Simon lässt den Matthias mit seinen Söhnen hinrichten. Andere Exekutionen. Misslungener Verrat des Judas. Josephus in Gefahr. Entsetzliches Schicksal der Überläufer, trotz Einschreitens des Titus. Die Zeloten vergreifen sich an den heiligen Vorräten.


Unter anderem ersparte Simon nicht einmal dem Matthias, durch den er doch in den Besitz der Stadt gekommen war, eine martervolle Hinrichtung. Letzterer war der Sohn des Boëthus, aus hohepriesterlichem Geschlechte, und besaß, wie nur einer, das Vertrauen und die Achtung des Volkes.

Er hatte zur Zeit, als die Zeloten, bereits mit Johannes im Bunde, das Volk unter ihr tyrannisches Joch beugten, die Bürger bewogen, den Simon als Bundesgenossen in die Stadt hereinzulassen, und zwar ohne ihn an irgend eine Vereinbarung zu binden oder etwas Schlimmes von ihm zu gewärtigen.

Sobald sich jedoch Simon nach seinem Einzuge der Stadt versichert hatte, so betrachtete er auch den ihm so wohlwollenden Ratgeber genau so, wie die anderen Bürger, als seinen Feind, weil nach seiner Meinung beim Rate des Matthias mehr die dumme Einfalt, als das Wohlwollen mitgespielt hatte.

Er ließ ihn nun um diese Zeit verhaften, unter die Anklage, dass er ein Römerfreund sei, stellen und verurteilte ihn, ohne eine Verteidigung zuzulassen, mit dreien seiner Söhne zum Tode. Der vierte Sohn hatte sich noch rechtzeitig zu Titus flüchten können. Matthias bat noch flehentlich, dass man ihn wenigstens vor seinen Kindern hinrichten möchte; es war das die einzige Gnade, die er sich für die Aufnahme des Simon in die Stadt von ihm ausbat. Und Simon befahl – mit seiner Hinrichtung bis zuletzt zu warten.

So wurden nun denn vor den Augen des Vaters zuerst die Kinder hingemordet, und dann über ihren Leibern der Vater geschlachtet. Im Auftrage des Simon hatte sein grausamster Scherge Ananus, Sohn des Bamadus, die Marterstätte gerade dem römischen Lager gegenüber wählen müssen, um den Matthias noch mit bitterem Spotte zu fragen, ob ihm denn wohl die Römer, zu denen er hätte übergehen wollen, zu Hilfe kommen würden.

Selbst die Beerdigung versagte Simon den Leichen. Nach ihnen kam ein Priester, namens Ananias, ein Sohn des Masambalus, aus bekanntem Geschlechte, und der Rathsschreiber Aristeus, gebürtig von Emmaus, mit noch fünfzehn anderen erlauchten Männern der Volkspartei ans Messer.

Auch den Vater des Josephus hatten die Schreckensmänner in den Kerker geworfen und ließen ihn streng bewachen. Eine öffentliche Kundmachung verbot sogar den Stadtbewohnern allen Verkehr untereinander, wie auch jede Ansammlung, weil man überall Verrat witterte. Selbst bloße Gruppen von Trauernden wurden ohne Process sofort niedergehauen.


Unter den Führern des Simon befand sich auch ein gewisser Judas, Sohn des Judas, dem der Tyrann die Bewachung eines Turmes anvertraut hatte. War es nun vielleicht das Mitleid mit den so grausam geopferten oder noch mehr die Sorge um die eigene Sicherheit, was ihn antrieb, kurz, er ließ angesichts dieser Greueltaten die zehn ihm ergebensten Krieger seines Kommandos zu sich kommen und sprach zu ihnen:

Wie lange wollen wir denn noch unseren Jammer fortschleppen? Oder was haben wir denn überhaupt für Aussichten auf Rettung, wenn wir einem solchen Schurken treu bleiben? Wütet nicht schon der Hunger in unseren Reihen?

Sind nicht die Römer schon mit einem Fuße in der Stadt herinnen? Und müssen wir denn nicht bei der Treulosigkeit, die Simon sogar gegen seine Wohltäter bewiesen, uns selbst schon von seiner Seite auf das Schlimmste gefasst machen, während der von den Römern versprochene Pardon auch ganz sicher gehalten wird.

Wohlan, so lasset uns durch die Übergabe der Festungsmauer mit dem eigenen Leben auch unsere Vaterstadt retten! Dem Simon aber geschieht kein Unrecht, wenn er, der ohnehin sich selbst schon aufgegeben hat, ein wenig früher zur Strafe gezogen wird.

Da die zehn damit einverstanden waren, so schickte Judas beim Morgengrauen die übrigen Leute unter seinem Befehle den einen dahin, den anderen dorthin, damit vom ganzen Plane ja nichts aufkommen könnte. Um die dritte Stunde rief er dann selbst von seinem Turme herab nach den Römern.

Doch von den letzteren waren die einen zu stolz, um auf den Juden zu hören, andere glaubten ihm nicht, während die Mehrzahl sich schon darum bedachte, weil sie über ein Kleines die Stadt auch ohne ein solches Wagnis einzunehmen hoffte.

Bis aber endlich Titus sich anschickte, mit Bewaffneten an die Mauer heranzukommen, hatte schon Simon davon Wind bekommen. In aller Eile bemächtigte er sich noch früh genug des Turmes, tödtete im Angesichte der Römer die überwältigte Mannschaft und schleuderte die schrecklich entstellten Leichen vorn über die Mauer hinab.


Um diese Zeit wurde auch Josephus auf einem seiner Rundgänge, die er noch immer zu dem Zwecke anstellte, die Einwohner zur Übergabe zu bewegen, von einem Steine am Kopfe getroffen und sank gleich ohnmächtig zu Boden. Seinem Sturz folgte sofort auch ein Ausfall der Juden, die ihn unfehlbar in die Stadt hineingeschleift haben würden, wenn nicht der Cäsar schleunigst die nötigen Leute zu seiner Deckung hingeschickt hätte.

Während sich nun diese den Juden entgegenwerfen, trägt man den Josephus, der vom ganzen Vorfall nur mehr ein dumpfes Getöse vernimmt, vom Platze. Die Rebellen aber sandten ihm, in der Überzeugung, dass sie dem Mann, auf den sie es am allermeisten abgesehen hatten, endlich einmal den Garaus gemacht hätten, ein Freudengeheul nach.

Dieselbe Kunde durchlief auch die Stadt und rief unter der noch übrig gebliebenen Bürgerschaft große Mutlosigkeit hervor, weil man ja den Tod eines Mannes für sicher hielt, auf den bis jetzt noch alle Überläufer ihre Hoffnung gesetzt hatten.

Als die Mutter des Josephus im Gefängnis die Nachricht von seinem Tode vernahm, sprach sie zu den Wächtern: „Das habe ich schon seit dem Falle von Jotapata gewusst; denn wenn er auch das leibliche Leben noch haben würde, so hätte ich doch daran kein Interesse mehr“.

Sobald sie aber mit ihren Dienerinnen allein war, schüttete sie vor ihnen ihren Jammer mit der Klage aus: „Das also ist das Ende meines Muttersegens, dass ich nicht einmal den Sohn begraben darf, von dem ich selbst begraben zu werden wünschte!

Aber freilich sollte diese unbegründete Nachricht nicht lange ihr Mutterherz martern und auch nicht lange den Banditen Vergnügen bereiten. Rasch hatte sich nämlich Josephus von seiner Wunde erholt und zeigte sich bald darauf wieder den Juden mit der lauten Drohung, sie würden ihm über Kurzem für die Verletzung büßen müssen. An das Volk aber richtete er aufs neue seine Aufforderungen, sich auf Gnade zu ergeben, und bei seinem Anblick schöpfte auch das Volk wieder Mut, während die Aufrührer von Schrecken befallen wurden.


Manche Überläufer sprangen jetzt, da sie sich nicht anders helfen konnten, von der Stadtmauer herab. Andere gaben sich den Schein, als ob sie mit Wurfsteinen durch die Tore hinaus den Römern zu Leibe rücken wollten, und flohen dann ins römische Lager. Doch verfolgte sie dort ein Missgeschick, das an Härte noch das Elend der Zurückgebliebenen übertraf, indem gerade die Sättigung, die ihnen bei den Römern zuteil ward, eine noch furchtbarere Zerstörungskraft an ihnen offenbarte, als sie der drinnen herrschende Hunger besaß.

Sie kamen nämlich infolge der ausgestandenen Not ganz aufgelaufen und wie wassersüchtig ins Lager. Wenn sie dann nun ihren ausgemergelten Leib auf einmal mit Speisen anschoppten, barsten ihre Eingeweide, während andere, die gewitzigter waren, ihre Hungergier regelten und ihrem Magen, der vor lauter Entbehrung nichts mehr vertragen konnte, die Nahrung nur kleinweis beibrachten.

Aber glücklich einer Gefahr entgangen, wurden die letzteren von einem anderen Unheil ereilt. Im Lager der Syrer überraschte man nämlich einen von den Überläufern in dem Augenblicke, wie er eben aus seinen Excrementen Goldstücke heraussuchte. Wie wir schon früher gesagt haben, verschluckten die Ausreißer, weil die Rebellen jeden genau durchsuchten, ihre Goldmünzen, von denen damals eine große Menge in der Stadt circulierte, so dass man ein solches Goldstück, das vordem 25 attische Drachmen (Attiken) galt, jetzt um 12 einwechseln konnte.

Da man nun aber einmal bei einem wenigstens auf den Kniff gekommen war, so drang das Gerücht von einem Lager zum andern, dass die Überläufer bei ihrer Ankunft den Leib voll Gold hätten, und infolgedessen wurden von da an den Schutzflehenden vom Schwarm der Araber und von den Syrern der Leib aufgeschnitten und der Magen durchsucht, nach meiner Meinung wohl noch das grauenhafteste Schicksal, das die Juden ereilt hat: wurde doch in einer einzigen Nacht bei 2.000 Menschen der Bauch aufgeschlitzt!


Als dem Titus diese Ruchlosigkeit zu Ohren kam, fehlte nicht viel, dass er die Schuldigen durch seine Reiterei hätte sofort in die Mitte nehmen und niederschießen lassen. Aber es waren zu viele in die Greueltat verwickelt, so dass die Zahl derer, die man hätte hinrichten müssen, die Menge der Hingeschlachteten um ein Vielfaches überstieg.

So beschränkte sich denn Titus darauf, die Befehlshaber der Hilfstruppen, wie auch die der Legionen, unter denen ebenfalls einige Soldaten in diese Anklage einbezogen worden waren, zusammenzurufen, um beiden Teilen des Heeres eine Strafrede zu halten.

Er sei empört, ließ er die Römer an, wie sogar einige unter seinem unmittelbaren Befehle stehende Soldaten um eines zweifelhaften Gewinnes willen sich zu einer solchen Schandtat herbeilassen und so wenig die Ehre ihrer Waffen, die doch selbst mit Silber und Gold ausgelegt wären, respektieren konnten!

Dann wandte er sich an die Araber und Syrer mit der zornigen Frage, wie sie sich denn fürs erste unterstehen könnten, in einem Kriege, den sie bloß unter dem Kommando der Römer als Bundesgenossen mitmachten, ihren Leidenschaften in einer Weise zu fröhnen, als wären sie selbst die Herren, und wie sie dann noch ihre grausame Mordlust und ihren Judenhass unter dem Namen der Römer verstecken könnten, indem man wirklich bereits einige Römer mit dem schändlichen Gerüchte in Verbindung bringe.

Zuletzt drohte Titus den Arabern und den Syrern, jeden zum Tode führen zu lassen, der noch einmal bei einer solchen Untat betroffen würde. Die Legionssoldaten hingegen erhielten von ihm den Befehl, die verdächtigen Kameraden auszuforschen und zu ihm zu bringen.

Aber, wie gerade unser Fall wieder zeigt, setzt sich die Habsucht über jede Strafe hinweg, da eine gar wilde Gier nach Gewinn im Herzen des Menschen lodert, und keine Leidenschaft soviel wagt, wie eben die Habgier, während doch sonst die anderen ein Maß und Ziel haben und sich wenigstens von der Furcht beherrschen lassen. Im Grunde genommen war es jedoch derselbe Gott, der das ganze Volk zum Untergang verurteilt hatte, welcher ihnen auch jeden Rettungsweg in einen Weg des Verderbens verkehrte.

Denn was der Cäsar unter strenger Strafe untersagt hatte, das wagte man wenigstens heimlich noch gegen die Überläufer, indem jetzt die Barbaren den aus der Stadt fliehenden Juden, ehe sie völlig in den Gesichtskreis des Lagers kamen, entgegenliefen und sie ums Leben brachten. Dann sahen sie sich vorsichtig um, ob sie nicht von einem Römer beobachtet würden, und schlitzten dem Getödteten den Leib auf, um den blutbefleckten Gewinn aus den Eingeweiden herauszureißen.

Nur in wenigen fand man etwas; die Mehrzahl wurde ganz nutzlos um einer trügerischen Hoffnung willen hingeschlachtet. Dieses traurige Schicksal bestimmte natürlich viele Überläufer zum Bleiben.


Als die Vorräte, die Johannes dem Volke abgenommen hatte, ausgingen, warf er sich auf den Tempelraub. Unter anderen ließ er viele Weihegeschenke aus dem Heiligtum, wie auch viele zum Gottesdienst erforderliche Gefäße, z. B. Mischkrüge, Teller und Tische einschmelzen und legte seine Hand sogar auf die von Augustus und seiner Gemahlin gewidmeten Weingefäße.

Also, die römischen Kaiser ehrten jederzeit den Tempel und bereicherten ihn mit Schmuckgegenständen, und der Jude von damals riss selbst die von anderen Nationen gewidmeten Weihegaben herunter, indem er zu seinen Spießgesellen noch zu sagen sich erfrechte, man dürfe ohne Scheu für Gott auch Gottes Eigentum verwenden, und die Verteidiger des Tempels müssten auch vom Tempel aus erhalten werden.

Deshalb leerte er auch den heiligen Wein und das öl aus, welche die Priester für die Besprengung der Brandopfer, und zwar im inneren Raume des Heiligtums, noch aufbewahrt hatten, und verteilte den Vorrat unter seine Schar, von der nun ein jeder ohne das mindeste Grauen mehr als ein Hin an seinem Leibe verschmierte und davon auch trank.

Ich möchte hier nicht länger mit einem Bekenntnis zurückhalten, das mir das gepresste Herz auf die Lippen drängt: Ich glaube nämlich, dass, wenn die Römer noch länger gezaudert hätten, die Frevler zu zerschmettern, die Erde sich hätte auftun müssen, um die Stadt zu verschlingen, oder dass eine Sündflut sie hätte austränken oder die Blitze von Sodom auch Jerusalem hätten treffen müssen. Denn Jerusalems Hügel trugen damals ein noch weit gottloseres Geschlecht, als das gewesen, über welches jene entsetzlichen Strafen verhängt worden sind, und eben dieses Geschlecht war es auch, dessen Wahnwitz das ganze Volk in sein Verderben mit hinein gerissen hat.


Was soll ich das ganze Jammerbild noch in seinen Einzelnheiten ausmalen? Erzählte doch der in jenen Tagen zu den Römern übergelaufene Mannäus, Sohn des Lazarus, dem Titus, dass von dem Tage an, da er sein Lager vor der Stadt bezogen, d.i. vom 14. des Monates Xanthikus an bis zum Neumond des Panemus bei dem Tore, das ihm, dem Mannäus, anvertraut gewesen, allein 115.880 Leichen hinausgeschafft worden seien.

Und das war nur die Zahl der Armenleichen! Denn Mannäus hatte sich nicht etwa zu Fleiß aufgestellt, um alle Leichen zu zählen, sondern nur solche gezählt, die er schon wegen der Auszahlung der Beerdigungskosten aus den öffentlichen Geldern genau zählen musste. Für das Begräbnis der anderen mussten ja die Verwandten sorgen. Diese Bestattung bestand übrigens nur darin, dass die Träger die Leiche zur Stadt hinausschafften und einfach irgendwo hinwarfen.

Dem Mannäus folgten viele angesehene Flüchtlinge, welche die Angabe machten, dass die Zahl der Armenleichen, die bei sämmtlichen Toren vor die Stadt hinausgeworfen worden seien, alles in allem 600.000 betrage, ungerechnet die Menge der anderen Leichen, die man überhaupt nicht mehr constatieren könne.

Als man dann, erzählten sie weiter, vor Schwäche die verstorbenen Armen nicht mehr hinausschaffen konnte, hätte man angefangen, ihre Leichen in den geräumigsten Häusern, die später verschlossen wurden, aufzuhäufen.

Ein einziges Maß Weizen wäre um ein Talent verkauft worden, und als hierauf die Umwallung der Stadt selbst das Sammeln von Kräutern fürder unmöglich machte, wären manche in eine solche Bedrängnis geraten, dass sie die Abzugskanäle und alten Rindermist durchwühlen mussten, um die erbärmlichsten Abfälle daraus zum Essen zu bekommen. Was man früher ohne Ekel nicht einmal habe ansehen können, das müsse man jetzt sogar zum Munde führen.

Die bloße Schilderung dieser Not erweckte selbst bei den Römern Mitleid, aber die Aufrührer wurden nicht einmal durch den unmittelbaren Anblick derselben erschüttert, sondern sie ließen alles an sich herankommen, geblendet vom Verhängnis, das bereits über der Stadt und ihrem eigenen Nacken schwebte.