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Predigten zu 2. Korinther 7,3

"Nicht zur Verurteilung rede ich; denn ich habe vorhin gesagt, dass ihr in unseren Herzen seid, um mit zu sterben und mit zu leben."

Autor: Adolf Schlatter (* 16.08.1852; † 19.05.1938) schweizer evangelischer Theologe und Professor fürs Neues Testament
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Was ist Liebe? So muss ich immer wieder fragen. Weil die Liebe göttlich ist, ist sie selten und uns fremd. Auch dann, wenn wir sie haben, vermengen wir sie leicht mit dem, was uns natürlich ist, und dadurch wird sie entstellt. Paulus beschrieb den Korinthern seine Liebe zu ihnen dadurch, dass er sagte, sie seien in seinem Herzen. Von Natur ist nichts in meinem Herzen als ich selbst. In meinem Ich hat alles, was in mir vor sich geht, seine Wurzel und sein Ziel. Das natürliche Verlangen ruft: ich möchte, ich bedarf, mir bringt dies Lust und mir tut jenes weh, und das wird noch nicht anders, wenn ich meine Augen fleißig öffne und in ein reiches Bild der Welt ansammle. So kann ich ein Menschenkenner werden, der eifrigen Verkehr mit vielen pflegt und tiefe Einblicke in ihr Inneres gewinnt, auch intime Berührungen mit dem, was in ihnen heilig ist. Dennoch bleibt auch jetzt noch mein Herz zugeschlossen und der andere steht nicht in mir, nur vor mir, und bleibt für mich nur ein Gegenstand, den ich beobachte, vielleicht auch anhaltend und eifrig studiere. In meinem Herzen wohnt dagegen niemand als ich selbst. Aus der Umschau in der Welt kann Arbeit werden, die mich für andere in Bewegung bringt, nicht nur in emsige, sondern auch in wohltuende und heilsame. Allein auch so ist meine innere Einsamkeit noch nicht durchbrochen. Auch wenn ich für andere arbeite und mich in ihren Dienst stelle, sind sie noch nicht in mir und nicht ein Teil meines Lebens und all mein Arbeiten behält schließlich doch sein Ziel in mir. Immer noch habe ich in meinem Herzen nur für mich selbst Raum. Wie kann mein enges, nur mit sich selbst gefülltes Herz so weit werden, dass es auch andere in sich hineinlassen kann? Das geschieht dann, wenn Gott in ihm Platz bekommen hat, dann, wenn in ihm ein Heiligtum entstanden ist, in dem ich nicht mein eigenes Bild aufstelle, weil über ihm Gottes Name steht. Jetzt ist die Türe geschlossen, durch die auch andere in mich hineintreten können, so dass ihr Wohl ein Teil meines Wohls, ihr Leid ein Teil meines Leids, ihr Sündigen meine Schuld, ihr Leben mein Leben wird. Zum Leben und zum Sterben nahm Paulus die Korinther in sein Herz hinein; denn die Liebe nimmt, sowie sie uns geschenkt ist, alles unter ihre Leitung. Sie gibt uns nichts Zerstücktes, sondern eint uns miteinander ganz. Soll ich sie deshalb fürchten? Belädt sie mich vielleicht mit einer schweren Last? Freilich bringt jeder, der in mein Herz hineintritt, auch seine Last mit sich und wir müssen zusammen dem Wort des Paulus gehorchen: einer trage des anderen Last. Weil aber unsere Gemeinschaft dadurch zustande kommt, dass Gott in unserem Herzen den ihm geheiligten Raum erhält, so ist uns mit der Liebe zugleich der Glaube gegeben. Weil die Liebe glaubt, und zwar alles glaubt, fürchtet sie sich nicht, sondern treibt die Furcht aus uns aus und wird dadurch, dass sie die Last des anderen trägt, gestärkt.

Nun bitte ich Dich, Herr, Gott, um Dein großes Geschenk, mit dem Du uns erfahren lässest, dass Du die Liebe bist. Werde mir so wirklich, so gegenwärtig, so gnädig, dass die Mauer fällt, die mich selbst einsperrt. Machst Du mich für Dein Wort und Deinen Geist offen, dann ziehen auch die in mich ein, die Du zu mir führst, und wir werden durch das heilige Band der von Dir gewirkten Liebe eins. Amen.