Gesteigerte Mordlust der Zeloten. Hinrichtung des Gorion und Niger. Der Plan Vespasians diesen Vorgängen gegenüber. Allgemeiner Schrecken in der Hauptstadt.


Wirklich ließen sich die Idumäer durch diese Enthüllungen bestimmen: was sie aber zunächst noch taten, das war, dass sie die in den Gefängnissen befindlichen Bürger in der Zahl von beiläufig 2.000 ihrer Bande entledigten, worauf die letzteren sofort aus der Stadt flohen und sich einem gewissen Simon anschlossen, von dem bald weiter unten die Sprache sein wird. Hierauf traten auch die Idumäer den Rückweg von Jerusalem in ihre Heimat an.

Ihr Abzug bedeutete für beide Parteien in der Stadt eine Überraschung. Denn einerseits hatte das Volk von der Sinnesänderung der Idumäer keine Ahnung gehabt und atmete jetzt für kurze Zeit, wie von einem feindlichen Alp befreit, wieder auf; die Überraschung der Zeloten aber war keineswegs die von Leuten, welche von Bundesgenossen im Stiche gelassen werden, sondern war im Gegenteil eine Überraschung von Menschen, die von unbequemen Mahnern und Gegnern ihrer Ungerechtigkeiten erlöst sind, und sie trugen den Kopf jetzt noch viel höher.

Denn jetzt gab es bei ihren Schlechtigkeiten gar kein Zaudern und gar keine Bedenklichkeit mehr, sondern mit größter Schnelligkeit wurden die Anschläge zu jedwedem Streiche entworfen, und der Beschluss noch rascher ausgeführt, als ausgeheckt.

Am meisten zogen Tapferkeit und Adel ihre mordlustigen Augen auf sich: das eine musste ihrem Neide, das andere ihrer Furcht zum Opfer fallen. Erst dann glaubten sie ganz sicher zu sein, wenn sie den letzten mächtigen Mann vernichtet hätten.

So ward mit vielen anderen auch Gorion hingerichtet, ein Mann von hervorragender Stellung und Abkunft, der ganz für die Volksherrschaft eingenommen und für die Freiheit, wie nur einer unter den Juden, begeistert war. Gerade diese seine hervorragenden Eigenschaften, darunter ganz besonders seine Freimütigkeit, wurden für ihn verhängnisvoll.

Ja nicht einmal Niger von Peräa, der sich in den Kämpfen mit den Römern so überaus heldenmütig benommen, entging ihren Mörderhänden. Als man ihn mitten durch die Stadt schleppte, erhob er wiederholt seine Stimme und ließ seine für die Freiheit erhaltenen Wundnarben sehen.

Vor das Stadttor hinausgeführt, sah er endlich, dass es für ihn keine Hoffnung mehr gebe, und flehte nunmehr um ein ehrlich’ Begräbnis. Die Unmenschen aber taten ihm noch zuvor die Grausamkeit an, ihm zu sagen, dass sie ihm gerade das, was er so sehnlich verlangte, einen Platz im Schoße der Erde, nicht gewähren würden, – dann vollbrachten sie das grause Werk!

Schon mit dem Tode ringend, fluchte Niger über seine Mörder die Rache der Römer, und zum Kriege noch Hunger und Pest herab und wünschte zu all’ dem, dass eines Hand gegen den andern sei.

Das alles hat auch wirklich Gott über die Verruchten verhängt, und was das gerechteste Gericht war, sie sollten nicht lange darauf einer gegen den andern sich erheben und einer die Tollwut des andern verkosten.

Die Hinrichtung des Niger hatte nun allerdings bei den Zeloten die Besorgnis wegen ihres Sturzes verringert: dessen ungeachtet blieb aber kein Teil des Volkes von erdichteten Anklagen unberührt, die man nur zum Verderben desselben ersonnen hatte.

Denn war auch jener Teil, der sich irgendwie gegen ihre Pläne stützig gezeigt hatte, längst ausgemerzt, so wurden nunmehr selbst jene friedlichen Leute, die sich vor jedem Widerspruch gehütet hatten, mit entsprechenden Anklagen bedacht: wer ihnen z. B. nicht gänzlich beigetreten war, wurde eines hochfahrenden Sinnes, wer seinen Freimut beim Anschluss mit sich nahm, der Geringschätzung, wer schmeichelte, des Verrates verdächtigt.

Die schwersten Anklagen, wie die geringfügigsten, zogen alle ein und dieselbe Strafe nach sich, den Tod! Niemand entging seinem Schicksal, außer der, welcher entweder von ganz niedriger Herkunft oder ohne alle Glücksgüter war.


Alle höheren römischen Offiziere betrachteten den Zwist unter den Feinden als eine unerwartete Gunst des Kriegsgottes und wollten sich darum sofort auf die Stadt werfen, wozu sie auch Vespasian, den sie schon für den Herrn der Situation hielten, dringend aufforderten. Es sei, meinten sie, eine besondere Fügung Gottes zu Gunsten der Römer, dass die Feinde selbst jetzt durcheinander gebracht wären:

immerhin aber sei der Umschwung oft ein rascher, und würden sich die Juden wohl wieder schnell miteinander abfinden, wenn sie entweder an ihrem inneren Übel genug gelitten hätten, oder ihnen die Reue kommen sollte.

Ihr habt da gar weit fehlgeschossen“, erwiderte Vespasian, „indem ihr vor lauter Begierde, nur mit der Stärke eurer Faust und dem Glanze eurer Waffen bei einem, allerdings nicht unblutigen, Schaustück gleichsam paradieren zu können, die Zuträglichkeit und Sicherheit ganz aus dem Auge lasset.

Denn, wenn wir sofort gegen die Stadt stürmen, so werden wir nur das eine erzielen, dass die Feinde wieder zusammenhalten und ihre volle Kraft dann gegen uns kehren: halten wir uns aber noch zurück, so wird der Bürgerkrieg noch weiter ihre Reihen lichten, und wir haben es dann mit noch weniger zu tun.

Ja, Gott ist ein besserer Stratege als ich, weil er es versteht, den Römern auch ohne Schlachtenstaub die Juden zu überliefern und ihrem Heere einen gefahrlosen Sieg zu schenken.

Wenn nun der Feind mit eigener Hand sich selbst zerfleischt und vom ärgsten Übel, dem Bürgerkriege, heimgesucht wird, so sollten wir doch lieber den Gefahren in mäßiger Ruhe zuschauen, als mit bewaffneter Hand unter todeswütige und wie tolle Hunde aufeinander losstürzende Menschen uns mischen.

Sollte aber Jemand der Meinung sein, ein Siegeskranz könne, ohne Kampf erworben, nur ein welker sein, so möge er wissen, dass ein geräuschlos gewonnener Erfolg jedenfalls einen größeren Nutzen bringt, als eine gewagte Waffentat.

Auch darf man ja diejenigen, welche glänzende Proben ihrer Tapferkeit abgelegt haben, darum nicht höher an Ruhm stellen, als jene, die durch Zurückhaltung und Klugheit dieselben Erfolge zustande gebracht haben. Während auf diese Art die Feinde immer weniger werden, wird sich zugleich mein Heer von den unausgesetzten Anstrengungen erholen und immer kräftiger werden.

Überdies ist das auch nicht die rechte Zeit für jene, die gerne einen recht glänzenden Sieg erzielen möchten.

Denn, anstatt dass sich die Juden mit Herstellung von Waffen und Mauern oder mit der Werbung von Hilfstruppen abgeben, wobei jeder Aufschub natürlich auch die Lage dessen verschlimmern würde, der ihn gewährt, drehen sie sich selbst gegenseitig im Bürgerkampf und inneren Streit die Hälse um und müssen von einander Tag für Tag noch viel Jämmerlicheres leiden, als was wir selbst ihnen nach der Eroberung der Stadt antun könnten.

Mag man also zunächst nur das Sichere in Betracht ziehen, so ergibt sich gewiss die Notwendigkeit, Leute, die sich gegenseitig aufreiben, sich auch selbst zu überlassen; aber man sollte auch in dem Falle, dass man selbst auf den größeren Siegesruhm Bedacht nehmen will, sich keine solche Stadt zum Angriffsziel wählen, die ohnehin noch an einer inneren Wunde blutet, da man dann mit gutem Grunde uns sagen könnte: Nicht eure Macht, sondern die eigene Uneinigkeit hat sie zum Falle gebracht.


Diesen Ausführungen des Vespasian konnten die übrigen Führer nur beistimmen, und es sollte sich auch alsbald weisen, wie klug dieser Feldzugsplan gewesen. Es kamen nämlich Tag für Tag eine Menge Überläufer zu den Römern, die den Zeloten entsprungen waren.

Die Flucht gestaltete sich freilich sehr schwierig, da die Zeloten alle Ausgänge mit Wachen besetzt hielten und jedem, der dort unter was immer für Umständen aufgegriffen ward, als einem Überläufer ins römische Lager den Garaus machten.

Wer jedoch Geld hergeben konnte, den ließ man laufen, und nur der, welcher nichts gab, war ein Verräter! Infolge dessen wurden nur die Armen hingeschlachtet, während sich die Wohlhabenden auch die Flucht bezahlen konnten.

An allen Landstraßen lagen ganze Haufen von Leichen aufgeschichtet, bei deren Anblick selbst viele, die schon zum Überlaufen entschlossen waren, sich wieder bewogen fühlten, lieber in der Stadt ihr elendes Ende zu erwarten, weil den Tod in der Vaterstadt wenigstens die Hoffnung auf ein Begräbnis milder erscheinen ließ.

Doch gingen die Zeloten in ihrer Roheit so weit, dass sie ebensowenig den innerhalb der Stadt getödteten Personen, wie denen, die auf ihrem Wege niedergestreckt worden waren, die Erde gönnten, sondern, wie wenn sie sich verschworen hätten, mit den Gesetzen ihrer Vaterstadt auch die der Natur herauszureißen und mit den Freveln gegen die Menschen auch die Schändung der Gottheit zu verbinden, die Leichen unter den Strahlen der Sonne modern ließen.

Wer einen Verwandten begrub, den traf dieselbe Strafe, wie den Überläufer – der Tod, und er musste nun selbst gleich das entbehren, was er einem andern geschenkt hatte – das Grab.

Kurz und gut, es gab keine edlere Regung, die in jener Schreckenszeit dermaßen geschwunden war, wie das Erbarmen! Denn gerade das, was das Herz erweichen musste, das war es, was die Unholde noch mehr reizte. An den Toten ließen sie wegen der Lebenden, an den Lebenden aber wegen der Toten ihre ganze Wut aus.

Wer noch verschont war, pries im Übermaß der Angst, in der er schwebte, selbst jene selig, die vor ihm schon ergriffen worden, weil sie wenigstens der peinlichen Ungewissheit los waren; die in den Gefängnissen schmachtenden nannten sogar die Toten, die kein Grab hatten, noch verhältnismäßig glücklich.

Alles menschliche Recht wurde von ihnen mit Füßen getreten, die göttliche Offenbarung verlacht und die Aussprüche der Propheten als gauklerisches Machwerk verhöhnt.

Die Propheten haben nämlich viele göttliche Weisungen über die Tugend sowohl wie das Laster in alter Zeit ergehen lassen, und gerade durch deren Übertretung sollten die Zeloten auch der Prophezeiung vom Untergange des Vaterlandes ihre Erfüllung bringen.

Denn es bestand ja eine von gotterfüllten Männern gebrachte alte Weissagung, dass gerade dann die Stadt in Feindeshand fallen, und das Heiligtum bei der Erstürmung niedergebrannt werden würde, wenn ein Bruderkampf hereingebrochen und der Tempelbezirk zuvor von den Händen der Juden selbst entweiht sein würde. Eben diese Weissagung war es nun, welcher sich die Zeloten trotz ihres Unglaubens als Werkzeuge zur Verfügung stellen mussten.