Unglücklicher Angriff auf den inneren Tempel. Übergang einiger Rebellen. Brand der Tore. Beratung über das Schicksal des Tempelhauses. Ausfall der Juden. Der Tempel in Flammen. Allgemeiner Ansturm der Legionen. Geschichte des Tempels.


Als die für den Tempel bestimmten Belagerungsdämme von den betreffenden zwei Legionen zu Ende geführt waren, befahl Titus am achten des Monates Lous die Widder gegen die westliche und nördliche Ausbuchtung (Exedra) des inneren Heiligtums aufzufahren.

Vor diesen zwei Punkten nun bearbeitete vom frühen Morgen an ununterbrochen die stärkste Sturmmaschine, die die Römer besaßen, die Mauerwand, ohne das geringste auszurichten. Die Größe und das Gefüge der hier befindlichen Steine trotzte dieser so gut, wie allen anderen Widdermaschinen.

Nur beim Tore auf der Nordseite gelang es endlich, und zwar nicht durch die Maschinen, sondern durch die Mineure, die Grundsteine zu untergraben und nach ungemein mühseliger Arbeit die vordersten Quadern herauszuwälzen. Da aber das Tor noch von den weiter drinnen liegenden Steinen gestützt ward, so blieb es unerschüttert. Jetzt gaben die Römer die Hoffnung auf, mittels Widder und Brechstangen der Mauer beizukommen, und begannen Leitern an die Hallen anzusetzen.

So wenig sich die Juden beeilten, sie daran zu hindern, so groß war der Ungestüm, mit dem sie sich auf die einmal oben befindlichen Römer stürzten und mit ihnen rangen. Die einen stießen sie mit solcher Gewalt zurück, dass sie rücklings in die Tiefe stürzten, die anderen hieben sie im Handgemenge zusammen.

Viele Römer wurden in dem Moment, wo sie von der Leiterspitze auf das Dach springen wollten, ehe sie noch mit ihrem Schilde parieren konnten, von den Schwertieben der Feinde getroffen, und einige Leitern, die von Bewaffneten vollgepfropft waren, konnten die Juden sogar seitwärts drehen, so dass sie von der Zinne hinunterglitten und nicht wenige Soldaten zerschmetterten. Besonders heftig wehrten sich die Fahnenträger um die auf der Höhe schon aufgepflanzten Standarten, deren Wegnahme sie für den schwersten Verlust und für die größte Schmach ansahen.

Doch zuletzt eroberten die Juden auch die Fahnen und machten alles nieder, was oben war, während die anderen, eingeschüchtert durch das Missgeschick der Gefallenen, zurückwichen.

Auf Seite der Römer hatten alle, die fielen, redlich ihre Schuldigkeit getan, unter den Rebellen aber hatten sich auch diesmal wieder die Helden der früheren Kämpfe und außerdem Eleazar, Brudersohn des Tyrannen Simon, durch ihre Tapferkeit hervorgetan.

Als nun Titus sehen musste, wie die dem fremden Heiligtum erwiesene Schonung seinen Soldaten nur Schaden und Verluste brächte, gab er den Befehl, Feuerbrände an die Tore zu legen.


Um diese Zeit gingen Ananus von Emmaus, der größte Blutund unter den Trabanten Simons, und Archelaus, der Sohn des Magadates, in der Hoffnung zu Titus über, dass sie jetzt umso leichter Gnade finden würden, weil sie gerade nach einem Siege der Juden die Stadt verlassen hatten.

Bei Titus aber verfing dieser Kniff durchaus nicht, und da er überdies von ihrer Grausamkeit gegen das Volk erfahren hatte, so war er schon Willens, beide hinrichten zu lassen. „Nur der bittere Zwang“, fuhr er sie an, „hat euch zu mir getrieben, und hienge es von euch ab, so wäret ihr sicher nicht da. Leute, wie ihr, die erst in einem Augenblicke ihrer Vaterstadt entlaufen, wo dieselbe um eurer Frevel willen schon in Flammen steht, verdienen keine Gnade mehr!

Schließlich überwog doch die Rücksicht auf die gegebene Zusage den Zorn des Cäsars, und er ließ sie, wenn auch unter ganz anderen Bedingungen, wie die früheren, ziehen.

Unterdessen hatten schon die Soldaten Feuer an die Tore gelegt. Zunächst schmolz unter den ringsum leckenden Flammen das Silber ab und gab dann das Feuer an das Holzwerk weiter, von wo es, in mächtigen Garben aufschlagend, die Hallen erfasste.

Der Anblick dieses Feuerkreises schien im ersten Augenblicke den Juden alle Leibes- und Seelenkräfte gelähmt zu haben: das Entsetzen bannte sie dermaßen an ihre Stelle, dass auch nicht einer einen Schritt zur Verteidigung oder zum Löschen machen konnte; als wenn das Blut ihnen in den Adern erstarrt wäre, standen sie und stierten in die Flammen. Aber weit entfernt, dass die Verzweiflung wegen der rettungslos verlorenen Hallen ihnen den vernünftigen Gedanken eingegeben hätte, wenigstens das Übrige noch zu retten, schärften sie jetzt umgekehrt an der Vorstellung des brennenden Tempelhauses, das noch nicht einmal brannte, ihre ganze Wut gegen die Römer.

Das Feuer brauchte übrigens den ganzen Tag und die folgende Nacht, um sich vollständig auszubreiten, da die Römer die Hallen bloß von einzelnen Punkten aus und nicht im ganzen Umkreis zugleich in Brand stecken konnten.


Am nächsten Tage befahl Titus einem Teile seiner Truppen an die Löscharbeiten zu gehen und zum Zwecke eines leichteren Aufmarsches der Legionen einen breiten Weg an den Toren herzustellen.

Er selbst versammelte um sich den Stab, bestehend aus den sechs obersten Befehlshabern, nämlich dem Leiter aller Heeresteile, Tiberius Alexander, dem Legaten der fünften Legion, Sextus Cerealis, dem Legaten der zehnten Legion, Larcius Lepidus, dem Legaten der fünfzehnten Legion, Titus Phrygius, und dem Lagerpräfekten der aus den zwei Alexandrinischen Legionen ausgewählten Truppen, Fronto Liternius, wozu noch der damalige Schatzmeister von Judäa, Markus Antonius Julianus, wie auch die anderen kaiserlichen Procuratoren und die Tribunen kamen. Den Gegenstand der Beratung bildete das Schicksal des eigentlichen Tempelgebäudes. Ein Teil der Versammelten hielt es für das beste, einfach nach dem Kriegsrechte vorzugehen, da die Juden ihre Umsturzversuche solange nicht aufgeben würden, als noch der Tempel, dieser Vereinigungspunkt für die Juden der ganzen Welt, fortbestünde.

Andere wieder rieten zur Erhaltung des Tempels für den Fall, als die Juden ihn verlassen und nicht zu einem Waffenplatz machen würden: sollten sie dagegen auf ihm zur Verteidigung Posto nehmen, möge man ihn niederbrennen; denn er sei dann nur eine Festung und kein Tempel mehr, und die Ruchlosigkeit wäre gewiss nicht auf Seite der Römer, sondern nur dort zu suchen, wo man die Gewalt gegen das Gotteshaus erzwungen habe. Dem gegenüber erklärte Titus:

Ich meine, man sollte auch in dem Falle, als die Juden den Tempel zum Bollwerk machen, dem todten Material nicht die Bosheit der Menschen entgelten lassen und nie und nimmer ein so wundervolles Bauwerk den Flammen preisgeben. Den Schaden haben schließlich nur die Römer, die sich umgekehrt in diesem Tempel ein Juwel für ihre Kaiserkrone retten.“

Diese Erklärung war dem Fronto, Alexander und Cerealis, die sich früher nicht recht zu äußern gewagt hatten, wie aus der Seele gesprochen.

Damit hob nun Titus die Sitzung auf und gab den Kommandanten die Weisung, ihre Truppen einmal gründlich ausrasten zu lassen, um sie dann desto kräftiger in den Kampf werfen zu können, während unterdessen eine Anzahl auserlesener Cohortensoldaten durch die Trümmer einen Zugang schaffen und das Feuer dämpfen musste.


An jenem Tage hielt begreiflicherweise Ermüdung und Bestürzung die Kampflust der Juden nieder. Am folgenden dagegen sammelten sie wieder ihre ganze Streitmacht und stürzten sich mit frischem Mut um die zweite Stunde durch das Osttor auf die im äußeren Vorhof stehenden Wachposten der Römer.

Hier fanden aber die Angreifer einen ebenso kräftigen Empfang, indem die Römer schnell mit ihren Schilden vor sich ein Schutzdach und unter sich eine mauerdichte Schlachtreihe bildeten. Auf die Länge freilich, das war sofort klar, hätten die Angegriffenen sich nicht behaupten können, da der ausfallende Schwarm zu zahlreich und sein Angriff allzu ungestüm war.

Doch ließ es Titus, der von der Antonia herab dem Gefechte zusah, nicht zu dieser Wendung kommen, indem er mit seinen auserlesenen Reitern ihnen wieder Luft machte.

Dem Ansturm der Reiter konnten die Juden nicht Stand halten, und die meisten wandten sich, nachdem die ersten Reihen niedergehauen waren, wieder dem Tempel zu.

Kaum aber wollten sich die Römer zurückziehen, machten die Juden Kehrt und setzten ihnen nach. Wie die Römer sich umwandten, gaben auch die Juden wieder Fersengeld, bis sie endlich um die fünfte Tagesstunde mit aller Gewalt ins innere Heiligtum zurückgedrängt und dort eingeschlossen wurden.


Titus begab sich jetzt wieder auf die Antonia zurück mit dem Entschlusse, am frühesten Morgen des nächsten Tages seine ganze Macht in das innere Heiligtum zu werfen und so das ganze Tempelhaus ringsum einzuschließen.

Gott aber hatte schon längst den Tempel zum Feuer verurteilt, und soeben war der verhängnisvolle Kreis der Zeiten mit dem zehnten des Monates Lous abgelaufen, an welchem Tage auch der frühere Tempel von dem Babylonischen König war in Brand gesteckt worden.

Wie die Juden die eigentliche Schuld waren, so sollten sie auch die äußere Veranlassung des Brandes werden. Kaum hatten sich nämlich die Rebellen nach dem Abzug des Titus ein wenig verschnauft, als sie schon wieder auf die Römer losstürzten: es waren diesmal die jüdischen Wachposten am Tempelhaus, welche den am inneren Heiligtum mit Löscharbeiten beschäftigten Römern ein Gefecht lieferten; die Römer aber jagten die Juden zurück und gelangten bei der Verfolgung bis zum eigentlichen Tempelhaus.

Hier geschah es nun, dass ein Soldat, ohne einen höheren Befehl abzuwarten oder im geringsten vor seiner verhängnisvollen Tat zurückzuschrecken, wie von einer unsichtbaren Hand ergriffen, aus den glühenden Holzstücken einen Feuerbrand aufraffte, sich dann von einem Kameraden emporheben ließ und das Feuer beim goldenen Fenster hineinwarf, in dessen Nähe sich der nördliche Eingang in die rings um den Tempel laufenden Gemächer befand.

Das Aufwirbeln der Flammen begleiteten die Juden mit einem Schrei, wie ihn nur das Entsetzen über ein solches Unheil ausstoßen kann. Von allen Seiten liefen sie zusammen, dem Brande zu wehren: jetzt kannten sie schon gar keine Schonung mehr für ihr Leben, und keine Kraft ward mehr gespart beim Gedanken, dass nun gerade das, wofür man sich früher so gerne noch hätte erhalten wollen, in Flammen aufzugehen drohte.


In größter Eile stürzt ein Römer mit der Meldung ins Feldherrnzelt, wo Titus, vom Kampfe ermüdet, eben der Ruhe pflegen wollte. Der Cäsar sprang auf und lief, wie er war, zum Tempelhaus, um das Weitergreifen des Feuers zu verhindern; ihm nach die Generäle, gefolgt von den alarmierten Legionen. Es war ein Schreien und Tosen, wie es nur das wilde Gewoge einer so ungeheuren Truppenmenge hervorrufen konnte.

Mit lauter Kommandostimme und hocherhobener Hand suchte sich der Cäsar den kämpfenden Soldaten verständlich zu machen und sie zum Löschen anzuhalten. Aber sein Wort verhallte in dem ohrenbetäubenden Getümmel, und seine Winke blieben in dem Gewirre des Kampfes und in der Hitze der Leidenschaft völlig unbeachtet.

Vergebens bemühte er sich auch, teils durch gute Worte, teils durch Drohungen, die mit aller Gewalt in den Tempel einströmenden Legionen zurückzuhalten: man hörte nur auf die Stimme der Rache! Bei dem furchtbaren Gedränge, das um die Eingänge wogte, wurden viele von den Ihrigen zusammengetreten, viele stürzten in den noch glühend heißen Schutt der Hallen, und endeten ebenso elend, wie ihre Feinde.

Einmal in der Nähe des Tempelhauses, stellten sich die Legionäre gegen alle Befehle des Cäsars wie mit Taubheit geschlagen und schrien sogar ihren Vordermännern zu, nur noch mehr Brände in den Tempel hineinzuschleudern.

Den Rebellen war jetzt jede Möglichkeit, den Tempel zu retten, genommen; überall nur Tod und Schrecken! Zumeist waren es Bürgersleute und schwaches wehrloses Volk, das, wo es vom Feinde betroffen ward, ohne Umstände niedergestochen wurde, so dass um den Brandopferaltar sich ein ganzer Wall von Leichen häufte, und auch über die Stufen zum Tempelhaus das Blut in hellen Strömen hinabrieselte, gefolgt von den droben geschlachteten Opferleibern, die darüber hinabkollerten.


Da der Cäsar die fanatische Wut seiner Soldateska nicht mehr zu bändigen vermochte, und andererseits auch das Feuer überhand nahm, so ging er mit seinem Stabe in das Innere, um sich den heiligen Raum des Tempelhauses und seine Einrichtung näher anzusehen. Was er nun hier sah, übertraf bei weitem die Sage, die davon bei den Heiden ging, und blieb auch nicht hinter dem zurück, was die Juden selbst davon Aufsehens und Rühmens machten.

Daraus, dass die Flammen im Innern noch nirgends durchgebrannt hatten, sondern nur in den ringsum liegenden Gemächern wüteten, glaubte Titus schließen zu müssen, es könnte am Ende doch das Bauwerk gerettet werden, was in der Tat damals noch möglich gewesen wäre.

Er eilte darum ins Freie und bemühte sich wiederholt, durch persönliche Zusprache die Soldaten zum Löschen des Feuers zu bringen, während er dem Centurio seiner Gardelanzenträger Liberalis die Weisung gab, die Brandleger mit Knüttelhieben zurückzutreiben.

Doch die Scheu vor dem Cäsar und die Furcht vor der Züchtigung ward überwogen von der Erbitterung und dem Hass gegen die Juden, wie auch von der einmal entfesselten überaus wilden Kriegsfurie.

Die meisten jedoch lockte die Aussicht auf Beute, weil sie der Meinung waren, dass drinnen alles voll von Schätzen sein müsse, zumal sie die ganze Außenseite ringsherum von Gold strahlen sahen.

Bereits waren von diesen Soldaten einige in das Innere des Tempels vorgedrungen, und einer davon benützte die Abwesenheit des Titus, der hinausgeeilt war, die Soldaten zu zügeln, um rasch hinter der Thüre an deren Angeln Feuer anzulegen.

Als nun auf einmal auch von innen eine Flamme aufzuleuchten beginnt, müssen sich die Generäle mit Titus zurückziehen, und man lässt jetzt die Soldaten draußen ungestört das Zerstörungswerk durch Feuer vollenden. So ward der Tempel gegen den Willen des Titus eine Beute der Flammen.


Gewiss muss der Untergang eines Werkes ungemein schmerzlich berühren, das in Anbetracht seiner kunstvollen Arbeit, wie ungeheuren Größe, dann auch der Kostbarkeit aller seiner Details und des Ruhmes seiner Heiligkeit zu dem Wunderbarsten gehörte, was wir aus eigener Anschauung oder bloß vom Hörensagen kennen. Indes empfängt dieser Schmerz auch einen ungemein großen Trost aus der Erwägung, dass dem Verhängnis, so wenig wie alles Lebendige, auch nicht die Gebilde und die Stätten der Menschen entrinnen können.

Geradezu staunenswert ist aber die Genauigkeit, mit der dabei der Umlauf der Zeiten beobachtet worden ist, da das Verhängnis nach dem Gesagten sowohl denselben Monat, wie auch denselben Tag, an welchem der Tempel früher von den Babyloniern angezündet worden ist, eingehalten hat.

Von der Erbauung des ersten Tempels, dessen Grund der König Salomon gelegt, bis zum Untergang des jetzigen, der im zweiten Regierungsjahr des Kaisers Vespasian erfolgt ist, zählt man im Ganzen 1.130 Jahre, sieben Monate und fünfzehn Tage.

Von der Gründung des zweiten Tempels an, den Aggäus im zweiten Regierungsjahr des Königs Cyrus begonnen, bis zu seiner Zerstörung unter Vespasian rechnet man dagegen 639 Jahre und 45 Tage.