Psalmenkommentar von Charles Haddon Spurgeon

PSALM 60 (Auslegung & Kommentar)


Überschrift

Von der Rose des Zeugnisses, Grundtext: Nach "Lilie des Zeugnisses". Wahrscheinlich Angabe der Melodie, nach welcher der Psalm gesungen werden sollte, vielleicht der gleichen, welche bei Ps. 45 noch kürzer bezeichnet ist. Ein gülden Kleinod Davids, zu lehren. David schrieb die Führungen des HERRN nieder, damit die kommenden Geschlechter darin unterwiesen würden. Solch goldene Geheimnisse sollen von den Dächern gepredigt werden. Die Vorgänge, auf welche der Psalm hinweist, waren nicht im Winkel geschehen und sollten darum auch nicht in der Stille begraben werden und der Vergessenheit anheimfallen. Wir aber wollen mit Freuden Schüler der alten Gottesmänner Israels werden. Da er gestritten hatte mit den Syrern zu Mesopotamien und mit den Syrern zu Zoba. Die vereinigten syrischen Stämme suchten Israel zu unterjochen, erlitten aber eine gänzliche Niederlage. Da Joab umkehrte. Während dieser mächtige Feldherr dort im fernen Nordosten kämpfte, benutzten andere Feinde die Gelegenheit, in Israel einzufallen; als Joab aber mit Abisai herbeieilte, mussten jene ihren Übermut teuer bezahlen. Und schlug der Edomiter im Salztal zwölftausend. Nach 2. Samuel 8,13 und der Parallele 1. Chr. 18,12 sind noch mehr gefallen; unsere Stelle hält vielleicht die Erinnerung an einen denkwürdigen Vorgang in jenem Kampfe fest. Schrecklich muss die Schlacht gewesen sein; aber ihr Ergebnis war auch von entscheidender Bedeutung: die Macht des Feindes war völlig gebrochen. Wohl durfte David dem HERRN dafür einen Psalm dichten.

Einteilung. Das Lied besteht aus drei Teilen. Die ersten Verse, 3-5, sind klagend, die mittleren, 6-10, atmen freudige Zuversicht, die Schlussverse, 11-14, sind betender Art.


Auslegung

3. Gott, der du uns verstoßen und zerstreuet hast
und zornig warest, tröste uns wieder.
4. Der du die Erde beweget und zerrissen hast,
heile ihre Brüche, die so zerschellet ist.
5. Denn du hast deinem Volk ein Hartes erzeigt;
du hast uns einen Trunk Weins gegeben, dass wir taumelten.


3. Als Saul König wurde, war Israel sehr heruntergekommen; während seiner Regierung hatte es unter inneren Streitigkeiten zu leiden, und seine Herrschaft endete mit dem entsetzlichen Unglück auf dem Gebirge Gilboa. So hatte David einen wankenden Thron bestiegen; er musste mit zwei Übeln zugleich ringen, mit der Parteiung im Innern und mit feindlichen Einfällen von außen. Er begnügte sich aber nicht damit, die Übelstände in ihren äußeren Erscheinungen zu bekämpfen, sondern ging ihnen nach bis auf den tiefsten Grund und griff sie an der Wurzel an. Seine Politik war die der Frömmigkeit, und diese hat sich stets als die klügste und tiefblickendste bewiesen. Er wusste, dass das Missfallen Gottes das Unglück über sein Volk gebracht hatte, und machte sich mit Eifer und ernstem Gebet daran, den göttlichen Unwillen abzuwenden. Gott, der du uns verstoßen hast. Du hast uns von deinem Angesicht getan, wie man etwas Garstiges und Schädliches auf die Seite stößt, hast uns wie gemeines Gesindel behandelt, das man mit Verachtung meidet, hast uns dem Verderben preisgegeben, wie man nutzlose tote Äste von dem Baume absägt, da sie ihn nur verunstalten. Von Gott verstoßen zu werden ist das größte Unglück, das einem Einzelnen oder einem Volke widerfahren kann; das Schlimmste aber ist, wenn der Betreffende es selbst nicht merkt oder dagegen gleichgültig ist. Wirkt solch herbe Züchtigung hingegen Trauer und Reue, so lässt auch Gott sich des Übels reuen und verkürzt es. Wenn eine verstoßene Seele nach ihrem Gott seufzt, so ist sie in Wahrheit überhaupt nicht eigentlich verworfen. Und zerstreuet. David erkennt die Folgen des göttlichen Zorns sehr wohl; dass die tapferen Krieger hatten fliehen müssen, dass des Volkes Macht gebrochen und Israel innerlich so zersplittert war - in dem allen sieht er die Hand Gottes. Wer auch das Werkzeug gewesen sein mochte, das diese Unglücksfälle über sie hereingeführt hatte, er erkennt die Hand des HERRN als die erste bewegende Ursache und fleht darum zu Gott. Warum gleicht Israel einer Stadt, in deren Mauern eine Bresche geschossen ist? Weil Gott über sein Volk zornig ist. Wir werden diese ersten beiden Verse ohne Zweifel richtig auffassen, wenn wir sagen, dass das in ihnen ausgesprochene demütigende Bekenntnis wesentlich dazu gedient habe, in David den Glauben zu stärken, der in den folgenden Versen so triumphierend zum Ausdruck kommt, nachdem Gott sich wieder in Gnaden seinem Volke zugewandt hatte. Und zornig warest. Dies ist das Geheimnis unseres mannigfachen Elends. Hätten wir dir wohlgefallen, so hättest du uns wohlgetan; weil wir aber dir entgegenwandelten, so wandtest du dich auch gegen uns. Tröste uns wieder.1 Vergib uns unsre Sünde und lass uns wieder dein Angesicht leuchten! Kehre uns zu dir, kehre dich zu uns! Früher waren deine Augen freundlich auf dein Volk gerichtet; lass es dir gefallen, wieder in Gnade und Huld auf uns zu blicken! Notwendiger als die Tapferkeit des jüdischen Heeres und die strategische Weisheit seines Anführers Joab war, dass Gott sich wieder seinem Volke zuwende. Gottes Huld ist eine bessere Hilfe als starke Bataillone, und Gottes Zorn ist schrecklicher als alle Edomiter, die je ins Salztal zogen, schrecklicher als alle Teufel, welche je die Gemeinde Gottes bedrängt haben. Wenn der HERR sich zu uns hält, was kümmern wir uns dann um die Syrer von Mesopotamien und die Syrer von Zoba, was um Tod und Hölle? Entzieht er uns aber seine Gegenwart, so zittern wir vor fallendem Laub.

4. Der du die Erde2 beweget (erschüttert) hast. Die Zustände waren so unsicher geworden, als ob der Erdboden wankte. Nichts stand mehr fest. Die Priester waren von Saul ermordet worden, die schlechtesten Leute hatten die höchsten Ämter inne, die kriegerische Kraft des Volkes war durch die Philister gebrochen und die bürgerliche Autorität durch Aufruhr und Bürgerkrieg erschüttert. Und zerrissen hast. Bei starkem Erdbeben kracht die Erde und bekommt klaffende Risse; ebenso war das Reich zerrissen durch Zwietracht und Unglück. Heile ihre Brüche, wie man die gefährlichen Risse ausmauert, die ein Gebäude beim Erdbeben bekommen hat. Die so zerschellet ist, Grundtext: denn sie schwankt. Das Reich wankt, als ob es dem Fall nahe wäre. Wenn es nicht bald gestützt und ausgebessert wird, muss es völlig in Verfall geraten. Israel war so weit herabgekommen, dass nur Gottes Dazwischentreten es vor vollständigem Untergang bewahren konnte. - Wie oft haben wir auch Gemeinden in solchem Zustand gesehen, und wie passend ist in solchen Fällen das vorliegende Gebet, welches Gott die äußerste Not als Beweggrund zum Helfen vorhält. Das gleiche mag zuzeiten von unserm persönlichen inneren Leben gesagt werden können; dieses wird manchmal so tief erschüttert, dass es, wie ein Gebäude nach heftigem Erdbeben, nahe daran ist, krachend zusammenzubrechen; niemand anders als der HERR selbst kann seine Brüche heilen und uns vor dem Äußersten bewahren.

5. Denn du hast deinem Volk ein Hartes erzeigt. Nöte aller Art waren über sie hereingebrochen, und der Psalmist geht diesen schweren Verhängnissen bis zu ihrem Ursprung nach. Nichts war ein Werk des Zufalls, sondern alles war nach göttlichem Plan und mit guter Absicht so geleitet worden; trotz alledem aber war es Israel hart angekommen. Dabei erhebt jedoch der Psalmist ausdrücklich darauf Anspruch, dass sie noch immer des HERRN Volk seien, obwohl er V. 3 gesagt hatte: "Du hast uns verstoßen." Wenn wir am Klagen sind, sprechen wir meist verwirrt, und der Glaube widerspricht dann oft sehr bald den Verzweiflungsausbrüchen der Natur. Du hast uns einen Trunk Weins gegeben, dass wir taumelten. Unsere Trübsale haben uns so zugesetzt, dass es uns geht wie manchen Leuten mit recht starkem Wein. Wir sind verwirrt und betäubt, machen unsichere Tritte, taumeln hin und her und straucheln, um demnächst zu fallen. Der große Arzt gibt seinen Patienten kräftige Tränklein, um sie von ihren vielen tiefen Schäden zu heilen. Auffallende Übel ziehen auch auffallende Folgen nach sich. Die Trauben aus dem Weinberg der Sünde liefern einen Wein, vor dem auch den verhärtetsten Sündern graut, wenn Gott sie in seiner Gerechtigkeit zwingt, den Becher auszutrinken. Gibt es doch ein Feuerwasser der Seelenangst, das auch für die Gerechten zu einem Taumeltrank wird, der sie mit schrecklicher Sorge und wahrer Todesangst erfüllt. Wenn wir uns an den Kummer gewöhnen müssen als an den täglichen Trank, wenn er an die Stelle unserer Freuden tritt und unser einziges Labsal wird, dann sind wir in der Tat in trauriger Lage.


6. Du hast aber doch ein Panier gegeben denen, die dich fürchten,
welches sie aufwarfen, und sie sicher machte. Sela.
7. Auf dass deine Lieben erledigt werden,
hilf mit deiner Rechten und erhöre uns.
8. Gott redete in seinem Heiligtum,
des bin ich froh und will teilen Sichem und abmessen das Tal Sukkoth.
9. Gilead ist mein, mein ist Manasse;
Ephraim ist die Macht meines Haupts, Juda ist mein Zepter.
10. Moab ist mein Waschbecken,
meinen Schuh strecke ich über Edom, Philistäa jauchzet mir zu.


6. Hier wechselt die Tonart. Der HERR hat seine Knechte wieder zu sich gerufen, hat sie aufs Neue in Pflicht und Dienst genommen und mit einem Banner belehnt, das sie in seinen Kriegen tragen sollen. Du hast ein Panier gegeben denen, die dich fürchten. (Grundtext) In Not und Elend hatten sie wieder Gott fürchten gelernt und waren dadurch für seine Gnade empfänglich geworden; so gab er ihnen ein Feldzeichen als Sammelpunkt für ihre Heere als Zeichen, dass Er sie in den Kampf gesandt, und als Gewähr des Sieges. In der Regel werden die Tapfersten mit der Fahne betraut, und sicher haben die, welche Gott fürchten, weniger Menschenfurcht als sonst irgendjemand. Uns hat der HERR das Panier des Evangeliums gegeben; wir wollen es unser Leben lang emporhalten und, wenn es sein muss, über seiner Verteidigung sterben. Unser Recht, für Gottes Sache zu kämpfen und mit gutem Grund auf Erfolg zu warten, ruht darauf, dass der HERR selbst das Panier des Glaubens ein für allemal seinen Heiligen übergeben hat. Es zu erheben um der Wahrheit willen. (Andere Übers.3 Die Fahnen sind für Wind, Sonnenschein und Schlachtgewühl bestimmt; solange sie zusammengerollt in der Ecke stehen, stiften sie keinen Nutzen. Israel durfte mutig auftreten, denn ein heiliges Banner ward hoch vor ihm her getragen. Das Evangelium auszubreiten ist heilige Pflicht, sich desselben zu schämen eine Todsünde. Für den Triumph von Davids Heer hatte Gott sein Wort verpfändet, der Sieg war ihm verheißen. So dürfen auch wir in der Verkündigung des Evangeliums keine Zurückhaltung, kein Zaudern aufkommen lassen; denn so gewiss Gott wahrhaftig ist, wird er seinem eigenen Wort Erfolg geben. Um der Wahrheit willen und weil der allein wahre Gott auf unserer Seite ist, wollen wir in den Kämpfen unserer Tage Davids Kriegern nacheifern, unser Banner mit freudigem Vertrauen entfalten und im Winde flattern lassen. Dunkle Anzeichen gegenwärtiger oder kommender Übel sollen uns nicht entmutigen. Wenn Gott die Absicht hätte, uns zu verderben, so würde er uns nicht das Evangelium gegeben haben. Da er in Jesus Christus sich selbst uns geoffenbart hat, ist uns der Sieg verbürgt. Magna est veritas et praevalebit. Sela. In der Tatsache, dass den Heeren Israels ein göttliches Panier gegeben ist, liegt so viel Hoffnung und Verpflichtung, dass hier passend eine Pause eingefügt ist. Der Inhalt rechtfertigt sie und die freudig aufrauschende Musik fordert sie.

7. Auf dass deine Lieben erledigt werden. David war des HERRN Liebling; schon sein Name weist darauf hin, denn David heißt Geliebter. Nach der Wahl der Gnade gab es in Israel einen heiligen Rest solcher Geliebten Gottes; um ihretwillen wirkte der HERR große Wunder, ja bei allen seinen mächtigen Taten war sein Blick auf sie gerichtet. Gottes Geliebte sind der verborgene Same, um derentwillen er die ganze Nation bewahrte, welche diesem Träger des Lebenskeims nur als Hülse diente. Der Hauptzweck der Vorsehung ist: "dass deine Lieben erledigt werden"; wäre es nicht um ihretwillen, so würde Gott weder ein Panier verleihen, noch demselben Sieg geben. Hilf mit deiner Rechten und erhöre uns. Hilf sogleich, ehe mein4 Gebet zu Ende ist; wir sind hoffnungslos verloren, wenn du nicht sofort eingreifst. Darum warte nicht, bis ich mit meinen Bitten zu Ende bin; hilf zuerst und höre mich dann in Gnaden weiter an. Unsere Erlösung muss hervorragender, wahrhaft königlicher Art sein, wie sie nur die Allmacht Gottes, verbunden mit seiner erhabenen Weisheit, bewirken kann. Drückende Not treibt die Menschen zu kühnen und dringenden Bitten, wie wir hier sehen. Im Glauben dürfen wir bitten und erwarten, dass, wenn wir gar zu Ende sind, Gott anhebt; unsre Verlegenheiten sind Gottes Gelegenheiten. Gottes Hand kann noch mit außergewöhnlichen und denkwürdigen Erlösungstaten eingreifen, wenn das Schlimmste schon über uns hereinbricht. Hier bittet einer für viele, ähnlich wie unser Herr Jesus für die Seinen eintritt. Er, der rechte David, d. i. der Liebling Gottes, bittet für die übrigen Geliebten, die geliebt und angenehm gemacht sind in ihm, dem Erstgeliebten. Ihn verlangt so ernstlich nach Hilfe, als ob er für sich selbst bäte; sein Blick geht aber immer auf alle diejenigen, welche mit ihm der Liebe des Vaters teilhaftig sind. Wenn zur Rettung der Auserwählten das Dazwischentreten Gottes nötig wird, so muss und wird er eingreifen; denn die Ehre Gottes und das Heil seiner Erwählten sind der Hauptzweck der Vorsehung. Dies ist eine feststehende Bestimmung, der Hauptpunkt des unveränderlichen Vorsatzes, der innerste Gedanke des unwandelbaren Jehova.

8. Gott redete in seinem Heiligtum, oder nach anderer Auffassung: Gott hat geredet (geschworen, 89,36) bei seiner Heiligkeit. Nie ist der Glaube so wohlgemut, als wenn er sich auf Gottes Verheißung berufen kann. Er hält diese allen Entmutigungen gegenüber fest. Mögen die äußeren Umstände auch eine andere Sprache reden, die Stimme des treuen Gottes bringt alle Angst und Furcht zum Schweigen. Gott hatte Israel den Sieg und David den Thron verheißen, und seine Heiligkeit verbürgte die Erfüllung der Bundespflichten, die Gott sich selbst auferlegt hatte. Deshalb redet der König voller Zuversicht. Das gute Land war durch die Abraham gegebene Verheißung den Stämmen Israels zugesichert worden, und dieses göttliche Gnadengeschenk war für den Glauben eine mehr als genügende Bürgschaft dafür, dass Israels Waffen in den Schlachten siegreich sein würden. Gläubiger Christ, mach denn auch du guten Gebrauch von Gottes Zusagen und verbanne alle Zweifel, wo dir noch Verheißungen gelten. Des bin ich froh, oder: Ich will frohlocken. Der Glaube betrachtet die Verheißung nicht als Einbildung, sondern als eine Tatsache, die ihm Freuden zu genießen gibt und mit der er den Sieg ergreift. "Gott hat geredet, des bin ich froh": das ist fürwahr ein gutes Losungswort für jeden Streiter Jesu Christi. Und will teilen Sichem. Als Sieger wollte David das eroberte Gebiet an die austeilen, denen Gott es durchs Los gegeben hatte. Sichem war ein wichtiger Teil des Landes, war ihm aber bisher noch nicht untergeben. [?] Er glaubte aber, dass es mit Jehovas Hilfe sein werden würde und daher in Wahrheit schon sein Eigentum sei. Der Glaube teilt im Voraus die Beute aus; er ist dessen so gewiss, was Gott zugesagt hat, dass er sofort darüber verfügt. Und abmessen das Tal Sukkoth. Wie der Westen soll auch der Osten (es ist das im Ostjordanland gelegene Sukkoth gemeint, vergl. 1. Mose 33,17; Richter 8,4 ff.) an die rechtmäßigen Eigentümer ausgeteilt werden. Die Feinde sollen vertrieben und die Marksteine friedlicher Eigentumsverhältnisse gesetzt werden. Wo Jakob sein Zelt aufgeschlagen hatte (vergl. 1. Mose 33,17 f.), da sollten seine Erben den Boden bebauen. Wenn der HERR sein göttliches "Soll" gesprochen hat, ist unser "Ich will" kein eitles Rühmen, sondern die rechte Antwort auf seinen Befehl. Auf, du gläubige Seele, nimm Besitz von den Bundesgnaden, teile Sichem und miss ab das Tal Sukkoth. Lass keine Kanaaniter, keine Zweifel und falschgesetzlichen Bedenken dich vom Erbteil der Gnade ausschließen. Bring dein Leben auf die Höhe deiner Vorrechte und nimm das Gute in Besitz, das Gott für dich bereitet hat!

9. Gilead ist mein, mein ist Manasse. Er erhebt Anspruch auf das ganze Land zufolge der göttlichen Verheißung. Hier führt er zwei andere große Teile des Landes an; es bereitet ihm offenbar Vergnügen, das gute Land zu überschauen, das der HERR ihm gegeben hat. Alles ist unser, sei es Gegenwärtiges oder Zukünftiges. Es ist kein kleines Erbteil, das dem Gläubigen gehört; deshalb soll er auch nicht gering davon denken. Kein Feind soll imstande sein, dem wahren Glauben das vorzuenthalten, was Gott ihm gegeben hat; denn die Gnade stärkt ihn, es vom Feind zu erkämpfen. Das Leben ist mein, der Tod ist mein, denn Christus ist mein. Ephraim ist die Macht (die Schutzwehr, der Helm) meines Haupts. Die ganze Heeresmacht dieses tapferen Stammes stand unter seinem Oberbefehl; dafür preist David den HERRN. Gott will zur Erfüllung seiner Zwecke alle Tapferkeit der Menschen seinem Willen dienstbar machen. Seine Gemeinde kann ausrufen: Aller Heere Helden sind mein. Gott wird alles, was Menschen unternehmen, überwachen und zur Förderung seiner Sache dienen lassen. Juda ist mein Zepter. Wie Ephraim den Mittelpunkt seiner militärischen Machtstellung bildete, so Juda das Muster der bürgerlichen Ordnung. Da der König diesem Stamm angehörte, gab er seine Gesetze aus dessen Mitte. Wir kennen in geistlichen Dingen kein anderes Zepter als das des Königs aus dem Stamme Juda. Allen Ansprüchen, die Rom oder Oxford5 oder menschliche Konzilien erheben, schenken wir keine Beachtung. Wir sind frei von jedem andern geistlichen Zepter, außer dem Zepter Christi; aber mit Freuden leisten wir dem Stab des Herrschers Gehorsam, der aus Juda hervorgegangen ist (1. Mose 49,10).

10. Nachdem er mit Befriedigung im eigenen Lande Umschau gehalten, blickt der Heldenkönig nun mit Jauchzen über Israels Grenzen hinaus. Moab, in früheren Zeiten ein so unangenehmer Nachbar, ist jetzt mein Waschbecken, die Schüssel, in welche das Wasser fällt, wenn es aus einem Krug über meine Füße gegossen wird - nichts als ein Gefäß für das schmutzige Wasser, in dem ich meine Füße gewaschen habe. Einst verführte es Israel nach dem Rat Bileams, des Sohnes Beors; künftig soll es nicht mehr imstande sein, solche Gemeinheit zu verüben: es wird nur noch ein Waschbecken sein für diejenigen, welche es früher zu beschmutzen suchte. Indem wir an den Gottlosen sehen, welches Elend Frucht und Strafe der Sünde ist, müssen sie den Heiligen zu ihrer Reinigung beitragen. Das geschieht freilich ganz wider ihren Willen und ist auch gegen die natürliche Ordnung der Dinge; aber der Glaube findet Honig im Löwen, und ihm muss das schmutzige Moab als Waschbecken Dienst leisten. In der ganzen Art, wie David von Israels Feinden redet, tritt uns eine vornehme Geringschätzung dieser entgegen, die nicht aus dem Hochmut, sondern aus der Siegesgewissheit des Glaubens hervorgeht und der rechten Nachahmung wert ist. Meinen Schuh werfe ich auf Edom. (Grundtext) Er wollte die Herrschaft über die hochmütigen Nachkommen Esaus so leicht erlangen wie man seinen Schuh vom Fuß schleudert. Vielleicht bedeutete das Werfen des Schuhes, wie im Mittelalter das Hinwerfen des Handschuhs, eine Herausforderung an sie, ob sie es versuchen wollten, ihm seine Herrschaft streitig zu machen. Er brauchte nicht einmal sein Schwert zu ziehen, um seinen jetzt gelähmten und verzweifelnden Widersacher zu schlagen; denn wenn dieser es wagen wollte sich aufzulehnen, brauchte er nur seinen Pantoffel nach ihm zu werfen, um ihn zum Zittern zu bringen.6 Wir werden leicht Sieger, wenn uns die Allmacht anführt. Die Tage werden kommen, wo die Gemeinde Christi mit der gleichen Leichtigkeit China und Afrika dem Zepter des Sohnes Davids untertan machen wird. So kann auch der einzelne Gläubige durch den Glauben über alle Schwierigkeiten triumphieren und herrschen mit dem, der uns Gott zu Königen und Priestern gemacht hat. "Sie haben ihn überwunden durch das Blut des Lammes", das soll einst noch von allen gesagt werden, welche auf Jesu Macht vertrauen. Philistäa jauchzet mir zu.7 Es ist mir so unterworfen, dass es meinen Siegen über andere Feinde zujauchzt. Nach dem Grundtext sind die Worte aber wohl eher eine höhnische Herausforderung: Philistäa, jauchze über mich - wenn du kannst! O stolzes Philistäa, wo ist dein Prahlen? Wo sind nun deine hochmütigen Blicke, wo die stolzen Eroberungen, die du plantest? In gleicher Weise können wir dem letzten Feind trotzen: "Tod, wo ist dein Stachel? Grab, wo ist dein Sieg?" So völlig hoffnungslos steht die Sache des Feindes, wenn der HERR zur Schlacht auszieht, dass auch die geringe Tochter Zion ihr Haupt über den Feind schütteln und ihn verlachen kann. O wie köstlich ist solches Rühmen des Glaubens! Es ist kein Körnlein eiteln Ruhms dabei. Wenn der HERR uns eine Verheißung gibt, wollen wir nicht träge sein, uns ihrer zu freuen und zu rühmen.


11. Wer will mich führen in eine feste Stadt?
Wer geleitet mich bis nach Edom?
12. Wirst Du es nicht tun, Gott, der du uns verstößest
und zeuchst nicht aus, Gott, mit unserm Heer?
13. Schaff uns Beistand in der Not;
denn Menschenhilfe ist nichts nütze.
14. Mit Gott wollen wir Taten tun.
Er wird unsre Feinde untertreten.


11. Die Festungen im Innern Edoms waren bis dahin noch nicht unterworfen. Die eindringenden edomitischen Horden waren im Salztal geschlagen worden; David beabsichtigte aber, seinen Eroberungszug bis nach Sela oder Petra, der für unbezwingbar geltenden Felsenstadt, fortzusetzen. (Vergl. 2. Könige 14,7.) Wer will mich führen in eine feste Stadt? Petra war ganz und gar unzugänglich; daher die Frage Davids. Wenn wir große Erfolge gehabt haben, muss uns das zu größeren Anstrengungen ermutigen, darf uns aber durchaus nicht zum Selbstvertrauen verleiten. Am Ende eines Feldzugs müssen wir genau so zu dem Starken um Hilfe aufschauen wie am Anfang desselben. Wer geleitet8 mich bis nach Edom? Hoch oben, den Sternen nahe, stand die Felsenstadt; Gott aber war imstande, seinen Knecht dorthin zu geleiten. Keine Hohen der Gnade sind zu hoch für uns, wenn der HERR uns führt; hüten müssen wir uns jedoch vor hohen Dingen, die wir im Selbstvertrauen unternehmen! Excelsior ist ein trefflicher Wahlspruch; wir müssen aber zu dem Höchsten aufblicken, dass Er uns dahin bringe. Joab konnte seinen König nicht nach Edom führen. Die Veteranen der Schlacht im Salztal konnten den Durchgang durch den Engpass nicht erzwingen; dennoch sollte er versucht werden, und David blickte zum HERRN um Hilfe. Es sind noch heidnische Nationen da, die dem Kreuze untertan werden sollen; die Siebenhügelstadt muss noch das Evangelium hören, das Wort vom Kreuz auch in den Ländern Mohammeds erschallen. Wer wird der Gemeinde Christi die Macht dazu verleihen? Die Antwort brauchen wir nicht fern zu suchen.

12. Wirst Du es nicht tun, Gott, der du uns verstößest?9 Ja, der Gott, der uns gezüchtigt hat, ist unsre einzige Hoffnung. Er hat uns noch immer lieb. Auf einen kleinen Augenblick nur hat er uns verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit sammelt er sein Volk. Seine Hand ist mächtig, zu verwunden, aber auch mächtig, zu heilen. Indem er uns erfahren ließ, was für arme Geschöpfe wir ohne ihn sind, zeigte er uns, wie notwendig wir ihn brauchen; nun will er uns auch seine Hilfe in herrlicher Weise offenbaren, indem er große Unternehmungen zu einem glorreichen Ende führt. Und zeuchst nicht aus, Gott, mit unserm Heer? Eben an dich, o Gott, klammert sich unser Glaube. Ob du uns auch schlägst, so trauen wir doch auf dich und schauen nach deiner gnadenreichen Hilfe aus.

13. Schaff uns Beistand in der Not.10 Hilf uns in all unserm Unglück, dass wir über den Bürgerkrieg und die fremden Einfälle Herr werden; bewahre uns vor ferneren Überfällen äußerer Feinde und verhindere du neue Parteiungen innerhalb unserer Grenzen. Verleihe uns dazu deinen Beistand; denn Menschenhilfe ist nichts nütze. Wir haben es aufs schmerzlichste erfahren müssen, wie völlig verlassen der ist, der auf Heere, Könige oder Völker seine Zuversicht setzt und nicht auf dich. Unsere in den Kot getretenen Fahnen haben uns gezeigt, wie schwach wir ohne dich sind; aber jenes Banner, das uns jetzt hoch in den Lüften voranzieht, soll Zeuge unsrer Tapferkeit werden, nun du uns zu Hilfe gekommen bist. Wie gut passt dieser Vers zu den Erfahrungen des vielgeprüften Volkes Gottes!

14. Mit Gott wollen wir Taten tun. Von Gott kommt alle Kraft, und jedes Gelingen ist sein Werk; dennoch haben wir, als Soldaten des großen Königs, zu kämpfen, ja tapfer zu kämpfen. Gottes Wirken ist kein Freibrief für die menschliche Trägheit, vielmehr der beste Ansporn zu mutiger und energischer Arbeit. Ist uns in der Vergangenheit geholfen worden, so wird uns auch künftig Hilfe zuteilwerden. In dieser Überzeugung wollen wir entschieden unseren Mann stehen! Er wird unsre Feinde untertreten. Von ihm kommt die Kraft, sein sei die Ehre! Wie die Ochsen das Stroh auf der Tenne unter ihren Füßen zerstampfen, so wollen wir unsre Feinde zertreten; es wird aber eigentlich sein Fuß sein, der sie niederhält. Christen haben allen Grund, einen solchen mutigen Entschluss zu fassen, wie den in der ersten Hälfte dieses Verses: Wir wollen Taten tun. Wir wollen uns unsrer Farben nicht schämen aus Furcht vor unseren Feinden oder aus Angst für unsre Sache. Der HERR ist mit uns, seine Allmacht stützt uns, und wir wollen nicht zaudern; wir dürfen keine Feiglinge sein. O dass unser König, der wahre David, bald komme, die Erde ihm untertan zu machen; denn des HERRN ist das Königreich, und er ist Gebieter unter den Völkern.


Erläuterungen und Kernworte

Zur Überschrift. Die Vergleichung mit dem Inhalt des Psalms macht Schwierigkeiten. Nach dieser Einleitung erwarten wir freudigen Dank für geschenkten Sieg; David bricht aber zunächst in Jammer und bittere Klagen aus und fängt erst V. 5 an, zuversichtlicher und froher zu werden. Die beste Erklärung dieses scheinbaren Widerspruchs ist wohl, dass der Verfasser sich nicht auf die Ereignisse beschränkt, welche die Überschrift namhaft macht, vielmehr einen größeren Zeitraum ins Auge fasst und von dem traurigen Zustand ausgeht, worin sich Israel viele Jahre befunden hatte. Am Ende der Regierung Sauls erlangten die Philister mehr und mehr die Übermacht über Saul und vernichteten ihn schließlich mitsamt seinem Heer. Die Bürgerkriege zwischen dem Hause Sauls und den Anhängern Davids hielten dann das Land lange in Aufregung. Die umliegenden Völker aber waren den Juden von jeher feind und ergriffen jede Gelegenheit, ihnen Schaden zuzufügen. Als es aber David gelungen war, das ganze Volk unter seiner Herrschaft zu vereinigen, machte er sich daran, jene Angriffe der Philister, Edomiter, Moabiter und Syrer zu rächen, und es gefiel Gott, seine Unternehmungen mit Erfolg zu krönen. Alles dies scheint David nun in diesem Psalm zusammengefasst zu haben. William Walford 1837.
  Zu lehren: nämlich nicht sowohl ein Lehrpsalm, dem Inhalt nach, als der fleißigen Einschärfung nach, dass er nicht vergessen werde. Die Gelegenheit ist hier ausgedrückt. Friedr. Chr. Oetinger 1775.
  Da er gestritten hatte. Den Anlass zu diesem Krieg gab die Schändung von Gesandten Davids durch Hanun, den König der Ammoniter. (Vergl. 2. Samuel 10) Hanun erhielt zur Verstärkung seines Heeres Söldner von Syrien. Der Sieg Joabs und Abisais, der Feldherren Davids, über die Ammoniter und ihre syrischen Hilfstruppen veranlasste ein Bündnis aller Stämme zwischen Jordan und Euphrat gegen David. Dieser marschierte aber ohne Furcht gegen sie, besiegte alle Feinde und machte sich so zum Herrn über die aramäischen Königreiche von Damaskus, Zoba und Hamath, unterwarf auch die östlichen Edomiter. Diese erlitten im Salztal ihre endgültige Niederlage. Lenormant und Chevallier 1869.
  Das Salztal kann nicht wohl ein anderes gewesen sein, als das an den Salzberg (den ganz aus Steinsalz bestehenden Dschebel Usdum) anstoßende G’hor, südlich von dem Toten Meer, welches in der Tat die alten Gebiete von Juda und Edom trennt. Edward Robinson † 1864.


V. 4. Heile ihre Brüche. Das äußere Israel, das Reich Davids, hatte solche Brüche; so mag es auch mit dem geistlichen Israel, dem Reiche Christi, der Kirche Gottes auf Erden, sein. Brüche von außen und von innen, offene Verfolgungen, innere Spaltungen. Unter beiden hat die Kirche aller Zeiten zu leiden. Blicken wir nur auf die ersten Zeiten, während der Jugendzeit der Gemeinde, wo sie ja noch am gesundesten war und sich einer größeren Einigkeit erfreute als je nachher; und doch, wie wurde sie schon damals nicht nur von äußeren Verfolgungen, sondern auch von inneren Spaltungen erschüttert! John Brinsley † 1665.


V. 5. Du hast deinem Volk ein Hartes erzeigt usw. Wie wunderlich und hart hat Gott von Zeit zu Zeit mit den Menschenkindern, auch mit seinem Volk, umgehen müssen wegen ihres harten Unglaubens und Ungehorsams! Wie waren der Zeiten der Erquickung immer so wenige gegen die Zeiten der Heimsuchung durch innerlichen und äußerlichen Druck! Was hat es denen, die den HERRN fürchten, für manchen Kampf verursachen müssen! Wie treu aber ist Gott, dass er ihnen zum Besten immer etwas zu ihrem Halt aufgeworfen, daraus sie merken konnten, Gott habe seinen Bund nicht verlassen, noch geändert, was aus seinem Munde gegangen, sondern werde es nach diesen gerichtlichen Umwegen wieder aufs Geleise der Gnade hinüberlenken. Karl Heinrich Rieger † 1791.
  Gott wird sicherlich seinen eigenen Acker pflügen, was immer aus der Wüste werde, und seinen eigenen Garten jäten, wenn er auch die übrige Welt verwildern ließe. John Trapp † 1669.
  Du hast uns Taumel trinken lassen als Wein, d. h. wie man Wein trinkt. So erklärt Hupfeld den Satzbau mit Hinweisung auf Ps. 80,6: "Du hast sie als Brot Weinen essen lassen," und 1. Könige 22,27: "Gebt ihm als Brot Drangsal und als Wasser Drangsal zu genießen", und ähnliche Stellen. Allein die Beifügung kann auch anders erklärt werden, so dass das zweite Hauptwort das erste näher bestimmt: Du hast uns Wein zu trinken gegeben, welcher (nicht Wein, sondern) Betörung ist. J. J. Stewart Perowne 1864.
  Einen verwandten Gedanken drückt das Sprichwort aus: Quem Deus perdere vult, eum dementat - wen Gott verderben will, dem nimmt er die Besinnung. Prof. Franz Delitzsch † 1890.
  Wenn ein Mensch ohne alle Gottesfurcht, ohne Demut, ohne Gebet, aus lauter Hoffart, Übermut, Ehrgeiz etwas vornimmt, so ist ihm ein solcher Übermut und starke Einbildung eigener Weisheit wie ein starker Wein, der sein Gemüt überwindet, dass er gleichsam davon trunken wird und tollet immer fort, hat eitel Recht in seinem Kopfe, wie die Trunkenen, bis die Strafe kommt. Dann bedenken sie erst, wie unweislich und töricht sie getan haben. Johann Arnd † 1621.


V. 6. Solange die Krieger ihre Fahne flattern sehen, scharen sie sich mutig darum. Wenn sie aber zu Boden fällt oder in die Hände des Feindes gerät, sinkt ihr Mut und ihre Hoffnung. Ein Panier, das schon in vielen Schlachten siegreich getragen worden ist, flößt den Kriegern Zuversicht und ein Gefühl der Sicherheit ein und ist im Gewühl der Schlacht ein Sammelpunkt für alle, die unter demselben fechten. A. R. Fausset 1866.
  Das Panier ist erstens Zeichen und Mittel der Vereinigung. Dein Volk, das noch kürzlich in verschiedene Fähnlein zerteilt war, hast du nun zu einem großen Heerbann unter meiner Führung vereinigt. Zweiteils ist es Zeichen des Kampfes. Du hast uns eine Heeresmacht gegeben, unseren Feinden entgegenzutreten. Drittens ist es Zeichen des Sieges. Wir haben unser Banner nicht verloren, vielmehr dasjenige unsrer Feinde erobert und im Triumph heimgebracht. (Vergl. Ps. 20, 6.) Mt. Polus † 1679.
  Das "Zeichen" (wie Luther übersetzt) ist im neuen Testament Christus Jesus, unser Herr, und unser Glaube an ihn. Streiten wir unter diesem Fähnlein, so haben wir den Sieg. Johann Arnd † 1621.


V. 7. Deine Lieben. Im Hebräischen steht ein Wort, das einen Besonders- oder Innig-Geliebten meint und eine ungemeine Zärtlichkeit in der Liebe ausdrückt. Solche zärtliche Liebe trug Gott gegen dem jüdischen Volk 5. Mose 4,37; 7,7.8; 10,15; vergl. Ps. 147,19.20. Johann David Frisch 1719.


V. 8. Die ersten Worte bedeuten entweder: Gott gab sein Wort vom himmlischen Heiligtum, der Stätte seiner Heiligkeit und Herrlichkeit, oder: Er hat es gesprochen in seiner Heiligkeit, also gewiss und wahrhaftig zugesagt, in seinem Wort ist nichts als Heiligkeit (und Heiligkeit ist ja die wahre Kraft der Worte). Nachdem dem David dieses Verheißungswort geworden ist, glaubt er zuversichtlich, dass sich ihm, gerade wie ihm Sichem, Sukkoth, Gilead, Manasse, Ephraim und Juda willig Gehorsam leisteten, so auch Moab, Edom und Philistäa, seine geschworenen Feinde, unterwerfen würden. Er erwartet, dass er sie besiegen und als Sklaven zu den geringsten Diensten verwenden werde. Weil Gott es geboten hat, sagt er, wird es geschehen, ja ist es schon geschehen! Joseph Caryl † 1673.
  O dass wir doch die Klugheit lernten, nach Gott zu fragen oder Gottes Tun herauszusuchen aus so vielem Schutt menschlicher Umstände, die Gottes Hand verdecken und das Vertrauen auf fleischlichen Arm leiten wollen. Gott so fragen, wie David in allen Umständen getan, und auf dessen Reden im Heiligtum merken, würde einen dazu fördern. Je weniger einer Wort Gottes in sich wohnend hat, je mehr wird er noch in Furcht oder Vertrauen von menschlichem Geschwätz umgetrieben. Wie hängt das Herz in Kriegszeiten oft mehr in Zeitungsblättern als an dem, was Gott im Heiligtum redet! Karl Heinrich Rieger † 1791.


V. 9. Gilead ist mein, mein ist Manasse. Das heißt, ich will über sie herrschen, nicht wie ein Eroberer über Leibeigene, sondern als milder König und Vater. Sie sind mein Volk und Erbe. John Brinsley † 1665.
  Ephraim ist die Macht, d.h. wohl der Helm, meines Hauptes. Dieser starke und kriegerische Stamm war für den israelitischen Staat was der Helm für den Soldaten. Vielleicht liegt aber in dem Ausdruck auch eine Hinweisung auf 5. Mose 33,17. Die Hörner, die Macht des Hauptes, sind das Organ der Kraft. J. J. Stewart Perowne 1864.
  Juda ist mein Zepter. Der Herrscherstab ist das Sinnbild des Gesetzgebers. Alle seine Untertanen sollten unter ein Haupt gebracht werden, das ihnen Gesetze gebe. Dem Stamme Juda ist durch die Reichsgrundgesetze Israels, nämlich durch die von Gott gegebenen Weissagungen seiner Väter und Begründer, des Jakob 1. Mose 49,10 und Mose 5. Mose 33,7, Zepter und Regentschaft zugeteilt. (Zweimal in der Richterzeit bekam Juda durch göttlichen Auftrag die Führung; der erste Richter gehörte diesem Stamm an.) Indem nun Juda zuerst David als sein Haupt anerkannte, übertrug es seine Stammesvorrechte über das ganze Volk auf den aus ihm hervorgegangenen König. - Christus, der Löwe aus dem Stamm Juda, ist der Gesetzgeber seiner Gemeinde, und nur indem die Glieder unter ein Haupt gebracht werden können sie auch einen Leib bilden. Das ist das einzige Mittel, eine heilige Einheit zustande zu bringen. John Brinsley † 1665.
  Keine Regierung konnte bestehen, die nicht in Juda wurzelte. Jean Calvin † 1564.


V. 10. Moab ist mein Waschbecken. Das bedeutet, dass Moab nun wie ein Sklave ihm ganz unterworfen sei. Das Handwaschbecken seinem Herrn zu halten war das Geschäft des Leibeigenen. Bei den Griechen war plu/nein tina/ einen waschen, auch der übliche Ausdruck für: einen schelten oder lächerlich machen, wie wir sagen: "einem den Kopf waschen". Daher stammt die Anwendung von "Waschbecken" auf den, der sich solche Behandlung gefallen lassen muss, z. B. bei Aristophanes: "Du bist wohl nicht bei Sinnen, dass du mich in Gegenwart anderer zum Waschbecken machst." Vergl. unser "Waschlappen". Th. S. Millington 1863.
  Auch die Lande der Feinde, Moab im Osten und Edom im Süden und Philistäa im Westen (vom Norden hat der Spruch nicht geredet, da hatten auch schon Davids Banner gesiegt), - sie müssen dienen. Prof. August Tholuck 1843.


V. 11. Der Weg zur Felsenstadt Petra führt zwischen hohen, steilen Bergwänden durch eine enge Schlucht, die das Bett eines Baches gebildet hat. An einigen Stellen treten die überhangenden Felsen so nahe zusammen, dass nur zwei Reiter nebeneinander Platz finden. Tweedie 1859.
  Wenn ein Kind Gottes sich im Glauben großer Dinge versieht, soll es nicht gleichgültig sein, weder gegen die entgegenstehenden Schwierigkeiten, noch gegen seine eigene Unfähigkeit, diese zu überwinden; vielmehr soll es zu Gott aufschauen um Hilfe und Beistand. David Dickson † 1662.


V. 12. Und zeuchst nicht aus usw. Die Entziehung der Gegenwart und des Beistandes Gottes ist freilich alles Unsterns Ursache. (Hos. 9,12.) Johann David Frisch 1719.


V. 13. Schaff uns Beistand usw. So betete und tröstete sich der fromme David, der doch ein großes und reiches Land unter sich und ein großes und geübtes Kriegsheer auf den Beinen hatte. Er war dessen ungeachtet vom Vertrauen auf Kreaturen ganz ausgeleert. Es ist aber dies für den gläubigen Samen Abrahams eine allgemeine Regel: Ein Weiser rühme sich nicht usw., siehe Jer. 9,23 f. Prälat Fr. Roos 1773.
  Denn Menschenhilfe ist nichts nütze. Das hatten sie nicht lang zuvor erfahren, da Saul, der König ihrer Wahl, nicht imstande war, sie von den übermütigen Philistern zu retten. John Trapp † 1669.


V. 14. Nicht nur im Krieg, sondern bei allem, was wir zu tun haben, müssen diese beiden beisammen sein: Er und wir; Gott und der Mensch. 1) Wir wollen Taten tun; denn Gott erzeigt seine Hilfe nicht trägen, feigen oder gleichgültigen Menschen. 2) Tun wir aber unser Bestes, so ist es doch sein Werk: Er wird sie untertreten; der vernichtende Schlag gegen unsre Feinde ist nicht im Geringsten uns, sondern ihm zuzuschreiben. Adam Clarke † 1832.


Homiletische Winke

V. 3. Als Gebet einer Gemeinde, die unter Gerichten seufzt. 1) Die Klage: a) verlassen von Gottes Geist, b) zerstreut. 2) Die Ursache des Übels: irgendetwas, das Gott missfällig war, seien es Unterlassungs- oder Begehungssünden. 3) Die Heilung: Wenn der HERR sich zu uns kehrt und wir uns zu ihm kehren.
V. 4. Auf Kirchenspaltungen angewandt: 1) Das Unglück: Erschütterung, Spaltung. 2) Als gerichtliche Tat Gottes anerkannt: Du hast. 3) Die Bitte: Heile ihre Brüche. 4) Die Begründung: Denn sie wankt. (Grundtext) George Rogers 1872.
V. 5. Harte Züchtigungen und ihr guter Grund.
  Der göttliche Taumelkelch.
V. 6. Das Panier des Evangeliums. 1) Warum ein Panier genannt? Ein Banner ist Sammelpunkt und Leitstern der Krieger, ist der Hauptangriffspunkt, Zeichen der Herausforderung, Sinnbild des Sieges, der Trost der Verwundeten usw. 2) Von wem ist uns dies Banner gegeben? Du. 3) Wem ist es gegeben? Denen, die dich fürchten. 4) Wozu ward es uns gegeben? Es zu erheben (oder: sich zu erheben). (Grundtext) 5) In wessen Dienst soll es entfaltet werden? Um der Wahrheit willen. Durch Wahrheit wird die Wahrheit gefördert.
  Unser Banner. Predigt von C. H. Spurgeon. Siehe Botschaft des Heils, I. S. 1. Baptist. Verlag, Kassel.
V. 7. Zu der Errettung der Auserwählten bedarf es eines hilfsbereiten, starken ("rechte Hand") und Gebet erhörenden Gottes.
V. 8. Gottes heilige Zusage ist genügender Grund zu sofortiger Freude über das verheißene Gut und zu mutigem Ergreifen desselben.
V. 9 f. Wiefern ist die ganze Welt des Christen Eigentum? (1. Kor. 3,21)
V. 10. Moab ist mein Waschbecken. Wie müssen uns die Gottlosen zur Reinigung dienen?
V. 11. Wer wird mich führen in die feste Stadt? Als Frage eines Christen, der Seelen gewinnen will. 1) Der Gegenstand des Angriffs: Die Festung Menschenherz, verschanzt durch sittliche Verderbnis, Unwissenheit, Vorurteile, väterliche Überlieferungen, sündliche Gewohnheiten usw. 2) Unser Ziel: hineinzudringen, die Zitadelle für Jesus zu gewinnen. 3) Die große Frage: Wer führt mich hinein? Beredsamkeit, Gelehrsamkeit, Klugheit - nichts von alledem kann den Eingang erzwingen; es gibt aber einen, der es kann.
V. 14. Gottes Wirken als Grund für Menschen Tätigkeit.

Fußnoten

1. Luthers   Übers. ergänzt    "Wn#"p:na, vergl.
Ps. 23,3. Spurgeons Bemerkungen knüpfen an die engl. Übers. an: Kehre dich wieder zu uns. (Targum: Kehre zu uns zurück.) Die meisten übersetzen: Mögest du (optativisches Imperf.) uns wiederherstellen, vergl. Jes. 58,12, oder noch wörtlicher: Mögest du uns (l:) Wiederherstellung gewähren.

2. Andere nehmen das Wort in seinem engeren Sinn: das Land.

3. +$eq nehmen manche alte und neue Übersetzer gleich +:$:q   Spr. 22,21 als Wahrheit (eigentl. Härte, Festigkeit, woraus sich Luthers Übersetzung erklärt). ss"Ont:hil: (wie sn" Panier von) übersetzt die engl. Bibel transitiv: es (das Panier) zu erheben; es kann jedoch nur reflexiv gefasst werden: sich zu erheben.
Für yn"pI:mi in der Bedeutung in Rücksicht auf, um - willen beruft man sich auf 5. Mose 28,20; Neh. 5,15. Also: sich zu erheben um der Wahrheit willen. Andere nehmen aber mit einigen alten Übersetzern +:$eq als aramäische Form für t$eqe Bogen, leiten ss"Ont:hi von sWn fliehen ab und fassen die Stelle sarkastisch auf: sich zu flüchten vor dem Bogen.

4. Die engl. Bibel folgt dem Keri: erhöre mich. Dies ist aber wohl aus Ps. 108,7 eingedrungen.

5. Oxford ist eine Hauptfeste der Wissenschaft und ist je und je ein Ausgangspunkt tiefgreifender religiöser Bewegungen (sehr verschiedener Richtung) gewesen. Wir erinnern an Namen wie Wiclif, Wesley, Pusey, Pearsall Smith.

6. Meist erklärt man jetzt wie Delitzsch: "Das Werfen des Schuhes auf ein Landesgebiet ist Zeichen der Besitzergreifung, so wie Ausziehen des Schuhes Zeichen der Rechtsentsagung: der Schuh ist beide Mal Symbol des rechtlichen Besitzes." Vergl. Ruth 4,7. Luthers Übers. erinnert (wie das Targum) an den andern Brauch, den unterjochten Feinden den Fuß auf den Nacken zu setzen.

7. Der vorliegende Text wird entweder ironisch aufgefasst: Philistäa, jauchze über mich (vergl. Spurgeon hernach), oder man übersetzt (vergl. Jes. 15,4) Schreie, Philistäa, über mich auf. (Anders Ps. 108,10: Über Philistäa jauchze ich.)

8. Der vorliegende Text heißt: Wer hat mich geleitet usw. Es wird ein y nach ymi ausgefallen, also ynix"n:ya zu lesen sein. (Olsh.)

9. Dieser naheliegenden Fassung steht das Fehlen der Relativpartikel r#) entgegen. Daher ist zu übersetzen: Hast nicht du, Gott, uns verstoßen, und ziehst nicht aus usw.

10. Grundtext: vor dem Dränger.