Psalmenkommentar von Charles Haddon Spurgeon

PSALM 23 (Auslegung & Kommentar)


Überschrift

Dieser Psalm hat, abgesehen von der kurzen Angabe des Verfassers, keine Überschrift, und er hat keine nötig; denn er berichtet kein besonderes Ereignis und bedarf zu seinem Verständnis keinen andern Schlüssel als den, welchen jeder Christ in seinem eigenen Herzen findet. Der Psalm ist Davids Himmlisches Pastorale oder Hirtengedicht, ein unvergleichliches Stück wahrer Poesie, das von keinem Erzeugnis der Dichtkunst je übertroffen werden kann. Die Kriegstrompete weicht hier der Friedensschalmei und der Sänger, der soeben ein Klaglied über die Leiden des Hirten angestimmt hat, führt uns hier in melodischen Tönen die Freude der Herde vor. Wir stellen uns bei diesem Psalm David vor, wie er, Bunyans Hirtenknaben im Demutstal gleich, von seiner Herde umgeben unter einem schattigen Baume sitzt und da dies unvergleichliche Hirtenlied anstimmt, das Herz zum Springen voll von heiliger Freude. Oder wenn dieser Psalm, und das hat ja mehr Wahrscheinlichkeit für sich, eine Frucht des späteren Lebens Davids ist, so sind wir gewiss, dass seine Seele sich sinnend an die einsamen Wasserbäche zurückversetzte, die auf den Auen der Wüste rieselten, wo er in seinen jungen Tagen zu weilen gepflegt hatte. Dieser Psalm ist die Perle der Psalmen, die mit ihrem milden, reinen Glanze jedes Auge erfreut; eine Perle, deren der Helikon1 sich nicht zu schämen brauchte, obwohl der Jordan sie für sich beansprucht. Von diesem köstlichen Gesang darf man behaupten, dass sein Inhalt eben so reich an tief innerlicher Frömmigkeit ist, wie seine Form von vollendeter dichterischer Schönheit ist. An Lieblichkeit der Töne und an geistlicher Tiefe steht er unerreicht da.
  Die Stelle, die dem Psalm angewiesen ist, ist der Beachtung wert. "Die Anordnung," sagt Delitzsch, "könnte nicht sinniger sein, als dass nun auf den Psalm, der von einem großen der Menschheit zugerichteten Gnadenmahle redet, ein Psalm folgt, der Jahwe preist als Hirt und Wirt der Seinen." Für uns als Christen bietet sich noch eine andere Betrachtung dar. Erst nachdem wir uns in das "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen" vertieft haben, kommen wir zu dem "Der Herr ist mein Hirte". Wir müssen die Leiden des Erlösers in ihrer Bedeutung für uns würdigen gelernt haben, ehe wir fähig sind, die Süßigkeit der Fürsorge des guten Hirten ganz zu schmecken.
  Man hat gesagt, was die Nachtigall unter den Vögeln, das sei dieses Lied unter den Psalmen. In der Tat haben seine Töne schon, ach, wie manchem Betrübten in tränenvollen Nächten wunderlieblich ins Ohr geklungen und ihm Hoffnung auf einen freudevollen Morgen ins Gram beschwerte Herz hineingesungen. Und ich möchte es wagen, den Psalm der Lerche zu vergleichen, die singend sich gen Himmel schwingt und immer höher steigt und singt und singt, und selbst dann noch ihr fröhliches Schmettern hören lässt, wenn sie im Azurblau des Himmels den menschlichen Blicken entschwunden ist. Man beachte die Schlussworte des Psalms: "Ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar." Das sind himmlische Töne, mehr geeignet für die ewigen Wohnungen droben als für unsere ärmlichen Hütten hienieden. O dass wir so recht in den Geist des Psalms eindringen möchten, während wir ihn betrachten! Dann werden wir Himmelswonne auf Erden schmecken.


Auslegung

1. Der Herr ist mein Hirte;
mir wird nichts mangeln.
2. Er weidet mich auf einer grünen Aue,
und führt mich zum frischen Wasser;
3. er erquickt meine Seele;
er führt mich auf rechter Straße
um seines Namens willen.
4. Und ob ich schon wanderte im finstern Tal,
fürchte ich kein Unglück, denn Du bist bei mir;
dein Stecken und Stab trösten mich.
5. Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde.
Du salbst mein Haupt mit Öl,
und schenkst mir voll ein.
6. Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen
mein Leben lang,
und werde bleiben im Hause des Herrn
immerdar.


1. Der Herr ist mein Hirte. Welche Herablassung ist es, dass Jahwe, der Allerhabene, seinem Volk gegenüber den Namen und das Amt des Hirten annimmt! Es sollte uns mit dankbarer Verwunderung erfüllen, dass der große Gott sich jede Vergleichung gefallen lässt, die geeignet ist, seine große Liebe und zärtliche Sorgfalt für die Seinen ins Licht zu stellen. David hatte in seiner Jugend selbst die Schafe seines Vaters gehütet und hatte daher volles Verständnis sowohl für die Bedürfnisse der Schafe als auch für die vielen Sorgen und Mühen eines Hirten. Er vergleicht sich selber mit einem so schwachen, wehrlosen und törichten Geschöpf, wie es das Schaf ist, und blickt zu Gott auf als seinem Versorger, Erhalter, Führer, kurz, seinem Alles. Niemand hat aber das Recht, sich als des Herrn Schäflein zu betrachten, es sei denn, dass seine Natur durch die Gnade umgewandelt worden ist; denn die unbekehrten Menschen schildert die Schrift nicht als Schafe, sondern als Wölfe oder als Böcke. Das Schaf gehört zu den Haustieren; es ist Eigentum eines Herrn, nicht ein wildes Tier. Sein Eigentümer hält es wert und manchmal ist es um teuren Preis erkauft. Es ist ein köstliches Ding, so gewiss wie David zu wissen, dass wir dem Herrn angehören. Ein edler Ton der Zuversicht klingt uns in diesen Worten entgegen. Da gibt es kein Wenn und kein Aber, nicht einmal ein "Ich hoffe", sondern kurz und klar bekennt er: Der Herr ist mein Hirte. Diese Gesinnung vertrauensvoller Abhängigkeit von unserem himmlischen Vater sollen wir pflegen. Am lieblichsten klingt in dem ganzen Satz das kleine Wörtlein "mein". David sagt nicht: Der Herr ist der Hirt der ganzen Welt und leitet die unzählbaren Scharen als seine Herde, sondern: Der Herr ist mein Hirte; wenn er auch keines anderen Hirte wäre, ist er doch mein Hirte. Er sorgt für mich, er hat auf meine Schritte Acht und erhält mich. Ferner: Er ist mein Hirte - jetzt, in der Gegenwart. In welcher Lage immer der Gläubige sein mag, er steht dennoch gerade jetzt unter der Hirtenfürsorge Jahwes.
  Die nächsten Worte sind eine Schlussfolgerung aus dem ersten Satz. Klar und bündig spricht Davids Glaube - es sind im Hebräischen nur zwei Worte --: Mir wird nichts mangeln. Sonst würde ich wohl Mangel leiden; aber ist der Herr mein Hirte, dann wohl mir! Er ist im Stande, für alle meine Bedürfnisse zu sorgen, und am Willen fehlt es ihm sicher nicht, denn sein Herz ist voller Liebe; darum wird mir nichts mangeln. Es wird mir an zeitlichen Gütern nicht fehlen. Nährt er nicht die Raben und lässt er nicht die Lilien auf dem Felde wachsen? (Lk. 12,24. 27.) Wie könnte er denn sein Kind umkommen lassen? Aber auch im Geistlichen wird mir nichts mangeln. Ich weiß, dass seine Gnade für mich genügt. (2. Kor. 12,9 Grundtext) Traue ich auf ihn, so wird er mir zusprechen: Wie dein Tag, so soll auch deine Kraft sein. 2 Mag sein, dass ich nicht alles habe, was ich wünsche; aber mangeln wird mir nichts, was mir wirklich notwendig und heilsam ist. Andere, die viel reicher und weiser sind als ich, mögen Mangel leiden; aber ich nicht. Reiche müssen darben und hungern; aber die den Herrn suchen, haben keinen Mangel an irgendeinem Gut (Ps. 34,11). David sagt nicht nur: Mir mangelt nichts, sondern: Mir wird nichts mangeln. Mag kommen, was da will; mag eine Hungersnot das Land verwüsten oder ein Unglück die Städte zerstören, mir wird nichts mangeln. Das Alter mit seinen Gebrechen wird daran nichts ändern, ja selbst der Tod mit seiner Düsternis wird mich nicht verlassen finden. Ich habe alles und habe überflüssig (Phil. 4,1, vergl. V. 10-20); nicht darum, weil ich etwa einen reichen Geldvorrat auf der Bank habe, nicht weil ich gescheit und gewandt genug bin, mir mein Brot zu erwerben, sondern weil der Herr mein Hirte ist. Die Gottlosen haben immer Mangel, die Gerechten nie. Das Herz des Sünders ist nie befriedigt, aber die begnadigte Seele wohnt in dem Palast der göttlichen Zufriedenheit.

2. Er weidet mich auf einer grünen Aue, und führt mich zum frischen Wasser. Das christliche Leben hat zwei Elemente in sich, das beschauliche und das tätige, und für beide ist reichlich gesorgt. Zuerst das beschauliche: Auf Auen frischen Grüns lässt er mich lagern (wörtlicher). Was anders haben wir unter diesen saftig grünen Auen zu verstehen als das Wort der Wahrheit? Das ist allezeit frisch, bietet allezeit kräftige Kost und ist nie zu erschöpfen. Da ist wahrlich kein Mangel zu befürchten, wo das Gras so hoch steht, dass die Schafe sich gemächlich darin lagern können. Die evangelische Wahrheit ist eine süße, fette Weide, so gute Nahrung für die Seelen, wie das zarte, weiche Gras für die Schafe. Wenn wir durch den Glauben auf den Verheißungen ruhen, gleichen nur den Schafen, die sich auf der Weide lagern; wir finden da beides, Ruhe und Genuss, Nahrung und Erquickung, süßen Frieden und Stillung unserer Bedürfnisse. Man beachte aber: Er lagert mich auf grünen Auen. Es ist der Herr, der uns in seiner Gnade in Stand setzt, die Köstlichkeit seiner Wahrheit zu erkennen und uns daran zu nähren. Wie dankbar sollten wir sein, wenn es uns geschenkt wird, die Verheißungen uns anzueignen! Gibt es doch so manch verwirrte Seelen, die Welten dafür geben würden! Sie wissen, wie köstlich es ist, aber sie können dies Glück nicht ihr eigen nennen. Sie kennen die grünen Auen, aber es ist ihnen unmöglich, sich auf ihnen zu lagern. Gläubige, die sich lange Jahre einer vollen Zuversicht des Glaubens erfreut haben, sollten Gott für die ihnen widerfahrene Gnade hoch preisen.
  Das zweite Stück gesunden christlichen Lebens ist Tätigkeit. Wir denken nicht nur, wir handeln auch. Nicht immer ruhen wir in behaglichem Genuss auf den fetten Weiden, sondern wir wandern auch dem Ziele der Vollkommenheit zu. Darum lesen wir weiter: Er leitet mich an den stillen Wassern. 3 Was sind diese stillen Wasser anders als die sanften Einflüsse und Gnadenwirkungen des Heiligen Geistes, der darin dem Wasser vergleichbar ist, dass auch er reinigt, erfrischt, fruchtbar macht und am Leben erhält. Stille Wasser sind es, denn der Heilige Geist ist ein Geist des Friedens und der Stille: Er stößt nicht prahlerisch ins Horn, wo er wirkt. Er mag sich in unsere Seele ergießen, ohne dass unser Nachbar etwas davon mitbekommt; darum mag es sein, dass unser Nachbar nichts von Gottes Nähe spürt, ja, der Geist des Herrn mag ein Herz in Strömen überfluten und doch mag der, der unmittelbar neben dem so reich Begnadeten sitzt, nichts davon merken. Stille Wasser sind tief. Nichts macht mehr Lärm als eine hohle Trommel. Wie köstlich ist die feierliche Stille, in der sich der Heilige Geist den Seelen offenbart! Nicht zu den ungestümen Wogen des Streits und Haders, sondern zu den friedlichen Wassern der heiligen Liebe führt der Geist des Herrn die Schafe. Die Taube, nicht der Adler, ist sein Sinnbild; der Tau, und nicht der Wolkenbruch. Unser Hirt führt uns zu diesen stillen Wassern: wir könnten den Weg zu ihnen nicht finden. Er leitet uns sanft und sorgsam (lhanf), wie der Hirt die Herde (vergl. 1. Mose 33,14; Jes. 40,11), nicht hetzt und jagt er uns. Mose treibt uns durchs Gesetz, Jesus leitet uns freundlich durch sein Vorbild und die sanfte Zugkraft seiner Liebe.

3. Er erquickt meine Seele. Wenn unsere Seele von Kummer und Sorgen matt wird, belebt er sie; wenn Sünden sie drücken, heiligt er sie; wenn Schwäche sie beugt, kräftigt er sie. Er tut’s. Seine Diener vermögen es nicht, wenn er es nicht selber täte. Sein Wort als Buchstabe, ohne die lebendig machende Wirksamkeit seines Geistes, könnte solches auch nicht ausrichten. Er erquickt meine Seele, d. h. wörtlich: er führt sie zurück, nämlich zu neuer Lebenskraft. (Vergl. zu Ps. 19,8), S. 322.) Fühlst du, dass der Puls deines geistlichen Lebens nur schwach geht? Er kann ihn wieder beleben. Flehe denn zu ihm um neue Lebenskraft!
  Er leitet mich in den Pfaden der Gerechtigkeit4 um seines Namens willen. Dem Christen ist es eine Freude, dem Herrn zu gehorchen; es ist aber eben der Gehorsam aus dankbarer Liebe, wozu er sich durch das Beispiel seines Meisters verbunden fühlt: Er leitet mich. Der Christ gehorcht nicht einigen Geboten und vernachlässigt andere; er wählt nicht einige heraus, sondern leistet allen Verordnungen seines Herrn willig Folge. Man beachte, dass die Mehrzahl gebraucht ist: die Pfade oder Spuren der Gerechtigkeit. Was immer Gott uns tun heißt, das tun wir gerne; leitet uns doch seine Liebe. Manche Christen übersehen es, welches Glück in der Heiligung liegt, und doch ist einem von Grund aus erneuerten Herzen gerade die Heiligung eine der köstlichsten Bundesgnaden. Wenn es uns auch möglich wäre, von dem zukünftigen Zorn erlöst zu werden und dabei unwiedergeborene, unbußfertige Sünder zu bleiben, so wäre eine solche Erlösung nicht nach unserem Wunsch; denn wir sehnen uns vor allem danach, von der Sünde erlöst (Mt. 1,21) und auf den Weg der Heiligkeit gebracht zu werden. Alles dies geschieht rein aus freier Gnade: um seines Namens willen. Die Ehre unseres großen Hirten ist das Ziel, um dessentwillen wir ein heiliges Volk sein und auf dem schmalen Pfade der Gerechtigkeit wandeln sollen. Lasst uns nicht versäumen, die Fürsorge unseres himmlischen Hirten anzubeten, die uns dazu führt.

4. Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück: denn Du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich. Dieser unvergleichlich köstliche Vers ist an unzähligen Sterbebetten schon gesungen worden und hat dazu beigetragen, das "finstere Tal" licht zu machen. Jedes Wort birgt einen Reichtum tiefer Bedeutung in sich. Ob ich schon wanderte - es ist, als beschleunigte der Gläubige seinen Schritt nicht im mindesten in Hast und Unruhe, wenn es zum Sterben geht, sondern als setzte er ganz ruhig seine Wanderschaft an Gottes Hand fort. Wandern bezeichnet den gemessenen Schritt einer Seele, die ihren Weg kennt, weiß, wohin er führt, und darum entschlossen ist, den Pfad bis an sein Ziel zu verfolgen; die sich ganz sicher fühlt und daher vollkommen ruhig und gesammelt ist. Das sterbende Gotteskind ist nicht in Aufregung; es rennt nicht, als wäre es in Schrecken, noch steht es still, als wollte es nicht weiter; es ist weder bestürzt, noch beschämt; darum hält es den gewohnten Schritt ein. Es geht ja nur durchs finstere Tal, wir bleiben nicht darin. Wir wandern durch die dunkle Schlucht des Todes und treten plötzlich in das helle Licht der Unsterblichkeit. Wir sterben nicht, sondern legen uns nur schlafen, um in der Herrlichkeit zu erwachen. Der Tod ist nicht das Haus, sondern die Vorhalle; nicht das Ziel, sondern der Durchgang, der dazu führt. Das Sterben wird hier ein Wandern durch ein Tal genannt. Auf den Bergen bricht der Sturm los, aber das Tal ist der Ort der Stille: So sind oft die letzten Tage und Stunden des Christen die friedevollsten seines ganzen Lebens. Die Bergeshöhen sind rau und kahl; aber das Tal ist voller goldener Garben: So hat auch mancher Jünger des Herrn mehr Freude und Erkenntnis eingeheimst, als es zum Sterben ging, als je in seinem Leben. Sodann heißt es nicht: das Tal des Todes, sondern: das Tal des Todesschattens5 - das ist uns köstlich, die wir wissen, dass der Tod in der Tat seinem Wesen nach abgetan und nur sein Schatten übrig geblieben ist. Einer hat gesagt, wo Schatten sei, da müsse auch Licht sein; und so ist es hier. Der Tod steht an der Seite der Straße, die wir zu wandeln haben, und das himmlische Licht, das auf den Tod strahlt, wirft dessen Schatten auf unseren Pfad; lasst uns also fröhlich sein, dass jenseits des Todes das Licht scheint. Kein Mensch fürchtet sich vor einem Schatten; denn ein Schatten kann niemand auch nur für einen Augenblick den Weg versperren. Der Schatten eines Hundes kann nicht beißen, der Schatten eines Schwertes kann nicht töten, der Schatten des Todes kann uns nicht verderben; darum lasst uns vor ihm keine Furcht hegen. Fürchte ich kein Unglück. (Buchstäblich: fürchte ich nichts Böses.) David sagt nicht, es werde in jenem dunkeln Tal nichts Böses sein; aber er fürchtet es nicht. Der Christ weiß, dass Jesus allen Gefahren die Spitze abgebrochen hat; ja, selbst die Furcht, jener Schatten des Unheils, mag völlig verschwinden. Die schlimmsten Übel sind diejenigen, die gar nicht vorhanden sind, außer in unserer Einbildung. Wenn wir uns an den wirklichen Übeln genug sein ließen, würden wir nicht den zehnten Teil der Sorgen haben, die uns jetzt bedrücken. Wir erleiden tausend Tode, indem wir den einen fürchten; David aber war von dem Übel der Furcht geheilt. Der Glaube spricht: Nicht fürcht’ ich Böses - auch nicht den Bösen selber; ich will mir vor dem letzten Feind nicht grauen lassen, sondern auf ihn als einen überwundenen, der Vernichtung anheim gegebenen Widersacher herabsehen, denn Du bist bei mir. Das ist’s, was den Christen so fröhlich macht: Du bist bei mir. Das Kindlein dort draußen auf sturmbewegter See wird nicht von Angst gepeinigt wie all die andern Reisenden an Bord. Es schlummert süß in seiner Mutter Schoß, es ist ihm genug, dass seine Mutter bei ihm ist; und es sollte dem Gläubigen genug sein zu wissen, dass Christus bei ihm ist. Du bist bei mir und weil ich Dich habe, habe ich alles, was ich nur wünschen kann; ich habe überreichen Trost und bin unbedingt sicher, weil Du bei mir bist. Dein Stecken und Stab, womit du deine Herde leitest und beschützest, sie, die Sinnbilder deiner Oberhoheit und deiner liebreichen Fürsorge, trösten mich. Ich will’s glauben, dass du mich auch jetzt, im dunkeln Tal, leitest. Dein sanfter Hirtenstab waltet über mir; kein Feind wird mich überwältigen, kein Unglück mich befallen können.
  Manche Leute sagen, dass ihnen die Hoffnung, nicht sterben zu müssen, viel Trost gewähre. Sicherlich wird es etliche geben, die da "leben und überbleiben auf die Zukunft des Herrn (1. Thess. 4,15); aber bietet es wirklich so viele Vorzüge, vom Tode verschont zu werden, dass der Christ das zum Gegenstand seines sehnlichen Verlangens machen soll? Ein weiser Mann könnte von den beiden wohl das Sterben wählen; denn diejenigen, die nicht entschlafen, sondern bei dem Ton der letzten Posaune verwandelt werden, werden in gewisser Hinsicht eher etwas verlieren als gewinnen: Sie gehen der Ähnlichkeit mit Christus im Grabe verlustig, die die sterbenden Gläubigen genießen, und Paulus bezeugt an jener Stelle ausdrücklich, dass sie denen, die schlafen, nicht zuvorkommen, also vor ihnen keinen Vorzug haben werden. Lasst uns die Gesinnung eben jenes Knechtes Christi teilen, der gesagt hat: Sterben ist mir Gewinn (Phil. 1,21), und lasst uns mit ihm Lust haben abzuscheiden und bei Christus zu sein, was viel besser ist (V. 23). Unser Psalmvers ist nicht alt und abgenutzt; er klingt dem Gläubigen noch heute so lieblich ins Ohr, wie zu Davids Zeiten, mögen Leute, die nach Neuem haschen, sagen, was sie wollen.

5. Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Der gute Mensch hat Feinde. Er wäre seinem Herrn nicht ähnlich, wenn er keine hätte. Wäre jedermann mit uns gut Freund, so hätten wir wohl Ursache, zu fürchten, dass wir zu Gottes Freunden nicht gehören; denn der Welt Freundschaft ist Gottes Feindschaft (Jak. 4,4). Sieh aber, wie ruhig der Gottesfürchtige trotz seiner Feinden, ja angesichts derselben ist. Wie erquickend ist es, diese ruhige Tapferkeit wahrzunehmen! Du bereitest vor mir einen Tisch. Wenn der Krieger die Feinde vor Augen hat, lässt er die Speise unberührt oder wenn er isst, verschlingt er doch nur hastig einige Bissen und eilt in den Kampf. David aber sagt: Du bereitest vor mir einen Tisch - gerade wie in stiller Friedenszeit die Magd zu einem häuslichen Fest das Damasttuch auf dem Tisch ausbreitet und die Tafel zurichtet. Da ist keine Eile, keine Verwirrung, keine Störung. Der Feind ist vor der Tür; dennoch bereitet Gott den Tisch und der Christ setzt sich an Gottes Tafel und genießt der Speise, als ob alles lauter Friede wäre. Wie köstlich ist die Seelenruhe, die der treue Bundesgott den Seinen auch inmitten der trübsten Umstände verleiht! Mag die ganze feindliche Welt in Waffen starren, in den Hütten der Gerechten ist der Friede Gottes.
  Du salbest mein Haupt mit Öl.6 Mögen wir täglich im Genuss dieses Segens leben, eine frische Salbung für die Pflichten jedes Tages zu empfangen. Jeder Christ ist ein Priester; aber ohne Salbung kann er seines Priesteramts nicht walten. Darum müssen wir Tag für Tag zu Gott dem heiligen Geiste nahen, dass unser Haupt mit heiligem Öl gesalbt werde. Ein Priester ohne Salböl entbehrt des allerersten Erfordernisses für sein Amt; und der Priester des neuen Bundes ermangelt der Hauptbedingung zur Tauglichkeit für den Dienst Gottes, wenn er nicht stets mit neuer Gnade von oben gesalbt wird.
  Und schenkst mir voll ein - und mehr als das; denn der Grundtext lautet wörtlich: Mein Becher ist Überfluss. David hatte nicht nur genug, sondern mehr als genug; sein Becher war nicht nur voll, er floss über. Das kann der Arme, der an Gottes Tisch sitzt, ebenso sagen wie der Reiche. "Wie, all dies und Jesus Christus dazu?", sagte die Bewohnerin einer armseligen Hütte, während sie ein Stück trockenen Brots zu einem Becher kalten Wassers genoss. Ein anderer mag noch so reich sein, - ist er unzufrieden, so kann sein Becher doch nicht überlaufen, denn er hat einen Sprung und leckt. Zufriedenheit ist der Stein der Weisen, der durch seine Berührung alles in Gold verwandelt; glücklich, wer ihn gefunden hat. Zufriedenheit ist mehr als ein Königreich; es ist ein anderes Wort für Glückseligkeit.

6. Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang. Dies ist eine Tatsache, die eben so unbestreitbar als ermutigend ist; darum ist ein Fürwahr oder Wahrlich als himmlisches Siegel darauf gedrückt. 7 Wir mögen den Satz aber auch lesen: Nur Gutes und Barmherzigkeit usw.; denn Gnade und nichts als Gnade wird der Inhalt der ganzen Geschichte unseres Lebens sein. Glück und Gnade, diese beiden Zwillingsengel, werden mich allezeit geleiten und mir auf Schritt und Tritt folgen. Wenn Fürsten sich irgendwohin begeben, gehen sie nie ohne Gefolge; so ist es mit dem Gläubigen. Gutes und Barmherzigkeit folgen ihm allezeit - alle Tage seines Lebens (wörtl.), sie geleiten ihn schützend und segnend sowohl an dunkeln als auch an heiteren Tagen, an Fasttagen wie an Festtagen, sowohl in der trüben Winterzeit als auch im lichten Sommer. Das Glück folgt uns, so dass alles Gute uns in den Schoß fällt, und die Barmherzigkeit tilgt unsre Sünden. Und werde bleiben8 im Hause des Herrn immerdar. Der Knecht bleibt nicht ewig im Hause; der Sohn bleibt ewig. (Joh. 8,35) Solange ich auf dieser Erde bin, will ich als Kind im Hause meines Vaters daheim sein: die ganze Welt ist für mich sein Haus. Und wenn ich einst in das himmlische Gemach da droben einziehe, werde ich meine Gesellschaft nicht ändern, ja nicht einmal das Haus wechseln: Ich werde nur ins höhere Stockwerk des Hauses Gottes ziehen, um da zu bleiben immerdar.
  Möge Gott uns Gnade schenken, allezeit in der heitern Himmelsluft dieses Psalms zu bleiben.


Erläuterungen und Kernworte

Zum ganzen Psalm. Von allen Psalmen, die David hinterlassen hat, ist keiner lieblicher als dieser kurze dreiundzwanzigste, den wir die Nachtigall unter den Psalmen nennen. Wie diese ist er klein, von schlichtem Äußern, fern allem Prunk und Prahlen; aber er hat die ganze Welt erfüllt mit seinen süßen Klängen, die nicht Ohr und Gemüt allein ergötzen, sondern das Herz laben. Gesegnet sei der Tag, als dieser Psalm geboren wurde! Er ist ein singender Engel, den Gott in alle Lande gesandt hat und der durch seine liebliche Weise, die in allen Sprachen der Welt ertönt, alles Erdenleid hinwegsingt. Er hat mehr bekümmerte Seelen in süßen Schlummer gesungen als all die leidigen Trostsprüche der Weisheit dieser Welt. Er hat mehr treulose Gedanken, mehr finstere Zweifel, mehr diebische Sorgen in ihren Kerker zurückgeschickt, als es Sand am Ufer des Meeres gibt. Er hat ganze Scharen von edeln Duldern getröstet und unzähligen Unglücklichen Mut ins Herz gesungen. Er hat ach wie vielen Kranken auf ihrem Siechbett, Gefangenen im Kerker, Witwen in ihrem nagenden Kummer, Waisen in ihrer Vereinsamung den milden Balsam göttlichen Trostes ins verwundete Herz geträufelt. Sterbenden Kriegern hat er den Tod versüßt, grausige Stätten des Elends sind durch ihn mit Himmelslicht erfüllt worden. Auch ist das Werk dieses himmlischen Boten noch nicht vollbracht. Er wird auch euern und meinen Kindern und wiederum deren Kindern von Geschlecht zu Geschlecht mit seinem wunderbaren Gesang das Herz stärken und wird sein Lied nicht enden, bis der letzte Erdenpilger sicher am Ziel ist und die Zeit ein Ende hat; und dann wird er zu Gott zurückkehren, von dem er ausgegangen ist, und dort wird sein Lied, doch nun ins Himmlische verklärt, wieder ertönen und sich mit all den Freudenchören vereinigen, von denen der Himmel auf ewig widerhallen wird. Henry Wurde Beecher 1862.
  Der Kirchenvater Augustinus († 430) soll einst im Traum den 119. Psalm als Baum des Lebens mitten im Paradiese Gottes geschaut haben. Dieser 23. Psalm mag mit den lieblichsten Blumen, die um diesen Baum des Lebens wachsen, verglichen werden. Der vorhin genannte ist die Sonne inmitten der Sterne genannt worden; dieser ist fürwahr dann dem schönsten der Sternbilder gleich zu stellen. John Stoughton 1860.
  Manche frommen Seelen beunruhigen sich darüber, dass sie sich der Sprache dieses Psalms nicht zu allen Zeiten, oder nicht einmal oft, mit ganz ungetrübter Freude bedienen können. Solche mögen sich erinnern, dass David in seinem langen Leben nur einen dreiundzwanzigsten Psalm gedichtet hat. Manche seiner Gesänge sind allerdings eben so beredete Zeugnisse seines starken Glaubens wie dieser und der Glaube kann auch im Dunkeln wandeln. Aber wo finden wir sonst bei ihm einen ganzen Psalm, der von Anfang bis zu Ende so unvermischt Zuversicht, Freude und Siegesgewissheit zum Ausdruck brächte, wie dieser? Gottes Kinder haben ihre Zeiten der Dunkelheit, so gut wie ihre Zeiten des Frohlockens. William S. Plumer. 1867.
  Auch David ist nicht allezeit fröhlich gewesen, auch er hat nicht alle Stunden singen können: Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Es hat ihm zuweilen nur viel, ja schier allzu viel gemangelt, dass er weder Gerechtigkeit, Gottes Trost und Hilfe, sondern eitel Sünde, Gottes Zorn, Schrecken, Zagen, der Höllen Angst usw. gefühlt hat, wie er in vielen Psalmen klagt. Doch gleichwohl wendet er sich von seinem Fühlen und ergreift Gott bei seiner Verheißung und gedenkt: Es stehe um mich, wie es kann, so ist doch das meines Herzens Trost, dass ich einen gnädigen, barmherzigen Herrn habe, der mein Hirte ist, dessen Wort und Zusage mich stärkt und tröstet; darum wird mir nichts mangeln. Das ist die güldene Kunst, sich an Gottes Wort und Zusage halten, nach derselbigen und nicht nach des Herzens Fühlen urteilen; so soll gewiss Hilfe und Trost folgen und gar an nichts mangeln. Martin Luther 1536.
  Die begnadigten Stimmen der Blutzeugen im Kolosseum zu Rom sind längst verhallt; aber noch zeugen in den dunkeln Gängen der Katakomben zu Rom die häufig wiederkehrenden Gestalten des guten Hirten, der grünen Auen mit ihrem Frühlingsschmuck und die Grabschriften ergreifender Glaubensfreudigkeit davon, welche Wirkung der 23. Psalm auch unter den Schatten des Todes ausübte. Otto Strauß 1859.


V. 1. Mögen andere sagen: "Meine Güter, mein Handel werden mich versorgen, darum wird mir nichts mangeln"; mag der Krieger auf sein Schwert und der Arbeiter auf seine Faust, der Künstler auf seine Kunst und der Gelehrte auf seine Bücher sein Vertrauen setzen und sprechen: "Die werden mich erhalten, darum wird mir nichts mangeln"; wir aber wollen freudig bekennen: "Der Herr ist mein Hirte; darum wird mir nichts mangeln". Wer das in Wahrheit sagen kann, schätzt das Übrige gering; hingegen wer etwas außer Gott begehrt, kann nicht der Wahrheit gemäß sagen, der Herr sei sein, sei sein Hirte, sein Versorger und Führer, darum werde ihm nichts mangeln. John Hull 1617.
  Der Mann hat geistliche Augen gehabt; darum hat er wohl gesehen was das beste und edelste Gut auf Erden ist. Er rühmt sich seiner königlichen Herrlichkeit und Gewalt nicht. Er erkennt wohl, dass solche Güter Gottes Gaben sind. Er läuft nicht davon und lässt es liegen, sondern gebraucht sie zu Gottes Ehren und dankt ihm dafür. Davon aber rühmt er am allermeisten, dass der Herr sein Hirte und er in seiner Weide und Hut ist, das ist, dass er Gottes Wort hat. Der Wohltat kann er nimmermehr vergessen, redet gar herrlich und mit großen Freuden davon und preist es weit über alle Güter auf Erden. Und tut dasselbige in vielen Psalmen. Die Kunst sollen wir auch lernen, nämlich, die Welt immerhin lassen rühmen von großem Reichtum, Ehre, Gewalt usw. Denn es ist doch eine lose, ungewisse, vergängliche Ware, die Gott preisgibt. Es ist ihm eine schlechte Sache, dass er einem bösen Buben, der ihn zu Lohn dafür lästert und schändet, ein Königreich, Fürstentum oder sonst Ehre und Gut auf Erden gibt. Es sind seine Kleien und Treber, damit er den Säuen den Bauch füllt, die er schlachten will. Seinen Kindern aber, wie David hier davon redet, gibt er den rechten Schatz. Martin Luther 1536.
  Es kommt nur zu leicht, dass wir, wenn wir Friede und Freude haben, Gott vergessen. Ja, die meisten Menschen macht das Glück nicht nur trunken und maßlos übermütig, sondern auch stolz und frech gegen Gott. Kaum der hundertste Teil versteht es, sich beim Genuss der göttlichen Wohltaten zu mäßigen und sich in der Furcht Gottes zu halten. Um so mehr Beachtung verdient daher das Beispiel Davids, der auf dem höchsten Gipfel der Würde, im Glanz des Reichtums und der Ehre, beim größten Überfluss, unter den Freuden des Hofes nicht nur bekennt, dass er Gottes gedenkt, sondern auch seine Wohltaten als Leiter benutzt, um näher an ihn heranzukommen. Jean Calvin † 1564.
  Der Herr ist mein Hirte. Das ist ein Wort eines überaus reichen und vollen Glaubens; wer auch das glaubte, der würde sich um zeitliche Nahrung und Friede dieser Welt nichts bekümmern. Er ist der Hirte, spricht er, ich bin sein Schäflein. Martin Luther 1530.
  Es ist merkwürdig, dass die beiden, die sich zuerst des Bildes vom Hirten bedienen, Jakob (1. Mose 48,15; 49,24) und David, durch ihre persönlichen Verhältnisse auf dasselbe geführt wurden. Durch sie eingebürgert, wurde es dann auch von andern gebraucht, so von Jesaja 40,11; Hesekiel 34,13 ff., Micha 7,14 und in Ps. 80,2; 95,7. Prof. E. W. Hengstenberg 1843.
  Die spätere Prophetie verkündigt die sichtbare Parusie (Zukunft) dieses Hirten. Ist sie geschehen, so findet das "Der Herr ist mein Hirte" aus Menschenmunde das trauliche Echo: "Ich bin der gute Hirte" (Joh. 10,12). Prof. Franz Delitzsch † 1890.
  Man hat uns Christus nicht so freundlich vorgemalt, wie es die lieben Propheten, Apostel und Christus selbst tun; sondern man hat uns ihn so gräulich gebildet, dass wir uns mehr vor ihm gefürchtet haben als vor Mose, auch nicht anders gemeint, Moses Lehre wäre viel leichter und freundlicher als Christus’ Lehre. Daher wussten wir nicht anders, Christus wäre ein zorniger Richter, dessen Zorn wir mit guten Werken und heiligem Leben versöhnen und dessen Gnade wir durch Verdienst und Fürbitte der Heiligen erlangen müssten. Das heißt nicht allein schändlich gelogen, die armen Gewissen jämmerlich betrogen, sondern auch Gottes Gnade aufs Höchste geschändet. Martin Luther 1536.
  Aus dem Bilde mögen wir im Allgemeinen die Lehre entnehmen, dass es dem begnadigten Menschen eigentümlich ist, in der einen oder andern Weise aus früheren Lagen geistlichen Nutzen zu ziehen. David war selber einst Hirte gewesen; so erkennt er jetzt in dem Herrn seinen Hirten. Was David seiner Herde gewesen war, wie er sie behütet und treu gegen den Löwen und den Bären verteidigt (1. Samuel 17,34 ff.) und vor allem, was sie sonst hätte schädigen können, beschützt und sie sorgsam auf die Weide und zum Tränkort geführt hatte, alle diese Fürsorge, und größere, nimmt er in des Herrn Verhalten gegen ihn wahr. Begnadigte Herzen gewinnen aus allem geistliche Unterweisung; es kann auch nicht anders sein, denn solche werden von Gottes Geist regiert und durch ihn zu einem geistlichen Gebrauch aller Dinge angeleitet. Samuel Smith 1625.
  Mein Hirte. Möge dieser süße Name solche, die bisher noch nie geschmeckt haben, was es ist, an Jesus’ Herzen zu ruhen, die bisher weder Lämmer noch Schafe in Christi Herde gewesen sind, überreden, die zarte Liebe dieses Hirten zu betrachten und zu ihm zu eilen. Satan macht allerdings eine süße Miene, um dich in die Sünde zu locken: aber zuletzt wird er mit dir hart verfahren. Er, der dich jetzt mit Sirenengesang anzieht, wird dich am Ende wie ein Löwe zerreißen. Christus dagegen scheint wohl hart, indem er dich von der Sünde zurückhält und deinen Weg mit Dornen umzäunt; aber er wird sich dir gar freundlich erzeigen, ungeachtet all deiner Sünden, wenn du zu ihm kommst. Du siehst, wie Christi Herde von allen Seiten mit Hecken und Zäunen umgeben ist, um sie vor Sünde zu bewahren, und das hält dich davon ab, dich ihr anzuschließen; aber lass dich nicht dadurch zurückhalten. Christus will allerdings nicht, dass eines seiner Schäflein seiner Hut entlaufe. Wollen sie es auch nicht, dann ist’s gut. Wenn sie aber in die Irre gehen, dann holt er sie zurück, wohl gar mit seinem Schäferhund. (d.i. durch Trübsal); aber er selbst bleibt der freundliche, gute Hirt. O dass noch viele zu seiner Herde kämen! John Durant 1652.
  Mein Hirte: Das Wort umfasst alle Pflichten eines guten Hirten, wie das Weiden, Führen, Regieren und Verteidigen der Herde. Henry Ainsworth † 1622.
  Eine Eigenschaft eines guten Hirten ist die, dass er seine Schafe kennt. Eben dieses bezeugt Christus von sich: Ich kenne sie, und sie folgen mir (Joh. 10,27). Ja gewiss, er, der das Heer der Sterne bei der Zahl herausführt und sie alle mit Namen ruft (Jes. 40,26), ja auch die Haare auf unserm Haupte alle zählt, er nimmt jedes seiner Kinder, der "Schafe seiner Weide" (Ps. 100,3) in seine besondere Obhut, sorgt für sie und beschützt sie vor allen Gefahren. Zweitens muss ein guter Hirt es verstehen, seine Schafe auf die rechte Weide zu führen, wo sie gedeihen und wachsen können. Ein rechter Hirt lässt seine Schafe nicht auf dürrem oder verdorbenem Grase weiden; er führt sie auf grüne Auen. Drittens hält der gute Hirte über die Schafe sorgsam Wacht, da er weiß, dass sie sich so leicht verlaufen wie kein anderes Tier; und wenn sich eins verloren hat, bringt er es zurück. Das ist es ja gerade, was der Herr an armen verirrten Seelen tut. Viertens ist dem guten Hirten an den Schafen gelegen; er tut sein Bestes für sie. Sollte das bei Christus weniger der Fall sein, der es dem Petrus dreimal so ernstlich einschärfte, seine Schafe zu weiden? Fünftens ist der treue Hirt bereit, seine Schafe zu verteidigen. Siehe Joh. 10,12.28. Sechstens sorgt der Hirt ganz besonders für die Kranken und Schwachen und für die Kleinen in seiner Herde: er trägt sie wohl gar auf den Armen. An zarter Liebe lässt es unser Hirt fürwahr nicht fehlen, siehe Jes. 40,11. Endlich ist es dem guten Hirten nicht anders möglich, als dass er sich freut, wenn ein verirrtes Schäflein wieder heimgebracht ist. So freut der Herr sich über die Bekehrung des Sünders (Lk. 15). Samuel Smith 1625.
  Ich beobachte, dass sich einige Schafe der Herde ganz nahe zum Hirten halten und ihm ohne das geringste Zögern folgen, wo immer er hingeht, während andere nach rechts und links umherschweifen oder weit zurückbleiben. Oft wendet sich der Hirte nach diesen um und schilt sie in scharfem, strengem Ton oder wirft ihnen einen Stein nach. Eben sah ich, wie er eins so traf, dass es hinkte. Auch das ist dem guten Hirten nicht so ganz unähnlich. In der Tat reite ich nie über diese mit Schafen bedeckten Hügel, ohne über dies köstliche Thema nachzusinnen. Unser Heiland sagt, der gute Hirte gehe, wenn er seine Schafe aus der Hürde ausgelassen, vor ihnen her, und sie folgten ihm (Joh. 10,4). Das entspricht ganz dem, was ich hier beobachte. Die Schafe sind so zahm und so gut gezogen, dass sie ihrem Hirten mit der großen Lenksamkeit folgen. Er führt sie aus der Hürde oder aus dem Stall im Städtchen ganz, wohin er will. Da es an solchen Orten wie diesem viele Herden gibt, geht jeder Hirt nach einer andern Richtung und seine Aufgabe ist es, gute Weide für die Schafe zu finden. Es ist daher durchaus nötig, dass diese dazu erzogen seien, ihm zu folgen und nicht in die Kornfelder abzuschweifen, die sich rechts und links so verlockend darbieten. Jedes Schaf, das so abirrt, kommt sicher in irgendwelche Gefahr. Der Hirt stößt von Zeit zu Zeit einen durchdringenden Ruf aus, um die Schafe an seine Gegenwart zu erinnern. Sie kennen seine Stimme und folgen ihr; wenn dagegen ein Fremder ruft, bleiben sie plötzlich stehen und heben bestürzt die Köpfe in die Höhe und wenn der Ruf sich wiederholt, wenden sie sich um und fliehen; denn sie kennen der Fremden Stimme nicht. Auch dieser Zug des Gleichnisses (Joh. 10,5) ist nicht dichterische Ausschmückung, sondern einfache Tatsache. Ich habe wiederholt die Probe darauf gemacht. Der Hirt geht vor den Schafen her, nicht nur, um ihnen den Weg zu zeigen, sondern auch, um zu sehen, ob dieser gangbar und sicher ist. Er ist bewaffnet, um seine Herde zu verteidigen, und beweist darin große Tapferkeit. Es kommen viele Abenteuer mit wilden Tieren vor, die den von David 1. Samuel 17,34-36 berichteten nicht unähnlich sind, und zwar in eben diesen Bergen; denn wenn es hier auch keine Löwen mehr gibt, so doch Wölfe in Menge und in den einsamen Wadis lungern grimmige Leoparden und Panther auf Beute. Nicht selten greifen sie die Herde sogar in Gegenwart des Hirten an und er muss daher jeden Augenblick zum Kampf bereit sein. Ich habe mehr denn einmal mit der größten Spannung den malerischen Schilderungen dieser Hirten von den gefährlichen und verzweifelten Kämpfen mit diesen Bestien zugehört. Und wenn Diebe und Räuber kommen (und sie kommen!), so muss der treue Hirte oft sein Leben wagen, um seine Herde zu verteidigen. Es ist mehr als ein Fall zu meiner Kenntnis gekommen, wo der Hirt sein Leben tatsächlich in dem Kampfe lassen musste. So hielt letztes Frühjahr solch ein treuer Bursche, statt zu fliehen, gegen drei räuberische Beduinen tapfer stand, bis sie ihn mit ihren Säbeln buchstäblich in Stücke zerhauen hatten und er mitten unter seiner Herde starb. Manche Schafe halten sich stets in der unmittelbaren Nähe des Hirten und sind seine besonderen Lieblinge. Jedes von ihnen hat seinen Namen, auf den es mit Freuden hört, und der zärtliche Hirte hat für sie immer irgendeinen Leckerbissen, den er besonders ausgesucht hat. Diese Schafe sind so recht ein Bild des Glücks und der Zufriedenheit. Sie sind in keiner Gefahr verloren zu gehen oder in irgendein Unglück zu geraten, noch kommen ihnen wilde Tiere oder Räuber nahe. Die große Masse aber sind leider die reinen Weltlinge, die nur auf ihr Vergnügen und ihren egoistischen Nutzen bedacht sind. Sie laufen von einem Strauch zum andern, um von allem zu naschen und Leckerbissen zu suchen, und heben nur je und dann den Kopf auf, um zu sehen, wo der Hirt, oder vielmehr wo die große Masse der Schafe ist, damit sie sich nicht so weit entfernen, dass sie dadurch ihresgleichen auffällig werden oder sich gar einen Verweis vom Hirten holen. Andere wiederum sind ohne Rast und Ruhe, springen in jedes Feld, klettern in die Büsche oder in niederhangende Bäume, wodurch sie oft einen bösen Fall tun und sich die Glieder brechen. Diese bereiten dem Hirten unendliche Mühe. W. M. Thomson, Palästinas Land und Leute, 1859.
  Während wir so dasaßen, wurden die stillen Bergabhänge um uns her auf einmal voll Leben und Lärm. Die Hirten führten ihre Herden aus den Toren der Stadt. Wir konnten von unserem Platz aus alles übersehen und wir beobachteten und belauschten die Hirten und die Herden mit nicht geringem Interesse. Tausende von Schafen und Ziegen waren da, in dichten, wirren Haufen zusammengedrängt. Die Hirten standen beieinander, bis alle herausgekommen waren. Dann trennten sie sich, indem jeder Hirt einen andern Weg einschlug und dabei einen eigentümlichen schrillen Ruf ertönen ließ, auf den die Schafe alsbald hörten. Das erste war, dass ein Schwanken, eine scheinbar planlose Bewegung in die Massen kam: dann bildeten sich Spitzen in den verschiedenen Richtungen, welche die Hirten genommen hatten, und diese Spitzen wurden länger und länger, bis sich die wirren Massen in lange Züge aufgelöst hatten. Der Anblick war mir nicht neu, doch büßte er dadurch nichts von seinem Reiz ein. Das Schauspiel war vielleicht eine der lebhaftesten Illustrationen zu jener herrlichen Hirtenrede des Herrn Joh. 10. Die Hirten hatten nichts von dem friedlichen, sanften Aussehen, das wir uns mit dem Hirtenleben verbunden zu denken gewohnt sind. Sie sahen eher aus wie Krieger, die zum Kampf ausrücken. An der Schulter hatten sie eine lange Flinte, im Gürtel steckten ein Dolch und eine große Pistole und in der Hand trugen sie eine leichte Streitaxt oder einen eisenbeschlagenen Knüttel. Solcher Art war ihre Ausrüstung und ihre feurigen Augen und der ernste, finstere Ausdruck ihrer Gesichter zeigte nur zu deutlich, dass sie jeden Augenblick ihre Waffen zu brauchen bereit waren. J. L. Porter 1867.
  Mir wird nichts mangeln. Etwas nicht haben und an etwas Mangel leiden, zwischen den beiden Dingen gilt es wohl zu unterscheiden. Wir gestehen zu, dass es mancherlei gute Dinge geben mag, die das Kind Gottes nicht hat, aber nichts, was es wirklich bedarf. Wenn dies oder jenes Gute nicht in meinem Besitz ist, ich es aber nicht brauche, so ist das kein Mangel. Solange ich in den Verhältnissen, in denen ich bin, behutsam und fröhlich meinen Weg gehen kann, mangelt mir nichts, wiewohl ich keinen solchen Ballast von unnötigen Sachen auf dem Rücken habe wie andere: Mein Weniges genügt für mich und ich bin dabei wohl zufrieden. Unsere verdorbene Natur findet freilich allerlei begehrenswert und hat mehr Wünsche, als es Gott gefallen mag, zu befriedigen. Was ein Kranker verlangt und was seine Krankheit verlangt, ist zweierlei. Deine Unwissenheit, deine Ungenügsamkeit, dein stolzes und undankbares Herz mögen dich glauben lassen, dass du in einem unfruchtbaren, dürren Lande wohnst und der Herr dir wenig oder gar keine Güte erweise; aber wenn Gott dir die Augen öffnete, wie der Hagar, so würdest du Wasserquellen in der Wüste entdecken (1. Mose 21,19) und Barmherzigkeiten und Segnungen genug: - wenn nicht viele, so doch hinreichende, wenn nicht überreiche, so doch deinen wirklichen Bedürfnissen angemessene und in jeder Beziehung deinem wahren Wohlsein dienliche. Das ist, soweit mein Urteil reicht, der rechte Sinn von Davids Versicherung: Mir wird nichts mangeln. Obadiah Sedgwick † 1658.
  Nur wer die Kunst gelernt hat, Mangel zu leiden (Phil. 4,12), leidet keinen Mangel; wer nichts entbehren kann, entbehrt viel. Ihr sagt mir, der Christ habe dies und das nötig, was gottlose Leute haben; aber ich sage euch: Man kann nicht mit mehr Recht sagen, diese Dinge mangelten ihm, als man von einem Metzger sagen könnte, es mangle ihm der Homer oder desgleichen etwas; denn des Christen Beruf und Neigung sind derart, dass er die Dinge, die ihr gewöhnlich meint, gar nicht braucht. Was er begehrt, sind die nötigen Dinge, und derer sind nicht viele. Eins ist Not und dies Eine hat er erwählt, das gute Teil (Lk. 10,42). Darum leidet er keinen Mangel, wenn er auch von all den andern Dingen nichts hätte; auch gibt es nichts, das ihn reicher machen könnte, als er schon in Jesus ist. Zachary Bogan † 1659.
  Ob wir der Furcht des Mangels dadurch enthoben werden, dass wir uns der Fürsorge des guten Hirten anvertrauen, oder dadurch, dass wir unsre Zuversicht auf unsere Habe oder Geschicklichkeit setzen, das sind zwei verschiedene, ja einander entgegengesetzte Dinge. Die Zuversicht der ersteren Art erscheint dem natürlichen Menschen als etwas sehr Schwieriges, wenn nicht gar Bedenkliches und Unmögliches; dagegen das Vertrauen auf Reichtum und dergleichen erscheint ihm natürlich, vernünftig und gediegen. Es bedarf jedoch keiner umständlichen Beweisführung, um zu zeigen, dass derjenige, der sich für die Befriedigung seiner zeitlichen Bedürfnisse auf Gottes Zusage stützt, eine unendlich sicherere Grundlage unter den Füßen hat, als wer auf seine aufgehäuften Reichtümer baut. Die tüchtigsten Finanzmänner geben zu, dass bei ihren besten Geldanlagen der Vorbehalt, werde er nun ausdrücklich hinzugefügt oder als selbstverständlich stillschweigend angenommen, nicht vergessen werden dürfe: "Soweit alles Menschliche überhaupt sicher sein kann." Da denn auf Erden keinerlei unbedingte Sicherheit gegen den Mangel zu finden ist, ergibt sich mit Notwendigkeit die Folgerung, dass der der Weiseste und Klügste ist, der auf Gott vertraut. Denn wer dürfte es wagen, zu leugnen, dass die Zusagen des lebendigen Gottes unbedingt zuverlässig sind? John Stevenson 1842.
  Die Schafe Christi mögen die Weide wechseln, aber sie werden nie guter Weide ermangeln. Ist nicht das Leben mehr denn die Speise, und der Leib mehr denn die Kleidung? (Mt. 6,25) Gibt er uns das Große, sollten wir ihm dann bezüglich der kleinen Dinge misstrauen? Er, der uns zu Himmelserben gemacht hat, wird uns auch im Irdischen segnen. William Secker 1660.
  Seit ich von Deiner Krankheit und der gnädigen Durchhilfe des Herrn Kunde bekommen habe, war es schon immer meine Absicht, Dir zu schreiben, um mit Dir, teure Schwester, den Herrn zu preisen und auch meinen Glauben dadurch zu stärken. Hat der Herr Dir doch Deinen Becher voll eingeschenkt in der Zeit der Trübsal. Ist das nicht in der Tat die Sprache der Schäflein Christus’: Mir wird nichts mangeln? - darum nichts mangeln, weil der Herr mein Hirte ist? Der Allgenugsame unser Hirt! Nichts kann zu seiner Fülle etwas hinzufügen, nichts sie vermindern. Es liegt in diesem kleinen Satz eine überschwängliche Fülle des Inhalts und ein Reichtum an Frieden, die nur Christus’ Schäflein bekannt sind. Der übrige Teil des Psalms legt eigentlich nur auseinander, was in diesem ersten Vers enthalten ist: Ruhe, Labung und Erquickung, sichere Leitung, Frieden im Tode, Triumph über die Feinde, ein überfließendes Maß von Segnungen; heitere Aussicht in die Zukunft, ewige Sicherheit im Leben und im Sterben, in Glück und Unglück, Segen im Geistlichen wie im Leiblichen, für Zeit und Ewigkeit. Ja, wir mögen im Glauben sprechen: Der Herr ist mein Hirte. Wir stehen dabei auf dem untrüglichen Grund des Wortes Gottes. Was kann uns mangeln, wenn wir dem Herrn angehören? Wir haben ein Recht, uns alle seine Fülle anzueignen. Seine Unerschöpflichkeit und Herrlichkeit sind unser Gut und Erbe. Haben wir ihn, so ist alles unser. Wir haben das ewige Leben und daneben die Verheißung, dass uns das andere alles werde hinzugegeben werden (Mt. 6,33), - alles, was wir nach seiner weisen Einsicht nötig haben. Unser Hirt hat die Bedürfnisse seiner Schafe aus eigener Erfahrung kennen gelernt; ist er doch das Lamm Gottes geworden und wie ein Schaf zur Schlachtbank geführt worden. Er kennt seine Schafe in jeder Beziehung, er kennt ihre Natur, ihre Bedürfnisse und Bedrängnisse; ist er ihnen doch in allem ähnlich geworden. Das furchtsame Schäflein hat nichts zu fürchten, weder Mangel noch Trübsal noch Schmerzen; denn stündlich wird uns gegeben werden, was wir bedürfen. "Der Herr ist mein Teil, spricht meine Seele, darum will ich auf ihn trauen." (Klgl. 3,24.) - Aus einem Brief der Vicomtesse Theodosia A. Howard Powerscourt, 1830.
  Eins der geringen Glieder der Herde Christi geriet in seinen alten Tagen in die dürftigste Armut; doch kam kein Murren über seine Lippen. Eines Tages sagte ein mildherziger Nachbar zu ihm, als sie auf der Straße zusammentrafen: "Es muss Ihnen doch jetzt recht schlecht gehen und ich kann nicht begreifen, wie ein alter Mann, wie Sie, sich selber und seine Frau erhalten kann; und doch sind Sie immer fröhlich!" "O nein", antwortete er, "es geht uns nicht schlecht. Ich habe einen reichen Vater, der lässt mich keinen Mangel leiden." "Was? Ihr Vater ist noch am Leben? Der muss aber sehr alt sein!" "O, mein Vater stirbt nie, und er sorgt immer für mich", erwiderte der Alte. Dieser betagte Christ war tagtäglich ein Kostgänger an Gottes Tisch. Es war jedermann bekannt, mit welcher Mühe er sich den notwendigsten Lebensunterhalt erringen musste; sein eigenes Zeugnis aber war, dass ihm nie an etwas fehle, was er unbedingt nötig habe. Die Zeiten der größten Not waren auch die Zeiten, da er auf die merkwürdigste Weise rechtzeitige Durchhilfe erfuhr. Als seine emsige Hand durchs Alter steif geworden war, tat ihm der Herr die milde Hand anderer Leute auf. Oft musste er von seinem dürftigen Mahl aufstehen, ohne zu wissen, woher die nächste Mahlzeit kommen sollte. Aber mit David verließ er sich auf die Fürsorge seines Hirten und sprach im Glauben: Mir wird nichts mangeln; und wie er zuversichtlich auf Gott traute, so gewiss wurden auch, auf irgendeine unerwartete Weise, seine Bedürfnisse gestillt. John Stevenson 1842.


V. 1-4. Kommt mit mir zum Fluss hinab; es gibt da Interessantes zu sehen. Jener Hirte da ist eben im Begriff, seine Herde überzusetzen; und ihr seht, dass er, gerade wie es der Heiland im Gleichnis vom guten Hirten sagt, vor den Schafen hergeht und diese ihm folgen. Allerdings nicht alle in gleicher Weise. Einige gehen furchtlos ins Wasser und kommen ganz gerade hinüber. Das sind die Lieblinge des Hirten, die ihm hart auf dem Fuße folgen, sei es, dass sie gemächlich durch die grünen Auen und an den stillen Wassern hinziehen, sei es, dass sie auf den Bergen weiden oder endlich in der Mittagshitze unter dem Schatten mächtiger Felsen ruhen. Und jetzt gehen andere in den Fluss, aber mit Furcht und Zagen. Fern von ihrem Hirten verfehlen sie die Furt und werden, die einen mehr, die andern weniger, vom Strom hinabgetrieben. Doch kämpfen sie sich, eins nach dem andern, durch die Fluten und kommen glücklich aus Land. Bemerkst du die kleinen Lämmer dort? Sie wollen durchaus nicht in den Fluss und müssen schließlich von dem Schäferhund (Hiob 30,1) hineingetrieben werden. Die armen Dinger! Wie sie vor Schrecken im Wasser aufspringen und unfreiwillig untertauchen und jämmerlich blöken! Jenes schwache Lämmchen dort wird gewiss ganz vom Strom fortgerissen werden und in den Fluten umkommen. Doch nein; der Hirt springt selber in den Strom, ergreift es, hebt es auf seine Arme und trägt das arme zitternde Geschöpfchen aus Ufer. Nun sie aber alle glücklich drüben sind, wie glücklich sehen sie aus! Die Lämmer hüpfen und springen lustig, während die älteren Schafe sich um ihren treuen Führer sammeln und in stiller und doch beredter Dankbarkeit zu ihm aufschauen. Wäre es möglich, eine solche Szene zu beobachten, ohne an den Hirten Israels zu denken, der Josephs hütet wie der Schafe (Ps. 80,2), und an den Strom, durch welchen alle seine Schafe hindurch müssen? Auch er geht vor den Schafen her, und gerade wie bei dieser Herde fürchten die, die sich nahe zu ihm halten, kein Unglück. Sie hören seine freundliche Stimme zu ihnen sagen: So du durch Wasser gehest, will Ich bei dir sein, dass dich die Ströme nicht sollen ersaufen (Jes. 43,2). Sie haben ihren Blick unverwandt auf ihn gerichtet und sehen kaum den Strom, noch fühlen sie seine kalten, drohenden Wogen. W. M. Thomson, Palästinas Land und Leute, 1859.


V. 1-5. Der Prophet gibt dem Worte Gottes mancherlei Namen: heißet es ein fein lustig grünes Gras, ein frisches Wasser, einen richtigen Weg, einen Stecken, Stab, Tisch, Balsam oder Freudenöl, und einen Becher, der stets voll eingeschenkt ist. Und tut solches nicht vergebens; denn die Kraft des Wortes Gottes ist auch mancherlei. Denn gleichwie ein Schäflein in einer schönen, lustigen Aue, bei grünem Gras und kühlem Wasser, in Gegenwärtigkeit seines Hirten, der es mit dem Stecken oder Rute leitet, dass es nicht irre, und mit dem Stabe wehrt, dass ihm kein Leid widerfahre, in aller Sicherheit seine Weide und Luft hat, oder wie einem Menschen, der an einem Tische sitzt, da Essen, Trinken und allerlei Trost und Freude überflüssig ist, gar nichts mangelt: also vielmehr, die dieses Hirten Schafe sind, haben keinen Mangel an irgendeinem Gute (Ps. 34,11), sind reichlich versorgt, nicht allein an der Seele, sondern auch am Leibe, vergl. Mt. 6,33. Denn wenn Gottes Wort recht und rein gepredigt wird, so mancherlei Namen ihm der Prophet hier gibt, so mancherlei Nutzen und Frucht es schafft. Es ist denen, wenn sie es mit Fleiß und Ernst hören (welche unser Herr Gott alleine als seine Schafe erkennt), ein lustig grünes Gras, ein kühler Trunk, davon sie satt und erquicket werden. Ebenso hält es sie an rechter Bahn und bewahrt sie, dass ihnen kein Unglück noch Leid widerfährt. Dazu ist es ihnen ein stetes Wohlleben, da Essen, Trinken und allerlei Freude und Lust überflüssig ist; das ist, sie werden nicht allein durch Gottes Wort unterwiesen und geleitet, erquicket, gestärkt und getröstet, sondern auch fortan immer auf dem rechten Wege erhalten, in allerlei Not, beide des Leibes und der Seelen, geschützt, und endlich siegen und liegen sie ob wider alle Anfechtung und Trübsal, der sie nur viel ausstehen müssen, wie der vierte Vers meldet. Zusammengefasst: Se leben in aller Sicherheit als solche, denen kein Leid widerfahren kann, weil ihr Hirte sie weidet und schützt. Und wo dieses selige Licht des Wortes Gottes nicht scheint, da ist weder Glück noch Heil, weder Stärke noch Trost, beide an Leib und Seele, sondern nichts als Unfriede, Schrecken und Zagen; sonderlich wenn Trübsal, Angst und der bittere Tod vorhanden sind. Wiewohl die Gottlosen, wie der Prophet spricht (Jes. 48,22), nimmer keinen Frieden haben, es gehe ihnen wohl oder übel. Denn gehet es ihnen wohl, so werden sie vermessen, hoffärtig und stolz, vergessen unseres Herrn Gottes gar, pochen und trotzen allein auf ihre Gewalt, Reichtum, Weisheit, Heiligkeit usw. und sorgen daneben, wie sie die erhalten und mehren und andere, die ihnen im Wege liegen, verfolgen und unterdrücken mögen. Kehrt sich aber das Blatt mit ihnen um, als des denn endlich gewiss geschehen muss, - denn die zarte Jungfrau Maria ist eine sehr gewisse Sängerin, der es noch nie um ein einiges Nötlein in ihrem Gesange Magnificat: (Lk. 1,46 ff.) gefehlt hat, - so sind sie die elendesten und betrübtesten Leute, die flugs verzweifeln und verzagen. Woran fehlt es ihnen? Sie wissen nicht, wo und wie sie Trost sollen suchen, weil sie Gottes Wort nicht haben, das allein rechtschaffen lehrt geduldig und getrost sein, wenn es übel zugeht (Röm. 15,4). Martin Luther 1536.


V. 2. Mein Hirt hat nicht nur grüne Auen, sondern er führt mich auf dieselben, dass ich mich an ihnen laben kann. Er bringt mich nicht auf dürre Steppen, deren Anblick schon mich anwidern würde, sondern auf grüne Auen voller Reiz und Lieblichkeit. Und sie sehen nicht nur einladend aus - denn ach, Grün ist nur eine Farbe und Farben sind trügerisch; gar manche ungenießbare oder gar giftige Pflanze sieht verlockend aus - sondern dies Grün ist das Grün des fetten Grases. Diese Auen halten, was ihr Anblick verspricht; wie ihre Farbe mich erquickte, sobald ich sie sah, so merke ich beim ersten Bissen, wie wohlschmeckend, und noch mehr, wie nahrhaft und gesund diese Weide ist. Es scheint mir, ich sei in einem Paradies und es fehlt mir nichts außer ein wenig Wasser. Aber siehe, wie gut der Hirte ist! Er lässt seine Schäflein an nichts Mangel leiden: Er führt sie jetzt zum frischen Wasser! Aber werde ich mich auch satt essen können? Oder wird er uns etwa bald wieder wegführen, wenn wir nur halb genug haben, so dass der Freude bittere Enttäuschung folgt? Nein, mein Herz, du musst von deinem Hirten nicht so kleinlich denken. Er lässt seine Schafe auf den grünen Auen sich lagern, dass sie volle Genüge haben, nach Herzenslust weiden und, wenn sie genug haben, in stiller Ruhe das Genossene innerlich verarbeiten können. Sir Richard Baker 1640.
  Gleichwie das Gras in einer grünen Aue fein dick und voll stehet und immer mehr und mehr wächst, so haben auch die Gläubigen nicht allein Gottes Wort reichlich, sondern je mehr sie desselben brauchen und damit umgehen, je mehr nimmt es zu und wächst bei ihnen. Darum setzt er auch die Worte fein deutlich, spricht nicht: Er führet mich einmal oder oft auf eine grüne Aue, sondern: Er weidet mich ohne Unterlass darauf, dass ich mitten im Grase und in der Weide fein liegen, ruhen und wohnen kann und nimmer keinen Hunger oder sonst einen Mangel leiden darf. Denn das Wörtlein, das er hier braucht, heißt liegen und ruhen, wie ein Tierlein, wenn sich’s gesetzt hat, auf seinen vier Füßen liegt und ruht. Martin Luther 1536.
  Auf diesen grünen Auen haben die Schafe geweidet, seit Christus eine Gemeinde auf Erden hat, und doch stehen sie so üppig und voll wie je. An diesen Wassern haben die Schafe seit Adams Zeiten ihren Durst gelöscht, und doch sind sie noch heutzutage zum Überlaufen voll und werden es bleiben, bis die Schafe ihrer nicht mehr bedürfen, da sie vom himmlischen Strom des Lebens trinken. Ralph Robinson † 1655.
  Der Hirt treibt seine Schafe nicht, er führt sie sanft und sorgsam. Vergl. 1. Mose 33,13 f. Bischof Launcelot Andrewes † 1626.
  Das Evangelium ist gleich dem Wasser zu Siloah, das stille geht (Jes. 8,6) und gar köstlich ist. John Trapp † 1669.


V. 3. Auf rechter Straße. Diese Übersetzung Luthers entspricht genau dem Sinn des Grundtextes, wiewohl die Worte buchstäblich lauten: auf Wegen der Gerechtigkeit. Das heißt nicht: gerade, geebnete Wege, so dass Berge, Klippen und Abgründe oder Unebenheiten, Buckel und Löcher auf dem Wege oder Umwege, hinderndes Dorngestrüpp usw. den Gegensatz bilden würden (Rosenmüller u. a.), sondern richtige Wege, so dass ihre "Gerechtigkeit" der Gegensatz zum Trügerischen (yqe$e, lwe(f) ist, gerade wie richtige Wagen, Gewichte, Maße 3. Mose 19, 36 der Gegensatz zu trügerischen sind. Bei qdece ist (nach Cremer) hier, wie auch sonst im biblischen Sprachgebrauch, das Verhältnis zu dem Anspruch, den jemand hat, der Grundgedanke. Der erste Anspruch, den jemand an einen Weg zu stellen berechtigt ist, ist der, dass er ihn zum Ziele führe. So sind also "Wege der Gerechtigkeit" solche Wege, die nicht falsch führen, die Hoffnung und Erwartung nicht trügen, also "richtige Wege". An "Pfade des rechten sittlichen Verhaltens" ist nicht zu denken, da nicht eine Eigenschaft des Wanderers, sondern des Weges gemeint ist. Will man das Wort "Gerechtigkeit" hier von vornherein im höheren, sittlichen und religiösen Sinn nehmen, so wird man eher an die Gerechtigkeit Gottes dabei zu denken haben, wie Keßler auslegt: Pfade, die der Gerechtigkeit Jahwes, d. h. seiner Huld gegen die Frommen (vergl. 22,32) entsprechen. - Natürlich ist, wenn man die Bedeutung "richtige Wege" festhält, nicht zu vergessen, dass durch sie ein tieferer Sinn nicht aus-, sondern eingeschlossen wird, weil der Psalmist den Ausdruck ja als Bild gebraucht. - James Millard
  In der Wüste und Einöde gibt es keine gebahnten Straßen, die Pfade sind nur einfache Spuren (vergl. den Grundtext) und manchmal laufen sechs oder acht solcher Pfade neben- und übereinander her. Daran ist bei diesen Psalmworten ohne Zweifel gedacht. John Gadsby 1862.
  Ach Herr, diese richtigen Pfade sind seit langem so wenig betreten worden, dass die Spuren derselben fast gänzlich verwischt sind und es jetzt sehr schwer ist, diese Pfade auch nur zu finden; und hat jemand sie glücklich entdeckt, so sind sie doch so schmal und holperig, so voll von Hindernissen aller Art, dass es ohne besondern Beistand ein Ding der Unmöglichkeit ist, nicht zu fallen oder von ihnen abzuweichen. Darum Dank dir, großer Hirte meiner Seele, dass du so gnädig sein willst, selber mich auf den richtigen Pfaden zu führen; denn ohne deine Leitung und deinen Beistand würden sie mir doch nur zu Irrwegen werden. Sir Richard Baker 1640.
  Auf dieser rechten Straße werden die geführt, die sich führen lassen, sanftmütig sind, sich raten lassen und auf ihrem Sinn, Wahn und Gedanken gar nicht halsstarrig bleiben. Denn einer, der sich führen lässt, muss willig sein und an keinem Dinge so feste kleben und hangen, das zu verlassen er nicht alle Augenblicke bereit sei. Und gegen ein solches Führen sperrt sich die Natur. Martin Luther † 1546.
  Um seines Namens willen. Da er den Namen des guten Hirten auf sich genommen hat, wird er das Seine tun, wie immer seine Schafe sich verhalten mögen. Sind sie schlechte Schafe, so wird das daran nichts ändern, dass er der gute Hirte ist und bleibt. Mögen sie um ihrer Halsstarrigkeit willen keinen Nutzen davon haben, so wird doch seine Ehre durch seine Treue groß werden, und sein Name wird nichtsdestoweniger verherrlicht und erhoben werden. Sir Richard Baker 1640.


V. 4. Ein Tal ist ein niedriger Ort mit Bergen zu beiden Seiten. Und auf diesen Höhen mögen Feinde lauern, um auf den Wanderer ihre Pfeile zu schießen, wie es im Morgenlande so oft der Fall war; aber er muss hindurch. Das Bild unseres Verses bezieht sich ursprünglich nicht, wie manche meinen, auf das Sterben, wiewohl es diese Auslegung trefflich verträgt, sondern wir haben dabei zunächst an ein einsames, düsteres Tal zu denken, das durch Räuber und Raubtiere voller Gefahren ist. David aber wurde in diesem Tal nicht nur herrlich behütet, sondern Gott deckte ihm sogar im Angesicht dieser Feinde den Tisch (V. 5). Die Beduinen haben noch heute ihre Verstecke in den Bergen und belästigen die Reisenden auf ihrer Wanderschaft durch die Täler und Schluchten. John Gadsby 1862.
Er bekennt, dass er Unglück fühlet, mit dem, dass er saget, er fürchte sich nicht; ebenso: trösten mich; so ist er ja traurig und betrübt, sonst würde er so nicht reden. Martin Luther 1530.
  Wir sehen hier, dass er auch in Glück und Glanz niemals vergessen hat, dass er ein Mensch war, sondern dass er schon beizeiten an das Unglück gedacht hat, das ihn vielleicht treffen könnte. Und sicherlich zittern wir deshalb so sehr, wenn Gott uns durchs Kreuz prüft, weil ein jeder, um ruhig zu schlafen, sich in fleischliche Sicherheit einwiegt. Von diesem Schlaf der Starrheit ist die Ruhe des Glaubens sehr verschieden. Ja, da Gott den Glauben durch Unglück prüft, so folgt, dass niemand wahren Glauben hat, der nicht mit unbesiegbarer Standhaftigkeit ausgerüstet ist, um alle Furcht zu besiegen. Doch David rühmt sich nicht, von aller Furcht frei zu sein, sondern nur, dass er allem gewachsen sein werde, so dass er furchtlos überall hingeht, wohin der Hirt ihn führt. Dies geht aus dem Zusammenhange noch deutlicher hervor. Zuerst sagt er: Ich fürchte kein Unglück. Dann gibt er gleich darauf den Grund hierfür an. Er gesteht offen, dass er sich dadurch von seiner Furcht zu heilen sucht, dass er auf den Stab des Hirten blickt. Denn wozu hätte er Trost nötig, wenn die Furcht ihn nicht beunruhigte? Es ist also festzuhalten, dass David, da er an die Leiden denkt, die ihn treffen können, nur dadurch dieser Versuchung Herr wird, dass er sich der Fürsorge Gottes übergibt. Dies hat er schon vorher durch die Worte ausgedrückt: Du bist bei mir. Denn wenn er von Furcht frei gewesen wäre, so hätte er nicht nach der Gegenwart Gottes verlangt. Jean Calvin † 1564.
  Es ist dieser sehr herrliche Vers eine Stimme der einigen vollkommenen Gnade, dafür die Natur vielmehr also sagt: Ob ich gleich wanderte oben im höchsten Lichte des Lebens, fürchte ich mich noch vor Unglück; denn ich bin allein, und du bist nicht bei mir. Denn der Gottlosen Leben ist voll Furcht und Schrecken vor Unglück, da es auch am gewissesten ist: Dagegen derer Christen Tod, wie ungewiss er ist, voll Friedens und Sicherheit ist. Solches setzt sich und streitet wunderbar gegeneinander. Die Gottlosen schreckt in ihrem Leben das Rauschen eines fliegenden Blatts; die Christen aber schreckt nicht, wenn sie sterben, der grausame Anblick der ewigen Finsternis. Daher man denn in Sprichwortsweise fein sagt: Ich lebe und weiß nicht wie lang; ich sterbe und weiß nicht wann; ich fahre und weiß nicht wohin, mich wundert, dass ich fröhlich bin. Martin Luther 1530.
  "Ich möchte mit dir vom Himmel sprechen", sagte ein sterbender Vater (der heimgegangen Pf. Hugh Stowell von Ballaugh auf der Insel Man) zu einem seiner Familienglieder. "Es könnte sein, dass wir nicht mehr lang zusammen sind. Mögen wir uns am Thron der Herrlichkeit als eine selige Familie zusammenfinden!" Die Tochter des Sterbenden rief, von dem Gedanken überwältigt, dass ihr Vater ihr genommen werden könnte: "Du meinst doch nicht, dass Gefahr da ist?" Ruhig gab dieser die schöne Antwort: "Gefahr? Mein Liebling, o brauche doch das Wort nicht! Für den Christen gibt es keine Gefahr, was immer geschehen mag! Es ist alles, alles gut. Gott ist die Liebe. Alles ist gut in Ewigkeit, in alle Ewigkeit!" John Stevenson 1842.
  Ich fordere alle die lustigen Zecher und Buhler der ganzen Welt heraus, mir eine so fröhliche Gesellschaft zu zeigen, wie es die Freunde Gottes sind. Nicht die Gemeinschaft mit Gott, sondern das Fernsein von Gott macht traurig. Ach, ihr wisst nichts von dem Frieden, den sie genießen, und Fremde haben an ihren Freuden keinen Teil. Ihr meint, sie könnten nicht fröhlich sein, da ihre Angesichter so ernst sind; sie aber sind gewiss, dass ihr nicht wirklich fröhlich sein könnt, da euch bei all eurer Ausgelassenheit der Fluch auf der Seele lastet. Sie wissen, dass auch beim Lachen das Herz trauern kann und nach der Freude Leid kommt. (Spr. 14,13.) Nennt immerhin euer Lachen und Singen und Lärmen Fröhlichkeit: ein anderer nennt es Tollheit (Pred. 2,2). Wenn den fleischlich gesinnten Menschen das Herz im Leib erstirbt und wie ein Stein wird, wie es Nabal erging (1. Samuel 25,37), wie fröhlich können dann die sein, die Gott zum Freunde haben! Wenn euch der Tod ins Angesicht grinst, dann kommt, ruft die lustigen Kameraden zusammen, lasst die Harfen und Geigen aufspielen, lasst vom besten Wein aus dem Keller bringen! Kommt, steckt eure Köpfe zusammen, damit ihr nichts vergesset, was eure Fröhlichkeit erhöhen könnte. Nun, seid ihr fertig? Ist alles da? Und nun, Sünder, komm mit! Diese Nacht muss deine Seele vor Gott erscheinen! Nun, was sagst du dazu, Mensch? Was, dir sinkt der Mut? Jetzt ruf deine Zechbrüder und lass sie dich erheitern! Jetzt lass eine Flasche vom Besten, lass ein Freudenmädchen kommen! Nur immer zu! - - Entsinkt dir das Herz, das noch vorhin über die Drohungen des Allmächtigen spotten konnte? Was, eben noch so munter und ausgelassen, und jetzt so stumm? Wahrlich, ein schneller Wechsel! Ich frage wieder, wo sind deine lustigen Gesellen? Alle fort? Wo deine Lieblingspassionen? Was ist dir, Mensch, warum so bleich und verzagt? Ja, dein Herz hat dich verlassen! Ist das das Ende aller deiner Freude, von der du so viel zu reden wusstest? Sieh, hier steht einer, dessen Herz so voll Trostes ist wie je, und den der Gedanke an die Ewigkeit, der dich zu Boden schlägt, erhebt. Und willst du die Ursache wissen? Er weiß, er geht zu seinem Freund: vielmehr, sein Freund geht mit ihm durch jenes düstere Tal. Ja, wohl dem Volk, dem es so geht! Wohl dem Volk, des Gott der Herr ist! (Ps. 144,15.) James Janeway † 1674.
  Es sei an die unvergleichliche Schilderung des Tals des Todesschattens in Bunyans Pilgerreise erinnert, die dem angefochtenen Christen so reichen, aus der Erfahrung geschöpften Trost bieten kann. - James Millard
  Der Tod hat in der Menschheit Jesu seinen Stachel gelassen und hat nun keine Macht mehr, Gottes Kinder zu verletzen. Vicomtesse Powerscourt 1830.
  Dein Stecken und Stab. Der Hirtenstab dient zu dreierlei Zwecken. Erstens zählt der Hirt die Schafe damit, indem er sie, eins nach dem andern, unter ihm durchgehen lässt (3. Mose 27,32). Man denke daran bei diesen Worten. "Ob ich auch durch die Bosheit der Menschen in so großer Gefahr bin, ist doch dies mein Trost, dass ich von dir nicht vergessen bin, denn du kennst die Deinen und sorgst dafür, dass dir nicht eines fehle." Zweitens treibt der Hirt mit seinem Stab die Schafe an, wenn sie lässig sind und nicht vorwärts wollen. Mag es unserm Fleisch auch unangenehm sein, wenn der Herr uns aus der Trägheit und aus einem lauen Gewohnheits-Christentum aufrüttelt, so führt er uns doch gerade dadurch, dass er uns antreibt, unsere Schritte zu beschleunigen und in seinem Dienst tätiger und eifriger zu werden, zur wahren geistlichen Freude. Drittens treibt der Hirt mit seinem Stabe die Schafe zurück, wenn sie müßig und unachtsam von der Herde wegschweifen, ihre eignen Wege gehen und auf andern Weiden grasen, ohne die Gefahren zu beachten, die ihnen bei solchem Abirren drohen. Ist das nicht ein großer Trost, dass der Herr seine Schafe nicht dem Verderben überlässt, sondern von den Irrwegen zurückbringt, die sie stets den größten Gefahren und Nöten aussetzen? So enthalten also diese Worte eine Hinweisung auf Gottes treue Fürsorge für seine Herde. Obadiah Sedgwick † 1658.
  Der Hirt hat stets einen Stab bei sich, wenn er mit seiner Herde auf die Weide zieht. Dieser Stab ist oft an seinem obern Ende gebogen oder mit einem Haken versehen, woher der Bischofsstab seine bekannte Form hat. Mit diesem Stab regiert der Hirt die Herde, leitet er sie auf die Weide und verteidigt er sie gegen die Feinde. Mit ihm züchtigt er sie auch, wenn sie unfolgsam sind, und bringt er sie zurück, wenn sie von der Herde weglaufen. Man kann sich einen Hirten so wenig ohne diesen Stab denken, als einen Pflüger ohne den Ochsenstachel (1. Samuel 13,21; Apg. 9,5). W. M. Thomson 1859.
  Stecken, womit du leitest, schützest und treibst, dass es fortgeht; diesen regiert der Eifer des Herrn. Stab, worauf du dich lehnest, um Halt zu machen, dass es nicht zu schnell geht und die Schafe nicht übertrieben werden: diesen regiert die Langmut des Herrn. Karl Heinrich Rieger † 1791.
  Der Sänger unseres Psalms traut auf den Herrn, wiewohl er sich im tiefsten Dunkel befindet und keinen Schritt breit vor sich sehen kann. Das ist wahrlich großer Glaube! Wir haben vor dem geheimnisvollen Unbekannten viel größere Furcht, als vor allem, was wir sehen können Ein geringes Geräusch erschreckt uns in der Dunkelheit, während selbst große Gefahren, die sichtbar sind, uns nicht die Geistesgegenwart rauben. Was aber entzieht sich so völlig der menschlichen Erfahrung und Berechnung und selbst seiner Einbildung, als das Tal des Todesschattens mit allem, was dazu gehört? Aber auch angesichts dieses finstern Tales und in demselben wankt die Zuversicht des Psalmisten nicht. Er glaubt, ohne zu sehen. Wie oft setzt uns etwas, das wir nicht kennen, in Schrecken. Sogar die Jünger erschraken, als sie die Wolke überzog auf dem Verklärungsberg (Lk. 9,34). Wie oft ist uns die Ungewissheit der Zukunft eine härtere Glaubensprobe als die Drangsal, in die uns ein gegenwärtiges Übel versetzt! Viele teure Gotteskinder können dem Herrn in allen ihnen bekannten Übeln vertrauen: aber warum diese Furcht, diese bösen Vorahnungen, diese Mutlosigkeit, wenn sie wirklich auch das ihnen Unbekannte und Ungewisse dem Herrn in gleicher Weise anvertrauen? Statt uns kindlich an das Wort des Herrn zu halten, es sei genug, dass jeder Tag seine eigne Plage habe, umgeben wir das Unbekannte mit den Schreckgespenstern unserer Einbildungen und Berechnungen und vergessen nur zu oft das einfältige Vertrauen auf den Herrn. Phil. Bennett Power 1862.
  Lasst uns beachten, dass David mitten auf der grünen Aue an das Elends- und Todesschattental denkt, durch das sein Weg ihn bald führen mag, wenn es der Herr so will. Das ist wahre Weisheit, bei heiterem Wetter für den Sturm Vorsorge zu treffen, in Tagen der Gesundheit ans Kranken- und Sterbebett zu denken, in Glück und Frieden sich auf das Schlimmste gefasst zu machen und gleich der klugen Ameise im Sommer sich Speise auf den Winter zu sammeln. John Prime 1588.
  Die Frau des Missionars Hervey in Bombay lag im Sterben. Ein Freund sagte ihr, er hoffe, der Heiland werde jetzt bei ihr sein auf dem Gang durch das finstere Tal des Todesschattens. Sie erwiderte: "Wenn dies das finstere Tal ist, dann ist kein dunkler Fleck darin; es ist lauter Licht." Es waren ihr fast während ihrer ganzen Krankheit lichte Blicke in die göttlichen Vollkommenheiten geschenkt. "Die Heiligkeit des Herrn", sagte sie einst, "erscheint mir als die lieblichste aller seiner Eigenschaften." Und ein andermal bezeugte sie, dass es ihr an Worten fehle, ihre Eindrücke von der Herrlichkeit und Erhabenheit Christi wiederzugeben. "Es ist mir", sagte sie, "als ob, wenn alles andere, so herrlich es sein mag, sich in ein Nichts auflöste und nur Er selber bliebe, meine Seele volle Genüge hätte; es würde dennoch ein unermessliches All von Herrlichkeit sein. C. H. Spurgeon 1869.
  Gerade die Bereitschaft für Leiden und Tod befähigt den Christen zu wahrem Lebensgenuss. Wessen Herz bereit ist, dem schmecken die Freuden dieses Lebens nie lieblicher, als wenn er sie mit Todes- und Ewigkeitsgedanken würzt. Die Aussicht, dass die irdischen Freuden ihm einst genommen werden, macht ihm nicht mehr Kummer, als wenn jemand, der bei einem Festmahl sitzt, sieht, dass der erste Gang, nachdem er sich an ihm zur Genüge erlabt hat, abgetragen wird, um dem zweiten, noch köstlicheren, Platz zu machen. David freute sich an Gottes Tisch (V. 5) und war zum Gang durchs finstere Tal bereit (V. 4). Und war Petrus nicht ein Mann, der wahrhaft das Leben genoss, da er so friedlich im Gefängnis (keinem begehrenswerten Orte!) schlafen konnte, gebunden zwischen zwei Kriegsknechten, und das in der Nacht, ehe Herodes ihn hinrichten wollte? Nicht gerade eine geeignete Zeit, sollte man denken, um eine gute Nachtruhe zu erwarten! Und doch schläft er so fest, dass der Engel, der ihn aus dem Kerker zu führen gesandt ist, ihn an die Seite schlagen muss, um ihn zu wecken! (Apg. 12,6 f.) Ich bezweifle, dass Herodes selber in jener Nacht so gut geschlafen habe, wie dieser sein Gefangener. Was für ein Schlaftrunk war es denn, der den Mann Gottes zu so süßem Schlummer gebracht hatte? Ohne Zweifel das Evangelium des Friedens. Er war zum Sterben bereit, darum konnte er schlafen. Warum sollte die drohende Hinrichtung seine letzte Nachtruhe in dieser Welt stören, da sie ihn doch nur zu der ewigen Ruhe in der andern Welt einführen konnte? William Gurnall † 1679.


V. 5. Nxfl:$u ist der Esstisch mit den Speisen, Jes. 21,5. Übergang zum Bilde eines gütigen Gastgebers, der zugleich so mächtig schirmt, dass seine Gäste die Freuden, die er bietet, sorglos genießen können. Lic. H. Keßler 1899.
  Gott ist beim Segnen seiner Knechte durchaus unabhängig von den gottlosen Menschen. Diese mögen sich darüber ärgern und es zu vereiteln suchen, so ist doch ihre Wut viel zu ohnmächtig Gottes Rat und Wohlgefallen zu hindern. Ein Tropfen Wasser löscht kein Feuer. Obadiah Sedgwick † 1658.
  Ich habe dem Papst viel zu schaffen gemacht, dieweil ich mein Torgauer Bier trank. Martin Luther † 1546.
  Im Angesicht meiner Feinde, so dass sie es sehen und vor Neid und Ingrimm fast vergehen, ohne es hindern zu können. Mt. Polus † 1679.
  Im Morgenland ist es Sitte, dass man Gäste, die man ehren will, mit kostbaren wohlriechenden Ölen salbt und ihnen einen Becher auserlesenen Weines reicht, den man mit Bedacht bis zum Überfließen gefüllt hat. Das erstere soll ein Zeichen der Liebe und Hochachtung sein, das andere andeuten, dass der Gast, solange er im Hause weile, an allem Überfluss haben solle. Samuel Burder 1812.
  Eine englische Dame besuchte ein arabisches Schiff, das bei Trincomali auf Ceylon angelegt hatte, um sich die Ausrüstung des Schiffes anzusehen und einige kleine Einkäufe zu machen. Als sie eine Weile in der Kajüte gesessen hatte, kam eine Araberin und goss ihr wohlriechendes Öl auf das Haupt. Joseph Roberts 1835.
  Du hast die Erweisungen deiner Güte nicht auf die notwendigen Dinge des Lebens beschränkt, sondern du hast mich auch mit den Annehmlichkeiten des Lebens, ja mit Überfluss überschüttet. Erklärung schwieriger Psalmstellen 1831.
  Die Balsamwürzen Ägyptens mögen unsere Leiber vor der Verwesung schützen und ihnen eine jahrtausendelange Erhaltung in dem düstern Grabesdunkel sichern; aber das köstlich duftende Öl deiner Gnade, Herr, das du in geheimnisvoller Weise auf unsere Seelen träufelst, schmückt sie, stärkt sie und legt in sie den Keim der Unsterblichkeit und sichert sie so nicht nur vor zeitweiligem Verderben, sondern erhebt sie aus diesem Haus der Knechtschaft in die ewige Seligkeit an deinem Herzen. Jean Baptiste Massillon † 1742.
  Mein Becher fließt über. David hatte nicht nur die Fülle, sondern Überfluss. Solche, die dies Glück genießen, müssen ihren Becher sorgsam in der Hand tragen und zusehen, dass sein Überfluss nicht auf die Erde verschüttet werde, sondern in die weniger vollen Gefäße ihrer ärmeren Brüder fließe. "Gebt, so wird euch gegeben", das ist ein Grundsatz, an dessen Richtigkeit wenige im Ernst glauben. John Trapp † 1669.
  Mit dem vollgeschenkten Becher rühmt David seinen königlichen Reichtum, der ihm nach den Berichten der heiligen Schrift in ungewöhnlicher Fülle geschenkt war. Wenn Gott die Gläubigen reich macht, so bändigt er zu gleicher Zeit bei ihnen die zügellosen Begierden des Fleisches durch den Geist der Enthaltsamkeit. Wenn David sich auch in seinen Verhältnissen mit Recht mehr erlaubte, als wenn er einer aus dem gewöhnlichen Volke gewesen oder in der Väterlichen Hütte geblieben wäre, so hütete er sich doch bei allen reichen Genüssen, dass er nicht bloß sein Fleisch fütterte und fett machte: Er wusste den Tisch, den ihm der Herr bereitete, von einem Futtertrog zu unterscheiden. Jean Calvin † 1564.
  Mein Becher ist hyfwfr:, bis zum Berauschen sättigende Fülle. (Vergl. die Übers. der Vulgata.) Von diesem Becher waren die Märtyrer trunken, die auf dem Wege zur Todesmarter weder ihr schluchzendes Weib, noch ihre Kinder, noch ihre andern Angehörigen und Freunde sahen und kannten (vergl. 5. Mose 33,9), aber von Dank und Freude überströmten und sprachen: Ich will den Kelch des Heils erheben (Ps. 116,13). Aurelius Augustinus † 430.


V. 6. Nur Glück und Gnade werden mir folgen usw., wörtlich: mich verfolgen, wie gute Geister an Stelle der Feinde; nur durch die Beziehung auf letztere erklärt sich der harte Ausdruck. Lic. H. Keßler 1899.
  David sagt nicht, da sein Becher immer von sein werde und sein Haupt immer mit Öl gesalbt, sondern er schließt nur im Allgemeinen, dass Gott, weil er unermüdlich ist, Gutes zu tun, auch bis ans Ende wohltätig gegen ihn sein werde. Jean Calvin † 1564.
  Und werde wohnen im Hause des Herrn immerdar. Dieser Schluss zeigt deutlich, dass David durchaus nicht bei den irdischen Vergnügungen und Annehmlichkeiten stehen bleibt, sondern dass der Himmel sein Ziel ist, auf das er alles bezieht. Jean Calvin † 1564.
  Auch ein gottloser Mensch mag etwa in Gottes Haus einkehren, ein Gebet sprechen usw., der Prophet aber will dort bleiben immerdar. Seine Seele kniet allezeit am Thron der Gnade und bringt dort Anbetung, Dank und Bitte dar. William Fenner † 1640.
  Dass wir im Hause des Herrn bleiben werden immerdar, das sollte sowohl die höchste aller unsrer Zukunftshoffnungen sein, als die eine große Lektion, die uns die Wechsel des Lebens lehren. Sorgen und Freuden, Wanderschaft und Ruhe, die zeitweiligen Erquickungszeiten und die immer wiederkehrenden Kämpfe, all dies soll uns gewiss machen, dass es ein Ende gibt, das allen den Erdenwechseln die rechte Auslegung geben wird, worauf uns diese alle hinweisen und wozu sie uns bereiten sollen. Der Tisch wird uns hier schon in der Wüste gedeckt: Aber das Beste kommt noch in Gottes Haus. Es ist, als wenn der Sohn eines großen Königs aus fremden Landen in das Reich seines Vaters heimkehrt und auf jedem Haltepunkt seiner Reise nach der Residenz durch herrliche Festlichkeiten und durch Gesandte des Thrones willkommen geheißen wird, bis er endlich das heimatliche Königsschloss betritt, wo er das Reisegewand beiseite legt und sich mit seinem Vater an der königlichen Tafel niedersetzt. Alexander Maclaren 1863.
  Durch alle die reichen Gnadenerweisungen, womit der Herr ihn überschüttet hatte (V. 1-5), kam David zu der Überzeugung, dass Gottes Huld gegen ihn ewig währen werde (V. 6). William Perkins † 1602.


Homiletische Winke

V. 1. Man führe das Bild vom Hirten und den Schafen im Einzelnen aus. (Vergl. Joh. 10,11-16. 27-29) Der Hirt regiert, führt, weidet und beschützt die Schafe. Diese folgen ihm nach, gehorchen seiner Stimme, lieben ihn und vertrauen ihm. Man lege prüfend die Frage vor, ob wir zu den Schafen gehören, und schildere das endliche Los der Böcke, die jetzt noch mit den Schafen zusammen weiden.
V. 1b. Der Glückliche, der für Zeit und Ewigkeit allem Mangel entrückt ist.
V. 2a. Die Ruhe des Glaubens. 1) Sie kommt von Gott: Er lässt mich lagern. 2) Sie ist tief: Er lässt mich lagern. 3) Sie gibt volle Befriedigung: auf saftig grünen Auen. 4) Sie veranlasst zu stetem Lobpreis.
  Die Nährkraft und der Wohlgeschmack des Wortes Gottes. (Auen saftig grünen Grases, Grundtext)
V. 2. Geistliche Nahrung und Erquickung, beides uns vom Herrn in seinem Wort dargeboten.
V. 2b. Vorwärts! Der Führer, der Weg, die Erquickungen des Weges, der Wanderer. (Zu den Erquickungen gehört beides, die Lieblichkeit des Weges und die gute Weide.)
V. 3. Freundliche Erquickung und heilige (darum sichere) Leitung. Der göttliche Beweggrund zu beidem.
V. 3-4. Die selige Stille im gläubigen Herzen (Joh. 14,27). 1) Er erquickt. 2) Er führt a) auf rechter Straße b) um seines Namens willen. 3) Er ist nahe auch im finstern Tal.
V. 4. Gottes Gnadennähe der einzig sichere Halt im Tode.
  Leben im Tode und Licht im Dunkel.
  Die gottselige Ruhe des Gläubigen im Sterben.
V. 4c. Gottes Stecken und Stab, als Zeichen seiner Leitung, der Trost derer, die Gott gehorsam sind.
V. 5. Der gottgewirkte Trutz des Glaubens, die Salbung mit dem Öl der Freuden, die fürstliche Bewirtung.
V. 5c. Zeiten überströmender Gnade und welche Pflichten sie uns auferlegen.
V. 6a. Das Glück des in Gott Zufriedenen.
V. 6. Auf dem Wege und daheim, oder: Himmlische Begleiter und himmlische Wohnungen.

Fußnoten

1. Der bei den Griechen als Sitz der Musen gefeierte Berg.

2. 5. Mose 33,25 übersetzen die englische und andere Bibeln wörtlich. Wie deine Tage, so soll deine Kraft sein. Es hat sich in der englischen Christenheit eingebürgert, diese Worte so zu verstehen: Je nach der Schwere der Erlebnisse und Anforderungen der einzelnen Tage solle auch Kraft gewährt werden. Diese Deutung, die zu dem eisernen Bestand der englischen Christenheit gehört, sickert durch englische Bücher auch in unsere Kreise hinein, so dass mancher schon vergeblich den schönen Spruch in seiner deutschen Bibel gesucht hat. Die Verbreitung des so gedeuteten Spruchs ist gewiss an und für sich kein Schade; er enthält eine köstliche, sicherlich biblisch zu begründende und in der Erfahrung der Gläubigen sich bestätigende Wahrheit, wenn auch kein Schriftwort sie gerade so ausspricht. (Man vergl. etwa Jes. 40,29; 2. Chr. 16,8 f.; Ps. 138,3; 1. Kor. 10,13; 2. Kor. 12,9 f.; Eph. 6,13; Phil. 4,13.) Freilich, wenn das Wort so hieße, wie es Spurgeon wohl ganz unbewusst ändert: "Wie dein Tag (Einzahl), so deine Kraft, dann wäre jene Deutung richtig. Da aber von den Tagen die Rede ist, wird Luthers freie Übersetzung: "Dein Alter sei wie deine Jugend" den Sinn des Grundtextes treffen. Vergl. Kautzschs Übers.: "Und solange du lebest, währe deine Kraft", und Segond: "Et que ta vigueur dura autant que tes jours".

3. So die engl. Bibel. Wir fassen dagegen mit den meisten Übersetzern l(agleich l)e: zu, und übers. tOxnum: ym" nicht: stille Wasser, sondern: Wasser der Ruhe oder des Ausruhens, dann auch der Erholung, an denen die Herde sich zur Tränkzeit traulich lagert und erquickt.

4. Die engl. Bibel fasst nach dem Vorgang des Hieronymus Gerechtigkeit hier im sittlichen Sinn. Ebenso Schiltz-Keßler. Damit würde aber das Bild durchbrochen. Die meisten Ausleger halten es daher mit Luthers Fassung: auf rechter Straße.

5. twemfl:ca bedeutet allerdings nach der Punktation der Masora Todesschatten. So übersetzen denn auch die engl. Bibel und alle alten Übersetzungen. Doch ist es auch dann bildliche Bezeichnung des tiefsten Dunkels, und es ist daher bei diesem Vers nicht ausschließlich ans Sterben zu denken. Die meisten Neueren halten, entgegen der allgemeinen Tradition, dafür, das Wort sei ursprünglich kein Kompositum, sondern = tWml:ca, von Mlacf finster sein, womit Luthers Übersetzung übereinkommt.

6. Spurgeon bezieht dies irrtümlich auf die priesterliche Salbung, gegen den Wortlaut (da dann x$mf stehen müsste), sowie gegen den Zusammenhang. Es ist hier offenbar von der jedem festlichen Mahl im Morgenland vorausgehenden (daher das Perf.) Salbung der Gäste mit wohlriechendem Öl die Rede. Vergl. 45,8; 104,15; Lk. 7,46 usw. Unmissverständlich ist die wenig poetische, aber wortgetreue Übersetzung Luthers 1524: Du machest mein Haupt fett mit Öle.
7. Der Grundtext lautet: Ja, Gutes usw. Andere nehmen das K)a hier in einschränkender Bedeutung: Nur Gutes usw.

8. Es ist fraglich, ob die hebr. Form auf bW$, zurückkehren, oder auf b$ayf, wohnen, zurückzuführen ist. Delitzsch u. Bäthgen fassen den vorliegenden Text als prägnante Konstruktion auf: Und ich werde zurückgekehrt bleiben im Hause u. Andere übersetzen: und mein Wohnen wird sein u.; doch müsste es dann ytIib:$iw: heißen. Schon früh (vergl. Hieron.: et habitabo) sah man in ytIib:$aw: eine Verstümmelung von ytIib:$ayfw:::: und ich werde wohnen u.; und diese Deutung bleibt die Wahrscheinlichste.