Untergang vieler Römer in den Flammen. Höhepunkt des Hungers: eine Mutter verzehrt ihr Kind. Entrüstung des Titus.


Die Rebellen im Tempel oben ließen es an keiner Anstrengung fehlen, um Tag für Tag die an den Dämmen arbeitenden Römer durch offene Angriffe aufzuhalten; am 27. des vorerwähnten Monates aber bereiteten sie ihnen wieder eine Falle.

Das ging so zu. Sie füllten an der Westhalle den Raum zwischen dem Balkenwerk und dem die Halle abschließenden Dache mit dürrem Holze und außerdem noch mit Asphalt und Pech an, worauf sich die Kämpfer zum Scheine ganz erschöpft aus ihren Stellungen zurückzogen.

Kaum war das bei den Römern bemerkt worden, als auch schon viele unbedachtsame Soldaten, von ihrem Ungestüm fortgerissen, hinter den Weichenden her waren, Leitern an die Halle lehnten und auf das Dach derselben hinaufliefen, indes die Klügeren hinter der seltsamen Flucht der Juden eine Falle witterten und ihren Platz nicht verließen.

Von den anderen waren aber schon soviele auf die Halle gestiegen, dass das Dach von Römern wimmelte, – und gerade jetzt zündeten die Juden die ganze Dachung von unten an. Plötzlich züngelten von allen Seiten die Flammen empor. Die von der Gefahr nicht berührten Römer standen starr vor ungeheurem Entsetzen, die vom Feuer eingeschlossenen starr vor Verzweiflung.

Einige stürzten sich, nachdem ihnen das Feuer jeden Ausweg versperrt hatte, auf der Rückseite gegen die Stadt hinab, andere wieder unter die Feinde. Viele sprangen in der Hoffnung, sich zu retten, unter die Ihrigen hinab und zerschmetterten sich die Glieder. Die meisten aber ereilte das Feuer, ehe sie überhaupt zum Sprunge kommen konnten. Manche stürzten sich früher ins eigene Schwert.

Rasch hatte übrigens die weithin sengende Lohe auch jene eingehüllt, die auf der Flucht vor ihr sich schon den Tod geholt hatten. So sehr sich auch der Cäsar über die armen Opfer ärgern musste, weil sie, ohne einen Befehl abzuwarten, hinaufgestiegen waren, so fühlte er dennoch inniges Mitleid mit den Kriegern, die, aller Hilfe beraubt, in ihrem letzten Augenblicke doch wenigstens einen Trost hatten, dass sie eben jenen von Schmerz zerrissen sahen, für den sie ihr Leben aushauchten. Sie konnten nämlich deutlich von oben wahrnehmen, wie Titus zu ihnen hinaufschrie, wie er hinsprang, und dann wieder auf seine Umgebung einredete, soweit es möglich war, Hilfe zu bringen.

Mit diesem Schmerzensruf des Cäsar nahm jeder Unglückliche die herrlichste Leichenrede, mit des Cäsars Angst das schönste Andenken mit ins Grab und starb getrost.

Einige Soldaten konnten sich übrigens vor den Flammen retten, indem sie sich auf die breite Mauerwand der Halle zurückzogen: dort wurden sie indes von den Juden umringt und nach langer Gegenwehr, mit Wunden über und über bedeckt, zuletzt sammt und sonders niedergemetzelt.


Zuletzt fiel noch ein Jüngling, namens Longus, dessen Heldenmut selbst dieses grässliche Unglück mit einem versöhnenden Schimmer umgibt, und der unter diesen Wackeren, die eigentlich alle einzeln mit ihren Namen angeführt zu werden verdienten, sich am bravsten gezeigt hat.

Da seine herculische Stärke sogar bei den Juden Staunen erweckte, und dieselben ihm auch gar nicht beikommen konnten, so forderten sie ihn auf, sich auf Gnade zu ergeben und zu ihnen hinabzusteigen. Von der anderen Seite schrie ihm aber sein Bruder Cornelius zu, er möge doch ihren ruhmvollen Namen und die römische Fahne nicht entehren. Das war auch sein Leitstern! Vor den Augen der beiden Heere blitzte einen Augenblick sein Schwert auf, dann sank er durchbohrt zu Boden.

Aus den durch das Feuer abgeschnittenen Römern rettete sich ein gewisser Artorius auf folgende schlaue Art: Er rief so laut, als er schreien konnte, nach einem Kriegsgefährten und Zeltgenossen, namens Lucius: „Ich hinterlasse dir mein ganzes Vermögen, wenn du herkommst und mich auffängst“.

Lucius war gleich bereit und lief zur Stelle, worauf der andere sich auf ihn hinabstürzte und wirklich am Leben blieb, während sein Retter unter der Wucht des stürzenden Kriegers mit solcher Gewalt auf das Steinpflaster hingeschleudert ward, dass er todt am Platze blieb.

Diese Schlappe erzeugte bei den Römern allerdings eine vorübergehende Mutlosigkeit, aber verschärfte auch ihre Vorsicht für die Zukunft, und hatte darum in Ansehung der vielen Hinterhalte, in welchen die Römer infolge mangelhafter Orts- und Menschenkenntnis in der Regel zu Schaden kamen, sogar ihr Gutes.

Die Halle brannte bis zum Turme des Johannes nieder, den der Tyrann in seinen Kämpfen mit Simon gerade über die auf den Xystus hinausführenden Tore hin errichtet hatte. Das noch übrige Stück hatten die Juden durch Abhauen des Daches vor dem Brande gerettet, nachdem die Römer, die auf die Hallen gestiegen waren, bereits ihren Tod gefunden hatten.

Am nächsten Tage wurde auch die Nordhalle und zwar von den Römern selbst in ihrer ganzen Länge bis zur Osthalle eingeäschert. Der Winkel, welcher beide Hallen verband, erhob sich mit seinem Baue gerade über der Cedronschlucht, also über einer furchtbaren Tiefe. So standen die Dinge im Tempel oben.


Mittlerweile wütete die Hungersnot in der Stadt unten fort und mähte eine zahllose Menschenmenge nieder. Dabei spielten sich ganz unsagbare Jammerszenen ab.

Kam in einem Hause etwas zum Vorschein, was auch nur von ferne an eine Speise erinnerte, so war auch schon der Kampf fertig, und Personen, die sich sonst über alles teuer waren, gebrauchten jetzt gegeneinander die Fäuste und rauften sich um die jammervollste Zehrung.

Selbst Sterbenden traute man nicht, wenn sie beteuerten, dass sie nichts mehr hätten, sondern das Raubgesindel durchsuchte auch solche, denen die Seele schon auf den Lippen stand, weil man dachte, sie könnten doch noch etwas Essbares in der Busenfalte haben und deswegen das Sterben nur simulieren.

Den Mund weit offen vor Hungerqual, wie von der Tollwut befallene Hunde, wankten und schwankten die Banditen an den Häusern dahin, fielen dann wie Betrunkene in die Thüren und liefen, weil sie sich nicht mehr zu raten und zu helfen wussten, in einer Stunde zwei- oder dreimal in ein und dasselbe Haus.

Die Not steckte ihnen alles unter die Zähne, Dinge, die nicht einmal die unsaubersten Tiere zur Nahrung möchten, wurden gesammelt und auch hinuntergewürgt! Fiel man doch zuletzt selbst über lederne Gürtel und Sohlen her und nagte an den Häuten, die man von den Schilden abgezogen hatte!

Manche hatten keine andere Nahrung mehr als alte Grasbüschel, da die Fleischfasern, die einzelne zusammensuchten, schon so teuer waren, dass das kleinste Gewicht zu vier attischen Drachmen verkauft wurde.

Was soll ich mich aber noch länger bei leblosen Dingen aufhalten, um die aller Sitte hohnsprechende Tyrannei des Hungers zu beschreiben! Ich will ja nunmehr eine Ausgeburt des Hungers schildern, wie etwas ähnliches weder in der Geschichte der Griechen noch auch der Barbaren sich findet. Die Zunge erschaudert, es auszusprechen, und jeder, der es hört, schüttelt ungläubig den Kopf.

Was mich anbelangt, so würde ich gewiss mit Vergnügen auf die Mitteilung des grässlichen Falles verzichtet haben, um ja bei den späteren Geschlechtern nicht in den Verdacht eines Fabelhansen zu kommen, wenn ich nicht unter meinen Zeitgenossen unzählige Zeugen dafür hätte. Überdies würde ich mir bei meinem Volke gewiss einen schlechten Dank einlegen, wenn ich für das, was es in Wirklichkeit hat verkosten müssen, nicht einmal ein schwaches Wort der Erinnerung hätte.


Unter der Menge, die aus dem Ostjordanlande nach Jerusalem geflohen war und nun die Belagerung mitmachen musste, befand sich auch eine Frau, namens Maria, die Tochter eines gewissen Eleazar, aus dem Dorfe Bethesob, d. h. Haus des Ysop, die durch den Adel ihrer Geburt, wie durch ihren Reichtum hervorragte.

Zunächst wurde nun fast ihre ganze Habe, die sie auf ihren Lasttieren von Peräa nach Jerusalem gebracht hatte, von den Gewaltherrschern als gute Beute erklärt. Was sie davon noch an Kostbarkeiten gerettet hatte, und was sie an Esswaren sich zu verschaffen wusste, das nahmen ihr die Banden derselben, die Tag für Tag bei ihr einbrachen, weg.

Ein furchtbarer Grimm überkam die Frau, und gar oft suchte sie absichtlich die Plünderer durch Schmähungen und Verwünschungen gegen sich aufzureizen.

Als ihr aber weder im Zorn noch aus Mitleid jemand das Leben nehmen wollte, und sie auch müde wurde, immer nur für andere Lebensmittel ausfindig zu machen, zumal das letztere bereits überall den größten Schwierigkeiten begegnete, der Hunger aber schon in allen ihren Eingeweiden und in ihrem innersten Marke wütete, da erfasste sie ein Zorn, noch wilder als die verzehrende Glut des Hungers, und Ingrimm und Not gaben ihr miteinander den nur zu wirksamen Rat, sich selbst an der Natur zu vergreifen.

Sie packte ihr Kind, ein Knäblein, das noch die Mutterbrust sog, und sprach: „O unglückliches Geschöpf, im Kriege, in Hungersnot und Aufruhr geboren, für was von diesen dreien soll ich dich denn aufsparen?

Bei den Römern sind wir nur Sklaven, wenn wir schon unter ihren Händen nicht sterben müssen. Der Sklaverei aber droht schon der Hunger zuvorzukommen, und schrecklicher als beide sind unsere Rebellen!

Nun wohlan, werde jetzt eine Speise für deine Mutter, ein blutiges Gespenst für die Aufrührer, eine Schreckenssage für die ganze Welt, in der sich das ganze Leidensmeer der Juden erschöpfen soll!

Mit diesen Worten schlachtet sie ihr Söhnlein, brät es dann und verzehrt davon die Hälfte, den Rest wickelt sie ein, um ihn noch aufzusparen.

Gleich waren auch wieder die Rebellen zur Stelle, und wie sie nun den Duft des grässlichen Bratens einschlürften, drohten sie, die Frau augenblicklich niederzustechen, wenn sie nicht mit ihrem angerichteten Mahl herausrücken wollte. „Ich habe euch“, antwortete die Frau, „noch ein schönes Stück aufbehalten!“ Bei diesen Worten nahm sie die Decke von den Überbleibseln des Kindes.

Schauder und sinnverwirrendes Entsetzen packte die Banditen, und sie standen starr vor Schrecken. Darauf die Frau: „Was hat es? Ists doch nur mein eigen Kind, und nur meine Hand hat das Gericht bereitet! Greift nur zu: auch ich habe schon davon gegessen!

Seid doch nicht weichherziger, denn ein Weib, und mitleidiger, als eine Mutter! Habt ihr aber schon ein so fromm’ Gemüt und möget ihr mein Opferlämmlein nicht kosten, mir soll’s recht sein: ich habe schon die eine Hälfte gegessen, und so soll mir auch die andere bleiben!

Zitternd enteilten die Raubgesellen: es war das erstemal, dass sie zitterten, und nur der äußerste Abscheu zwang sie, diesmal der Mutter ihre Speise zu lassen! Blitzschnell erfüllte die Kunde von dieser abscheulichen Tat die ganze Stadt, und jedermann erschauerte vor dem blutigen Ereignis, das ihm nicht von der Seele wollte, gerade so, als ob das Ungeheure bei ihm selbst eingekehrt wäre.

Die Hungernden hatten von jetzt nur ein Verlangen mehr: „Nur sterben!“ und selig pries man jene, die schon früher hinübergegangen, ehe sie solch’ grauenhaftes Leid hatten hören oder schauen müssen.


Rasch verbreitete sich das schreckliche Gerücht auch im römischen Lager, wo es von den einen mit ungläubigem Kopfschütteln, von andern mit Empfindungen des Mitleides aufgenommen ward, während es bei den Meisten nur die Wirkung hatte, den schon vorhandenen Hass gegen die jüdische Nation aufs höchste zu steigern.

Der Cäsar lehnte auch diesmal feierlich vor Gott jede Verantwortung für die Untat ab und erklärte entschieden: „Ich habe den Juden Frieden, Freiheit und alle gemeine Amnestie ihrer Verbrechen angeboten:

sie aber haben statt der Einigkeit den Parteikampf, statt des Friedens den Krieg, statt Überfluss und Wohlergehen die Hungersnot gewählt und mit eigener Hand den ersten Feuerbrand in das von uns ängstlich geschonte Heiligtum geschleudert: sie sind wahrhaftig auch solch’ grässlicher Speise wert!

Ich will aber dafür sorgen, dass das abscheuliche Verbrechen mit dem Kinderfleisch im Schutte ihrer Vaterstadt begraben wird, und dass auf dem weiten Erdenrund die Sonne eine Stadt nicht mehr finde, wo Mütter von solchem Fleische leben.

Doch sollten sich mit einer so schauerlichen Speise statt der Mütter eigentlich die Väter nähren, jene Väter, die nach so entsetzlichen Erfahrungen noch immer in ihrem kriegerischen Trotze verharren“.

Mit diesen Worten deutete Titus auch die gänzliche Verzweiflung der Männer an. Denn er musste sich sagen, dass, nachdem diese Leute die ganze Summe von Leiden tatsächlich erschöpft hatten, die durch ihre bloße Möglichkeit schon sie hätten billigermaßen zur Sinnesänderung bewegen müssen, gar keine Hoffnung mehr auf deren Ernüchterung vorhanden sei.