Erstürmung des Tempels und der Stadt durch die Idumäer und Zeloten. Ermordung des Ananus und Jesus. Zahlreiche Hinrichtungen. Tod des Priesters Zacharias. Die Zeloten suchen die Idumäer zu entfernen.


Den Idumäern konnte dieser Vorschlag nur recht sein, und so stiegen sie denn durch die Stadt zum Tempel hinauf, wo unterdessen die Zeloten in großer Spannung auf ihr Erscheinen warteten. Wie die Idumäer eindrangen, schöpften auch sie wieder frischen Mut, verließen das innere Heiligtum

und stürzten sich, Idumäer und Zeloten durcheinander, auf die Wachen. Einige Vorposten stachen sie im Schlafe nieder, worauf durch den Lärm der Wachgewordenen die ganze Mannschaft auf die Beine kam und voll Bestürzung zu den Waffen griff, um sich ihrer Haut zu wehren.

Solange sie nur die Zeloten vor sich zu haben glaubten, hielt der Gedanke an ihre eigene Übermacht, welche den Feind erdrücken musste, ihren Mut noch aufrecht: sobald sie aber noch andere von draußen hereinströmen sahen, merkten sie, dass die Idumäer eingebrochen sein müssten, und ließen größtenteils mit dem Mute auch die Waffen sinken, um sich nur mehr einem verzweiflungsvollen Jammer zu überlassen! Bloß eine kleine Zahl von Jüngeren verrammelte sich und nahm es mutig mit den Idumäern auf, so dass sie ziemlich lange auch die übrige fassungslose Menge deckten, die wenigstens mit ihrem Geschrei weithin die Leute in der Stadt auf die eingetretene Katastrophe aufmerksam machte. Doch wagten es Niemand von den Stadtbewohnern, als man den Einbruch der Idumäer erfuhr, den Bedrohten zu Hilfe zu kommen, sondern man erhob nur als einzige Antwort gleichfalls ein entsetzliches Geschrei und Weheklagen, zumal die Frauen, die mit ihrem Heulen die Luft erfüllten, da jede von ihnen einen Angehörigen unter den in höchster Gefahr schwebenden Wachen wusste.

Dazu brüllten die Zeloten mit den Idumäern ihren Schlachtruf, und das Toben des Sturmes machte das allgemeine Schreckensconcert noch schauerlicher. Die Idumäer kannten keine Schonung, da sie schon von Natur aus sehr mordlustig waren und jetzt auch für die Unbilden der schlechten Witterung mit den Waffen in der Hand sich an denen, die sie hinausgesperrt hatten, rächen konnten:

es war gleich, ob Jemand um Gnade flehte oder sich zur Wehre setzte. Vielen stießen sie in dem Augenblicke das Schwert in den Leib, da man sie an die nationale Verwandtschaft erinnern wollte und sie bat, doch wenigstens vor dem gemeinsamen Heiligtum Ehrfurcht zu haben.

Zur Flucht fehlte geradezu jeder Ausweg, Hilfe war keine zu hoffen. Dicht zusammengepfercht, wurden sie, einer um den andern, niedergestreckt, und der größte Teil gegen den äußersten Rand hinausgedrängt, wo sie sich, immer von den Mördern gefolgt, aus lauter Verzweiflung, weil es hier kein weiteres Zurückweichen mehr gab, selbst in die Stadt hinunterstürzten und so, wie mich wenigstens bedünken will, einen noch erbärmlicheren Tod durch eigene Wahl erdulden wollten, als jener gewesen wäre, dem sie entgingen.

Der ganze äußere Tempelraum war mit Blut überschwemmt, und der kommende Tag leuchtete über 8.500 Leichen.


Dennoch war damit der Grimm der Idumäer noch nicht gestillt. Sie wandten sich vielmehr jetzt erst der Stadt zu, wo sie alle Häuser ausplünderten und tödteten, wer ihnen gerade in den Wurf kam.

Doch wollten sie auch mit dem gemeinen Volke keine Zeit verlieren und fahndeten vor allem nach den Hohenpriestern, an deren Verfolgung sich fast alles beteiligte.

Bald waren sie in ihren Händen und wurden auf der Stelle abgetan. Dann trat man noch auf ihre Leichen und goss dabei über die Volksfreundlichkeit des Ananus, wie auch über die Rede, die Jesus von der Mauer herab gehalten hatte Hohn und Spott aus.

Ja, sie gingen in ihrer Ruchlosigkeit so weit, dass sie sogar die Leichen unbeerdigt liegen ließen, wo man sie eben hingeworfen hatte, obschon die Juden sonst eine ungewöhnliche Sorge für die Bestattung der Toten entwickeln, so dass selbst solche, die als Verbrecher gekreuziget werden, noch vor Sonnenuntergang herabgenommen und begraben werden müssen.

Ich glaube nicht fehlzugehen, wenn ich sage, dass mit dem Tode des Ananus der Anfang des Endes für die Stadt gekommen, und dass von eben jenem Tage an schon ihre Mauer erschüttert, ihr Schicksal entschieden war, an welchem das Volk den Hohenpriester und Führer seines Heiles mitten in der Stadt hingeschlachtet schauen musste.

War er ja doch ein Mann, der nicht bloß eine ehrfurchterweckende Frömmigkeit mit der unbeugsamsten Gerechtigkeitsliebe verband, sondern dem es sogar ein Vergnügen machte, trotz der Höhe seines Adels, seiner Würde und seines Ansehens, in dem er stand, sich zu den geringsten Leuten, als wären sie seinesgleichen, herabzulassen.

Ein begeisterter Freund der Freiheit und feuriger Anhänger der Volksherrschaft, zog er immer das Gemeinwohl den persönlichen Interessen vor, und an der Erhaltung des Friedens war ihm, da er die Macht Roms für ganz unbesiegbar halten musste, alles gelegen, obschon er auch notgedrungen Vorbereitungen für den Krieg treffen musste, damit die Juden, wenn sie schon von keiner Verständigung etwas wissen wollten, den Strauß wenigstens mit einigem Vorteil durchfechten könnten.

Kurz gesagt, wenn Ananus am Leben geblieben wäre, hätten sich die Juden sicher entweder zu einem Vergleiche herbeigelassen, da er ein Meister des Wortes, besonders ein gewaltiger Volksredner und bereits auf dem besten Wege war, seine Widersacher zu bändigen, oder sie hätten, einmal in den Krieg verwickelt, den Römern unter einem solchen Feldherrn sehr viel zu schaffen gemacht.

Ihm zur Seite stand in enger Freundschaft noch der genannte Jesus, der, wenn er auch ihn selbst nicht erreichte, doch über alle anderen hervorragte.

Aber ich glaube, dass Gott, weil er schon einmal die befleckte Stadt zum Untergang verurteilt hatte und das Heiligtum im Feuer reinigen wollte, ebendarum auch jene, die noch an ihm hiengen und es innigst liebten, hinweggenommen hat.

So konnte man nun die Männer, die noch vor kurzem mit den heiligen Gewanden bekleidet und die Vorsteher einer Weltreligion waren, verehrt von den aus der ganzen bewohnten Erde nach Jerusalem kommenden Pilgern, nunmehr aller Kleider beraubt hingeworfen sehen, ein Frass für die Hunde und die wilden Tiere, Männer, von denen ich glaube, dass wohl die Tugend selbst über sie geseufzt und ihre Jammerklage erhoben haben muss, weil sie in diesen Personen ein so schreckliches Opfer der Bosheit geworden. Das war also zunächst einmal das traurige Ende, das Ananus und Jesus nahmen.


Nach ihrer Hinmetzlung stürzten sich die Zeloten im Verein mit den Scharen der Idumäer auf das Volk, als gelte es einer Herde gemeiner Tiere, und ließen an ihm ihre ganze Mordlust aus.

Die gewöhnlichen Leute wurden, wo man sie traf, an Ort und Stelle niedergehauen, edlere und jüngere Personen dagegen verhaftete man und schloss sie gefesselt in die Gefängnisse ein, weil man durch den Aufschub ihrer Hinrichtung manche aus ihnen zum Anschluss an die eigene Partei zu bewegen hoffte.

Doch gab ihnen Niemand Gehör, sondern alle wollten lieber sterben, als dass sie zum Unheil ihrer Vaterstadt die Reihen der Schurken verstärkt hätten.

Entsetzlich aber waren dafür auch die Martern, die sie wegen ihrer Weigerung zu erdulden hatten: sie wurden gepeitscht und auf der Folter gereckt, und nachdem kein gesunder Fleck mehr am ganzen Leibe war, der noch hätte zerrissen werden können, mussten sie schließlich froh sein um den letzten Schwertstreich.

Wie die Gefangennahme am Tage, so wurden die Hinrichtungen regelmäßig bei der Nacht vorgenommen, worauf man die Leichen hinausschaffte und einfach hinwarf, um wieder Platz für neue Gefangene zu bekommen.

Der Schrecken unter dem Volke war so groß, dass Niemand über die Hinrichtung eines Verwandten offen zu weinen noch ihn zu begraben wagte: nur in der Stille des verriegelten Kämmerleins fielen die Zähren, und selbst dort wachte noch die Angst über die Seufzer, damit ja keiner von den Feinden etwas auffangen könnte.

Denn, wer trauerte, den ereilte sofort das Schicksal des Betrauerten. Nur während der Nacht nahm man ein paar Handvoll Staub und streute ihn über die Leichen: bei Tag nur, wer den Tod riskieren mochte.

12.000 Männer von edler Abkunft wurden auf diese Weise hingeschlachtet.


Nachdem selbst die Zeloten bereits Ekel empfanden beim Anblick der Ströme von Blut, die sie vergossen, suchten sie nunmehr mit Gericht und Recht ihren Spott zu treiben, und zwar hatten sie es dabei auf den Tod eines der erlauchtesten Männer, des Zacharias, Sohnes des Baruch, abgesehen. Was sie gegen den Mann aufreizte, das war sein gründlicher Abscheu vor allem Schlechten und seine überaus große Liebe zur Freiheit; außerdem war er auch reich, so dass sie von ihrer Tat nicht bloß die Beschlagnahme seines Vermögens, sondern noch überdies die Beseitigung eines Menschen erhofften, der seine Macht zu ihrer Unterdrückung benützen konnte.

Auf ihre bestimmte Weisung mussten siebzig in öffentlichen Stellungen befindliche Bürger in den Tempel kommen, wo man sie, wie bei einem Theaterstück, als Richter dasitzen ließ, ohne ihnen die mindeste Gewalt zu geben. Vor diesen erhoben sie nun gegen Zacharias die Anschuldigung, dass er den Römern Alles in die Hände liefern wolle und zu diesem Zwecke schon eine hochverräterische Botschaft an Vespasian habe gelangen lassen.

Für diese Beschuldigung hatten sie weder einen Beweis noch einen Zeugen, sondern sie stützten sich nur wieder auf ihre eigene Behauptung, dass sie davon ganz überzeugt wären, und erklärten, dies allein müsse schon die Wahrheit ihrer Anklagen verbürgen.

Zacharias war sich übrigens nur zu wohl bewusst, dass es für ihn keine Hoffnung auf Rettung mehr gebe: war er doch, wie er sich sagen musste, nicht so sehr ein vor Gericht geladener Angeklagter, als vielmehr nur ein unter diesem listigen Vorwand schon zum Tode bestimmter Gefangener, und so wollte er denn sein Leben, für das er keine Hoffnung mehr hatte, nicht schließen, ohne den Zeloten die Wahrheit gehörig gesagt zu haben. Er trat vor sie hin und geißelte mit scharfem Spott die überzeugungsvolle Klarheit der Beschuldigungen und zermalmte mit ein paar Streichen das ganze Lügenwerk der Anklage

Hierauf wandte er sich unmittelbar gegen seine Ankläger, nahm der Reihe nach alle ihre Gesetzlosigkeiten vor und schloss mit einem Weheruf über die allgemeine Zerrüttung.

Unterdessen lärmten die Zeloten und rasselten schon mit den Schwertern, ohne sie jedoch zu ziehen, da sie sich vorgenommen hatten, die äußere Form zu wahren und die Komödie des Gerichtes bis zum Ende zu spielen, und überdies auch die Richter auf die Probe stellen wollten, ob sie unter eigener Lebensgefahr noch der Gerechtigkeit eingedenk bleiben würden.

Die Siebzig gaben aber dem Angeklagten lauter freisprechende Stimmen und wollten lieber mit ihm sterben, als auch nur mit ihrem Namen seine Ermordung decken.

Auf den Freispruch hin erhoben die Zeloten ein großes Geschrei, und allgemein kehrte sich ihre Wut gegen die Richter, die so wenig verständnisinnig auf die ihnen zugedachte falsche Rolle eingegangen waren.

Zwei der verwegensten dagegen fielen inmitten des Heiligtums über Zacharias her und durchbohrten ihn, während sie dem Zusammenbrechenden noch den Spott zuriefen: „Da hast du auch unsere Stimme und einen noch gründlicheren Freispruch!“ Dann schleuderten sie sofort den Toten vom Tempel in die unter ihm gelegene Schlucht.

Die Richter aber schlugen sie zum Spott mit den flachen Klingen ihrer Schwerter und stießen sie zu den äußeren Tempeltoren hinaus, ohne sich indes an ihrem Leben zu vergreifen, aus dem einzigen Grunde, damit sie in der Stadt herumlaufen und die neue Knechtschaft allen ja sicher ankündigen sollten.


Die Idumäer bereuten es jetzt schon, nach Jerusalem gekommen zu sein, und das dortige Treiben begann ihnen bereits zu widerstehen.

Da kam überdies einer von der Zelotenpartei zu einer vertraulichen Unterredung, bei der er den versammelten Idumäern zuerst ihre Verletzungen des Gesetzes überhaupt nachwies, die sie im Bunde mit ihren Schützlingen schon begangen, und ihnen dann über das schwere Unrecht, das der Hauptstadt geschehen, reinen Wein einschenkte: „Ihr seid hiehergekommen,“ sprach er, „in der festesten Meinung, als ob die Hauptstadt von den Hohenpriestern an die Römer verraten würde; ihr habt aber bislang nicht den kleinsten Beweis für einen solchen Verrat entdecken können: wohl aber dürftet ihr gefunden haben, dass gerade jene Leute, die da angeblich sich nur vor dem Verrate zu schützen suchten, in Wirklichkeit als freche Feinde und Tyrannen der Stadt sich geberden.

Daran hättet ihr sie nun gleich vom Anbeginn an hindern sollen. Nachdem ihr aber euch einmal zur Teilnahme am Morde von Stammesbrüdern habt hinreißen lassen, so sollt ihr wenigstens jetzt euren Missgriffen eine Schranke setzen und denen, die alle väterlichen Institutionen niederreißen, nicht länger mehr euren kräftigen Arm zur Verfügung stellen.

Wenn auch manche aus euch es noch nicht verwinden können, dass man ihnen die Tore versperrt und den freien Eintritt für so lange verwehrt hat, als sie die Waffen nicht abgelegt hätten, so sind doch gerade jene Personen, die euch nicht hereinlassen wollten, dafür schon gezüchtigt. Ananus ist todt, und fast das ganze Volk ist während einer einzigen Nacht niedergemetzelt worden.

Wie ihr selbst die Wahrnehmung machet, wandelt ob solcher Greuel gar viele von euren eigenen Leuten schon Reue an, und könnt ihr euch auch mit euren Augen von der grenzenlosen Grausamkeit derer überzeugen, die euch zu Hilfe gerufen, und die selbst vor jenen keine Scheu mehr haben, mit deren Hilfe sie doch gerettet worden sind.

Treiben sie ja schon vor den Augen ihrer Bundesgenossen die größten Schändlichkeiten und Ruchlosigkeiten, die gewiss auch euch, den Idumäern, insolange aufgebürdet werden, als ihr entweder diese Dinge nicht zu verhindern sucht, oder aber euch selbst von ihren Untaten nicht zurückzieht.

Da sich somit die Erzählungen vom Verrate als pure Verleumdungen entpuppt haben, und ein Anmarsch von Seite der Römer jetzt keinesfalls zu erwarten steht, überdies auch die Stadt von einer starken Macht geschirmt ist, so ist es das beste, dass ihr in eure Heimat zurückkehret und durch die Absage einer unbedingten Heeresfolge an die Schurken euch auch von der bisherigen Gemeinschaft rein waschet, in die ihr durch die List jener Betrüger hineingezogen worden seid.