Das Opfer des römischen Heeres. Hinrichtung der Priester. Unterredung zwischen Titus und den Rebellenführern. Die Römer setzen die Unterstadt in Brand. Übergang der Prinzen von Adiabene zu den Römern.


Als die Rebellen in die Stadt hinuntergeflohen waren, und das eigentliche Tempelgebäude mit allen umliegenden Bauten ein Raub der Flammen geworden, trugen die Römer ihre Adler in das Heiligtum und stellten sie dem Osttore gegenüber auf. Hier wurde ihnen nun ein Opfer dargebracht, und unter den begeistertsten Glückwünschen Titus von den Soldaten zum Imperator ausgerufen.

Alle Soldaten hatten sich mit erbeuteten Schätzen so voll gestopft, dass man in Syrien ein bestimmtes Gewicht Goldes nur mehr um die Hälfte seines früheren Wertes an Mann bringen konnte.

Bei den Priestern, welche noch immer auf dem Mauerstock des Tempelgebäudes aushielten, befand sich auch ein Knabe, der, von Durst gequält, die römischen Wachen um Pardon bat und ihnen sagte, wie sehr ihn dürfte.

Den Römern ging die Qual des zarten Kindes zu Herzen, und sie versprachen ihm, das Leben zu schenken, worauf der Junge herabstieg, seinen Durst löschte und überdies das mitgebrachte Gefäß mit Wasser anfüllte.

Auf einmal war er aber auf und davon, zu den Seinigen zurück. Von den Wachen konnte ihn niemand mehr einholen, und so blieb ihnen nichts übrig, als tüchtig über seine Falschheit zu schimpfen, worauf der Schlingel herunterrief: „Ich habe ja doch unser Übereinkommen nicht im geringsten gebrochen, da ich von euch den Handschlag erhalten habe, nicht, um bei euch zu bleiben, sondern um hinabsteigen und Wasser schöpfen zu dürfen. Das habe ich nun redlich getan und zu weiterem hielt ich mich nicht verbunden“.

Die betrogenen Wachen mussten schließlich selbst das schlaue Stücklein zumal bei einem so kleinen Kerlchen höchlich bewundern. Am fünften Tage aber zwang der Hunger die Priester herabzukommen. Sie wurden von den Wachen sofort zu Titus geführt, der ihnen auf ihre flehentliche Bitte um Gnade zur Antwort gab: „Die Zeit der Gnade ist für euch schon abgelaufen, und das einzige, was mich noch hätte bewegen können, euer zu schonen, ist nicht mehr: Der Priester soll seinen Tempel nicht überleben!“ Auf seinen Wink führte man die Männer zur Hinrichtung ab.


Da die Banden der Tyrannen jetzt auf allen Punkten geschlagen waren, und wegen der Umwallung ein Entrinnen nach keiner Seite hin mehr möglich war, ließen sie Titus um eine Unterredung ersuchen, die ihnen der Cäsar in seiner angebornen Menschenfreundlichkeit, weil er wenigstens die Stadt noch zu erhalten hoffte, und bestärkt von seinen Freunden, die jetzt selbst an ein Entgegenkommen der Räuber glauben mochten, auch gewährte. Er nahm seinen Standort auf der westlichen Seite des äußeren Vorhofes, da hier von beiden Seiten die Tore gerade auf den Xystus hinausgingen, und eine Brücke die Oberstadt mit dem Tempel verband. Diese Brücke trennte jetzt die Tyrannen von dem Cäsar, um die sich beiderseits dichte Scharen von Kriegern herandrängten: die Juden um Simon und Johannes waren voll banger Erwartung, ob sie begnadigt würden, die Römer aber um den Cäsar harrten mit gespannter Neugierde, was wohl die Juden für ein Verlangen stellen würden.

Nachdem Titus seinen Soldaten eingeschärft hatte, ihren Unwillen zu beherrschen und ja keinen Schuss auf den Feind zu tun, nahm er, einen Dolmetsch an der Seite, als Sieger das erste Wort in Anspruch und begann:

„Habt ihr also endlich doch einmal genug an dem Elende eurer Vaterstadt, nachdem ihr, ohne auf unsere Macht oder auf eure Schwäche Bedacht zu nehmen, in blindem Fanatismus und Wahnwitz euer Volk, eure Stadt und den Tempel bereits dem Untergang preisgegeben habt, und jetzt die Reihe an euch wäre, den verdienten Tod zu empfangen und die Geschichte einer Nation zu schließen, welche schon früher, und zwar schon seit der Erstürmung Jerusalems durch Pompejus nie ganz zu revoltieren aufgehört und jetzt einen förmlichen Krieg gegen die Römer ins Werk gesetzt hat? War es nun etwa die Masse, auf die ihr euch dabei verlassen konntet?

Gewiss nicht, da schon ein winziger Teil des Römerheeres genügt hat, euch zu Paaren zu treiben. Also vielleicht eine treue Bundesgenossenschaft? Aber welche Nation außerhalb unseres Reiches hätte wohl lieber Freundschaft mit den Juden, als mit den Römern gehalten? Oder war es eure Körperstärke?

Auch das nicht, weil euch bekannt sein muss, dass germanische Recken unser Joch tragen. Vielleicht aber die festen Mauern? Ja, kann es denn eine gewaltigere Schutzmauer geben, als den Ocean? Und doch neigen sich die meerumflossenen Britannen vor unseren Fahnen!

War es die Heldenseele eures Volkes und das Genie eurer Feldherrn? Der Untergang von Carthago, von dem ihr wissen musstet, hätte euch sicher eines Besseren belehrt.

Es kann nach all’ dem nur eines sein, was euch gegen die Römer keck gemacht hat, nämlich die Güte der Römer! Wir haben euch einmal im ungestörten Genusse eures Landes gelassen und demselben Könige aus eurer Mitte gegeben.

Wir haben ferner eure väterlichen Gesetze respektiert und euch nicht bloß in eurem eigenen Lande, sondern auch im Auslande ganz nach euren Wünschen leben lassen.

Die größte Gunst aber war die, dass wir euch sogar erlaubt haben, Abgaben für den Tempel Gottes einzuheben und Weihegeschenke dafür zu sammeln, wie wir auch den Überbringern weder in Wort noch Tat je Schwierigkeiten gemacht haben – und das alles zu dem Ende, damit ihr eure Geldquellen für den Kampf mit uns vermehren und mit unseren Schätzen euch gegen uns auf die Füße stellen konntet!

Nachdem ihr nun alle diese außerordentlichen Erweise unserer Güte genossen, habt ihr euch in eurem satten Übermute gegen die Hand gekehrt, die sie euch bescheerte, und nach der Weise unzähmbarer Nattern euren Giftzahn denen eingehackt, die euch freundlich streichelten.

Allerdings hat Nero durch seinen Leichtsinn eure Verachtung herausgefordert und bewirkt, dass auf ähnliche Weise, wie die Abszesse oder Krämpfe im Körper lange Zeit heimtückisch schlummern können, um dann beim Ausbruch einer schweren Krankheit erst ihr Dasein zu verraten, auch ihr eure wahre Natur erst unter ihm hervorgekehrt und eure begehrlichen Augen zu ganz unverschämten und maßlosen Hoffnungen erhoben habt.

Aber da kam mein Vater in das Land, nicht, um an euch für die Niederlage des Cestius Rache zu nehmen, sondern um euch einfach an eure Pflicht zu erinnern.

Denn anstatt euren Widerstand gleich bei der Wurzel zu fassen und auf der Stelle diese eure Hauptstadt von Grund aus zu zerstören, wie er das für den Fall der einmal festbeschlossenen Ausrottung eurer Nation hätte tun müssen, hat er sich im Gegenteil nur auf die Verwüstung Galiläas und der umliegenden Gebiete beschränkt, um euch noch eine weitere Gnadenfrist zu gewähren.

Aber in euren Augen war diese Milde nur Schwäche, und aus unserer Nachsicht hat eure Keckheit immer nur neue Nahrung gezogen.

So habt ihr nach dem Tode des Nero etwas getan, wozu schon eine große Portion Niederträchtigkeit gehört: ihr habt sogar auf unsere innere Zerrissenheit speculiert und die Zeit, wo ich und mein Vater fern in Ägypten weilen mussten, zu euren Kriegsrüstungen wider uns ausgenützt, ja ihr habt euch nicht entblödet, uns sogar nach unserer Erhebung auf den Kaiserthron noch die größten Verlegenheiten zu bereiten, nachdem wir euch doch zuvor jegliche Schonung bewiesen hatten, die überhaupt ein feindlicher Feldherr üben kann.

Als sich nämlich das ganze römische Reich in unsere Arme geflüchtet hatte, und seine Bewohner allenthalben wieder zur Ruhe gekommen waren, ja selbst die auswärtigen Völkerschaften Glückwunschdeputationen an uns schickten, da waren es wieder nur die Juden, die sich uns feindlich gegenüberstellten.

Beweise hiefür sind die Gesandtschaften, die ihr über den Euphrat geschickt habt, nur um Unruhen zu erregen, Beweis der Aufbau neuer Ringmauern, Beweis die Parteien unter euch und die Fehde der Tyrannen bis zum vollen Ausbruch des Bürgerkrieges, kurz, lauter Anzeichen eines grundverdorbenen Geschlechtes.

Endlich kam ich selbst vor die Stadt, um die traurige, von meinem Vater mir nur höchst ungern gestellte Aufgabe durchzuführen. Mit freudiger Genugtuung hörte ich daher von der Friedensstimmung des eigentlichen Volkes und forderte euch, bevor es ernst wurde, wiederholt zur Niederlegung der Waffen auf. Selbst nach Beginn des Kampfes um die Stadt habe ich noch lange Zeit Nachsicht mit euch gehabt, indem ich den Überläufern Gnade angeboten und denen, die wirklich zu mir ihre Zuflucht nahmen, mein Wort ehrlich gehalten, desgleichen viele Gefangene aus Mitleid pardoniert, und ihre Misshandlung durch das wütende Kriegsvolk verhütet habe. Nur dem Zwange weichend, habe ich meine Maschinen gegen eure Stadtmauern geschoben und war immer bemüht, die von Mordlust gegen euch entflammte Soldateska zu zügeln. Bei jedem meiner Siege habe ich, wie ein Besiegter, euch Friedensverhandlungen vorgeschlagen!

Schon bis zum Tempel vorgedrungen, wollte ich dennoch von der Anwendung des Kriegsrechtes noch immer nichts wissen, sondern beschwor euch im Gegenteil, doch mit eurem eigenen Heiligtum Erbarmen zu haben und das Haus Gottes euch zu erhalten. In dieser Absicht bot ich euch einen sicheren Abzug und volle Bürgschaft für euer Leben, ja, sogar eine Gelegenheit zum Schlagen auf einer anderen Wahlstatt an, falls ihr schon auf dem Kampfe bestehen wolltet. Und ihr – ihr habt euch über alle diese Vorschläge einfach hinausgesetzt und an euer Gotteshaus mit eigener Hand das Feuer gelegt, um jetzt auf einmal mich zu einer Unterredung bitten zu lassen, nachdem ihr euch mit allen möglichen Schandtaten besudelt habt! Wozu denn etwa? Habt ihr denn noch etwas zu retten, was an die Bedeutung des vernichteten Tempels heranreichen könnte? Auf was für eine Gunst wollt ihr denn nach dem Falle eurer Gnadenstätte noch Anspruch machen?

Und selbst jetzt noch steht ihr mit den Waffen in der Hand vor mir und mögt euch nicht einmal in dem äußersten Elende, wenn auch nur äußerlich, in die Rolle von Bittenden bequemen! Was gibt euch doch, ihr Armseligen, einen solchen trotzigen Mut?

Hingerafft ist das Volk, verschwunden der Tempel, zu meinen Füßen liegt die Stadt, in meiner Hand euer Leben – so dass nur der Schluss übrig bleibt, es müsse eurer Meinung nach der ganze Heldenruhm nur in der Liebkosung des Todes gefunden werden.

Doch ich will mit eurer tollen Verzweiflung nicht lange herumstreiten: wer die Waffen streckt und sich ergibt, dem schenke ich das Leben und mache es, wie ein nachsichtiger Hausvater, der, nachdem er die heillosen Elemente seines Hauses ausgemerzt hat, die übrigen sich zu erhalten sucht“.


In ihrer Antwort auf diese Vorstellungen erklärten nun die Rebellen, dass sie in die von Titus ihnen dargebotene Hand nicht einschlagen könnten, weil sie den Schwur abgelegt hätten, dies unter keinen Umständen zu tun. Sie möchten ihn aber um das eine bitten, dass er sie mit Weib und Kind über die Umwallung hinauslasse. Sie würden sich dann in die Wüste zurückziehen und ihm die Stadt überlassen.

Es musste natürlich dem Titus das Blut in die Wangen treiben, wenn Leute, die schon soviel, wie gefangen waren, ihm noch wie Sieger ihre Forderungen dictieren wollten. Er ließ ihnen daher durch den Dolmetsch kurz antworten: „Von jetzt an ist die Zeit für die Überläufer vorbei, hoffet auf keine Gnade mehr; denn ich werde keinem einzigen mehr Pardon geben!

Werft nur eure ganze Macht in den Kampf und sehet zu, wie ihr euch retten könnt! Jetzt soll nur mehr das Schwert das Wort haben“. Hierauf gab er den Soldaten den Auftrag, die Stadt anzuzünden und zu plündern.

Nachdem die Römer denselben Tag sich noch zurückgehalten, setzten sie am folgenden das Archivgebäude, die Häuser der Unterstadt, das Rathhaus und den sogenannten Ophel in Brand, so dass die Flammen bis zum Palaste der Helena, der in der Mitte der Unterstadt lag, vordrangen. Bei dieser Gelegenheit brannten ganze Straßen, wie auch einzelne Gebäude zusammen, die förmlich von verhungerten Menschen angefüllt waren.

An diesem Tage ließen auch die Söhne und Brüder des Königs Izates und mit ihnen viele hervorragende Bürger, die sich bei ihnen zusammengefunden hatten, den Cäsar um Gnade anflehen. Obschon Titus gegen den Rest der Einwohnerschaft höchst aufgebracht war, so ging er doch auch diesmal nicht von seiner gewohnten Milde ab und nahm die Unterwerfung der Männer entgegen.

Nur brachte er zunächst alle in sicheren Gewahrsam und ließ überdies die Söhne und Verwandten des Königs in Fesseln schlagen, um sie später nach Rom einzuschiffen und wichtige Geiseln an ihnen zu haben.