Sturm los, mit aller Macht brausten die Winde, begleitet von den heftigsten Regenschauern, Blitz folgte auf Blitz und schauerlich hallten die Donnerschläge, und die zitternde Erde brüllte dazu ganz unnatürlich: es war ganz so, als wolle der Weltbau in Trümmer stürzen, um das Menschengeschlecht darunter zu begraben, und wahrlich kein geringfügiges Ereignis konnte es sein, das diese schrecklichen Zeichen vorbedeuten mussten!


Die Idumäer und die Leute in der Stadt machten sich über das Ereignis genau dieselben Gedanken: Jene dachten nur, dass Gott über ihren Feldzug ergrimmt sei, und dass sie seiner Hand wohl nicht mehr entrinnen würden, weil sie gegen die Hauptstadt die Waffen erhoben hätten. Die Anhänger des Ananus aber meinten nicht anders, als dass sie ohne einen Schwertstreich schon Sieger wären, und dass Gott selbst für sie den Kampf auf sich genommen, eine Deutung, mit welcher sie gar weit fehl schossen, da sie von den Feinden prophezeiten, was gerade über ihre eigenen Leute hereinbrechen sollte.

Denn was die Idumäer betrifft, so drängten sie sich enge zusammen und schützten sich gegenseitig durch ihre natürliche Körperwärme, während sie gleichzeitig die Schilde über ihren Köpfen dicht zusammenschlossen und auf diese Weise auch vom Regen weniger hergenommen wurden.

Unterdessen waren die Zeloten wie auf die Folter gespannt und zwar nicht so sehr wegen der ihnen selbst drohenden Gefahr, als vielmehr wegen der Idumäer. Sie steckten die Köpfe zusammen und speculierten hin und her, ob sie nicht ein Mittel fänden, den Idumäern zu Hilfe zu kommen.

Die Heißblütigeren unter ihnen schlugen vor, man möge einen Durchbruch durch die Wachen mit den Waffen in der Hand versuchen, dann einen Ausfall mitten in die Stadt hinabwagen und den Bundesgenossen ganz keck die Tore öffnen.

Denn die Wachen, meinten sie, würden bei ihrem unvermuteten Auftauchen ganz bestürzt zurückweichen, zumal die meisten von ihnen auch noch unbewaffnet und im Kampfe unerfahren wären: die Menge aber in der Stadt unten könnte bei dem gegenwärtigen Unwetter, das alles in die Häuser getrieben habe, nur sehr schwer gesammelt werden.

Sollte indes die Sache nicht ganz harmlos ablaufen, so sei es eine Ehrensache für sie, lieber alles mögliche zu erdulden, als gleichgiltig zuzusehen, wie eine solche Masse von Menschen elendiglich zu Grunde gehen müsste.

Die Klügeren dagegen hofften von der Gewalt gar keinen Erfolg, da sie nicht allein die Zahl der Wachen in ihrer unmittelbaren Umgebung stark vermehrt, sondern auch die Stadtmauer aus Furcht vor den Idumäern sorgfältig bewacht sahen.

Überall glaubten sie den Ananus zu sehen, wie er eine Stunde um die andere die Wachen persönlich inspizierte – was auch in der Tat in den vorausgehenden Nächten immer geschehen war, aber gerade in dieser Nacht unterblieb, keineswegs infolge einer Fahrlässigkeit von seiner Seite, sondern weil das unumschränkt waltende Verhängnis ihn selbst, sowie seine zahlreichen Wachen bereits zum Tode verurteilt hatte.

Ja, das Verhängnis war es, welches auch damals bei vorgerückter Nachtstunde, während der Sturm immer heftiger anschwoll, die auf der Säulenhalle befindlichen Wachen einschläferte, zu gleicher Zeit aber die Zeloten auf den Einfall brachte, einige von den Sägen im Heiligtum zu nehmen und damit die Querbalken an den Toren abzuschneiden.

Das Sausen der Windsbraut und der fortwährend rollende Donner kam ihnen dabei so gut zustatten, dass nicht das geringste Geräusch herausgehört werden konnte.


Ganz unbemerkt kamen sie so vom Tempel zur Mauer, wo sie mit Anwendung derselben Sägen das den Idumäern zugewendete Stadttor aufsprengten.

Anfangs waren die Idumäer davon ganz betroffen, da sie nichts anderes glaubten, als dass die Leute des Ananus einen Überfall versuchten, und sofort umklammerte auch schon jede Faust zur Abwehr ihren Schwertgriff: bald aber hatten sie die Nahenden erkannt und drangen ein.

Hätten sie sich nun sofort über die eigentliche Stadt ergossen, es wäre wohl ohne Frage zur Niedermetzlung des ganzen Volkes gekommen – so furchtbar war ihre Wut! Indessen beeilten sie sich zunächst nur, den Zeloten im Tempel Entsatz zu bringen, zumal die ihnen entgegenkommenden Rebellen mit Bitten sie bestürmten, sie möchten doch gerade jene, um derentwillen sie gekommen, nicht länger in ihrer peinlichen Situation lassen oder gar noch in eine größere Gefahr stürzen: wären nur einmal die Wachen überwältigt, so müsste es ihnen ja ein Leichtes sein, die Stadt selbst zu stürmen: wäre aber einmal durch ihr Erscheinen in der Stadt schon Lärm geschlagen, so sei es auch mit der Überrumplung der Wachen vorbei, da die letzteren, einmal aufmerksam gemacht, sofort Stellung nehmen und den Aufstieg zum Tempel ihnen versperren würden.