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Predigten zu Lukas 19,41

"Und als er sich näherte und die Stadt sah, weinte er über sie"

Autor: Ludwig Hofacker (* 15.04.1798; † 18.11.1828) deutscher evangelischer Pfarrer
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Der Heiland hat geweint. Lasset uns mit unserer Betrachtung hier ein wenig stillstehen. - Unser Schöpfer, unser Herr und Gott, der, von welchem die künftige und letzte Entscheidung unseres Schicksals abhängt, unser Richter, der allmächtige Herr Himmels und der Erden, vor welchem die Engel Gottes anbeten, Der, zu dessen Füßen alle himmlischen Mächte, Gewalten und Majestäten ihre Kronen niederlegen - Jesus hat geweint, als er Jerusalem ansah, heiße und bittere Tränen vergossen. Erstaune, mein Geist, und bete an! O daß ich mich in diese große Sache hineinvertiefen, daß ich es ganz, genug und innig empfinden und erfassen könnte, was es heißt: Jesus Jehova hat geweint! Daß er gezürnt hat, daß er mit Gottesgewalt die Käufer und Verkäufer aus dem Tempel hinausgetrieben hat, darüber wunderte ich mich eben nicht. Daß seine flammende Gerechtigkeit ihm aus den Augen herausge- leuchtet hat; daß von seinem Angesicht Löwengrimm und ewiges Verderben ausgehen wird über diejenigen, welche dem Evangelium nicht gehorsam sind; daß Himmel und Erde vor seinem Angesicht fliehen und ihnen keine Stätte wird erfunden werden, darüber wundere ich mich nicht; denn er ist Jehova, ein heiliger, eifriger, ein starker Gott; vor ihm mag das Unreine nicht bleiben. Aber das ist zum Verwundern, daß er geweint hat. O wie offenbart sich in diesem tränenden Angesicht Jesu Christi die Freundlichkeit und Leutseligkeit des Vaters! Wie hat sich der Heiland hier vor den Augen der ganzen Sünderwelt als Jesus, als wahrhaftigen Menschensohn dargestellt! Wie gut schikken sich diese Tränen zu dem Titel, der ihm in seinem Wort gegeben wird, wo er »das Lamm Gottes« heißt! So hat er also ein menschliches Herz gehabt; er hat menschlich gefühlt; er hat, wie andere Menschen, Wehmut und Schmerz in seinem Herzen empfunden; diese Empfindung ist ihm an die Seele gedrungen und hat sich durch Seufzer und Tränen kund getan; er hat geweint und sich der Tränen nicht geschämt. Wir haben einen Gott, der weinen konnte; wir haben einen Hohepriester, der weinen konnte; nicht einen Gott, von dessen Unendlichkeit alle menschliche Empfindung abprallt wie von einem Steine; nicht einen Hohepriester, der in einer gezwungenen Mannhaftigkeit auftrat, wie dies bei so manchen Helden dieser Erde Gebrauch ist, die sich der Tränen zu schämen pflegen. Nein, er war ein Mensch; er hat Tränen gehabt wie ein anderer Mensch; er ist auch in diesem Stück Adams Söhnen gleich geworden, hat sich auch in diesem Stück nicht geschämt, sich als unsern Bruder darzustellen. Du Glanz vom ewgen Lichte, von Gottes Angesichte, du Herr der Herrlichkeit, durch den Gott seine Milde im reinsten Ebenbilde und alle Gnaden anerbeut.

Komm Jesu, meine Liebe, entflamme meine Triebe, vom Himmel her für dich! Ach komm, mein ewig Leben, mir Geist und Kraft zu geben, komm, o mein Licht, erleuchte mich!


Autor: Ludwig Hofacker (* 15.04.1798; † 18.11.1828) deutscher evangelischer Pfarrer
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Über was hat er geweint? Wenn wir weinen, so fließen unsere Tränen meistens um uns selbst und um Dinge, die sich auf uns beziehen. Wenn uns etwas zuwiderläuft, wenn wohl ausgedachte Pläne durchstrichen werden, wenn wir meinen, es gehe uns hart, wenn wir im Leiden stehen oder in irgendeinem Druck: da fließen unsere Tränen. Der härteste Mensch kann zuletzt zum Weinen gebracht werden, wenn er von Gott an seinen empfindlichen Seiten angegriffen und in den Ofen der Trübsal hineingeworfen wird. Es gibt auch weiche Gemüter, welche durch Erzählungen oder andere Darstellungen oder durch den Anblick eines Leidenden sogleich können bis zu Tränen gerührt werden. Aber da geht es nicht tief; in kurzer Zeit können sie ebenso lachen, wie sie vorher geweint hatten; es sind diese Tränen oft nichts als das Ergebnis gereizter Nerven oder einer gesteigerten Einbildungskraft, Zeugen einer unordentlichen Gemütsverfassung. So hat der Heiland nicht geweint. Er weinte nicht um sich. Er hätte es wohl tun können, wer hätte es ihm verargen mögen? Da ritt er zu den Toren von Jerusalem hinein; hinter ihm lagen die dreiunddreißig Jahre seines mühseligen Kampflaufs; so vieles Demütigende, so manches Bittere war ihm widerfahren; so manchen sauren Tritt durch die armselige Welt hindurch hatte er getan; vor ihm lag eine entsetzliche Zukunft, sein letzter Kampf, sein schmachvolles Leiden und Sterben, dies alles lag vor dem Geistesauge des Heilands aufgedeckt da; er sah die Plätze, wo er seine tiefste Erniedrigung erfahren sollte; er sah die Marterstätte vor sich - wer hätte es ihm verargen mögen, wenn er weich geworden, wenn er in Tränen ausgebrochen wäre über sich, über seinen langen Leidenslauf, der so schrecklich endigen sollte, wenn der Gedanke in ihm aufgestiegen wäre: armes Schlachtschaf, hier sollst du für deine große Liebe den blutigen Lohn einernten! Dies wäre gewiß keine Weichlichkeit gewesen. Aber darüber weinte er nicht. »Er sah die Stadt an und weinte über sie.«

O mein Herz, verliere dich ganz in die Größe des Herzens Jesu! Empfinde es ganz, was du für einen Heiland, für einen Hohepriester hast! Jerusalem, die große Sünderstadt, lag vor seinen Blicken. Der Vater hatte den Sohn als Weingärtner in seinen Garten geschickt und ihm die besondere Sorge für seinen Feigenbaum aufgetragen (Lk 13,6-9). Drei Jahre lang hatte der Weingärtner diesen Baum mit großem Fleiß gepflegt, und dreimal hatte der Herr des Gartens nachgesehen, ob er auf diese sorgfältige Pflege hin Frucht bringe. Aber er hatte keine gebracht. Da hatte der Herr zum Weingärtner gesprochen: »So hau ihn ab! Was nimmt er dem Boden die Kraft?« Aber der Weingärtner hatte Fürbitte eingelegt für den Baum, es jammerte ihn desselbigen:

»Herr! - hat er gesprochen - »laß ihn noch dies Jahr, bis ich um ihn grabe und ihn dünge; vielleicht bringt er doch noch Frucht; wenn aber nicht, so hau ihn ab.« Dieses vierte Jahr ging nun zu Ende, und es war noch keine Frucht zu sehen. Die Axt war dem Baum an die Wurzel gelegt; der mitleidige Weingärtner konnte nichts mehr gegen die Ausrottung des Baums einwenden; er mußte Ja und Amen dazu sagen. Er tat es, aber mit Tränen in den Augen.

Jesu, allertreuster Hirte! Laß auch mich dein Schäflein sein! Schilt mich nicht als das Verirrte, denn du liebst ja allgemein. Ich wünsche nicht Kronen und Güter der Erden, ich wünsche von dir nur geheiligt zu werden; du winkst mir, du ziehst mich, ich folge dem Zug vom Glauben zum Schauen; - dann hab ich genug.


Autor: Ludwig Hofacker (* 15.04.1798; † 18.11.1828) deutscher evangelischer Pfarrer
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Es ist eine große Ehre, daß der König Himmels und der Erden sich nach Jerusalem bemühen mag. Ließe sich nicht hieraus schließen, daß dieses Jerusalem eine rechte Stadt Gottes sein müsse, weil hier jener Spruch erfüllt werden soll: Siehe da, eine Hütte Gottes bei den Menschen; daß in dieser Stadt Wahrheit und Gerechtigkeit und Heiligkeit müsse wohnen? Das sollte man meinen, und dennoch wäre es auch so ein großes Wunder der Liebe des Herrn, daß er sich so heruntergelassen. Aber anstatt ein Wohnplatz der Gerechtigkeit und Heiligkeit zu sein, ist Jerusalem eine Mördergrube, statt Liebe zum Herrn herrscht hier Haß gegen ihn, statt des Lichtes der Wahrheit Finsternis und Lüge. Jerusalem ist die abtrünnige, untreue Tochter, aber er kommt doch zu ihr, sie haßt ihn, er kommt doch zu ihr. Der Heiland wußte wohl, daß das nämliche Volk, das ihm hier triumphierend entgegenjauchzte, wenige Tage darauf mit schrecklichem Geschrei seine Kreuzigung verlangen und sein unschuldiges Blut auf sich und seine Kinder herabwünschen würde, aber er kommt doch nach Jerusalem und nicht um zu verderben, sondern wenn möglich zu erhalten, sein Zorn brannte nicht an, es kam keine Rachgier in seine Seele, er dachte nicht an sich, nicht an das, was ihm bevorstand, nicht daran, daß die Juden schon durch die Schriften der Propheten lange auf ihn aufmerksam gemacht worden waren, nicht daran, daß er selbst es ihnen so oft gesagt, daß er sei des Menschen Sohn vom Himmel, und daß wer an ihn glaube, werde das ewige Leben haben, und sie hatten ihn nicht aufgenommen. Da war nichts in ihm als Liebe und Erbarmen gegen die verlornen Schafe aus dem Hause Israel. Als er auf eine Anhöhe kam, von welcher aus man die Stadt übersehen konnte und er sah sie vor sich liegen, die große und schöne Stadt, die nicht achtete die Zeit ihrer Heimsuchung, da brach ihm das Herz über der verblendeten Stadt, und der Heiland weinte Tränen über Jerusalem. Das heißt Sanftmut, das heißt aufopfernde Liebe. Er hasset sie nicht, er weint über sie.

O könntest du sein Herze sehen, wie sich's nach armen Sündern sehnet, sowohl wenn sie noch irre gehen, als wenn ihr Auge nach ihm tränet. Er streckt die Hand nach Zöllnern aus, er eilet in Zachäi Haus. Wie stillet sanft der Magdalenen den milden Fluß der Reuetränen und denkt nicht, was sie sonst getan! Mein Heiland nimmt die Sünder an.


Autor: Wilhelm Busch (* 27.03.1897; † 20.06.1966) deutscher evangelischer Pfarrer, Prediger und Schriftsteller
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„… dem allemal das Herze bricht / wir kommen – oder kommen nicht", singt der Liederdichter.

Es sind bittere Tränen, welche die göttliche Liebe weint über die, „die nicht kommen". Diese Tränen reden von großer Liebe Gottes, von geduldiger und suchender Liebe. Aber diese Liebe wurde vergeblich verschwendet. Jerusalem ist verstockt. Jawohl, so ist das: Gott verschwendet eine Unmenge Liebe an die Welt. Ein Strom suchender und rettender Liebe ergießt sich in Jesus über die Welt. Auch an uns verschwendet Gott Seine Liebe. Wo diese Liebe vergeblich verschwendet ist – wo das Herz sich dagegen verschließt, – da bricht Jesus das Herz. Nicht um der verschwendeten Liebe willen – sondern um der verstockten Herzen willen. Denn wer Gottes Liebe in Jesus verschmäht, der ist für Zeit und Ewigkeit „Gott-Verlassen". Keine Versöhnung, keine Hoffnung, keine Hilfe, keinen Trost für Zeit und Ewigkeit hat der, der nicht erkannte, was zu seinem Frieden dient.

„Er sah die Stadt an." Leuchtend und herrlich lag vor Ihm der Tempel. Vielleicht stieg dort gerade der Rauch auf vom Abendopfer. Seht doch, wie religiös die Stadt war! Jawohl, religiös – aber ohne Buße. Da war Religion – aber Jesus war draußen vor der Stadt und weinte. Man hielt Feste und Gottesdienste, aber „sie erkannten nicht die Zeit, darin Gott sie heimsuchte".

Die Tränen Jesu waren Gottes Todesurteil über Jerusalem. Gewiss – Gottes Reich ging damit nicht zugrunde. Im Gegenteil! Der Fall Jerusalems wurde das Heil der Völker. Gottes Sache fällt nicht mit der Untreue der Menschen. Und doch weint Jesus. Und Er enthüllt damit ganz und gar Sein Herz gegen Sünder. Er will nicht, dass jemand verloren gehe. „… dem allemal das Herze bricht / wir kommen – oder kommen nicht." Amen.


Autor: Adolf Schlatter (* 16.08.1852; † 19.05.1938) schweizer evangelischer Theologe und Professor fürs Neues Testament
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Die Jünger jubeln und Jesus weint und beides vereint bringt das zum Ausdruck, was in jener Stunde geschah. Die Jünger jubeln; denn Jesu königliche Sendung wird jetzt Jerusalem offenbart und dies ist der Anfang des Heils. Allein Jerusalem verschließt sich seinem Herrn. So wird aus seinem Einzug sein Gang zum Kreuz. Nicht ihm bringt es den Untergang; denn in seiner Seele lebt in wunderbarer Kraft als ein Geschenk seines himmlischen Vaters die Gewissheit: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Dagegen fällt Jerusalem und das legt in die Freude des Tags das tiefe Weh und Jesus hat es dadurch ans Licht gestellt, dass er im Anblick der Stadt und des Tempels zu weinen begann. Dadurch wurde aber die Gemeinschaft zwischen Jesus und seinen Jüngern nicht gestört. Die Jünger lobten nicht sich und Jesus beweinte nicht sich. Die Jünger feiern, weil das Heil sich Jerusalem naht, und Jesus weint wegen des bitteren Sterbens, das über Jerusalem kommt. Darin waren Jesus und seine Jünger miteinander eins. Von Jesus her ist Freude und Leid in untrennbarer Verbundenheit des Erbe der Christenheit; denn sie sieht sowohl das Werk Gottes als das des Menschen und ihre Liebe verbindet sie mit dem Vater und mit den Brüdern. Wenn wir nur die Menschen kennten, wären uns nur die Tränen beschert; wenn wir nur Gottes Werk betrachten dürften, wäre uns nur Freude geschenkt. Wir können und dürfen aber weder Gott noch den Menschen vergessen. Wenn mich der menschliche Jammer in seiner schwarzen Tiefe betrübt, so darf ich mir nicht verhehlen, dass auch über dieser Tiefe der Geist schwebt und über der Erde der Himmel steht, in dem man Gott lobt. Und wenn mir die Sonne der Gnade in hellem Glanz leuchtet und das Herz festlich weitet, so dass unser Mund voll Rühmens und unsere Zunge voll Lachens wird, so dürfen wir die Vielen nicht vergessen, die noch im Gefängnis sind ohne Licht, ohne Hilfe, ohne Hoffnung, weil ohne Gott. Denn sie sind Fleisch von unserem Fleisch. Darum übt die über die Erde wandernde Christenschar beides, was beim Einzug in Jerusalem geschah, das Loben und das Weinen, das Loben, weil sie Gottes ist, das Weinen, weil sie zur Menschheit gehört.

Wonne und Leid, Jubel und Tränen, schenke mir beides und heilige beides. Den Schmerz heilige, dass er nicht ungläubig wird; die Freude heilige, dass sie nicht eigensüchtig wird und die Brüder vergisst. Weite das enge Herz, dass es Raum für alles hat, was Dein Wort uns gibt. Amen.


Autor: Hermann Bezzel (*18.05.1861; † 08.06.1917) deutscher lutherischer Theologe
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Und als er nahe hinzukam, sah er die Stadt an und weinte über sie.

Während wir Feste feiern, ein jeder nach seiner Art und Wahl und Willen, hat er für alle diese Feiern nur Tränen, und während wir uns nach eigenem Gutdünken ergehen, sieht er bereits das Gericht sich unserem Leben nahen. Es ist etwas wundersam Einschneidendes, wenn Jesus über ein Menschenleben weint, weil er in die Tiefe dessen sieht, was an dieses Menschenleben gewandt wurde, und die Ärmlichkeit der Gegenwart erkennt, die solche Liebestreue gar ärmlich lohnt, und die Schrecken der endlichen Entwicklung voraussieht. Während wir Feste feiern, ist vielleicht das Buch unseres Lebens schon zu Ende geführt mit den vielen leeren Blättern, auf welchen Versäumnis, Traum und Unterlassung stehen, und mit den allzureich beschriebenen Blättern, die als erstes Wort das eigene Ich und das eigene Ich als letztes Wort verzeichnen.