Flüchtige Sicarier in Ägypten. Gefahr der dortigen Judencolonie. Verfolgung der Sicarier. Geschichte des Oniastempel. Seine Schließung durch Vespasian.


Nach dieser wichtigen Eroberung, die durch eine auf der Veste zurückgelassene Besatzung gesichert wurde, rückte der römische Feldherr mit seinen Truppen nach Cäsarea ab.

Die Rebellen im Lande waren ja nunmehr ohne Ausnahme vernichtet, und ganz Judäa durch den langwierigen Krieg vollständig niedergeworfen, nicht ohne dass der Kampf im Mutterlande sogar viele der entlegensten Judencolonien in Mitleidenschaft gezogen und in gefahrvolle Wirren gestürzt hätte.

Auch selbst nach seiner Beendigung sollten zu Alexandrien in Ägypten noch viele Juden ihren Tod finden.

Einigen von der Partei der Sicarier war es nämlich geglückt, sich durch die Flucht nach Alexandrien zu retten, wo sie nun, anstatt sich mit der gewonnenen Sicherheit zu bescheiden, neuerdings einen Umsturz versuchten, indem sie viele ihrer Gastfreunde, bei denen sie Unterkunft gefunden, mit ihren Freiheitsgelüsten zu erfüllen und ihnen die Vorstellung beizubringen suchten, als ob die Römer keineswegs den Juden überlegen wären, wobei sie auch die letzteren auf Gott, ihren einzig rechtmäßigen König, hinwiesen.

Da ihnen aber unter den Juden einige Männer von Ansehen entgegenzutreten wagten, so erdolchten sie etliche davon meuchlings und forderten die anderen mit ungestümem Drängen zum Abfall auf.

Wie nun die Häupter des jüdischen Rates ihr wahnsinniges Vorhaben gewahrten, glaubten sie, schon im Interesse ihrer eigenen Sicherheit, die Sache nicht mehr ignorieren zu dürfen, sondern beriefen die gesammte Judenschaft zu einer Versammlung, vor welcher sie die wahnwitzigen Pläne der Sicarier enthüllten und dieselben als die eigentlichen Anstifter alles bisherigen Unheiles erklärten.

Und jetzt“, schlossen sie, „wollen diese Leute, da sie nun einmal, auch trotz ihrer Flucht ins Ausland, noch immer nicht bestimmt auf ihre eigene Sicherheit rechnen können und, sobald von den Römern erkannt, augenblicklich verloren sind, in das von ihnen nur zu sehr verdiente Schicksal auch jene verwickeln, die sich doch von aller Mitschuld an ihren Verbrechen freigehalten haben.

Hütet euch also“, so lautete die letzte Mahnung an die Menge, „vor dem Verderben, das diese Menschen über euch bringen könnten, und zeiget den Römern durch ihre Auslieferung, dass ihr von ihren Verbrechen nichts wissen wolltet“.

Da die Versammelten die Größe der drohenden Gefahr sofort begriffen, stimmten sie auch dem Vorschlage bei und warfen sich mit großem Ungestüm auf die Sicarier, um sie vor das römische Gericht zu schleppen.

Ihrer 600 wurden gleich an Ort und Stelle verhaftet, alle jene aber, die sich tiefer ins Land hinein und namentlich nach dem ägyptischen Theben hatten flüchten können, wurden nicht lange darauf ebenfalls festgenommen und wieder nach Alexandrien zurückgebracht.

Bei diesen Gefangenen trat indes eine solche Standhaftigkeit und – ich weiß nicht, soll man sagen „toller Fanatismus“ oder „Kraft der Überzeugung“ zu Tage, dass sich wohl Niemand dem Gefühle höchster Bewunderung verschließen konnte.

Denn obgleich man gegen sie alles mögliche ausdachte, was nur immer ihren Leib martern und zerreißen konnte, um nur das eine zu erreichen, dass sie den Kaiser als ihren Herrn anerkannten, so ließ sich dennoch kein einziger wankend machen oder auch nur die Möglichkeit eines solchen Bekenntnisses durchblicken, sondern siegreich behaupteten alle trotz der Pein ihre Überzeugung, indem ihr Leib, wie ein gefühlloser Klotz, ihr Geist aber fast mit einer gewissen Freude die Folter und das Feuer umfing.

Was aber noch am allermeisten die Zuschauer in Staunen setzte, das war der Umstand, dass sich darunter auch Knaben im zartesten Alter befanden, von denen sich gleichfalls kein einziger die Anerkennung der kaiserlichen Oberherrlichkeit abpressen ließ. Eine solche Herrschaft besaß die Entschlossenheit einer kühnen Seele über den schwächlichen Leib!


Der damalige Präfekt von Alexandrien, namens Lupus, meldete dem Kaiser ohne Verzug die ganze Bewegung.

Da Vespasian wohl merkte, dass die Juden ihre Umsturzgelüste nie mehr fahren lassen würden, und die Besorgnis hegte, sie möchten sich wieder in größeren Massen an einem Punkte sammeln und auch einen Teil ihrer ruhigen Stammesgenossen mit in den Aufstand hineinreißen, so gab er Lupus den Befehl, den Judentempel im sogenannten Oniasbezirke niederzureißen.

Dieser Tempel steht in Ägypten und leitet seinen Ursprung, wie auch seine Benennung von der folgenden Begebenheit her:

Onias, einer von den Hohenpriestern aus Jerusalem, der Sohn des Simon, musste sich vor dem syrischen König Antiochus zur Zeit seines Kampfes mit den Juden flüchten und kam bei dieser Gelegenheit nach Alexandrien. Von Ptolemäus, der selbst mit Antiochus auf gespanntem Fuße lebte, eben darum wohlwollend aufgenommen, äußerte sich Onias dem König gegenüber, er könnte ihm die Bundesgenossenschaft der ganzen jüdischen Nation verschaffen, wenn er seinen Anträgen Folge geben würde.

Als der König ihm erklärte, dass er sein Möglichstes tun werde, verlangte Onias von ihm die Bewilligung, irgendwo in Ägypten einen Tempel errichten zu dürfen, um dort nach der Väter Sitte die Verehrung Gottes zu pflegen.

Denn auf diese Erlaubnis hin, meinte Onias, würde der Hass der Juden gegen Antiochus, den Verwüster ihres Tempels zu Jerusalem, noch stärker aufflammen, andererseits aber auch das freundschaftliche Verhältnis zu Ptolemäus sich noch inniger gestalten, da sich schon wegen der ungehinderten Feier des Gottesdienstes viele Juden zu dem Ägypterkönig begeben würden.


Diese Worte fanden die Zustimmung des Ptolemäus, und er schenkte ihm einen Strich Landes, der 180 Stadien von Memphis entfernt, im sogenannten Kreise von Heliopolis gelegen war.

Hier legte Onias zunächst eine feste Burg an und machte sich dann an den Bau des Tempels, der übrigens mit dem zu Jerusalem keine Ähnlichkeit haben sollte, sondern die Gestalt eines Turmes bekam und mit seinen gewaltigen Quadern zu einer Höhe von 60 Ellen aufragte.

Bei der Construction des Brandopferaltares dagegen nahm er sich vollständig den in der Heimat zum Muster, wie er auch die Prunkstücke im Tempel in ganz ähnlichen Formen herstellte. Nur die Arbeit am Leuchter machte eine Ausnahme, indem Onias hier kein Leuchtergestelle anwendete, sondern nur eine goldene Lampe, von der unmittelbar das Licht ausstrahlte, anfertigen und an einer goldenen Kette schweben ließ. Der ganze Tempelbezirk war von einer Mauer aus gebrannten Ziegeln eingefasst, deren Tore aber Steinbauten waren.

Der König überließ ferner viel Grund und Boden für die laufenden Einkünfte an das Heiligtum, damit sowohl für die Priester gut gesorgt wäre, als auch für den Gottesdienst viel geschehen könnte.

Die ganze Handlungsweise des Onias entsprang indes nicht gerade den besten Beweggründen, da es ihm zunächst nur um eine Rivalität mit den Juden von Jerusalem zu tun war, denen er seinen Grimm wegen der über ihn verhängten Verbannung fühlen lassen wollte. Nach seiner Berechnung sollte nun gerade der Bau dieses Heiligtums das jüdische Volk von Jerusalem weg und nach Ägypten hinabziehen.

Es bestand aber auch eine alte, etwa 600 Jahre früher erflossene Prophezeiung, die von Isaias stammt und nach welcher die Gründung eines solchen Tempels in Ägypten durch einen Juden in Aussicht gestellt wurde. Das war also der Ursprung und die Einrichtung dieses Heiligtums.


Als Lupus, der Präfekt von Alexandrien, das kaiserliche Schreiben erhalten hatte, begab er sich ins Heiligtum und ließ nach Wegnahme einiger kostbarer Weihegegenstände das eigentliche Tempelgebäude schließen.

Nach seinem bald darauf erfolgten Tode ließ sein Nachfolger, der Präfekt Paulinus, alle Weihegeschenke bis auf das letzte fortschaffen und drohte, um ja seinen Zweck sicher zu erreichen, sogar den Priestern wiederholt die schwersten Strafen für den Fall an, als sie nicht alles herausgeben würden. Selbst den heiligen Bezirk durfte man zur Verrichtung seiner Andacht nicht mehr betreten, da Paulinus die Tore der Umfassungsmauer geschlossen und so den Zutritt zu demselben vollständig unmöglich gemacht hatte, so dass unter ihm auch die letzte Spur der früheren Gottesverehrung vom Orte verschwand.

Bis zur Schließung des Tempels waren seit seiner Gründung 343 Jahre vergangen.