Buch-Rezension: Die Evangelikale Bewegung in Österreich - Grundzüge ihrer historischen und theologischen Entwicklung (1945-1998)

Die Evangelikale Bewegung in Österreich

Autor:

Drei Missverständnisse könnten Sie davon abhalten, dieses Buch zur Hand zu nehmen:

1. „Es geht nur um Evangelikale.“
Die Evangelikale Bewegung umfasst Christen in fast allen Konfessionen, alle, für die die Bibel die Basis, das Kreuz der Kern und die Wendung zu Jesus als Herrn der Weg ist. „Evangelikal“ ist kein Wort für eine Denomination, sondern für eine theologische Ausrichtung. Deshalb behandelt das Buch Entwicklungen in Evangelischen Kirchen, Pfingstbewegung und vielen weiteren Konfessionen. Und schon im ersten Kapitel wird geklärt, wie es zu der verhängnisvollen Engführung des Begriffes „evangelikal“ in Österreich kam. Nur bei uns werden damit leider manchmal ausschließlich taufgesinnte Gläubige aus nicht-pfingstgemeindlichem Hintergrund gemeint. Überall sonst auf der Welt wird das Wort anders, umfassender verstanden. Wie genau? Das klärt Kapitel 1.

2. „Ich war eh dabei, als meine Gemeinde in den 1980ern entstanden ist.
Wie wir es vom Autor gewöhnt sind, geht er die Kirchengeschichte gründlich an. Die Vorläufer der Evangelikalen Bewegung finden wir im Pietismus ab 1781, frühen Freikirchen und Evangelischer Allianz. Aber auch der eigentliche Zeitraum der Untersuchung birgt Überraschungen. Schauen Sie doch einmal nach, ob Sie Ihren Heimatort im Register finden, das über 80 Orte anführt, in denen zwischen 1945 und 1960 evangelistische Aktionen stattgefunden haben.

3. „Ich brauch’ kein 738 Seiten dickes Buch, um zu wissen, dass Österreich harter Boden ist.“
Tatsächlich? Kirchengeschichte ist heilsam für zwei Auswirkungen unserer häufigen Geschichtsvergessenheit: Erstens weicht sie unsere Vorurteile auf. Wenn ein Missionswerk immer und immer wieder scheitert, mag das auch daran liegen, dass dieselben Fehler stur wiederholt werden. Es liegt vielleicht gar nicht daran, dass „Österreicher nicht fähig zur Zusammenarbeit“ sind, wie ein Team von Missionaren vermutete. Zweitens beflügelt Kirchengeschichte unsere Vorstellungskraft. Sie denken, dass es das in Österreich nicht gibt? Einzug der Heilsarmee Wien am 29.10.1926: „Leider war der etwa 1.000 Personen fassende Saal viel zu klein, um all die andrängenden Menschenmassen zu fassen. Tausende wurden von der in großer Stärke aufgebotenen Polizei nicht mehr eingelassen.“ (121) Kinderheime der Bischöflichen Methodistenkirche 1922: „Im Kinderheim und der Ferienkolonie konnten wir … 566 Kinder mit 18.181 Verpflegungstagen oder 90.905 Mahlzeiten verpflegen.“ (127). Evangelisationswoche mit täglich über 800 Besuchern in St. Pölten? „... wo man Menschen auf der Gasse, in den Geschäften versammelt findet, dreht sich das erregte Gespräch um die Gottes- und Christusfrage.“ (117) Erweckung in Österreich? „Allein im Sommer 1947 wurden in Oberösterreich 76 Taufen durchgeführt. ‚In dieser Zeit der Erweckung gab es auch eine rege Tätigkeit der geistlichen Gaben und mancherlei Kraftwirkungen Gottes in der Gemeinde. Krankenheilungen durch den Glauben waren nicht selten.‘“ (201)

Darüber hinaus zeigt Frank Hinkelmann den Kontext der Evangelikalen Bewegung auf. Trotz einiger Parallelen existiert sie oft unberührt vom Rest Österreichs, man könnte direkt sagen: abgekapselt. Von den Anfängen nach dem zweiten Weltkrieg bis zum Wachstum und zur Institutionalisierung der 90er Jahre stellt sich beim Lesen Freude und Wehmut ein. Wehmut über die Scherben, die schlechte Leiterschaft, Konflikte und Engherzigkeit hinterlassen. Es überwiegt aber die Freude über Gottes Wirken in unserem Land. Das Evangelium läuft, in Österreich bis heute auffällig oft bei Zusammenarbeit über die Kirchengrenzen hinweg.

 Die Rezension/Kritik stammt von: Dr. Christian Bensel
 Kategorie: Geschichte, Kirchengeschichte

  Verlag: Verlag für Kultur und Wissenschaft
  Jahr: 2014
  ISBN: 978-3862691005
  Seiten: 730
 €    Preis: 49,80 Euro

Weitere Buchbesprechungen zu Büchern von Frank Hinkelmann

Geschichte der Evangelischen Allianz in Österreich

Geschichte der Evangelischen Allianz in Österreich

Von ihren Anfängen im 19. Jahrhundert bis zum Ausgang des 20. Jahrhunderts
Die sieben Sendschreiben der Offenbarung

Die sieben Sendschreiben der Offenbarung

Eine praktisch-fundierte Auslegung