Buch-Rezension: Als die Väter noch Freunde waren - Zur Geschichte der freikirchlichen Bewegung im Bergischen Land

Als die Väter noch Freunde waren

Autor:

Dem interessanten Forschungsgebiet der Entstehung des deutschen Freikirchentums hat A. Jung ein neues Werk hinzugefügt. Zeitlich umfasst es die stürmischen Jahre um 1850, geographisch das Bergische Land, wo es damals zur Bildung von Baptisten-, Brüder- und Freien evangelischen Gemeinden kam. Dabei kann Jung aus bisher unerschlossenen Quellen Zusammenhänge aufdecken, die bisher so nicht gesehen wurden. Es ist ihm zu danken, dass er einige aus unklarer Quellenlage entstandene Vorurteile ausräumen kann. Der Frage, warum Christen, die alle nach der wahren Gemeinschaft der Kinder Gottes, nach der Gemeinde Jesu Christi, suchten, weil sie sie in der Staatskirche nicht finden konnten, nach anfänglichen Gemeinsamkeiten nicht zusamm[en]zubleiben verstanden, geht der Autor mit großer Genauigkeit nach.

Die Darstellung der sog. "darbystischen Heiligungslehre (Irrlehre des Perfektionismus)" als historische Tatsache muss allerdings angezweifelt werden. Diese Lehre hat es bei den Führern der Brüderbewegung nie gegeben; sie beruht auf der missverstehenden Gegnerschaft kirchlicher Amtsträger, vielleicht auf dem Unverständnis schlichter Anhänger. Mit der These, diese Lehre sei der wirkliche Trennungsgrund gewesen, nimmt sogar Jung wieder ein altes Vorurteil auf. Gerade die Verlautbarungen des "Evangelischen Brüdervereins", in dem "die Väter noch Freunde waren", weisen eher auf die spezifische "Brüder"eigenart hin, sich außerhalb aller Institutionen am Tisch des Herrn versammeln zu wollen, wenn man auch die sog. Heiligungslehre vorschob, um der Staatskirche kein Argument gegen den schon bisher angefeindeten Verein zu schaffen. Allerdings wird durch die Differenz zwischen innerer Gewissensentscheidung und offiziellen Veröffentlichungen immer ein nicht völlig zu klärender Rest bleiben.

Auf jeden Fall ist das Buch ein wertvoller Beitrag zur Geschichte freikirchlicher Bewegung und mit seinem dokumentarischen Anhang dem an Freikirchen-Geschichte Interessierten eine aufschlussreiche Lektüre.

 Die Rezension/Kritik stammt von: Gerhard Jordy
 Kategorie: Sonstiges

  Verlag: SCM R. Brockhaus
  Jahr: 1999
  ISBN: 3-417-29435-5
  Seiten: 200
 €    Preis: 14,90 Euro
Buch-Rezension: Als die Väter noch Freunde waren - Zur Geschichte der freikirchlichen Bewegung im Bergischen Land

Als die Väter noch Freunde waren

Autor:

Jung bringt Licht in das Dunkel der Vorläufer der Freikirchen im Rheinland Mitte des 19. Jahrhunderts. Er berichtet von den frühen Gemeindegründungsinitiativen durch H.C. Werth in Essen-Haarzopf (1847) und Krefeld (1846), von Friedrich Herring in Hückeswagen (1844) und Solingen (1847-50), von Johann Heinrich Lindermann und Julius Anton v. Poseck. Diese Gemeinden, die auch tauften und das Abendmahl feierten, können als Vorläufer der erst Jahre später gegründeten bekannten Freikirchen gelten.

Die wichtigsten Personen dieser "Freikirchen vor den Freikirchen" waren nach Jung Lindermann, Herring und v. Poseck. Lindermann führte ein bewegtes Leben. Er war zunächst Kolporteur der Bergischen Bibelgesellschaft, dann Evangelist der Ev. Gesellschaft, ab 1850 Privatevangelist von H.H. Grafe, dann Bibellehrer des Ev. Brüdervereins, ab 1851 einer der Führer der "Bergischen Taufbewegung" und Leiter der "Getauften Christen-Gemeinden" und am Ende seines Lebens ab den 60er Jahren Anhänger der Sabbatlehre und damit Vorläufer des Adventismus. Lindermann hatte große Schwierigkeiten, sich irgendwelchen Vorgesetzten unterzuordnen. Seine Kreise galten als Konkurrenz zu den "Hamburger Baptisten". Herring, Ziehvater der "Evangelischen Brüdergemeinden" vor 1850, in diesem Jahr ebenfalls Evangelist des Ev. Brüdervereins, ließ sich 1851 von Julius Köbner im Wuppertal taufen, wollte aber ebenfalls keine Baptistengemeinde in Abhängigkeit von Hamburg gründen. Vielmehr wirkte er als Leiter von etwa 10 unabhängigen "Gemeinden Jesu Christi" (später: "Gemeinde der getauften Christen") in Solingen, Remscheid, Wermelskirchen und anderen Orten des Bergischen Landes. Herring ließ sich 1852 noch einmal aufgrund neuer Erkenntnisse taufen, diesmal in fließendem Wasser, was jedoch viele Anhänger verwirrte und Lindermann zum Leiter der "Bergischen Taufbewegung" werden ließ. 1855 wanderte Herring in die USA aus.

Jung korrigiert vor allem das bisherige Bild von J.A. von Poseck, der nach seiner Meinung der eigentliche und selbstständige Begründer der "darbystischen" Versammlungen im Rheinland gewesen sein soll, später aber in der Brüderbewegung in Ungnade fiel und totgeschwiegen wurde. Von Poseck bekehrte sich erst 1848 (nicht 1844), wurde dann als Herausgeber von Darby-Schriften bekannt und gründete von Düsseldorf aus (deshalb "Düsseldorfer Darbyaner") schon ab 1851 die ersten "darbystischen Versammlungen" in Hilden (nicht 1849, wie bisher angenommen), Haan, Benrath, Ohligs, Rheydt u.a., das heißt lange vor der Gründung der ersten Brüdergemeinde durch Carl Brockhaus in Elberfeld im Jahre 1853. Schon in Hilden feierte man das Brotbrechen sonntäglich. Jung nimmt an, dass v. Poseck die Praxis der Glaubenstaufe - die ja im Gegensatz zur Kindertaufe der englischen Brüderbewegung stand - von der "Bergischen Taufbewegung" übernommen und für seine Kreise verbindlich gemacht habe.

Jung belegt auch, dass Carl Brockhaus erst Mitte des Jahres 1852 durch v. Poseck (nicht wie bisher angenommen von Thorens seit 1850) zum "Darbysmus" gekommen sei und sich unter seinem Einfluss vom Brüderverein getrennt habe. Von Poseck habe eine perfektionistische Heiligungslehre vertreten, nicht jedoch der spätere Darbysmus um Brockhaus, der sich deshalb im Wuppertal auch nicht den Versammlungen v. Posecks angeschlossen habe. Nach Jung besitzt der extreme v. Poseck das "Erstgeburtsrecht" am Entstehen der darbystischen Versammlungen im Rheinland und war folglich auch verantwortlich für die Spaltung im Evangelischen Brüderverein. Carl Brockhaus sei jedoch wesentlich gemäßigter gewesen und habe einen "sanften" Darbysmus vertreten.

Der letzte Teil des Buches gibt auf fast 50 Seiten verschollene Dokumente, Briefe und Kleinschriften aus der Feder der Genannten wider. Literatur-, Personen- und Ortsverzeichnis runden den Band ab. Insgesamt erscheinen mir einige Schlussfolgerungen des Buches zu gewagt und absolut. Leider fehlt auch eine geeignete Hinführung und eine bündelnde Zusammenfassung der Ergebnisse.

Trotzdem: Diese Arbeit bietet viele Anregungen, manchen Zündstoff und vor allem neue Erkenntnisse über die "vorgeburtliche" Geschichte der Freikirchen in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Sie zeigt die Berechtigung von Neugründungen freikirchlicher Gemeinden ebenso wie die sektiererische und separatistische Verengung mancher Extremisten, die zu einer uneinheitlichen Entwicklung dieser freikirchlichen Anfänge führte.

 Die Rezension/Kritik stammt von: Stephan Holthaus
 Kategorie: Geschichte, Kirchengeschichte

  Verlag: SCM R. Brockhaus
  Jahr: 1999
  ISBN: 3-4172-9435-5
  Seiten: 200
 €    Preis: 14,90 Euro

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