Der Tempel ein Meer von Feuer und Blut. Die Priester. Das Volk auf der Südhalle. Vorzeichen des Unterganges. Betrachtung des Verfassers über das Ende des Heiligtums.


Während der Tempel in Flammen aufging, raubten die Soldaten, was ihnen in den Wurf kam, und richteten unter denen, auf die sie stießen, ein ungeheures Blutbad an. Kein Alter fand Erbarmen, nichts Heiliges ward geachtet, sondern Knäblein und Greise, Laien und Priester wurden gleicherweise hingewürgt. Ohne jede Rücksicht auf das Geschlecht wütete auf allen Seiten das feindliche Schwert, es wütete ebenso gegen jene, die um Pardon baten, wie gegen jene, die noch Gegenwehr leisteten.

In das Geprassel der himmelhoch aufschlagenden Flammen mischte sich das schauerliche Aechzen der Sterbenden, und bei der Höhe des Tempelberges, wie bei der Ausdehnung des brennenden Gebäudes hätte man leicht glauben können, dass die ganze Stadt im Feuer stehe. Keine Vorstellung dürfte imstande sein, die Gewalt und die Grässlichkeit jenes Tumultes zu überbieten, den der brausende Schlachtruf der zusammenströmenden Legionen, das Gebrüll der von einem Feuer- und Eisenwall umklammerten Rebellen, wie auch die Angst des abgeschnittenen und dem Feinde gerade in die Hände laufenden Volkes droben und sein letzter Todesschrei hervorbrachten.

Dem Getümmel auf der Höhe antwortete das Jammergeschrei des Volkes in der Stadt. Selbst viele von denen, die vor Hunger schon verschmachteten und kein lautes Wort mehr hervorbrachten, überkam beim Anblick des feuersprühenden Tempels eine verzweifelte Kraft, so dass sie wieder laut zu jammern, ja zu schreien begannen. Der Wiederhall von den Wänden jenseits des Kedron und den übrigen Bergen ringsum machte das Getöse noch furchtbarer. Aber dieser äußere Eindruck blieb noch weit hinter den wirklichen Schreckensszenen zurück.

Der ganze Tempelberg erschien von seinem Fuße an wie ein einziger ungeheurer Feuerofen, der nach allen Seiten Flammen spie. Dann hatte es wieder den Anschein, als ob die Blutbäche das Feuer ersticken müssten, da die Zahl der Schlächter fast hinter der Zahl ihrer Opfer verschwand.

Nirgends sah man mehr ein Fleckchen Erde, das nicht mit Toten bedeckt war, und die Soldaten mussten förmliche Leichenhügel stürmen, um die Flüchtigen zu verfolgen.

Mit genauer Not vermochte der Banditenschwarm den Kreis der Römer zu durchbrechen und sich nach dem äußeren Vorhof durchzuhauen, von wo er sich in die Stadt hinabwarf, während der Rest des Volkes sich auf die äußere Säulenhalle flüchtete.

Von den Priestern rissen einige zuerst die spitzigen Stangen am Dache mit ihren Bleilagern, in denen sie steckten, heraus und schleuderten sie auf die Römer hinab.

Als sie aber damit nichts erreichten, und das Feuer immer näher zu ihnen heraufzüngelte, zogen sie sich auf den acht Ellen breiten Mauerstock zurück und warteten hier das Weitere ab.

Nur zwei der Angesehensten, denen es freigestanden, sich durch den Übergang zu den Römern zu retten, oder sich selbst auf das traurige Schicksal aller übrigen gefasst zu machen, stürzten sich jetzt in die Glut und verbrannten mit dem Tempel: es waren dies Meirus, Sohn des Belgas, und Josephus, der Sohn des Daläus.


Da die Römer es für zwecklos hielten, nach der Einäscherung des eigentlichen Tempelhauses die anderen Gebäulichkeiten ringsherum noch stehen zu lassen, so brannten sie alles miteinander, nämlich die noch übrigen Teile der Hallen und die Tore, mit Ausnahme von zweien, des Osttores und Südtores, die sie erst später der Erde gleich machten, nieder.

Auch die Schatzkammern, in denen eine ungeheure Masse Geldes nebst einer Unzahl von feinen Kleidern und anderen Kostbarkeiten, kurz gesagt, der ganze Reichtum der Juden aufgespeichert lag, da die Wohlhabenden ihren ganzen Hausstand dorthin hatten bringen lassen, wurden den Flammen preisgegeben. Nun kamen die Römer auch an die noch stehenden Hallen des äußeren Vorhofes, auf die sich Frauen und Kinder aus der Bürgerschaft und zahlreiches unterschiedliches Volk, bei 6.000 Menschen, geflüchtet hatten.

Noch hatte der Cäsar über deren Schicksal noch nichts bestimmt, und auch die Generäle noch deine Ordre gegeben, als die von ihrer Erbitterung fortgerissenen Soldaten auch schon die Hallen von unten aus in Brand stecken, bei dem nun die einen, die noch den Flammen zu entrinnen vermochten, durch Absturz, die anderen aber im Feuer endeten: auch nicht einer kam aus dieser Masse mit dem Leben davon!

Die Schuld an ihrem elenden Tode trug ein falscher Prophet, der gerade an diesem Tage dem Volke in der Stadt feierlich erklärt hatte, es sei Gottes Wille, dass sie auf die Tempelhallen hinaufsteigen sollten, um dort die Wunderzeichen seiner rettenden Allmacht zu erfahren.

Überhaupt gab es damals viele solcher Propheten, welche von den Tyrannen angestiftet und unter das Volk geschickt wurden, um es zum standhaften Vertrauen auf die Hilfe Gottes zu ermuntern, und auf diesem Wege zu erreichen, dass die Leute nicht zu viel überliefen, und dass jene, die schon über alle Furcht und Bedenklichkeit hinweg waren, doch wenigstens von der Hoffnung noch in der Stadt zurückgehalten würden.

Wie schnell glaubt doch der Mensch etwas im Unglück! Ist es aber gar die völlige Hebung des auf ihm lastenden Ungemaches, was ihm der Gauner verpfändet, so wird der Arme ein blinder Sklave seiner Hoffnung.


Auf solche Art ließ sich damals das unglückliche Volk von seinen Verführern und falschen Gottesgesandten gängeln, während es andererseits die Erscheinungen, welche die kommende Verödung prophezeiten, weder beachtete noch an ihre Bedeutung glaubte, sondern ganz so, als hätte ihm der Donner das Gehör verschlagen, und als wäre es ohne Augen und ohne Leben, die feierlichen Weisungen Gottes vollständig ignorierte.

So erschien einmal über der Stadt ein Gestirn, das viele Ähnlichkeit mit einem großen Schwerte hatte, wie auch ein Komet, der ein ganzes Jahr hindurch am Himmel verblieb.

in anderesmal – es war noch vor dem Abfall von Rom und vor dem Ausbruch der ersten kriegerischen Bewegung – als das Volk sich eben am achten des Monates Xanthikus zur Feier des Festes der ungesäuerten Brote versammelt hatte, da umfloss um die neunte Stunde der Nacht ein so gewaltiger Lichtglanz Altar und Tempelhaus, dass es heller Tag zu sein schien, was etwa eine halbe Stunde währte.

Obwohl die Erscheinung in den Augen der Unkundigen als eine gute Vorbedeutung galt, so gaben ihr doch die Schriftkundigen sofort jene Erklärung, die durch die folgenden traurigen Ereignisse bestätigt worden ist.

Bei demselben Feste geschah es, dass die von einer Person zur Opferung geführte Kuh mitten im Tempel ein Widderböcklein gebar.

Auch die östliche Pforte des inneren Heiligtums, die ganz von Erz und von so enormer Schwere war, dass sie am Abend von zwanzig Männern nur mit Mühe zugemacht werden konnte, und die sowohl mit eisenbeschlagenen Querpfosten gesperrt, als auch noch mit senkrechten Riegeln versehen war, welche man in die aus einem einzigen Steine bestehende Schwelle sehr tief hineinstecken konnte, diese Pforte sah man auf einmal um die sechste Stunde der Nacht ganz von selbst sich öffnen. Die Wächter des Heiligtums liefen nun schnell mit der Meldung zum Tempelhauptmann, der sofort sich zur Pforte hinausbegab und erst mit vieler Mühe dieselbe wieder schließen konnte.

Auch dieses hielten die Unerfahrenen für ein ganz herrliches Vorzeichen, da es nach ihnen nichts geringeres bedeutete, als dass Gott ihnen das Tor zu allen Gütern jetzt aufgesperrt habe. Die Einsichtigen jedoch fanden darin die Andeutung, dass Gott selbst nunmehr seinen Schutz vom Heiligtum zurückziehe und den Feinden zuliebe seine Tore aufmache, und stellten in ihren Kreisen das als bestimmtes Anzeichen der nahenden Verwüstung hin.

Erst wenige Tage waren seit diesem Feste verstrichen, als sich am 21. des Monates Artemisius eine geisterhafte Erscheinung zeigte, die ganz unglaublich klingt.

Wenn das, was ich erzählen werde, nicht in Kreisen von Augenzeugen seine Bestätigung hätte, und die Drangsale, die diesen Zeichen auf dem Fuße gefolgt sind, eine solche Vorbedeutung nicht geradezu herausfordern würden, könnte wohl das Ganze, wie ich fürchte, nur für eine abenteuerliche Fabel gehalten werden.

Vor Sonnenuntergang wurden nämlich hoch in der Luft über dem ganzen Lande hin Kriegswagen und Heeresmassen sichtbar, welche durch die Wolken stürmten und die einzelnen Städte umschlossen.

Weiter geschah es am sogenannten Pfingstfeste, dass die Priester, als sie nach ihrer Gewohnheit noch im nächtlichen Dunkel ins innere Heiligtum gingen, um ihren heiligen Dienst zu verrichten, zunächst ein Getrabe und Stampfen, wie sie erzählten, dann aber auch die Stimmen einer großen Menge vernommen, die da riefen: „Lasset uns von dannen ziehen!

Noch schreckhafter, als die angeführten Zeichen, war das folgende: Vier Jahre vor dem Ausbruch des Krieges, zu einer Zeit, wo die Stadt noch im tiefsten Frieden und Glücke lebte, kam ein gewisser Jesus, ein Sohn des Ananus, von gemeiner Herkunft und seiner Beschäftigung nach ein Bauer, auf das Fest, an dem alle Juden nach alter Sitte zur Verherrlichung Gottes in Laubhütten wohnen, und begann urplötzlich im Heiligtum laut aufzuschreien: „Eine Stimme vom Aufgang, eine Stimme vom Niedergang, eine Stimme von den vier Winden, eine Stimme über Jerusalem und den Tempel, eine Stimme über Bräutigam und Braut, eine Stimme über das ganze Volk!“ Diese Worte schrie er bei Tag und bei Nacht, in allen Straßen Jerusalems herumgehend.

Einige angesehene Bürgersleute, erbost über das Geschrei des Unglücksraben, ließen den Mann aufgreifen und ihm eine starke Tracht Prügel verabreichen. Der Mensch verlor aber dabei weder ein Wort zu seiner Verteidigung noch beschimpfte er die Personen, die ihn schlugen, sondern immer wieder kam nur derselbe Ruf über seine Lippen.

Die obersten geistlichen Behörden, welche hinter der seltsamen Unruhe des Menschen eine höhere Macht zu erblicken glaubten, worin sie gewiss das Rechte trafen, stellten den Mann vor das Gericht des damaligen römischen Landpflegers, der ihn mit Geißelstreichen solange peitschen ließ, bis man auf seine Gebeine sehen konnte. Aber er flehte nicht, er weinte nicht, sondern in dem jämmerlichsten Tone, den er nur seiner Stimme geben konnte, begleitete er jeden Streich bloß mit den Worten: „Wehe, wehe Jerusalem!

Auf alle Fragen des Albinus – so hieß der damalige Landpfleger – wer er sei, und woher er stamme, und warum er denn immer so schreie, hatte er gar keine Antwort, dafür aber wiederholte er unausgesetzt den Klageruf über die Stadt, bis endlich Albinus auf Narrheit erkannte und den Mann entließ.

Die folgende Zeit über bis zum Kriege näherte er sich weder einem Bürger, noch sah man ihn mit Jemand sprechen, sondern Tag für Tag, wie einem, der ein Gebet eingelernt hat, entquoll ihm nur die Klage: „Wehe, wehe Jerusalem!

Obwohl täglich von den Leuten geschlagen, hatte er nie einen Fluch für den, der ihn schlug, aber auch keinen Segen für den, der ihm zu essen gab: für alle hatte er immer nur dieselbe unheimliche, ominöse Antwort. Am lautesten erscholl sein Klagegeschrei an den Festtagen, und trotzdem er durch sieben Jahre und fünf Monate so schrie, ward er niemals heiser und niemals müde, bis er endlich die Belagerung Jerusalems und damit die seiner verhängnisvollen Prophezeiungen schaute. Jetzt erst kam er zur Ruhe und zwar so:

Er ging eben auf der Mauer herum und schrie mit einer mark- und beindurchdringenden Stimme sein „Wehe, wehe“ über die Stadt und das Volk und den Tempel, als er zuletzt auf einmal hinzusetzte: „Wehe, wehe auch mir!“ In demselben Augenblicke schnellte aus einer Balliste ein Stein auf, gerade auf ihn zu, und zerschmetterte ihn auf der Stelle, so dass sein Weheruf schon im Todesröcheln verhallte.


Wenn man das alles bei sich ruhig erwägt, so muss man zum Schlusse kommen, dass Gott für die Menschen die zarteste Sorge trägt und in der mannigfachsten Weise ihr Geschlecht auf die Mittel zu seinem Heile aufmerksam macht, und dass somit die Menschen nur an ihrer eigenen Torheit und in ihrem selbstgewählten Elende zugrunde gehen.

Haben doch auch damals die Juden selbst ihr Heiligtum nach der Überwältigung der Besatzung in der Antonia viereckig gemacht, obschon in ihren Prophezeiungen deutlich geschrieben stand, dass Stadt und Tempel dann sicher fallen würden, wenn das Heiligtum die Form eines Viereckes bekäme.

Was aber die Juden am meisten für den Krieg begeisterte, das war ein doppelsinniger Prophetenspruch, der sich ebenfalls in den heiligen Schriften vorfindet und besagt, dass um jene Zeit aus dem Lande der Juden ein Herrscher der Welt hervorgehen werde.

Dieses Wort haben nun die Juden von einem der Ihrigen ausgelegt, so dass selbst viele weise Männer mit ihrem Urteile hier fehlgegangen sind, während doch der Gottesspruch nur die Erhebung des Vespasian zur Kaiserwürde, die in Judäa durch das Heer erfolgte, hat andeuten wollen.

Es können ja doch nun einmal die Menschen dem Verhängnis, auch wenn ihnen ein Blick in die Zukunft gegeben wird, schlechterdings nicht entrinnen, und so haben auch die Juden diesen Zeichen zum Teile eine sehr rosige Deutung gegeben, teils gar keine Beachtung geschenkt, bis sie erst in dem Fall ihrer Vaterstadt und in ihrem eigenen Untergang über ihre Verblendung die schrecklichste Aufklärung empfingen.