Psalmenkommentar von Charles Haddon Spurgeon

PSALM 64 (Auslegung & Kommentar)


Überschrift

Ein Psalm Davids. Das Leben dieses Knechtes Gottes war ein Leben des Kampfes; selten konnte er einen Psalm dichten, ohne darin seiner Feinde gedenken zu müssen, und in dem vorliegenden beschäftigt er sich nur mit ihnen. Vorzusingen. Hiermit wird der derzeitige Leiter des heiligen Chores mit der Einübung dieses Psalms beauftragt. Es wäre zu wünschen, dass die Vorsänger und Dirigenten unserer Kirchen ihre Pflicht stets in ihrem ganzen feierlichen Ernst erfassten; denn es ist nichts Geringes berufen zu sein, den heiligen Gesang der Gemeinde Gottes zu leiten, und die damit verbundene Verantwortlichkeit ist keineswegs leicht anzuschlagen.

Einteilung. V. 2-7 beschreibt David die Grausamkeit und Hinterlist seiner Feinde, und V. 8-11 weissagt er ihren Untergang.


Auslegung

2. Höre, Gott, meine Stimme in meiner Klage;
behüte mein Leben vor dem grausamen Feinde.
3. Verbirg mich vor der Versammlung der Bösen,
vor dem Haufen der Übeltäter,
4. welche ihre Zunge schärfen wie ein Schwert,
die mit ihren giftigen Worten zielen wie mit Pfeilen,
5. dass sie heimlich schießen den Frommen;
plötzlich schießen sie auf ihn ohne alle Scheu.
6. Sie sind kühn mit ihren bösen Anschlägen
und sagen, wie sie Stricke legen wollen,und sprechen: Wer kann sie sehen?
7. Sie erdichten Schalkheit
und halten’s heimlich, sind verschlagenund haben geschwinde Ränke.


2. Höre, Gott, meine Stimme in meiner Klage (meinem Kummer). Es ist unserer Andacht oft förderlich, wenn wir beim Beten unsere Stimme gebrauchen können, also laut beten; aber auch das stille Gebet hat vor Gott eine Stimme, die er deutlich vernimmt. Gebete, die auf Erden niemand hört, mögen doch im Himmel laut und durchdringend erschallen. Achten wir wohl darauf, wie beharrlich David zum Gebet seine Zuflucht nimmt. Es ist ihm seine Streitaxt und Kriegswaffe, die er in jeder Bedrängnis gebraucht, komme diese von innerer Befleckung oder von äußerer Empfindung des Zornes Gottes, von fremden Einfällen oder von Aufruhr im eignen Haus und Land. Wollen wir allezeit weislich handeln, so lasst auch uns das Gebet zu unserer ersten und vertrautesten Zuflucht machen. Behüte mein Leben vor dem grausamen Feind, wörtl.: vor dem Schrecknis des Feindes. Schütze mich vor dem Feind und vor dem Schrecken, den er einflößt und anrichtet. Man könnte die Worte V. 2b (und dann ebenso V. 3) auch als Ausdruck der gläubigen Überzeugung auffassen, dass es also geschehen werde: "Vor dem Schrecknis des Feindes wirst du mich behüten." Alle unsere Gebetsopfer müssen mit dem Salz des Glaubens gesalzen sein. (Es ist aber natürlicher, dem Anfang des Verses entsprechend, bei der Auffassung als Bitte zu bleiben.)

3. Verbirg mich vor der Versammlung (dem Geheimbund) der Bösen. Schütze mich vor den listigen Plänen, welche die Bösewichter in ihren vertraulichen Zusammenkünften wider mich aushecken. Begegne ihren heimlichen Anschlägen mit den geheimen Plänen deiner Vorsehung, den Ratschlüssen ihrer Bosheit mit den Ratschlüssen deiner Liebe. Vor dem (lärmenden) Haufen der Übeltäter. Wenn ihre im stillen Winkel ersonnenen tückischen Pläne nun in lärmendem Aufruhr hervorbrechen, so sei du auch dann mein Schutz. Wenn sie auf Übles sinnen, dann lass deine göttlichen Gedanken ihre bösen Entwürfe vereiteln, und wenn sie Übles tun, dann lass deine machtvolle Gerechtigkeit sie stürzen; in beiden Fällen lass mich dem Bereich ihrer grausamen Hand, ja auch ihres bösen Blicks entrückt sein. Es ist ein Großes, böswillige Feinde zu besiegen; weit besser ist es aber doch noch, vor allem Kampf mit ihnen bewahrt zu bleiben, indem man ihrem Anlauf entrückt wird. Der HERR versteht es, seinem Volke Frieden zu geben vor seinen Drängern; wenn er beschließt Ruhe zu schaffen, so zeigt es sich, dass er allen Störenfrieden wohl gewachsen ist. Er vermag sowohl schlau angelegten Verschwörungen als auch offenen Feindseligkeiten die Spitze zu bieten.

4. Welche ihre Zunge schärfen wie ein Schwert. Verleumdung ist zu allen Zeiten bei den Feinden der Rechtschaffenen eine Hauptwaffe gewesen und es ist erstaunlich, wieviel Mühe sie sich geben, diese Waffe recht wirksam zu gebrauchen. Wie der Krieger sein Schwert wetzt, um mit der scharfen Schneide den Feind hoffnungslos zu Boden schlagen und ihm das Herz durchbohren zu können, so erfinden diese gewissenlosen Menschen Lügen, so glatt und schneidig, dass sie ihres Zwecks nicht fehlen können, den Gerechten aufs schmerzlichste zu verwunden, seinen guten Ruf zu töten, seine Mannesehre zu zerstören. Gibt es etwas, das solch eine böse Zunge zu sagen sich scheuen, ein Unheil, das anzustiften sie sich nicht bemühen würde? Die mit ihren giftigen Worten zielen wie mit Pfeilen, wörtl.: welche spannen ihren Pfeil, (nämlich) bittere Rede. Aus der Ferne schleudern sie ihre Lästerungen, wie Bogenschützen ihre vergifteten Pfeile. Mit Eifer und Sorgfalt, wie man den Bogen zurichtet, bereiten sie ihre Reden vor und lassen dann, kaltblütig und entschlossen zielend, den in tödliches Gift getauchten Pfeil los. Zu kränken, zu quälen, zu verderben, darauf steht ihr Sinn. Stichelreden hin und her fliegen zu lassen, einander Spottnamen zu geben und Beleidigungen und höhnische Herausforderungen zuzurufen, das wurde bei den Orientalen als eine Art Kunst betrieben. Wenn wir im Abendland vielleicht etwas verfeinerte Sitten haben und darum in Beschimpfungen solch roher Art weniger geübt sind, so ist doch zu fürchten. dass auch bei uns die Zungen mit ihrem weniger augenscheinlichen Gift nicht weniger durchdringende Schmerzen verursachen. Wie dem auch sei, lasst uns bei allen solchen Gefahren zum HERRN fliehen, bei ihm Rettung suchend. David wusste gegen die beiderlei Waffen der Gottlosen nur eine Hilfe: das Gebet; zum Schutz gegen Pfeil und Schwert diente ihm der eine Schild: er barg sich vertrauensvoll bei seinem Gott.

5. Dass sie heimlich schießen den Frommen (oder Redlichen). Sie liegen feig im Hinterhalt, den Bogen fertig gespannt, um den tückischen Pfeil dem Redlichen ins Herz zu schießen. Ein aufrichtiger und unsträflicher Wandel schützt nicht vor den Angriffen der Verleumdung. Wagte sich der Teufel sogar an unseren Herrn, so mögen wir versichert sein, dass er auch für uns feurige Pfeile bereit hat. Jesus war ganz vollkommen und unschuldig; wir können nur in beschränktem Sinne so genannt werden, daher sind in uns stets der entzündlichen Stoffe genug für die Brandpfeile des Bösewichts. Man achte auf die gemeine Gesinnung der Boshaftigen: eine offene Feldschlacht nehmen sie nicht an, sie scheuen sich, Mann gegen Mann zu kämpfen; darum schleichen sie im Gebüsch umher und lauern im Hinterhalt solchen auf, die mit Betrug zu wenig vertraut sind, als dass sie ihre Treulosigkeit argwöhnten, und zu mannhaft, um ihre verabscheuungswürdigen Kriegskünste nachzuahmen. Plötzlich schießen sie auf ihn ohne alle Scheu. Zur Heimlichkeit kommt die Plötzlichkeit des Überfalls. Sie lassen ihrem arglosen Opfer keine Möglichkeit sich zu verteidigen. Wie ein wildes Tier, das plötzlich auf seine Beute hinabschießt, überfallen sie den Frommen. Und so vorsichtig machen sie ihre Pläne, dass sie keine Entdeckung fürchten. Haben wir es nicht oft erlebt, dass der Pfeil der Verleumdung einen unserer Mitmenschen schwer verwundete, ohne dass es möglich war, die Richtung zu entdecken, aus der das Geschoss gekommen war, und die Hand ausfindig zu machen, welche die Pfeilspitze geschmiedet und in das tödliche Gift getaucht hatte? Kann die Gerechtigkeit wohl eine Strafe erfinden, die hart genug wäre, um den Feigling gebührend zu züchtigen, der meinen guten Namen schamlos entehrt, sich selbst aber in sicherem Schlupfwinkel verborgen hält? Ein offenkundiger Lügner ist ein wahrer Engel im Vergleich mit einem solchen Dämon. Kreuzottern und Brillenschlangen sind harmlose, liebenswürdige Geschöpfe gegenüber solchem Gelichter. Der Teufel selbst könnte wohl darob erröten, der Vater einer so niederträchtigen Art zu sein.

6. Sie sind kühn mit ihren bösen Anschlägen, oder: Sie bestärken sich zu bösem Anschlag. Die Frommen sind häufig mutlos, und nicht selten entmutigen sie einander noch gegenseitig; die Kinder der Finsternis aber sind klüger in ihrem Verhalten gegeneinander: sie halten guten Mut, und jeder hat für seinen Spießgesellen ein aufmunterndes Wort. Jede Gelegenheit, da sie einander zum gemeinsamen Unternehmen die Hand stärken können, nutzen sie treulich aus; von ganzem Herzen sind sie bei ihrem finsteren Werk. Und sagen, wie sie Stricke legen wollen. Sie stecken die Köpfe zusammen und erzählen sich einmal und abermal die listigen Pläne, die sie ersonnen haben, um dadurch womöglich auf einen noch besseren, noch teuflischeren Plan zu kommen. Sie sind sich des Vorteils wohl bewusst, der im Zusammenwirken liegt, und machen sich diese Erkenntnis aufs Beste zunutz; sie sammeln die Erfindungen und Erfahrungen, welche ein jeder für sich gemacht hat, zu einem gemeinsamen Schatz und lehren einander mit allem Fleiß neue Künste. Und sprechen: Wer kann sie sehen? So emsig und geschickt verdecken sie ihre Angriffe, dass sie sich gegen jede Entdeckung gefeit glauben. Ihre Fallgruben sind zu schlau angelegt und sie selbst sind zu wohl verborgen, als dass jemand sie sehen könnte. So meinen sie, vergessen dabei aber das Auge, das alles sieht, und die Hand, die alles aufdeckt. Große Verschwörungen kommen gewöhnlich an den Tag. Wie bei der Pulververschwörung in England (i. J. 1605) gibt es meist einen großen Zusammenbruch; entweder wirbt sich die Wahrheit unter den Verschwörern selbst einen Bundesgenossen, oder es müssen die Steine auf dem Felde wider sie zeugen. O möchte sich doch kein gläubiger Christ durch die Furcht vor schlauen Anschlägen in Fesseln schlagen lassen; denn es verfängt sicherlich kein Zauber in Jakob und kein Wahrsagen in Israel (4. Mose 23,23). Die Maschen des Netzes zerreißen, die Pfeile des Bogens zerbrechen, die Anschläge der Gottlosen werden vereitelt. Darum fürchtet euch nicht, ihr zaghaften Seelen; der HERR ist zu eurer Rechten, der Feind soll euch nichts anhaben.

7. Sie erdichten Schalkheit. Mit Fleiß ersinnen und erwägen sie frevelhafte Pläne, um ihre Bosheit zu befriedigen. Diese Leute sind keine gewöhnlichen Schurken, sondern Meister der Bosheit, sinnreiche Erfinder und kunstreiche Verfertiger von allerlei Bösem. Es ist wahrlich traurig, dass die Übelgesinnten oft einen solchen Eifer entwickeln, um einen braven Mann ins Verderben zu stürzen, als ob sie nach einem Schatze grüben. Die Inquisition verfügte über Folterwerkzeuge, welche den Maschinen, die wir auf unseren modernen Ausstellungen bewundern, an Kunst der Erfindung um nichts nachstanden. Die verwickeltsten und insofern interessantesten Teile der Weltgeschichte sind diejenigen, in welchen Rachsucht und Bosheit die Kunst der Diplomatie und allerlei Intrigenspiel aufgeboten haben, um ihre teuflischen Zwecke zu erreichen. "Wir haben’s fertig! ein schlau ersonnener Plan!" (Grundtext1 Ihr Plan ist nun vollständig fertig und bis ins Einzelne ausgearbeitet; darum rufen sie: Heureka! Wir habens gefunden! - nämlich eine ganz sichere Weise, unsere Rache zu kühlen. Es geht nichts über das Raffinement der Bosheit. Unmittelbar aus der Hölle werden diese Künstler inspiriert, von ihr bekommen sie die Ideen, während sie die ganze Erde und alle Regionen unter der Erde durchsuchen, um brauchbares Material zur Ausführung dieser höllischen Kriegspläne zu finden; und mit einer Geschicklichkeit, die uns Bewunderung abnötigen könnte, machen sie von alledem den passendsten Gebrauch. Und eines jeden Inneres und Herz ist tief, ist unergründlich. (Grundtext) Ihre Klugheit ist nicht oberflächlicher Art, sondern ein durch Übung und glühenden Hass noch besonders geschärfter Scharfsinn. Die Gottlosen haben häufig eine außerordentliche Fertigkeit in der Kunst, bedachtsam zu eilen, gefällig zu sein, um verderben zu können, ihrem Opfer zu schmeicheln, um es danach desto besser verschlingen zu können, vor ihm die Knie zu beugen, um es schließlich unter ihren Füßen zu zertreten. Wer es mit dem Schlangensamen zu tun hat, braucht wahrlich die Weisheit von oben! Das Otterngezücht dreht und windet, ringelt und schlängelt sich und bleibt dabei doch steif auf seinem Anschlag; es erreicht seinen Zweck stets auf dem kürzesten Weg, ob es auch weite Umwege zu machen scheint. O wie gefährlich ist die Lage des Gläubigen, wie schnell mag er überwunden werden! So lautet die Klage des berechnenden Verstandes und der Seufzer des Unglaubens. Der Glaube aber findet die Auserwählten in dieser nämlichen gefährlichen Lage sicher in Gottes Hand.


8. Aber Gott wird sie plötzlich schießen,
dass es ihnen wehe tun wird.
9. Ihre eigne Zunge wird sie fällen,
dass ihrer spotten wird, wer sie siehet.
10. Und alle Menschen werden sich fürchten und sagen:
"Das hat Gott getan!"und merken, dass es sein Werk sei.
11. Die Gerechten werden sich des HERRN freuen und auf ihn trauen;
und alle frommen Herzen werden sich des rühmen.


8. Aber Gott wird sie schießen mit dem Pfeil. (Grundtext Sie haben auf andere geschossen und werden nun selber erschossen. Ein besserer Bogenschütze als sie legt auf ihr Herz an, und einer seiner Pfeile genügt, denn er verfehlt nie sein Ziel. Der HERR kehrt den Spieß um und besiegt seine Feinde mit ihren eigenen Waffen. Plötzlich entstehen ihre Wunden. (Grundtext2 Sie meinten, den Heiligen überrumpeln zu können; aber wehe, unversehens hat es sie selbst! Sie lechzen danach, ihm tödliche Wunden beizubringen; nun sind ihnen Wunden geschlagen, die niemand heilen kann. Während sie noch ihren Bogen spannten, hatte der allmächtige Kriegsheld schon auf sie gezielt, und er ließ den Pfeil losfahren, als sie sich solches schnellen Boten der Gerechtigkeit am wenigsten versahen. Die Rache ist mein, spricht der HERR, ich will vergelten. Die Gerechten brauchen weder die Kunst der Verteidigung noch die des Angriffs zu erlernen; denn die Ahndung der wider sie ersonnenen Frevel ist in besseren als ihren Händen.

9. Ihre eigne Zunge wird sie fällen. Grundtext: Und man stürzt sie (wörtl.: ihn, nämlich den Feind), indem ihre eigene Zunge über sie kommt. Ihre Verleumdungen werden auf sie zurückfallen. Ihre Flüche werden sich wenden und sie selber treffen. Ihre Zunge wird ihnen den Hals brechen. Sie war ja beides, Schwert sowohl als Pfeil und Bogen; nun wird sie gegen sie gekehrt und bringt ihnen volle Strafe. Dass ihrer spotten wird, wer sie siehet. So richtig Luther. Die englische Bibel aber übersetzt: Alle, die sie sehen, werden sich flüchten.3 Ihre früheren Freunde werden sich, vor ihnen selber und ihrem Unglück erschaudernd, möglichst weit von ihnen wegmachen, um nicht mit ihnen umzukommen. Wer drängt sich noch an Herodes heran, da ihn die Würmer fressen? Wer begehrt noch mit Pharao in einem Wagen zu fahren, da die Wasser rings um ihn zusammenschlagen? Gerade diejenigen, welche sich um solch einen Verfolger geschart haben und ihm zu Füßen gekrochen sind, solange er in Macht war, sind am Unglücks- und Gerichtstag die ersten, die ihn verlassen. Wehe euch Lügnern! Wen wird es gelüsten, euch in dem Pfuhl, der mit Feuer und Schwefel brennt, Gesellschaft zu leisten?

10. Und alle Menschen werden sich fürchten. Sie werden ob der gerechten Gerichte Gottes von Schrecken ergriffen werden, wie die Kanaaniter, als Pharao im Roten Meer untergegangen war. Diejenigen, welche im Sündigen kühn waren, sollen zitternd vor Schreck und Seelenangst dem unerbittlichen Richter gegenübertreten müssen. Und sagen: "Das hat Gott getan!"; wörtlich: und Gottes Tun verkündigen. Gottes heiliges Walten wird zum allgemeinen Gesprächsgegenstand werden. So außerordentlich, so deutlich, so schrecklich wird es sein, wenn der HERR die Boshaftigen stürzen wird, dass man in allen Kreisen davon reden wird. Sie sündigten im Geheimen, aber ihre Bestrafung wird an der hellen Sonne vollzogen werden. Und merken, dass es sein Werk sei; wörtlich: und sein Werk betrachten oder verstehen. Die Gerichte Gottes sind häufig so klar und offenkundig, dass die Leute sie nicht missverstehen können und, wenn sie überhaupt etwas denken, aus denselben die rechte Lehre entnehmen müssen. Manche göttlichen Gerichte sind von großer Tiefe; bei boshaften Verfolgern liegt aber die Sache so klar zutage, dass auch der Einfältigste sie verstehen kann.

11. Die Gerechten werden sich des HERRN freuen, indem sie seine Gerechtigkeit anbeten und in ihr völlige Beruhigung finden. Sie werden sich auch über die Rettung der beleidigten Unschuld freuen; aber ihre Freude wird nicht selbstisch noch sinnlich sein, sondern im HERRN ihren Brennpunkt haben. Und auf ihn trauen, wörtlich: sich in ihm bergen. Ihre Erfahrung von dem Walten der göttlichen Vorsehung wird ihren Glauben stärken; denn derselbe Gott, der seine Drohungen erfüllt hat, wird auch seiner Verheißungen nicht vergessen. Und alle frommen Herzen werden sich des rühmen. Der Sieg der Unterdrückten wird der Sieg aller Redlichen sein; die ganze Schar der Auserwählten wird sich über den Triumph der Tugend freuen. Während Fremde darüber in Furcht geraten, freuen sich die Kinder über die Macht und Gerechtigkeit ihres Vaters. Was die Bösen bestürzt macht, das richtet die Frommen auf. HERR, du Gott aller Barmherzigkeit, gewähre uns Schutz vor all unseren Feinden und das volle, ewige Heil in deinem Sohne!


Erläuterungen und Kernworte

Zum ganzen Psalm. Eine Vereinigung hinterlistiger Feinde stellt dem Sänger nach und bedroht sein Leben, nicht durch offene Gewalttat, sondern durch Heimtücke und besonders durch Verleumdung. Aber gerade in dem Augenblick, wo sie alles wohl vorbereitet zu haben glauben, um die Frommen zu stürzen, werden sie vom göttlichen Strafgericht ereilt. Das wird für alle Welt eine heilsame Lehre sein; die Gerechten aber werden sich ihres Gottes freuen. Prof. Friedr. Bäthgen 1904.
  Ein Hilferuf der um ihrer Gerechtigkeit willen verfolgten Heiligen zu ihrem Erretter und Rächer. Einige der Vers haben eine schwere Sprache; aber der allgemeine Grundgedanke des Psalms ist sehr klar. Der Psalm ist aus der Erfahrung geschöpft und passt daher auch sehr wohl im Munde des Christen, wann immer der Glaube mit den bösen Mächten dieser Welt in Berührung kommt und um des Evangeliums willen Verfolgung leidet; denn er bringt die Lage und die Hoffnung eines tatsächlich um der Wahrheit willen Gefährdeten zum Ausdruck. Es bedarf wohl kaum des Hinweises, wie angemessen ein Teil des Psalms sich auf den, der die Wahrheit selber war, beziehen lässt, auf die Tage seines Leidens, da seine Seele von Lügenworten durchbohrt ward und er das Widersprechen der Sünder wider sich erduldete. Arthur Pridham 1869.


V. 4. Welche ihre Zunge schärfen usw. Das Zeitwort bedeutet wetzen, schärfen, was durch wiederholtes Bewegen und Reiben geschieht. Dies wird sehr passend als Bild auf die böse Zunge angewendet. Richard Mant † 1849.
  Der Scharfsinn des Menschen hat sich in zweierlei erstaunlich versucht und geübt: im Erfinden von mörderischen Kriegswaffen und im Ersinnen von mannigfaltigen Weisen, Menschen durch ruchlose Worte zugrunde zu richten. Die mancherlei Zerstörungswaffen der ersteren Art mag man in den Büchern der Kriegswissenschaft verzeichnet finden; aber die mannigfaltigen Arten von Verleumdungswaffen sind kaum zu verzeichnen. Die Sünden der Zunge sind in der Regel sehr grausam. Geschieht das Verleumden heimlich, wie es ja fast immer der Fall ist, so kannst du dich gegen die Angriffe nicht verteidigen. Die Waffen sind wahrhaft höllischer Art. Eine der Regeln in diesem Kriege ist: Wenn eine Lüge besser den Zweck erfüllt als die Wahrheit, so brauche die Lüge. Eine andere: Verleumde nur frischweg, etwas bleibt immer haften. William S. Plumer 1867.
  Im Museum zu Venedig sah ich ein Instrument, mit welchem einer der alten Tyrannen Italiens auf die Opfer seiner Bosheit vergiftete Nadeln zu schießen pflegte. Ich dachte dabei unwillkürlich an Schwätzer, Ohrenbläser und heimliche Verleumder und wünschte, dass ihre unheilvollen Anschläge zu einem jähen Ende kommen möchten. Ihre Waffen - Anspielungen, Achselzucken, Flüstern usw. - scheinen so geringfügig wie Nadeln; aber das Gift, das sie einträufeln, tötet manches edeln Mannes guten Ruf. C. H. Spurgeon 1872.


V. 5.6. Es heißt von den Gottlosen, dass sie ihre Pfeile heimlich auf den Frommen abschießen und dann sprechen: Wer kann sie sehen? Ebenso lässt der Satan seine Pfeile der Versuchung oft so heimlich fliegen, dass auf ihn kaum ein Verdacht fällt. Manchmal bedient er sich der Zunge der Ehefrau, um seinen Zweck zu erreichen; dann wieder macht er sich hinter den Mann oder einen Freund oder einen Dienstboten und versteckt sich so gut, dass er von niemand am Werk gesehen wird. Wem wäre es wohl in den Sinn gekommen, hinter Petrus oder Abraham einen Teufel zu suchen? Und doch versuchte der eine den Herrn Jesus selbst, und der andere hätte beinahe sein eigenes Weib in die Sünde verkauft. Ja, der Satan treibt seine Kunst manchmal so listig, dass er, wenn wir so sagen dürfen, Gott den Bogen entwendet, um seine Pfeile von demselben zu schießen, so dass der arme Christ meint, Gott schelte und zürne mit ihm, während es der Teufel ist, der ihm diese Gedanken einflüstert und dabei Gottes Stimme nachäfft. William Gurnall † 1679.


V. 7. In den Worten: "Wir sind fertig! ein durchdachter Plan! " führt der Sänger die Bösen redend ein, wie sie eben nach eifrigen Studien auf dem Gebiet der Bosheit den räuberischen Plan zustande gebracht haben und sich ihre Freude darüber ausdrücken. In den letzten Worten: Und das Innere eines Menschen und das Herz ist tief, wird hingewiesen auf die Größe der Gefahr, die dem Gerechten droht. Unergründlich ist die menschliche Bosheit, nicht möglich, sie und alle ihre verderblichen Pläne zu erkennen, geschweige denn, sich vor ihnen zu hüten. Wie wird es also dem armen Gerechten ergehen? Das Tiefe steht nicht selten für das schwer zu Erforschende und zu Erkennende. So Hes. 3,5: tief von Rede, für: schwer verständlich, vergl. Hiob 11,8; Spr. 25,3; Jer. 17,9 f. Das Innere bildet den Gegensatz gegen das leicht erkennbare Äußere, und somit findet keineswegs, woran Clauß (1831) Anstoß nimmt, eine Tautologie (Wiederholung) statt. Prof. E. W. Hengstenberg 1844.


V. 8. Aber Gott wird sie plötzlich schießen. Wie es mit Ahab geschah und auch mit dem reichen Toren (Lk. 12). Während der wie ein Vogel sich schniegelnd auf dem grünen Zweig saß, zielte der Tod mit seiner Armbrust plötzlich auf ihn, und herunter kam er kopfüber. Vergl. 1. Thess. 5,3. John Trapp † 1669.
  Hier sollen wir lernen, dass unser lieber Gott wunderliche verborgene Rüstung und Pfeile hat, damit er schießet und verwundet; denn er schießt Pfeile in Herz und Gewissen, dass es ihnen wehe tut und sie damit geängstet werden, also dass sie oft in Verzweiflung geraten. Auch hat Gott noch andere tödliche Pfeile, damit er den Leib angreift und ihn mit Krankheit schlägt. Johann Arnd †1621.


V. 3-9. Den Bösen hilft all ihre List, Macht und Bosheit nichts. Sie können damit den Frommen zwar eine Zeit lang viel Leides tun, große Schmerzen verursachen, Klagen und Seufzer auspressen. Aber wenn sie mit ihren Anschlägen untereinander fertig geworden sind und sich nahe am Ziele dünken, ereilt sie das Gericht Gottes und richtet sie mittelst ihrer eigenen Anschläge zugrunde. Denn der Herzenskundiger weiß, indem er in die Tiefe des Herzens blickt, was im Innern der Menschen gesonnen wird (Jer. 17,9 f.), und der Heilige Israels macht die Anschläge der Bösen zunichte. General-Sup. K. B. Moll † 1878.


V. 9. Ihre eigne Zunge kommt über sie, d. i. ihre eignen Worte werden als Zeugnis wider sie vorgebracht werden und sie verdammen. Die Zunge ist ein kleines, leichtes Glied; doch im Fallen ist sie schwer wie Blei. Es wäre noch nicht so schlimm, wenn einem Menschen das eigne Haus über dem Kopf zusammenbräche, als dass in diesem Sinn seine Zunge über ihn käme: sie wird ihn zermalmen. Etliche Menschen sind zu Tode gefoltert worden, weil sie nicht reden wollten, sondern stumm vor dem Richter standen; deren sind aber weit mehr, die sich durch ihre sündliche Freiheit oder vielmehr Zügellosigkeit im Reden ins Verderben stürzen. Joseph Caryl † 1673.


V. 10. Und alle Menschen werden sich fürchten usw. Wenn eines Gottlosen Seele in die Hölle fährt, so sieht es niemand, und die Sterblichen dürfen sich gemeiniglich nicht einmal erkühnen, zu sagen, Gott habe sie in die Hölle verschlossen. Auch werden viele in der Welt gestraft; weil aber ihre Sünden und der Bezug der Strafe auf dieselben nicht genug bekannt sind, so kann man die Gerechtigkeit Gottes dabei nicht mit einer klaren Einsicht preisen. Es gibt aber auch Fälle, da man es tun kann. Wenn gottlose Leute, dergleichen diejenigen waren, die David Ps. 64 beschreibt, ihre Zungen geschärft hatten wie ein Schwert und mit ihren giftigen Worten gezielet wie mit Pfeilen, dass sie den Frommen heimlich schossen, und plötzlich ohne alle Scheu, V. 4.5, Gott aber hernach sie auch wieder plötzlich schießt, dass es ihnen wehe tut, und ihre eigene Zunge sie fället, V. 8.9, und wenn sie vorher kühn gewesen waren mit ihren bösen Anschlägen und gesagt, wie sie Stricke legen wollen, und gesprochen: Wer kann sie sehen? V. 6, und hernach ihr Unglück so sichtbarlich ausbricht, dass ihrer spotten kann, wer sie siehet, V. 9, wenn diese oder dergleichen Begebenheiten geschehen: so können alle Menschen, die es sehen, nicht nur die Frommen und Erleuchteten, sondern alle, die ein Gewissen und einen richtigen Verstand haben, sagen: Das hat Gott getan, und merken, dass es sein Werk sei. Sonst glaubt man, dass Gott bei allen seinen Werken gerecht sei; in solchen Fällen aber kann man’s deutlich merken und wahrnehmen und Gott desto herzlicher darüber preisen. Wer eine namhafte Reihe von Jahren in der Welt durchleben muss, kann viele Beispiele von dieser Art unter vornehmen und geringen Leuten wahrnehmen. Große und kleine Tyrannen lässt Gott oft wieder in die Hände harter und unbarmherziger Menschen fallen; Blutgierige und Falsche dürfen ihr Leben nicht auf die Hälfte bringen; Hurer und Ehebrecher werden an ihren Leibern und mit einer wehtuenden und schmählichen Armut gestraft; Leute, die unrecht Gut gesammelt haben, büßen es selber wieder ein oder hinterlassen es solchen Erben, welche dessen nicht froh werden. Überhaupt nimmt man in der Regierung Gottes die zwei Grundgesetze Lk. 6,38 und 2. Mose 20,5 f. wahr. Übrigens muss man warten können, wenn man’s sehen will, und dabei an das höchste Recht Gottes gedenken, nach welchem es ihm freisteht, die Gottlosen heimlich oder öffentlich, in dieser Welt oder nur in jener Welt zu strafen. Prälat M. Fr. Roos 1782.


V. 11. Und alle, die redlichen Herzens sind, werden triumphieren. Der Psalm begann mit der ersten Person der Einzahl: "Höre, Gott, meine Stimme;" beim Schluss aber fasst er alle, die redlichen Herzens sind, zusammen. Wer sich am ernstlichsten um sein eigenes Heil bekümmert, bei dem wird man auch die treuste und weiteste Liebe für andere finden; während diejenigen, welche immer so viel davon reden, dass man in der Religion ganz selbstlos sein müsse (also die eigene Seligkeit gar nicht in den Vordergrund stellen dürfe), nicht selten die selbstsüchtigsten Leute sind. Es gibt keine wirksamere Weise, andern förderlich zu sein, als wenn man ernstlich für sich selbst um Errettung und Bewahrung vor der Sünde bittet. Unser Beispiel wird an und für sich Frucht schaffen, und unser gottseliger Wandel wird, indem er unserm Zeugnis Kraft gibt, den Wert jedes strafenden, ermahnenden oder ermunternden Wortes, das wir reden, erhöhen. Sündigen wir, so betrüben und beschweren wir die Gemeinde Gottes; wollen wir dazu beitragen, dass alle, die redlichen Herzens sind, frohlocken und triumphieren, so ist der beste Weg dazu, dass wir selber redlich und treu sind. C. H. Spurgeon 1872.


V. 10.11. König Friedrich der Große ließ nach dem Sieg von Torgau am Sonntag, dem 9. November 1760, in allen Kirchen des Landes einen Dankgottesdienst abhalten, dem diese Worte zugrunde gelegt wurden. F. von Köppen.
  Mit der Freude über Gottes, des Herausgeforderten, gerechtes Eingreifen verbindet sich Furcht vor gleichem Strafgeschicke. Die vor Augen liegende Gottestat richterlicher Vergeltung wird ein Segen für die Menschheit. Von Mund zu Mund überliefert, wird sie ein warnendes Notabene. Für den Gerechten insonderheit wird sie eine trost- und freudenreiche Glaubensstärkung. Jahves Gericht ist des Gerechten Erlösung. So freut sich denn dieser in seinem Gott, welcher die Geschichte dergestalt richtend und erlösend zur Heilsgeschichte macht, und birgt sich in ihm um so vertrauensvoller, und alle Redlichen rühmen sich, nämlich Gottes, der das Herz ansieht und sich tatsächlich zu denen bekennt, deren Herz geradeaus auf ihn gerichtet ist und nach ihm sich richtet. Prof. Franz Delitzsch † 1890.


Homiletische Winke

V. 2. 1) Die Bitte: Behüte mein Leben. 2) Ihr Grund. 3) Ihr Zweck.
V. 3. Angewandt auf die geistlichen Feinde. 1) Die Gefahr. Die Feinde sind mächtig, boshaft und wohlerfahren, sind heimlich miteinander verbündet und verüben offen Unheil. 2) Die Errettung, welche wir erflehen. Bewahre mich vor der Anfechtung und in der Anfechtung, bringe mich wohlbehalten aus allem heraus und birg mich inzwischen an deinem heimlichen Zufluchtsort. 3) Der Trost des Glaubens. Gott bewahrt solche, die beten. Unser Feind ist sein Feind. Wir sind sein Eigentum. Er hat uns bisher bewahrt, und seine Ehre ist mit unserer Errettung verknüpft.
V. 4. Das Schärfen der Zunge. Entdecken neuer Fehler, Andichten schlechter Beweggründe, Erfinden von Übertreibungen (Aufschneidereien), Lügen, bösen Anspielungen, Auffrischen alter Verleumdungen, Wiederanfachen alten Zwistes.
  Giftige Worte, oder (wörtl.): bittere Rede.
V. 6. Die Kühnheit und Festigkeit der Gottlosen ein Vorwurf für mutlose und unbeständige Christen.
V. 7. Der Erfindungsgeist der Bösen.
V. 7c. Und eines Mannes Inneres und Herz ist tief. (Grundtext) Die Tiefen der Bosheit im Menschenherzen.
V. 10. 1) Der Gegenstand der Betrachtung: Die Gerichte über die Gottlosen a) als Gerichte, b) als Gerichte Gottes. 2) Betrachtung des Gegenstandes. a) Gottes Gerichte sind dazu bestimmt, betrachtet zu werden; b) sie wollen verstanden, also weislich betrachtet sein. 3) Die Wirkung solcher Betrachtung: a) Furcht Gottes, b) Preis Gottes.

Fußnoten

1. Wnm:tIa gleich WnOmItIa. Doch wird die irreguläre Form auch als dritte Pers. Plur. gedeutet, gleich WmItIa. Luther folgt der sich in vielen Handschriften findenden Lesart Wnm:+f.

2. Nach der masoretischen Interpunktion wäre zu übersetzen: Da schießt Gott sie; ein plötzlicher Pfeil werden ihre Wunden. Bei dieser Einteilung ist aber das 2. Versglied nur mühsam zu deuten. Daher hat Luther mit dem Targum MO)t:pIi Cx" zum 1. Gliede gezogen; die engl. Bibel, welcher Spurgeon folgt, sowie Delitzsch, Rhiem u. a. setzen Cx" zum 1., MO)t:pIi zum 2. Gliede.

3. Diese Übers. (des Hieronymus, als hitp. von ddn, sich flüchten) ist möglich, wird auch von Ewald und Hitzig verteidigt, passt aber weniger in den Zusammenhang als die Luthers (als hitpol. von dWn): spotten, eigentl. sich schütteln, näml. in höhnischer Schadenfreude, den Kopf schütteln, wie Jer. 48,27.