Psalmenkommentar von Charles Haddon Spurgeon

PSALM 68 (Auslegung & Kommentar)


Überschrift

Ein Psalmlied Davids, vorzusingen. Man vergleiche hierzu das zu Ps. 65; 66 Bemerkte.
  Der Psalm scheint uns dazu bestimmt gewesen zu sein, bei einem Zug der Bundeslade gesungen zu werden. Vielleicht wurde er an jenem Tage angestimmt, da David die Bundeslade mit heiligem Frohlocken aus dem Hause Obed-Edoms in das auf dem Berge Zion bereitete Zelt überführte. Das Lied ist einer der feurigsten und kräftigsten unter allen Psalmen. Die ersten Vers desselben dienten den puritanischen Eisenseiten oft als Schlachtgesang. Der Psalm ist zugleich unübertrefflich erhaben und außerordentlich schwierig. Das Dunkel einiger seiner Vers ist, bis jetzt wenigstens noch, völlig undurchdringlich. Mit Recht spricht ein deutscher Gelehrter, F. Hitzig, von ihm als einem Titanen, des Meister zu werden keine geringe Aufgabe sei, und ein anderer Fachmann, Ed. Reuß, hat 1851 aus etwa vierhundert Auslegungen dieses Psalms ein "Denkmal exegetischer Not und Kunst zu Ehren der ganzen Theologenzunft" aufgebaut. Unser sehr bescheidenes Wissen hat uns ganz im Stich gelassen, so dass wir uns genötigt sahen, einem bewährten Führer zu folgen. Doch hoffen wir, dass unsere Bemerkungen nicht ohne Nutzen sein werden.

Einteilung. Wir deuten den Psalm auf den Zug der heiligen Lade nach Zion. Mit den Worten der ersten beiden Vers wird die Bundeslade aufgehoben. V. 4-7 werden die sich im Zuge befindenden Gottesfürchtigen aufgefordert, ihre fröhlichen Lieder anzustimmen, und Gründe angeführt, welche ihre Freude anspornen können. Dann werden der glorreiche Wüstenzug Jehovas besungen, V. 8-11, und seine Siege verherrlicht, V. 12-15. Die Freudenrufe werden lauter, da der Zion in Sicht kommt und die heilige Lade den Hügel hinangetragen wird, V. 16-20. Auf dem Gipfel stimmen die Priester ein Lied an von des HERRN Güte und Gerechtigkeit, der Sicherheit seiner Schützlinge und dem Untergang seiner Feinde, V. 21-24. Unterdessen wird die sich den Berg hinauf windende Prozession beschrieben, V. 25-28. Der Dichter schaut hinaus auf eine Zeit noch umfassenderer Siege, V. 29-32, und schließt mit einem feierlichen Lobgesang auf Jehova.


Auslegung

2. Es stehe Gott auf, dass seine Feinde zerstreuet werden
und die ihn hassen, vor ihm fliehen.
3. Vertreibe sie, wie der Rauch vertrieben wird;
wie das Wachs zerschmilzt vom Feuer,
so müssen umkommen die Gottlosen vor Gott.


2. Es stehe Gott auf. Der ganze Vers ist den Worten nachgebildet, welche Mose sprach, wenn die Wolke sich erhob und die Bundeslade weitergetragen ward (4. Mose 10,35). Die heilige Lade wäre ein armseliger Führer gewesen, wenn Jehova nicht in und mit dem Sinnbild gegenwärtig gewesen wäre. Ehe wir ziehen, sollte es stets unser Begehren sein, den HERRN uns voranziehen zu sehen. Die Worte setzen voraus, dass der HERR sich eine Zeit lang untätig verhalten, seinen Feinden zu wüten zugelassen, seine Macht aber zurückgehalten habe. Israel bittet ihn, aufzustehen, wie es anderwärts heißt, er möge aufwachen, sein Schwert um sich gürten, und was dergleichen Ausdrücke mehr sind. Auch wir dürfen so kühn den HERRN anrufen, dass es ihm gefallen möge, seinen Arm zu entblößen (Jes. 52,10) und die eigene Sache zu führen. Dass seine Feinde zerstreuet werden. Unser himmlischer Herzog schafft freie Bahn, soviel derer auch seien, die sich ihm entgegenstellen; er braucht sich nur zu erheben, so zerstieben sie. Er hat vor alters seine Widersacher mit leichter Mühe über den Haufen geworfen, und in aller Zukunft wird es nicht anders sein. Sünde, Tod und Hölle kennen seine Schrecken; die feindlichen Reihen stieben auseinander, wenn er naht. Unsere Feinde sind seine Feinde; darin liegt für uns die Gewissheit des Sieges. Und die ihn hassen, vor ihm fliehen. Den unendlich guten Gott zu hassen ist niederträchtig; die schwerste Strafe ist für solche nicht zu streng. Der Hass gegen Gott ist ohnmächtig; die trotzigsten Feinde können dem HERRN nicht widerstehen. Sie werden, von maßlosem Schrecken ergriffen, ausreißen, noch ehe es zum Gefecht kommt. Lange bevor das israelitische Heer zum Angriff schreiten kann, werden die Feinde vor dem fliehen, der der Vorkämpfer seines auserwählten Volkes ist. Er kommt, sieht und siegt. - Die Worte eignen sich unter anderem auch als Bitte im Anfang einer Zeit der Erweckung. Sie zeigen die richtige Weise, wie eine solche herbeigeführt wird: der HERR geht voran, die Seinen folgen hinter ihm drein, und die Feinde fliehen.

3. Vertreibe sie, wie der Rauch vertrieben wird. Gar leicht verjagt der Wind den Rauch, und er verweht ihn so vollständig, dass keine Spur zurückbleibt; so mach’ du es, HERR, mit den Feinden deines Volkes! Sie rauchen vor Ingrimm und Übermut, sie verdunkeln den Himmel mit ihrer Bosheit, sie steigen höher und immer höher in ihrer Anmaßung, sie beschmutzen alles, wo immer sie hindringen - HERR, lass deinen Odem sie auf immer zerstieben vor dem Heerzug deines Volkes! Die zweifelsüchtige irdische Weisheit ist ebenso trüb und haltlos wie der Rauch; möge der HERR seine Gemeinde auch von diesem eitlen Dunst befreien! Wie das Wachs zerschmilzt vom Feuer, so müssen umkommen die Gottlosen vor Gott. Das Wachs scheint ja fest, solange es sich selbst überlassen bleibt; aber bringe es ans Feuer - wie schnell schmilzt es hin! Gottlose Menschen sind trotzig, bis sie mit dem HERRN in Berührung kommen; dann aber fallen sie in Ohnmacht vor Furcht. Ihre Herzen zerfließen wie Wachs, wenn sie die Glut seines Zornes fühlen. Wachs brennt auch und vergeht; der Wachsstock wird gänzlich von der Flamme verzehrt: so wird die ganze prahlerische Macht der Widersacher des Evangeliums zunichtewerden. Auch das stolze Rom wird, gleich den Kerzen auf seinen Altären, zergehen, und ebenso gewiss ist, dass der Unglaube verschwinden wird. Die gläubigen Israeliten sahen in der Bundeslade Gott auf dem Gnadenthron - Macht in Verbindung mit Sühne - und freuten sich der Allmacht dieser göttlichen Selbstoffenbarung. Und in noch klarerer Weise ist dies die Zuversicht der neutestamentlichen Gemeinde; denn wir sehen Jesus, den von Gott bestellten Sühnmittler, gekrönt mit Herrlichkeit und Majestät, und vor seiner Gegenwart zerschmilzt aller Widerstand wie der Schnee an der Sonne. Schon wenn er kommt in der Kraft seines Geistes ist Sieg die Folge; aber wenn er sich einst in Person aufmachen wird, werden seine Feinde gänzlich umkommen.


4. Die Gerechten aber müssen sich freuen und fröhlich sein
vor Gott und von Herzen sich freuen.
5. Singet Gott, lobsinget seinem Namen!
Macht Bahn dem, der durch die Wüste herfährt;
er heißt Herr; und freuet euch vor ihm,
6. der ein Vater ist der Waisen und ein Richter der Witwen.
Er ist Gott in seiner heiligen Wohnung;
7. ein Gott, der den Einsamen das Haus voll Kinder gibt;
der die Gefangenen ausführet zu rechter Zeit
und lässt die Abtrünnigen bleiben in der Dürre.


4. Die Gerechten aber müssen sich freuen. Die Gegenwart Gottes auf dem Gnadenstuhl ist eine überströmende Quelle der Wonne für die Gottseligen; mögen sie nicht versäumen, von diesen Wassern zu trinken, die dazu bestimmt sind, sie fröhlich zu machen. Und fröhlich sein vor Gott. Die Hofleute des seligen Gottes sollten mit Fröhlichkeit geziert sein; denn vor seinem Angesicht ist Freude die Fülle. Die Gegenwart Gottes, die der Schrecken und der Tod der Gottlosen ist, ist das Verlangen und die Wonne der Frommen. Und von Herzen sich freuen, wörtl.: und frohlocken in Wonne. Mögen sie vor großer Freude tanzen mit aller Macht wie David (2. Samuel 6,14). Der Freude im HERRN sollte man keine Schranken setzen. "Abermals sage ich: Freuet euch!" ruft der Apostel aus, als wollte er, dass wir Freude zu Freude fügen, ohne Maß und Grenzen und ohne Unterbrechung. Sehen wir in der Person unseres Immanuel das Antlitz Gottes vom Gnadenthron herab gnädig auf uns leuchten, so muss unser Herz ja vor Freude hüpfen, wenn wir zu denen gehören, welche gerecht gemacht und geheiligt sind. Wohlan denn, vorwärts mit Freudenklängen, du selige Schar der Erlösten des HERRN; denn Jesus ist an der Spitze des Zuges.

5. Singet Gott, lobsinget seinem Namen! In harmonischen Weisen feiert das Wesen und die Taten eures Bundesgottes. Stimmt immer von neuem das Loblied an und lasst allen Preis von Herzensgrund ihm allein geweiht sein. Singt nicht zum Gepränge sondern zur Anbetung; nicht um von den Menschen, sondern um vom HERRN selber gehört zu werden. Singet nicht der Gemeinde, sondern Gott. Macht Bahn dem, der durch die Wüste herfährt. Gott war schon einmal seinem Volke durch die Wüste vorhergezogen. Gottes majestätischer Heerzug ging durch die schauerliche Wildnis. Dort offenbarten sich seine ewige Macht und Gottheit in der Versorgung, Führung und Beschützung des großes Volkes, das er aus Ägypten heraufgeführt hatte. Der feierliche Zug der Bundeslade zum Berge Zion brachte dies alles frisch in Erinnerung und gab Anlass, davon zu singen. Er heißt HERR, wörtl.: Jah ist sein Name. Der Name Jah ist eine Abkürzung von Jehova. Doch vermindert diese Abkürzung nicht etwa den Inhalt; das Wort ist vielmehr intensiver Art, es fasst gleichsam den Auszug des gebräuchlicheren längeren Wortes in sich. Es kommt für sich nur in wenigen Stellen vor, dagegen häufig in der bekannten Verbindung Hallelu-Jah, d. i. rühmt Jehova. Und freuet euch vor ihm. In der Gegenwart dessen, der so glorreich an der Spitze der auserwählten Nation einherzog, ziemt es sich wohl, dass alles Volk heilige Freude an den Tag lege. Wir sollen in unseren Gottesdiensten alles matte, schläfrige Wesen meiden. Unsere Gesänge sollen gewichtig sein durch Feierlichkeit und Erhabenheit, aber nicht schwerfällig durch melancholischen Inhalt und Ton. Die Engel stehen dem Thron näher als wir; dennoch ist ihre tiefe Ehrfurcht vor Gott völlig geeint mit der reinsten Wonne und Freude. Die Empfindung der Erhabenheit Gottes soll unserer Seele nicht Schrecken, sondern Freude einflößen; wir sollen jubeln vor seinem Angesicht, wie es hier heißt.
  Es sei unser Wunsch und Gebet, dass in der Wüste dieser Welt dem Gott des Heils der Weg bereitet werde. Bahnt in der Wüste Jehova den Weg, ebnet in der Steppe eine Straße für unseren Gott (Jes. 40,3): so rufen die Herolde des Evangeliums, und wir alle sollen mit Eifer dieser Stimme gehorchen; denn wo der Gott der Gnade seinen Einzug hält, werden den Menschenkindern unzählbare Segnungen zuteil.

6. (Vor) dem Vater der Waisen und Richter der Witwen, Gott in seiner heiligen Wohnung. (Grundtext) In der Wüste war Israel gleichsam ein verwaistes Volk; aber Gott war ihnen mehr als ein Vater. Als das Geschlecht, welches aus Ägypten gezogen war, allmählich ausstarb, gab es viele Witwen und Vaterlose im Lager; dennoch hatten sie weder Mangel noch Unrecht zu leiden, denn die gerechten Gesetze und die gewissenhaften Rechtsverwalter, welche Gott verordnet hatte, sorgten trefflich für das Wohl der Dürftigen. Die Stiftshütte war der Justizpalast, die Bundeslade der Stuhl des großen Königs. Des mochte Israel sich wohl freuen, dass es einen solchen Regenten hatte, der nicht litt, dass die Armen und Hilfsbedürftigen unterdrückt wurden. Bis auf diesen Tag und immerdar ist Gott der sonderliche Beschützer der Schutzlosen. Er ist der Oberinspektor der Waisenhäuser, der Oberanwalt der Witwen. Er ist erhaben über alle Himmel und doch so herablassend und mitleidig, dass er der Ärmsten unter den Armen auf Erden in tatkräftiger Liebe gedenkt. Mit welchem Liebeseifer sollte sich seine Gemeinde derer annehmen, welche hier als Jehovas ganz besondere Schützlinge bezeichnet und ausgezeichnet werden! Hören wir hier nicht in der Tat seine Stimme uns zurufen: Weide meine Lämmer, weide meine Schafe? (Joh. 21,15.17) Welch köstliche Pflicht! Wir wollen es als unser Vorrecht achten, ihre Erfüllung zu einer der liebsten Aufgaben unseres Lebens zu machen.

7. (Vor) Gott, der Einsame im Hause wohnen macht (wörtl.), d. h. ihnen einen Hausstand schafft, oder, wie Luther frei übersetzt (vergl. Ps. 113,9): der den Einsamen das Haus voll Kinder gibt. "Haus" steht oft für Familienverbindung. Wir können auch daran denken, wie das Volk in Ägypten zerrissen und zersprengt war, so dass die Familienbande vernachlässigt wurden und die verwandtschaftliche Liebe nicht aufblühen konnte. Als Israel aber dem harten Zwange Pharaos entrann, wurden die Familien wiedervereinigt, und all die lieblichen Bande des Familienlebens kamen wieder zu ihrem Recht. Welche Freude musste das sein! Der Gefangene herausführt zu Wohlergehen. (Wörtl.) Diejenigen, denen es in Ägypten am schlechtesten erging, waren gefesselt und gefangen; aber der göttliche Befreier führte sie alle heraus zu Freiheit und Wohlstand! Der dies vor alters tat, setzt noch heute das herrliche Werk fort. Das arme, sich so verlassen fühlende, im Gram um die Sünde einsam trauernde Herz findet Aufnahme in die Familie der Erstgeborenen; der gefesselte Geist wird befreit und sein Kerker zersprengt, wenn die Sünde vergeben wird; und für dies alles sollen und wollen wir Gott hoch preisen, denn Er hat das große Werk vollbracht und die Herrlichkeit seiner Gnade darin erwiesen. Nur die Widerspenstigen sind im dürren Lande geblieben. (Wörtl.) Doch war dieser Unglücklichen, deren Leiber in der Wüste verfielen, eine große Zahl. Sie blieben in der sonnenverbrannten Wüste und kamen nicht in das gute Land der Verheißung. Das ist uns zur Warnung geschrieben.


8. Gott, da du vor deinem Volk herzogest,
da du einhergingest in der Wüste (Sela),
9. da bebte die Erde, und die Himmel troffen vor Gott,
dieser Sinai vor dem Gott, der Israels Gott ist.
10. Du gabst, Gott, einen gnädigen Regen,
und dein Erbe, das dürre war, erquicktest du,
11. dass deine Herde drinnen wohnen könne.
Gott, du labtest die Elenden mit deinen Gütern.


8. Gott, da du vor deinem Volk herzogest. Wie lieblich diese Verbindung: Du und dein Volk - Du an der Spitze, dein Volk dir nachfolgend. Der HERR ging voraus, darum war es gleich, ob auch das Schilfmeer oder die glühende Wüste im Wege lag; die Wolken- und Feuerfäule leitete die Kinder Israel doch stets den rechten Weg. Da du einhergingest (einherschrittest) in der Wüste. Er war der Herzog, von dem ihnen alle Befehle zugingen, und ihr Zug war daher sein Zug. Wenn wir von den Wanderungen der Kinder Israel sprechen, dürfen wir dabei nicht an ein zweck- und zielloses Umherschweifen denken; es war vielmehr ein wohlbedachter und wohlgeordneter Zug (vergl. 2. Mose 12,41), und wenn die Reise vom Sinai aus nicht geradewegs nach Kanaan ging, sondern eine achtundreißig-jährige Zeit der Irrfahrt und des Todeselends in sich schloss, so war nur Israels Sünde daran schuld.
  Sela. Die Pause scheint hier, mitten im Satz, nicht am Platze; aber es ist besser, einen Satz zu durchbrechen, als am Lobpreis Gottes etwa abzubrechen. Die Dichtung schwingt sich jetzt zur erhabensten Großartigkeit auf, und das Sela weist die Sänger und Spieler darauf hin, damit sie ihre Aufgabe mit gebührender Feierlichkeit erledigen. Es ist nie unzeitig, eine Gemeinde daran zu erinnern, dass der Gottesdienst in allen seinen Teilen von Andacht und Inbrunst getragen sein soll.

9. Da bebte die Erde. Unter den Tritten des Allerhabenen erzitterte der so fest scheinende Erdboden. Und die Himmel troffen vor Gott. Die Wolken kamen hernieder in strömendem Regen, als wollten sie sich zur Erde neigen vor Gott dem Allmächtigen. Dieser Sinai vor Gott. Der Bericht des zweiten Buches Mose sagt, der ganze Berg habe sehr gebebt. Das einsame, majestätische Granitgebirge beugte sich vor dem sich dort offenbarenden Gott, vor dem Gott Israels, dem allein wahren und lebendigen Gott, den Israel anbetete und der dies Volk erwählt hatte, dass es sein Eigentum sei vor allen Völkern auf Erden. Diese Stelle ist so erhaben, dass es schwer sein würde ihresgleichen zu finden. Möge der Leser sein Herz anbetend vor dem Gott neigen, gegen welchen Erde und Himmel sich benehmen, als erkennten sie ihren Schöpfer und erfasste sie vor ihm ehrfurchtsvolles Beben.

10. Du gabst, Gott, einen gnädigen Regen. Der feierliche Zug Gottes durch die Wüste war nicht ausschließlich durch Schrecken erregende Offenbarungen gekennzeichnet, sondern Gottes Güte und Mildtätigkeit wurden ebenfalls bei demselben sichtbar. Ein Regen, so köstlich, wie er nie zuvor erlebt worden war, ergoss sich auf den Wüstensand, ein Regen von Gaben (Grundtext1; Himmelsbrot und Wachteln fielen rings um das Lager nieder. Aus Gottes Füllhorn wurden gute Gaben über die Kinder Israel ausgeschüttet, und Wasser quoll ihnen dazu aus dem Felsen. Und dein Erbe, das dürre (oder ermattet) war, erquicktest (wörtl.: befestigtest) du. An jeder Lagerstätte, wo sie sich des Abends von der beschwerlichen Wanderung ermüdet zur Ruhe legten, fanden sie des Morgens die guten Gaben ausgestreut, dass sie bald wieder mit frischer Kraft des Tages Last auf sich nehmen konnten. Ihre Füße schwollen nicht all die vierzig Jahre (5. Mose 8,4). Wenn sie erschöpft waren, so war das doch nicht bei Gott der Fall. Mochten sie des Gehorchens müde werden, so ward er doch nicht des Wohltuns müde. Sie waren sein auserwähltes Erbe, und wenn er auch zu ihrem Besten zuließ, dass sie durch die mancherlei Beschwernisse ermüdet wurden und ihre Schwäche empfanden, pflegte er sie doch mit Muttertreue und sorgte in wahrhaft väterlicher Liebe für alle ihre Bedürfnisse. In gleicher Weise sind auch heute noch die Auserwählten Gottes auf ihrer Pilgerreise durch die Wüste geneigt, müde und matt zu werden; aber ihr getreuer Gott und Vater tritt immer wieder im rechten Augenblick mit seiner Hilfe ins Mittel, erquickt die Matten, stärkt die Schwachen, speist die Hungrigen, so dass auch jetzt das Volk des HERRN, wenn die silbernen Trompeten (4. Mose 10,2) erschallen, mit festen Schritten seiner ewigen Ruhestatt entgegenzieht. Durch diese Treue Gottes wird der Glaube der Seinen mächtig befestigt, dass ihre Herzen fest werden. Wenn Ermattung und Mangel sie in Gefahr bringen, im Vertrauen wankend zu werden, so stützt und stärkt sie zur rechten Zeit die Gnade wieder, dass sie mit neuer Kraft auf dem ewigen Grunde feststehen.

11. Deine Herde konnte drinnen wohnen. Mitten in der Wüste2 fand deine auserwählte Schar eine sichere Wohnung, wie von einer feurigen Mauer eingeschlossen. Gott, du labtest die Elenden mit deinen Gütern, wörtl.: du rüstetest3 in deiner Güte den Elenden zu. An diesem Ruheplatz fanden alle die Fülle alles Guten für sich bereitet. Alle waren ja arm in sich; dennoch gab es keinen Bettler im ganzen Lager Israels, denn Himmelsspeise war zu haben nur ums Sammeln. Auch wir finden alles für uns bereit; obwohl wir von Natur arm und elend sind, werden wir doch durch die Gnade reich gemacht. Die göttlichen Zurüstungen haben für alles Vorsorge getroffen. Glückliches Volk, obgleich es in der Wüste weilt! Alles ist unser, da wir der huldreichen Gegenwart Gottes teilhaftig sind.


12. Der Herr gab das Wort
mit großen Scharen Evangelisten.
13. Die Könige der Heerscharen flohen eilends,
und die Hausehre teilte den Raub aus.
14. Wenn ihr zwischen den Hürden laget,
so glänzte es als der Taube Flügel,
die wie Silber und Gold schimmern.
15. Als der Allmächtige die Könige im Lande zerstreute,
da ward es helle, wo es dunkel war.


12. In den nun folgenden Versen singen wir nicht mehr vom Pilgern und Reisen, sondern von Kampf und Sieg. Der Herr gab das Wort. Der Feind war nahe, und der Schall der Trompeten, der von der Stiftshütte her ertönte, war gleichsam Gottes Stimme, die das Lager Israel zu den Waffen rief. Dann gab es ein Hin- und Hereilen und ein allgemeines Weiterverbreiten der Botschaft: viel waren derer, die es verkündigten. (Andere Übers.4 Die Weiber rannten von Zelt zu Zelt und riefen ihre Eheherren zum Kampf auf. Wie sie allezeit bereit waren, den Siegesgesang anzustimmen, waren sie auch ebenso schnell dabei, die Kunde zu verbreiten, dass der Schlachtruf erschollen sei. Die Zehntausende von Jungfrauen Israels weckten die Schläfer, holten die heim, welche das Lager verlassen hatten, und drangen in die Helden, zum Kampf zu eilen. Ach, dass die Gemeinde des Herrn in unseren Tagen den gleichen Eifer zeigte, so dass Männer und Frauen, Jünglinge und Jungfrauen es sich so angelegen sein ließen, die frohe Botschaft, welche nun verkündigt ist, weiter zu tragen.

13. Die Könige der Heerscharen flohen eilends - kein Wunder, da der Herr der himmlischen Heerscharen über sie kam. Sowie die Bundeslade sich erhob, machte der Feind kehrt; selbst die fürstlichen Feldherren hielten nicht stand, sondern ergriffen das Hasenpanier. Die Verwirrung war vollkommen, der Rückzug geschah mit fliehender Eile und in völliger Auflösung aller Ordnung: sie fliehen, sie fliehen (wörtl.), Hals über Kopf, holterdiepolter, wie wir sagen. Und die Hausehre (wörtl.: die Bewohnerin des Hauses, d. h. die Hausfrau, die während des Krieges daheimbleibt) teilte den Raub aus. Die Frauen, die so wacker den Kriegsruf verbreitet hatten, wurden nun auch gewürdigt, ihr Teil an der Beute hinzunehmen. Auch die Schwächsten in Israel gingen nicht leer aus. Ritterliche Krieger warfen ihre Beute den Frauen zu Füßen und luden sie ein, sich herrlich zu schmücken und zu nehmen eine jegliche "Beute an farbigen Gewändern, an Buntgewirktem, farbiges Zeug, zwei buntgewirkte Tücher für ihren Hals". (Richter 5, 30) Wenn der HERR seinem Evangelium Sieg gibt, werden auch die geringsten und schwächsten Glieder des Volkes Gottes erfreut und wissen sich des Segens teilhaftig.

14. Dieser und der folgende Vers sind harte Nüsse, die auch die Riesen der Wissenschaft kaum zu knacken vermögen. Wenn wir alles wüssten, was man wusste, als dies alte Lied gedichtet ward, dann würden wir die in diesen Versen uns vor Augen gemalten Bilder ohne Zweifel höchst angemessen finden. So bleibt uns kaum etwas anderes übrig, als diese Verse mit etlichen andern als ungelöste Rätselworte ruhen zu lassen. Manche übersetzen: Wenn ihr euch zwischen den Hürden lagert,5 so glänzen die Flügel der Taube, silberbedeckt, und ihre Schwingen in schillerndem Golde. Das Lagern zwischen den Hürden ist ohne Zweifel ein Bild behaglichen Friedens und Ruhegenusses. Die Taube wäre Israel (Ps. 74,19), und das Schillern der Taubenflügel im Sonnenschein würde den Glanz des Volkes im Sonnenschein des Friedens ausmalen. Die Taube mit dem lieblichen Silberweiß und prächtigen pfauenartigen Schiller ihres Gefieders könnte wohl die milde und doch herrliche Schönheit Israels abmalen, wenn dieses in Festgewändern gekleidet und mit Edelsteinen und Gold geschmückt war. Doch hatte schon das alttestamentliche Gottesvolk noch schöneren Schmuck als solche äußeren Zierrate.

15. Als der Allmächtige die Könige darin zerstreute, da schneite es auf dem Zalmon: so übersetzt man diesen Vers jetzt meist, doch ohne dass damit schon eine Einheit der Auslegung sichergestellt wäre. - Der Sieg war einzig dem gewaltigen Arm des Allmächtigen zu verdanken; er sprengte die Mächtigen auseinander, die wider sein Volk heraufgezogen waren, und bewerkstelligte dies so leicht, wie der Wind den Schnee von den Abhängen des Zalmon (eines südwestlich vom Garizim mitten im heiligen Lande gelegenen Berges) weht. Jemand, der Palästina bereist hat, berichtete dem Verfasser, er habe an einem stürmischen Tage gesehen, wie der Abhang des Berges, welchen er für den Zalmon hielt, durch einen Windstoß plötzlich vom Schnee reingefegt worden sei, so dass der Schnee in der Luft wild hin und her gewirbelt worden sei wie Distelwolle oder aufspritzender Meeresschaum. So zerstreute der Allmächtige all die Gewaltigen, welche Israel zum Kampf herausgefordert hatten. Man kann auch übersetzen: Da ward es schneeweiß auf dem Zalmon, und das Bild von den bleichenden Gebeinen der Erschlagenen, welche die Walstatt bedeckten, verstehen, oder man kann auch bei der vorhin gegebenen Übersetzung sich die Menge der den Fliehenden entfallenden Beute mit einem Schneefall verglichen denken. Zu beachten ist dabei, dass das Wort Zalmon, wie Luther in seiner Auslegung vom Jahre 1521 richtig sagt, Schwarzwald oder schwarzer Berg, Dunkelberg übersetzt werden mag: dieser Berg hatte vor andern Bergen ein dunkles Aussehen, so dass der Schnee auf ihm recht leuchtend in die Augen fiel. Später fasste Luther mit den meisten älteren und vielen neueren Auslegern nach den Rabbinern das Wort nicht als Namen, sondern übersetzte es mit Dunkel. So fasst auch Ed. Reuß 1851 die Stelle: Und schneehell glänzt es im Dunkel. Vielleicht will der Dichter durch die Zeichnung des überraschenden Übergangs vom düsteren Dunkel des Waldschattens zur glänzenden Schneehelle den Wechsel vom Krieg zum Frieden andeuten. Was auch der genauere Sinn der Worte sein mag, jedenfalls soll der Vers die Herrlichkeit und Völligkeit des göttlichen Sieges über die mächtigsten Feinde abmalen. Mögen alle Gläubigen über diesen Triumph frohlocken.


16. Ein Gebirge Gottes ist das Gebirge Basans,
ein groß Gebirge ist das Gebirge Basans.
17. Was sehet ihr scheel, ihr großen Gebirge,
auf den Berg, da Gott Lust hat zu wohnen?
Und der HERR bleibt auch immer daselbst.
18. Der Wagen Gottes sind viel tausendmal tausend;
der Herr ist unter ihnen im heiligen Sinai.
19. Du bist in die Höhe gefahren
und hast das Gefängnis gefangen;
du hast Gaben empfangen für die Menschen,
auch die Abtrünnigen, auf dass Gott der Herr daselbst wohne.
20. Gelobt sei der Herr täglich.
Gott legt uns eine Last auf;
aber er hilft uns auch. Sela.


16. Nun beginnen die Priester, auf der Höhe des heiligen Berges angelangt, den HERRN dafür zu preisen, dass er den Zion zu seinem Wohnplatz erkoren hat. Ein Gebirge Gottes ist das Gebirge Basans, d. h. es ist ein hocherhabenes Gebirge. Es war bei den Hebräern ja Sitte, große, außerordentliche Dinge mit dem Zunamen "Gottes" zu benennen. Unsere Altvorderen haben eine sonderbare Vorliebe gehabt, gewaltige Felsen, wunderbare Naturbrücken und dergleichen mit dem Namen des Teufels zu zieren. Da haben es die Hebräer besser gemacht, die von Gottesbergen, Gottesbächen, Bäumen des Herrn usw. sprachen. Ein vielgipfeliges Gebirge (Grundtext) ist das Gebirge Basans. Der Basan wird hier, wie aus dem folgenden Vers ersichtlich ist, dem Zion gegenübergestellt. Der Zion hielt an Höhe und an Reichtum und Majestät der Formen mit den Basaltkolossen jenes Gebirges keinen Vergleich aus; und doch war der Zion weit herrlicher, denn Jehova hatte ihn durch seine Wahl über all die andere, weit höheren Gebirge hoch erhöht. Alle natürliche Höhe und Macht gelten vor dem HERRN nichts und werden vor ihm zunichte. Er trifft die Wahl nach seinem Belieben, und nach dem Ratschluss seines erhabenen Willens erkiest er den geringen Zion und geht an den stolzen, titanenhaft sich gebärdenden Kuppeln und Spitzen des Basan vorbei. So erwählt er das Unedle vor der Welt und das Verachtete, dass sie zu Denkmalen seiner Gnade und frei waltenden Macht werden.

17. Was sehet ihr scheel, ihr vielgipfligen Berge (Grundtext), auf den Berg, da Gott Lust hat zu wohnen? Neidet, so viel ihr wollt, - Gottes Wahl steht doch fest. Er hat den Zion zu seinem Sitz begehrt, und der HERR bleibt auch immer daselbst (wohnen). Geistlicherweise wohnt Jehova ewiglich in Zion, seiner Gemeinde, und es war die Herrlichkeit des Zionshügels, auf diese ein Vorbild zu sein. Was waren Basan oder Hermon bei all ihrer Höhe, verglichen mit Zion, der Freude der ganzen Erde? (Ps. 48,3) Gottes Wahl ist ein Adelsbrief. Das sind auserlesene Leute, die von Gott erkoren sind, und die Stätte, die Er mit seiner Gegenwart beehrt, trägt den Ehrenpreis über alle anderen davon.

18. Der Wagen Gottes sind viel tausendmal tausend. Die Weltmächte, auf die im Vorhergehenden unter dem Bilde der vielgipfligen, stolzen Basaltberge angespielt war, rühmten sich ihrer Kriegswagen; Zion aber war, wiewohl weit geringer, doch stärker als die Welt mit aller ihrer Macht, denn die Allmacht Gottes gab der Gemeinde des HERRN einen Schutz von viel tausendmal tausend Wagen. Der Herr der Heerscharen konnte mehr Truppen ins Feld stellen als all die großen Herrlein miteinander, die sich auf ihre Armeen so viel einbildeten. Seine Feuerwagen und Feuerrosse (2. Könige 2,11; 6,17) waren ihren feurigen Schlachtrossen und blitzblanken Streitwagen mehr als ebenbürtig. Der Grundtext ist etwa zu übersetzen: Der Wagen Gottes sind Myriaden und Myriaden, Tausende und aber Tausende. Das Targum und ihm nach die englische Bibel übersetzen die letzten Worte: Tausende von Engeln.6 Nun sind die Engel zwar im hebräischen Text nicht genannt; aber da es stets eine Freude ist, unerwartet Engeln zu begegnen, lassen wir uns diese Eintragung gern gefallen, umso mehr als kein Zweifel darüber sein kann, dass die Engel eine der vornehmsten Schwadronen in dem vieltausendfältigen Heere Gottes sind. Vergl. 5. Mose 33,2; Hebr. 12,22. Einige Ausleger (Delitzsch, Fr. W. Schultz) halten an der strengwörtlichen Bedeutung der Dualform Doppel-Myriaden fest, so dass darauf hingedeutet wäre, dass die himmlischen Heerscharen entweder Gott (nach Delitzsch) oder Zion (so Fr. W. Schultz) auf beiden Seiten in zahllosen Tausenden umgeben. Zu der letztern Auffassung wäre Mahanaim 1. Mose 32,3 zu vergleichen. Der Herr ist unter ihnen. Gott ist in Zion gegenwärtig als der Oberbefehlshaber seiner unzählbaren Heerscharen, und wo er ist, da ist Heiligkeit; darum fährt der Dichter fort: Ein Sinai an Heiligkeit! (Grundtext) Der Thron der Gnade auf dem Zion ist so heilig wie der Thron der Gerechtigkeit, der einst auf dem Sinai aufgerichtet war. Die Entfaltungen der göttlichen Herrlichkeit mögen in dem neuen Bunde nicht so erschrecklich sein wie in dem alten; aber sie sind sogar noch wunderbarer und erhabener, wenn wir sie mit geistlichem Auge betrachten. Der Sinai hat vor dem Zion keinen Vorzug an Herrlichkeit; vielmehr erbleicht das Licht, welches das Gesetz auf ihm ausstrahlt, vor dem Mittagsglanz der Gnade und Wahrheit, der von Zion aus die Welt erhellt. Welche Freude war es für einen frommen Israeliten, zu wissen, dass Gott in der Stiftshütte und im Tempel so wahrhaftig bei seinem Volke war, wie inmitten der Schrecken des Berges Horeb; aber es ist für uns noch viel herzerquickender, des gewiss zu sein, dass der HERR in seiner Gemeinde bleibt und sie auf ewig zu seiner Ruhestätte erkoren hat. (Ps. 132,14) Lasst uns eifersüchtig wachen über die Heiligkeit des geistlichen Hauses, in welchem der Höchste zu wohnen geruht; möge das Bewusstsein seiner Gegenwart alle Irrtümer in Lehre und Wandel wie mit Feuerflammen verzehren. Dass Gott in seiner Gemeinde gegenwärtig ist, ist die Kraft derselben; alle Macht ist unser, wenn Gott mit uns ist. Den Tausenden von Boten, die das Evangelium an die Enden der Erde tragen, werden sich Zehntausende von himmlischen Reisigen zugesellen, zu Wacht und Wehr, und unberechenbare Kräfte werden zusammenwirken, um den heiligen Krieg zum Sieg hinauszuführen. Auf unserer Seite ist Gottes Vorsehung, und die hat ihre Diener überall. Es ist kein Raum vorhanden auch nur für einen Schatten von Zweifel oder Entmutigung, sondern wir haben allen Grund, felsenfest auf den HERRN zu vertrauen und uns seiner fröhlich zu rühmen.

19. Du bist zur Höhe emporgestiegen oder aufgefahren. Die heilige Lade war auf dem Berge Zion eingezogen; Gott selbst hatte seinen erhabenen Sitz dort eingenommen. Im Triumphzug war er zur Höhe aufgefahren, und dies war das Sinnbild der Hoheit, welche er vom Zion aus als Unterwerfer und Beherrscher der Völker erwies. Manche verstehen nach dem sonstigen biblischen Sprachgebrauch unter der Höhe die Himmelshöhe.7 Jedenfalls ist das Gegenbild der Bundeslade, Jesus, im Triumph zum Himmel aufgefahren, worauf Paulus Eph. 4,8 unsere Psalmstelle anwendet. Um mit unseren Feinden den Kampf zu führen, stieg der Herr von seinem erhabenen Thron hinab in die Erdentiefe; aber als der Kampf beendet war, kehrte er wieder in seine Herrlichkeit zurück, und nun ist er hoch erhöht über alles. Hast gefangen geführt Gefangenschaft (wörtl.), d. h. hast Kriegsgefangene gemacht oder weggeführt. Eine Menge Menschenkinder werden der Allgewalt des Messias zur Beute. David war das Werkzeug; Gott aber war es eigentlich, der sich an den Völkern so mächtig erwies. Wie in alten Zeiten mächtige Eroberer ganze Nationen in die Gefangenschaft schleppten, so führt Jesus aus dem Land des Feindes eine große Schar als Siegeszeichen seiner mächtigen Gnade mit sich. Dass Luther und desgleichen die engl. Bibel hier wie auch Eph. 4,8 übersetzen: Du hast das Gefängnis gefangen (geführt), beruht auf einem Missverstand des Grundtextes, wie Richter 5,12 (aus dem Debora-Lied, worauf auch hier wahrscheinlich zurückgegriffen ist) und andere Stellen zeigen. Aber wahr ist, dass von Jesus gefangen genommen zu werden bei der gnadenreichen Art seiner Herrschaft zugleich das Ende unserer harten Gefangenschaft im Bann der Sünde und des Todesgerichts bedeutet, so dass er in der Tat "das Gefängnis gefangen geführt" hat: wahrlich ein herrlicher Ausgang! Der Herr Jesus vernichtet seine Feinde mit ihren eigenen Waffen: er tötet den Tod, begräbt das Grab, führt das Gefängnis gefangen. Du hast Gaben unter den Menschen empfangen. (Grundtext) Sie haben dir, dem mächtigen Eroberer, Huldigungsgeschenke dargebracht, und sie werden auch in allen künftigen Zeiten dir willig ihren Tribut bringen voller Freude über dein Regiment. Die Geschenke, welche David, der Gesalbte des HERRN, als Sieger von den unterjochten Völkern empfing, galten im Grunde dem himmlischen König, dessen Kriege David führte. Die freie Anführung dieser Stelle bei Paulus (Eph. 4,8), welche irrtümlicherweise in Luthers Übersetzung auch in die Psalmstelle eingedrungen ist: Du hast Gaben empfangen für die Menschen, ist eine Umwandlung im evangelischen Sinn. Erleichtert wird das Verständnis dieser Änderung, wenn wir mit manchen Auslegern (Ewald, Moll u. a.) die Grundstelle im Psalm übersetzen: Du hast Huldigungsgaben an Menschen empfangen, d. h. der Tribut, welchen du als Siegesbeute empfängst, besteht aus Menschen, die sich dir willig hingeben. Jesus verwendet die Huldigungsgaben, welche er von den Menschen, oder nach der letztgenannten Auffassung, die Huldigungsgaben an Menschen, welche er empfängt, nicht selbstsüchtig für sich, sondern bereichert seine Gemeinde mit den unschätzbaren Trophäen seiner Erhöhung, als da sind Apostel, Propheten, Evangelisten, Hirten und Lehrer mit all ihren mannigfaltigen reichen Geistesgaben. (Eph. 4,11 ff.) - Auch der Schluss des Verses wird verschieden aufgefasst. Die einen ziehen die ersten Worte noch zum Vorhergehenden: Ja, auch von Widerspenstigen, nämlich: hast du Huldigungsgaben hingenommen, oder: Ja, auch Widerspenstige hast du (als Siegesbeute) hingenommen. Dann stehen die letzten Worte für sich: um zu thronen als Jah Elohim. Als das Land Kanaan unterworfen und die Zionsfeste den Jebusitern im Sturm entrissen worden war, ward daselbst eine Ruhestatte gefunden für die Bundeslade; so macht auch der HERR die Menschenherzen, wenn er sie mit den siegreichen Waffen der Gnade überwunden hat, in der ganzen Herrlichkeit seines Namens zu seinem lebendigen Tempel. Überdies ist die Auffahrt Christi die Veranlassung zu dem Herniederkommen des Heiligen Geistes. - Manche der Alten, aber auch neuere Ausleger übersetzen das Schlussglied: Und auch Widerspenstige sollen bei Jah Gott wohnen. Diese Auffassung stützt sich darauf, dass die vorliegenden Worte augenscheinlich zu dem Schluss von V. 7 in Beziehung stehen, wo zum Teil die gleichen Ausdrücke gebraucht sind. Dort war gesagt, dass die Widerspenstigen in dürrem Lande wohnen müssten. Hier wird dieser Gedanke dahin geändert, dass diese Feinde, von Gott überwunden, auch zu denen gehören sollen, welche ihm huldigen und als seine Untertanen bei ihm wohnen. Fassen wir die Stelle so auf, so ist sie ein herrlicher Ausblick auf die Vollendung des Gottesreichs durch die Bekehrung der Heiden.

20. Gelobet sei der Herr. (Das "Täglich" gehört nach der berichtigten hebr. Akzentuation zum Folgenden.) Der Psalm ist zu einem Höhepunkt gekommen: Gott thront als Jehova Gott auf Zion mitten unter seinem Volke. Da bricht der Sänger denn, von Ehrfurcht und Liebe hingerissen, in Lobpreis aus und benedeit Ihn, der sein Volk so überströmend segnet. Was die folgenden Worte betrifft, so ist es möglich, mit Luther das "Täglich" (gegen die hebr. Akzente) zum Versanfang zu ziehen und weiter zu übersetzen: Legt er uns auch eine Last auf, so ist er doch der Gott unserer Hilfe, und diese Auffassung ist jedenfalls berechtigter als die der englischen Bibel, Calvins und anderer, welche das Zeitwort gegen den Sprachgebrauch von einem Beladen mit Wohltaten verstehen: Täglich beladet er uns mit Wohltaten, er, der Gott unseres Heils. Diese beiden Übersetzungen enthalten freilich jede eine große, köstliche Wahrheit, aber wohl kaum diejenige, welche der Psalmdichter im Sinn hatte. Alexander, unter den deutschen Auslegern Moll u. andere, nehmen das Zeitwort unpersönlich: Belastet man uns - er, Gott, ist unsere Hilfe. Gemeint wäre der Druck, den die feindliche Welt auf die Gemeinde des HERRN ausübt. Auf den gleichen Sinn kommt die andere Auffassung Delitzschs u. anderer hinaus: Tagtäglich nimmt er für uns die Last auf, d.i. trägt er unsere Last oder hilft er uns tragen. Viele neuere Ausleger übersetzen: Tag für Tag trägt er uns,8 und ebenso hat schon Luther i. J. 1521 das Zeitwort aufgefasst: Gebenedeit sei Gott alle Tage, der sich mit uns beladet. So redet auch Jesaja (Jes. 46,3) Israel an: Die ihr von Mutterleibe an (von Gott) getragen werdet. Welcher der angeführten Auffassungen wir uns auch anschließen mögen, immer erweist sich der Vers als ein herrliches Kleinod. Wenn Gott selbst uns Bürden auflegt, so gibt er auch Kraft genug sie zu tragen; und wenn andere uns zu bedrücken suchen, so ist doch keine Ursache zur Furcht vorhanden, denn er selbst wird uns zu Hilfe kommen. Glückliches Volk, das einem solchen König unterworfen ist, dessen Joch sanft und dessen Last leicht ist, und der seine Untertanen von aller Furcht vor den fremden Lasten, welche ihre Feinde ihnen aufzwingen möchten, befreit! Und wie herrlich erfahren Gottes Kinder es, dass sie von ihm tagtäglich getragen, mit mehr denn mütterlicher Liebe gehegt und gepflegt werden! - Der Gott, der unsere Hilfe oder unser Heil ist: ein Name voller Herrlichkeit für den, der ihn trägt, und voll Trostes für uns. Es hat nichts zu sagen, wie groß die Not, wie stark der Feind auch sei: uns wird Hilfe, denn Gott selbst unternimmt es, sein Volk aus aller Drangsal zu befreien. Gepriesen sei sein Name ewiglich!
  Sela. Wohl mögen die Saiten des Stimmens bedürfen; werden sie doch in dem mächtigen Psalm aufs höchste angespannt. Höher und höher erhebt den Ton, ihr Jünger der edlen Musik. Tanzt vor der heiligen Lade, ihr Töchter Israels. Nehmt eure Pauken und singet dem HERRN, der also herrlich im Triumph heraufgezogen ist!


21. Wir haben einen Gott, der da hilft,
und den HERRN, Herrn, der vom Tode errettet.
22. Ja, Gott wird den Kopf seiner Feinde zerschmettern,
den Haarschädel derer, die da fortfahren in ihrer Sünde.
23. Der Herr hat gesagt: Aus Basan will ich sie wiederholen,
aus der Tiefe des Meers will ich sie holen;
24. dass dein Fuß in der Feinde Blut gefärbet werde
und deine Hunde es lecken.


21. Wir haben einen Gott, der da hilft, wörtl.: Gott ist uns ein Gott, der uns zu Hilfe oder Errettung (und zwar in reicher Fülle, Plural) gereicht. Der Allmächtige, der mit uns einen Bund gemacht hat, ist die Ursache unserer Sicherheit und der Urheber der Errettungen, welche wir erfahren und erwarten. So gewiss er unser Gott ist, wird er uns helfen und befreien. Sein sein heißt sicher sein. Und Jehova, der Herr, hat Auswege (auch) für den Tod. (Grundtext) Er hat Wege und Mittel, seine Kinder dem Tode entgehen zu lassen; wenn sie mit ihrem Witz zu Ende sind und keinen Ausweg mehr wissen, so findet er doch eine Tür, durch die sie zur Freiheit ausgehen. Wie er allein des Grabes Pforte auftun kann, so dass wir nur auf sein Geheiß in die dunkle Kammer gehen werden, so ist er es auch, der die Tore des Hades auf der Himmelsseite geöffnet hat für alle die Seinen, so dass sie im Triumph aus dem Grabe hervorgehen werden.

22. Ja, Gott wird den Kopf seiner Feinde zerschmettern. Gott ist nicht nur ein Erretter, sondern er kann auch furchtbar verderben. Er hilft den Seinen eben dadurch, dass er ihre Widersacher, die auch die seinen sind, vernichtet. Er schlägt seine Feinde aufs Haupt, ja er zerschmettert ihren Schädel. Es gibt kein Widerstehen vor dem HERRN; er kann die trotzigen Stirnen seiner Widersacher in einem Augenblick zermalmen. Den Haarschädel derer, die da fortfahren in ihrer Sünde. Mögen sie, gleich Absalom, auf ihren wallenden Haarschmuck noch so stolz sein und mit ihrer üppigen Kraft prangen, des HERRN Schwert wird sie doch treffen und ihre Seele ausschütten. Starrköpfige Sünder werden es erfahren, dass Gottes Vorsehung sie trotz ihres harten Schädels überwältigen wird. Menschen, die mit stolzen Schritten in ihren Verschuldungen einherwandeln, werden gewahr werden, dass sie dem Gericht in die Arme laufen und dass gerade das, worauf sie so stolz sind, zum Werkzeug ihres Verderbens dienen kann. Wenn der Herr Jesus zum letzten Mal kommt, werden seine Feinde seine Gerichte über alles Erwarten schrecklich finden.

23. Der Herr hat gesagt: Aus Basan will ich (sie) wiederholen, aus der Tiefe des Meers will ich (sie) holen. Ist hier von der Wiederbringung Israels die Rede? So verstehen es mit der englischen Bibel manche bedeutende Ausleger, und man führt mit Recht zugunsten dieser Auffassung an, dass das Wort zurückführen, wenn es, wie hier, im Grundtext ohne Objekt steht, sonst stets von der Wiederbringung Israels gebraucht sei. Aber die Mehrzahl der Ausleger weist auf den Zusammenhang hin, wonach hier von den Feinden die Rede sein werde. Ob diese auch der gewaltigen Hand des HERRN (V. 22) zu entfliehen suchen, sie werden es nicht vermögen. Wie gegen Israels Gott kein Widerstand möglich ist, so gibt es auch kein Entrinnen vor ihm; weder die höhlen- und wälderreichen Berge Basans, noch die Tiefen des Meeres gewähren eine Zuflucht vor seinem alles durchdringenden Auge und seiner Gerechtigkeit übenden Hand. Noch stärker droht der HERR durch Amos (Kap. 9,2 f.) den abtrünnigen Israeliten, welche sich seiner Strafe zu entziehen suchten, er werde sie holen, wenn sie sich gleich in die Hölle vergrüben oder gen Himmel führen, sich oben auf dem Berge Karmel versteckten oder sich vor seinen Augen im Grunde des Meeres verbergen möchten. Die Bösen mögen fliehen, wohin sie wollen, der HERR wird sie in Haft nehmen und gefesselt zurückbringen, dass sie seinen Triumphzug zieren.

24. Dass du deinen Fuß in Blut badest.9 Dem unterdrückten Volke Gottes wird es gegeben werden, sich aufs furchtbarste an seinen Peinigern zu rächen. Die Zunge deiner Hunde an den Feinden ihr Teil habe.10 Auf dem grausigen Schlachtfelde werden die Feinde umherliegen, dass die unreinen Hunde sich an ihrem Blut gütlich tun werden. Hier kommt die Siegesfreude rauer Krieger in einer Sprache zum Ausdruck, die dem Ohr des Morgenländers unanstößig und sogar anmaßend vorkommt. Uns klingen die Worte grausam, und kein Christ wird sie in den Mund nehmen. Aber lasst uns nicht vergessen, dass auch wir die völlige, zermalmende Vernichtung alles Bösen begehren und es sehnlich wünschen, dass die Sünde und alles Unrecht der tiefsten Verachtung preisgegeben werden mögen. Schrecklich ist der Gott Israels, wenn er als Kriegsheld auszieht, und schrecklich auch der Christus Gottes, wenn er seine Macht anzieht, um seine Feinde zu zerschmeißen. Man lese aufmerksam die Worte in der Offenbarung Kap. 19, Vers 11-21, über die alle Widersacher des HERRN und seiner Heiligen wohl von Schauder und Zittern ergriffen werden mögen.


25. Man siehet, Gott, wie du einherzeuchst,
wie du, mein Gott und König, einherzeuchst im Heiligtum.
26. Die Sänger gehen vorher, danach die Spielleute
unter den Mägden, die da pauken.
27. Lobet Gott den Herrn in den Versammlungen,
ihr vom Brunnen Israels!
28. Da herrschet unter ihnen der kleine Benjamin,
die Fürsten Judas mit ihren Haufen,
die Fürsten Sebulons, die Fürsten Naphthalis.


25. Man schauet deinen Zug, Gott. (Wörtl.) Freund und Feind hatten den feierlichen Siegeszug Gottes aus Ägypten nach Kanaan geschaut, von welchem der Zug der heiligen Lade auf den Zion, den der Psalm schildert, das Abbild war. Wir nehmen an, die Prozession habe jetzt den Hügel vollends erstiegen und sei in den abgegrenzten Raum eingetreten, wo das heilige Zelt errichtet war. Es war in diesem Augenblick sehr angemessen, des zu gedenken, dass die Stämme Israels wie auch die Feinde den siegreichen Heerzug des HERRN geschaut hatten, da Jehova sein Volk in das gute Land brachte. Den Zug meines Gottes, meines Königs im Heiligtum. (Wörtl.) Der prächtige Zug der Bundeslade, des symbolischen Thrones des großen Königs, bewegte sich vor den Augen von Menschen und Engeln zu der heiligen Stätte, und der Psalmdichter weist frohlockend auf ihn hin, ehe er sich anschickt ihn zu schildern.

26. Die Sänger gehen vorher, danach die Spielleute unter den Mägden, die da pauken. Das war die Ordnung des Feierzugs, und bei allem Gottesdienst soll eine feine Ordnung herrschen. Zuerst kamen die Sänger, danach die Saitenspieler; denn der Gesang soll die Musik leiten, nicht aber diese den Gesang ersticken. Den Kranz um Sänger und Spielleute aber bildeten paukenschlagende Jungfrauen. Die in diesem Psalm geschilderte feierliche Prozession war eine Freudenfeier, und das Volk wandte alle ihm zu Gebote stehenden Mittel an, um seiner Wonne an dem HERRN, seinem Gott, gebührenden Ausdruck zu geben.

27. In Versammlungen lobet (benedeiet) Gott. (Wörtl.) Möge die ganze Gemeinde, zuhauf versammelt, den Gott preisen, hinter dessen Bundeslade sie herzieht. Der vereinigte Lobpreis des Volkes Gottes gleicht dem heiligen, aus mehrerlei Spezerei gemengten Räuchwerk (2. Mose 30,34 ff.), das ganz dem HERRN dargebracht ward. Er segnet uns; so lasst auch uns ihn segnen. Den Herrn, ihr vom Brunnen Israels. Von Israel, dem Patriarchen, aus hat sich das Volk als von seinem Quellort ausgebreitet. Man vergleiche dazu Jes. 48,1; 51,1. Zeigt euch eures Stammvaters und eurer wunderbaren Geschichte würdig; preist den Allherrn, euren mächtigen und gnädigen Gott!

28. Da ist Benjamin, der Kleine, der sie beherrscht. (Grundtext11 Wie Benjamin der kleinste unter Jakobs Söhnen gewesen war, so war auch sein Stamm an Gebietsgröße und Gliederzahl der kleinste; aber er hatte die Ehre, dass das Heiligtum aus Zion in seinen Grenzen lag, nach der Verheißung, welche Mose über ihn ausgesprochen hatte: Der Liebling Jehovas ist er; in Sicherheit wohnt er bei ihm. Er beschirmt ihn allezeit und hat Wohnung genommen zwischen seinen Bergrücken (5. Mose 33,12). Der kleine Benjamin war Jakobs Liebling gewesen, und nun wird seinen Nachkommen das Vorrecht zuteil, an der Spitze des Festzuges einherzuschreiten und dem Heiligtum am nächsten zu wohnen.
  Die Fürsten Judas mit ihren Haufen. Juda war ein großer, mächtiger Stamm; er hatte viele Fürsten, und er glänzte in dem Zuge durch große Haufen Volks. So ist vielleicht mit Luther nach Kimchi das betreffende dunkle Wort zu deuten. Andere wollen nur die Bedeutung Steinhaufen oder Steinmasse gelten lassen. Einige finden in dem Wort eine Hinweisung auf die felsige Art des Gebietes Judas, womit zugleich auf die Felsenart des Charakters angespielt, dieser Stamm mithin als das Fundament und die Stärke des ganzen Volkes bezeichnet sei. Die Fürsten Sebulons, die Fürsten Naphthalis. Israel ist da wie auch Juda; keine Trennung herrscht im Volke. Der Norden sandte ebenso wie der Süden eine Schar von Stellvertretern, so dass der lange Zug darstellte, wie alle Stämme ihrem Herrn und König treu ergeben waren. Herrlicher Tag, an dem einst alle Gläubigen als ein Volk um den Gnadenthron geschart sein werden, alle nur von dem einen Verlangen erfüllt, den Gott aller Gnade zu verherrlichen!


29. Dein Gott hat dein Reich aufgerichtet;
dasselbe wollest du, Gott, uns stärken, denn es ist dein Werk.
30. Um deines Tempels willen zu Jerusalem
werden dir die Könige Geschenke zuführen.
31. Schilt das Tier im Rohr,
die Rotte der Ochsen mit ihren Kälbern, den Völkern,
die da zertreten um Gelds willen.
Er zerstreuet die Völker, die da gern kriegen.
32. Die Fürsten aus Ägypten werden kommen;
Mohrenland wird seine Hände ausstrecken zu Gott.

Der Prophet legt nun der festlichen Menge ein Lied in den Mund, das die zukünftigen Siege Jehovas voraussagt.

29. Dein Gott hat verordnet deine Macht. (Grundtext) Der Ratschluss des HERRN hatte verordnet, dass Israel Sieg und Macht haben solle, und sein Arm hatte diesen seinen Willen ausgeführt. Andere denken daran, dass Jehova als der oberste Kriegsherr Israels die streitbaren Helden zum Kampf entboten und ihnen befohlen habe, sich am Schlachttag stark zu beweisen. Sämtliche alten Übersetzer haben gelesen: Entbeut, o Gott, deine Macht! Es folgt die Bitte: Befestige, Gott, was du für uns erwirkt hast. (So die engl. Bibel, auch Delitzsch nach alten Übersetzern.12 Wie alle Macht ihren Ursprung in Gott hat, so auch ihre Fortdauer. Haben wir Kraft, so sollen wir um Befestigung bitten. Wir erwarten, dass Gott sein eigenes Werk zum Ziel führen wird. Er hat noch nie ein Werk unvollendet gelassen. Da wir schwach waren, starb Christus für uns Gottlose; so dürfen wir denn jetzt, da wir mit Gott versöhnt sind, von ihm erwarten, dass er das zu unserm Heil unternommene Werk vollends hinausführen werde.

30. Um deines Tempels willen, der über Jerusalem ragt, werden Könige dir Geschenke bringen. (Grundtext nach vielen Auslegern.) Von dem Heiligtum Jehovas, das über Jerusalem emporragte13, wird geweissagt, dass es allen Ländern ein Wunder werden solle, und als dasselbe aus dem schlichten Zelt, welches David errichtet hatte, zum salomonischen Tempel erwuchs, ging das in Erfüllung. So prächtig war dieser Palast Jehovas, dass die Königin des fernen Reicharabien mit kostbaren Gaben kam und viele benachbarte Fürsten, von Staunen erfüllt ob der Herrlichkeit, die sich im Tempel enthüllte, dem Gott Israels ihre Huldigungsgeschenke darbrachten. Steht die Gemeinde Gottes wirklich in der Kraft des Geistes, so gewinnt sie ihrem Gott die Huldigung der Völker. Wenn einst in der Vollendungszeit die verborgene Herrlichkeit der Gemeinde enthüllt werden wird, wird diese Wahrheit noch viel buchstäblicher und umfassender in die Erscheinung treten.

31. Schilt das Tier im Rohr. Das Schilf ist Sinnbild Ägyptens. Unter dem Tier im Schilf ist entweder das Krokodil oder, da dieses im Nil selbst und nicht im Schilf lebt, vielleicht eher das Nilpferd (vergl. Hiob 40,21 [16]) gemeint, wiewohl nicht dieses, sondern das Krokodil sonst in der Bibel (z. B. Ps. 74,14; Jes. 27,1; 30,6; Hes. 29,3) als Symbol Ägyptens gebraucht wird. Bedrohe Ägypten, halte seine wachsende Macht und Eifersucht durch ein Wort aus deinem Munde nieder. Israel gedenkt seines alten Feindes, der auch jetzt wieder auf Unheil sinnt und solches später in den Zeiten Rehabeams und Josias wirklich über Juda brachte, und bittet um ein Machtwort seines allmächtigen himmlischen Freundes. Wie das Folgende zeigt, steht Ägypten hier als Vertreter der feindlichen Weltmächte überhaupt. Auch das antichristliche Wesen unserer Tage, wie dereinst den Antichrist selbst, kann nur ein wirksames Wort des HERRN bedrohen, im Zaum halten und vernichten. Die Rotte der Ochsen (wörtl.: der Starken, d. i. der Stiere): die starken Feinde, die Mächtigen, die Fürsten und Anführer der gleich darauf genannten Völker. Die stolzen, halsstarrigen, von Kraft und Wildheit strotzenden Bullen, welche das auserwählte Volk zu durchbohren suchen - auch für diese bedarf es des scheltenden Wortes des HERRN, und es soll wider sie ergehen. Alle heiligen Stiere Ägyptens vermochten nichts gegen ein "So spricht der HERR". Auch päpstliche Bullen und kaiserliche Edikte haben gegen die Gemeinde des HERRN gewütet; aber sie haben ihr nicht den Todesstoß zu geben vermocht und werden es nie können. Mit ihren Kälbern, den Völkern. Auch die gemeinen Leute, die Geringeren und Schwächeren, sind auf Unheil bedacht; aber die Stimme des HERRN kann sie in Schranken halten. Die Massen sind nichts vor Gott, wenn er seine Macht anzieht. Beide, Stiere und Kälber, sind nur Schlachtvieh, wenn die Allmacht sich wider sie wendet. Das Evangelium hat gleich der Bundeslade weder von Großen noch von Geringen etwas zu fürchten; es ist ein Stein, an dem jeder, der auf ihn fällt, zerschellt. Die nächstfolgenden Worte sind kaum zu enträtseln. Die Übersetzung Luthers ist keinesfalls haltbar. Die engl. Bibel rät mit manchen Auslegern auf folgenden Sinn: Bis ein jeglicher sich ergebe (sich huldigend niederwerfe) mit Silberstücken. Der HERR würde danach in diesen Worten gebeten, die Feinde Israels zu bezwingen, bis sie sich unterwerfen und in Silberbarren ihren Huldigungstribut darbringen. Gesegnetes Schelten, das nicht zerbricht, sondern beugt! Denn sich dem HERRN der Heerscharen unterwerfen bedeutet Freiheit, und ihm Tribut entrichten macht den reich, der solchen zahlt. Die Steuer, welche die Sünde uns auferlegt, ist viel drückender als der Tribut, den Gottes Dienst von uns fordert. Der kleine Finger der bösen Lust ist schwerer als die Lenden des Gesetzes. Silberstücke, Gott gegeben, werden in Gold heimgezahlt. Er zerstreuet (oder, wie man mit den alten Übersetzern meist liest: Zerstreue) die Völker, die da gern kriegen. Demnach war trotz der starken Sprache des 24. Verses Gottes Volk ein Volk von Friedenskindern: sie begehrten die Zerbrechung der gewalttätigen Völker nur, damit niemals wieder Krieg werde. Lass, o Gott, die Kämpfe, die den Frieden bringen sollen, so heftig werden, wie es sein muss; häufe feurige Kohlen auf das Haupt der Feinde und töte dadurch ihre Feindschaft. Dass, die den Krieg lieben, im Kriege umkommen, ist eine gerechte Ordnung zur Aufrichtung der Ruhe auf Erden. Wie kann Friede werden, solange der blutdürstigen Tyrannen und ihrer Henkersknechte so viele sind? Inbrünstig dürfen wir diese Bitte vor Gott bringen und mit gleicher Inbrunst Gott dafür preisen, dass sie gewisslich erhört werden wird; denn er ist der Gott, der Bogen zerbricht, Spieße zerschlägt und Wagen mit Feuer verbrennt (Ps. 46,10).

32. Die Fürsten (vielleicht: Feiste, d. h. Vornehme, Reiche) aus Ägypten werden kommen. Alte Feinde werden neue Freunde sein. Salomo wird in Pharaos Haus eine Braut finden. Christus wird sich aus dem Herrschaftsgebiet der Sünde fürstliche Diener holen. Vornehmste Sünder werden sich dem Zepter der Gnade unterwerfen. Mohrenland wird seine Hände ausstrecken zu Gott, wörtl. Kusch wird seine Hände zu Gott eilen lassen, sei es zum Flehen, sei es, um Friedensgaben darzubringen. Kandazes Kämmerer wird über Ihn fragen, der wie ein Lamm zur Schlachtbank geführt ward. Abessinien wird sich noch zum HERRN kehren und Afrika eilend seine Hände nach dem Christus Gottes ausstrecken. Armes Afrika, die Hände sind dir lang gefesselt gewesen und von grausamem Arbeitszwang steif und hart geworden; aber Millionen deiner Kinder haben in der Sklaverei die Freiheit gefunden, mit welcher Christus die Menschen befreit hat, und so ist dein Kreuz gleich dem, das der Afrikaner Simon von Kyrene trug, Christi Kreuz gewesen und Gott ist dein Retter geworden. Lass bald den Tag herbeikommen, HERR, da ganz Mohrenland dich anbeten wird!


33. Ihr Königreiche auf Erden, singet Gott,
lobsinget dem Herrn (Sela),
34. dem der da fähret im Himmel allenthalben von Anbeginn!
Siehe, er wird seinem Donner Kraft geben.
35. Gebt Gott die Macht!
Seine Herrlichkeit ist über Israel
und seine Macht in den Wolken.
36. Gott ist wundersam in seinem Heiligtum.
Er ist Gott Israels; er wird dem Volk Macht und Kraft geben.
Gelobt sei Gott!


33. Ihr Königreiche auf Erden, singet Gott. Herrlich muss der Gesang sein, zu dem sich ganze Königreiche vereinigen. Wie glücklich ist das für uns Menschen, dass der wahre Gott ein solcher ist, dessen Wesen freudige Anbetung entspricht; denn wie ganz anderer Art sind die Dämonen, denen die Heiden dienen! Es ist um den Gesang etwas so Liebliches, dass er ganz dem HERRN geweiht sein sollte. Ein rein weltliches Konzert scheint uns fast eine Entweihung der herrlichen Stimmen, welche Gott den Menschen gegeben; ausgelassene oder gar grob oder fein unzüchtige Lieder aber sind ein Majestätsverbrechen. Lobsinget dem Herrn. Immer aufs Neue werde der Höchste gepriesen; davon wird es niemals, wie 1. Petr. 4,3 von der Sünde, heißen: Es ist genug. Sela. Eine beschauliche Pause ist nun, da wir mit dem Dichter mitten in die glorreiche Endzeit versetzt sind, wohl am Platze.

34. Dem, der in den Himmeln der Himmel, die von der Urzeit her sind, einherfährt. (Wörtl.) Vordem war Gott in seiner irdischen Offenbarung als durch die Wüste ziehend (V. 5) geschildert worden; jetzt in seiner himmlischen Glorie als in den ewigen Himmeln einherfahrend. Lange bevor unser sichtbarer Himmel gemacht war, standen die erhabenen Wohnungen des Ewigen fest; ehe Menschen und Engel geschaffen waren, lebte Gott schon in uralter Herrlichkeit. Unsere Kenntnis von Gott umfasst nur ein kleines Bruchstück seines Lebens, dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her ist. Siehe, er lässt sich vernehmen mit seiner Stimme, seiner mächtigen Stimme. (Wörtl.) Ließ sich gerade Gottes Donner vom Himmel her vernehmen? Oder war der Dichter im Geiste in die Zeit zurückversetzt, da die Stimme Jehovas das lange Schweigen brechend sprach: Es werde Licht, und es ward Licht? Bis zu dem gegenwärtigen Augenblick ist Gottes Stimme voller Macht. Das Evangelium, Gottes Ruf an die Sünder, ist eine Kraft Gottes, selig zu machen alle, die daran glauben. Unsere Stimmen werden mit Recht aufgefordert, den zu preisen, dessen Stimme uns ins Dasein rief und uns die wirksame Gnade verleiht, die unser ewiges Wohl verbürgt.

35. Gebt Gott die Macht! Wenn seine Stimme schon Felsen zerreißt und Zedern zerbricht, was wäre seiner Hand unmöglich? Sein Finger erschüttert die Erde; wer kann die Macht seines Arms erfassen? Lasst uns nie durch Zweifel oder gar durch Trotz Gottes Macht ableugnen; mögen im Gegenteil unsre Herzen sie durch Vertrauen und Hingabe anerkennen und ehren. Wenn wir mit Gott versöhnt sind, so ist seine Allmacht eine Eigenschaft, von der wir mit Freuden singen. Seine Herrlichkeit ist über Israel. Das auserwählte Volk wird durch Gottes Majestät beschirmt; seine Größe bedeutet für die Seinigen Huld, seine Herrlichkeit ist ihr Schutz. Und seine Macht in den Wolken. Er beschränkt die Erweisungen seiner Kraft nicht auf die Menschenkinder, sondern macht seine Allgewalt gleichsam zu einem Thronhimmel, der die ganze Welt überschattet. Regen, Schnee, Hagel, Sturm und Blitz sind seine Artillerie; er beherrscht die ganze Natur mit Ehrfurcht gebietender Majestät. Nichts ist so hoch, dass es über ihm wäre, oder so tief, dass es seinen Blicken entginge; so preist ihn denn, wie es seiner Hoheit gebührt.

36. Furchtbar erzeigst du dich, Gott, von deinem Heiligtum aus. (Grundtext) Du erfüllst alles mit Scheu und Ehrfurcht. Deine Heiligen gehorchen dir mit Furcht und Zittern, und deine Feinde fliehen vor dir mit Entsetzen. Von deinem Heiligtum aus erblitzt deine Majestät und macht, dass die Menschenkinder sich vor dir in heiliger Scheu niederwerfen. Israels Gott, er gibt dem Volke Macht und Kraft. (Wörtl.) Gerade dadurch bist du deinen Feinden schrecklich, dass du, der du Israels Bundesgott bist, deinem Volke Gewalt und Fülle der Kraft verleihst, so dass ihrer einer tausend jagt und ihrer zween zehntausend flüchtig machen. Alle Macht der Krieger Israels ist vom HERRN, dem Urquell aller Kraft. Er ist stark und macht stark; wohl denen, die aus dieser Quelle schöpfen; sie gewinnen immer wieder neue Kraft. Während diejenigen, welche sich selbst genug sind, ihre Ohnmacht einsehen müssen, wird der Allgenügsame die schwächsten Gläubigen erhalten. Gelobt (gesegnet, benedeit) sei Gott! Ein kurzer, aber schöner Schluss. Mögen unsere Herzen dazu Amen sagen!


Erläuterungen und Kernworte

Zum ganzen Psalm. Dieser großartige Psalm ist ein Triumphlied, in welchem uns der dem Geiste des Verfassers vorschwebende unwiderstehliche Siegesgang des Gottes Israels durch die Geschichte hindurch, von Anfang bis zu Ende, in lebhafter, hie und da etwas schwer verständlicher Bildersprache vor die Augen gemalt wird. Das Hauptbild, unter welchem dieser Siegesgang Gottes dargestellt erscheint, ist der Zug Israels. Auf diesem wurde es von seinem es in der Wolken und Feuersäule begleitenden Gott zunächst durch die Wüste bis zum Sinai geführt, daselbst zu einem Volke konstituiert und sodann, unter Gottes Gegenwart über der vor dem Volke einher ziehenden Bundeslade, in das verheißene Erbland Kanaan geleitet. Hier setzte es sich unter mancherlei Kämpfen zur Zeit Josuas und der Richter fest und breitete sich aus, bis zu Davids Zeiten die Bundeslade, als das israelitische Nationalheiligtum, auf dem Zionsberge ihre bleibende Wohnstätte fand, von wo aus sich Gott seinem Volke offenbarte und demselben verhieß, ihm den Sieg über alle Völker der Erde dereinst verleihen zu wollen. - Die Veranlassung zur Abfassung dieses Psalms lässt sich nicht mit Bestimmtheit ermitteln; doch darf mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass er von David als ein ermutigender Kriegsgesang für das israelitische Heer gedichtet worden sei, als dasselbe unter Mitnahme der Bundeslade zur Belagerung der ammonitischen Hauptstadt Rabbat auszog. Vergl. 2. Samuel 11,11. Durch Ausdruck und Originalität sowie durch seinen abschließenden Charakter ist er ein Seitenstück zu Ps. 8, und in demselben ist nichts zu finden, was seinem davidischen Ursprunge widerspräche. Lic. Dr. H.V. Andreä 1885.
  Schon der altertümlichen Sprache, der gedrungenen Darstellung und dem durchaus frischen, kräftigen, oft naiv spottenden Tone der Dichtung nach gehört dies Lied gewiss zu den ältesten Denkmälern der hebräischen Poesie. Fr. Böttcher 1864.
  Der feurigste, kühnste und kräftigste Hymnus, den wir in der Psalmensammlung haben. Prof. H. Hupfeld 1860.
  Der Dichter schaut mit prophetischem Auge, wie Jahve sich erhebt und seine und Israels Feinde infolgedessen zerstieben, Israel aber sich freut und jubelt, V. 2-4. Er fordert seine Volksgenossen auf, dem Befreier und Rächer der Seinen dafür ein Loblied zu singen, V. 5-7. Es folgt ein historischer Rückblick auf die Führungen des Volkes durch seinen Gott, V. 8-19. Diese Erinnerung an Jahves frühere Großtaten dient als Gewähr dafür, dass die im Anfang des Psalms ausgesprochene Erwartung tatsächlich in Erfüllung gehen wird; denn der, welcher früher geholfen hat, wird die Seinen auch jetzt nicht im Stich lassen. Der Rückblick selbst spielt sich in drei Gemälden ab. Das erste zeichnet den Zug durch die Wüste nach der Befreiung aus Ägypten und die Vorbereitungen, um Kanaan zum Wohnsitz Israels zu machen, V. 8-11; das zweite feiert den Sieg über die Könige Kanaans, V. 12-15; das dritte endlich schildert, wie Jahve nach Eroberung des Landes seine irdische Residenz auf dem Zion aufschlug und nach Beendigung des großen Werkes in den Himmel zurückkehrte, V. 16-19. - Die zweite Hälfte des Psalms, V. 20-36, hat es mit der Gegenwart und der Zukunft zu tun. Noch täglich trägt Jahve sein Volk, errettet es aus Todesgefahr, vernichtet die Feinde und hat versprochen, die gefangenen Israeliten zurückzuführen, damit sie an den Feinden Rache nehmen, V. 20-24. Dafür wird ihm in feierlicher Prozession gedankt, V. 25-28. Möge nun aber Jahve auch wirklich bald einschreiten und seine Weltherrschaft zur allgemeinen Anerkennung bringen; möge er die mächtigen Völker, die Krieg lieben, zur Ruhe bringen und dafür sorgen, dass sie, der Weissagung der Propheten entsprechend, Huldigungsgeschenke nach Jerusalem bringen, V. 29-32. Schon sieht der Dichter im Geist diese messianische Hoffnung erfüllt; darum schließt er mit der Aufforderung an die Reiche der Welt, dem mächtigen Herrscher des Himmels, der Israels starker Schutzgott ist, Loblieder anzustimmen, V. 33-36. Prof. Friedr. Bäthgen 1904.
  Die schönsten und kräftigsten Stellen des Psalms sind wie eine Blumenlese aus älteren Liedern, die wir teils noch sonst im Alten Testament finden, teils als einst vorhanden gewesen voraussetzen müssen. Das Ganze ist mehr aus einer Reihe von ältern Glanzstellen schön zusammengesetzt, als neues Gut und feste Fügung; und da viele ältere Stellen sehr abgerissen sind (wahrscheinlich als den Sängern bekannt), so ist die Erklärung oft schwer. Prof G. H. Ewald 1866.
  Es ist ein Psalm in Debora-Stil, auf dem höchsten Gipfel hymnischer Empfindung und Darstellung einherschreitend. W. Binnie (1870) bezeichnet ihn schon als ein hocherhabenes Triumphlied, das von Edelsteinen, aus den älteren Schriften gesammelt, glitzere. Das Herrlichste des Schrifttums der Vorzeit ist darin konzentriert: die Signalworte Moses (4. Mose 10,35), der Segen Moses (5. Mose 32; 33), die Weissagungen Bileams, das Deuteronomium, das Lied Hannas hallen hier wieder; aber auch übrigens ist die Sprache so kühn und so eigentümlich, dass wir nicht weniger als dreizehn sonst nicht weiter vorkommenden Wörtern begegnen. Prof. Franz Delitzsch † 1890.
  Nachbildungen des Liedes der Debora: Vergl. V. 8.9 mit Richter 5,4 f.; V. 13 mit Richt. 5,30; V. 14 mit Richt. 5,16; V. 19 mit Richt. 5,12; V. 28 mit Richt. 5,14.18. Außer den vielen Berührungen mit dem Liede und dem Segen Moses (5. Mose 32; 33;) in einzelnen Wörtern vergleiche man auch diejenigen mit Jes. 40 ff.: vergl. V. 5 mit Jes. 40,3; 57,14; 62,10; V. 4 mit Jes. 51,11; V. 7 mit Jes. 49,9; 61,1; V. 10. 11 mit Jes. 48,21; V. 12 mit Jes. 40,9; V. 20.21 mit Jes. 63,8 f.; V. 27 mit Jes. 48,1; 51,1; V. 30 mit Jes. 49,7; 60,3; V. 33 mit Jes. 42,10-13. - Nach Prof. Friedrich Baethgen 1892.
  Wie der 67. Psalm mit einer Bezugnahme auf den aaronitischen Segen begann, so dieser mit der Anspielung auf das Gebet, welches Mose zu sprechen pflegte, wenn die Wolkensäule das Lager zum Weitermarsch aufrief. Dort verbreitete das Angesicht Gottes Licht des Heils über das Volk des Eigentums, hier fliehen seine Feinde vor ebendemselben Angesicht. William Kay 1871.
  Bei diesem Psalm haben wir besondern Anlass, die Zaghaftigkeit oder Vorsicht unserer Übersetzer zu tadeln oder zu bewundern, je nachdem man es ansieht, mit Bezug auf die Art, wie sie die Namen Gottes wiedergegeben haben. Während fast alle hervorragenden Namen Gottes in dem Liede angewandt sind - Elohim, Adonai, Schaddai, Jehova, Jah, El, Jehova Adonai, Jah Elohim - lesen wir in unseren Bibeln hier nur folgende: Gott, HERR (Herr) und der Allmächtige. R. H. Ryland 1853.
  Dieser 68. Psalm spielt in den Verfolgungen der Hugenotten in Frankreich eine besonders wichtige Rolle. Die metrische Übersetzung Theodor Bezas lautet
  
  Que Dieu se monstre seulement,
  Et on verra soudainement
  Abandonner la place
  Le camp des enemis espars
  Et ses haineux de toutes parts
  Fuir devant sa face.
  Dieu les fera tous s’enfuir
  Ainsi qu’on va s’esvanouir
  Un amas de fumée;
  Comme la cire auprès du feu,
  Ainsi des méchants devant Dieu
  La force est consommée.
  
  (Die Melodie dieses Psalms war eine deutsche. Sie war von dem Straßburger Matthäus Greiter auf den 119. Psalm komponiert [bekannter mit dem andern Text: "O Mensch, bewein’ dein’ Sünde groß"]. Calvin verwendete diese 1542 für einen der von ihm übersetzten fünf Psalmen [Ps. 36]. Die andern zu diesen fünf Psalmem von Calvin benutzten deutschen Melodien wurden im Gebrauch der Genfer nach und nach durch neue französische ersetzt; eine Ausnahme machte der 36. Psalm mit obiger Melodie. Diese Melodie gewann dadurch eine merkwürdige Bedeutung, dass Beza, wie bemerkt, darauf den 68. Psalm komponierte und dann die Hugenotten daraus ihren vornehmsten Kriegspsalm machten.)
  Zum ersten Mal tritt dieser Psalm als Schlachtlied der Hugenotten auf, als sie unter Führung Heinrichs von Navarra, des nachmaligen Heinrich IV., 1587 den glänzenden Sieg bei Coutras gewannen. In dieser Schlacht standen sie zum ersten Mal in offener Feldschlacht ihren Bedrängern gegenüber. Vor Beginn der Schlacht fiel das Häuflein der Evangelischen auf die Knie; der Prediger Chandieu, † 1591 als Pfarrer und Professor in Genf, hielt ein inbrünstiges Gebet. Dann stimmten die Krieger den 68. Psalm an, und nach dem Fall des feindlichen Heerführers, des Herzogs von Joyense, neigte sich der Sieg auf ihre Seite.
  Später, in den Kamisardenkriegen, zur Zeit Ludwigs XIV., war es derselbe Psalm, welcher die Verteidiger ihres protestantischen Glaubens ermutigte und ihnen zum Siege verhalf. Davon schreibt Douen: Dieses großartige und unvergleichliche Lied schlug, als man vom Gipfel der Cevennen unter dem Knattern des Kleingewehrfeuers herabstieg, die Truppen des großen Königs, die zur Verfolgung der Kamisarden ausgeschickt waren, mit einem gewissen abergläubischen Schrecken. - Der Anfang dieses Gesangs ist gedämpft und schwach, wie das Rollen des herannahenden Gewitters; gegen die Mitte erinnern gellende, anhaltende Töne an das Krachen des Donners, wobei es zweimal fast Schlag auf Schlag widerhallt, und der Schluss ist nicht ohne Ähnlichkeit mit dem letzten Rollen des Donners, der sich in der Ferne verliert.
  Wegen dieser seiner geschichtlichen Bedeutung legte man unserm Psalm auch besondere Namen bei. So schreibt Tiersot: Die protestantischen Schriftsteller nennen den 68. Psalm den "Schlachtgesang der Hugenotten", die "Hugenotten-Marseillaise", das "Nationallied des französischen Protestantismus"; er war es, den die Glaubensmärtyrer immer feierlich anstimmten, während sie vor versammelter Menge dem Tode entgegengingen. Rudolf Kögel 1895.
  Den 68. Psalm stimmte Oliver Cromwell 1650 an, als bei Dunbar das schottische Heer von ihm geschlagen war im Morgengrauen und nun die Sonne rotglühend aus dem Meer emporstieg. Da brach der Sieger frohlockend aus in die Worte: "Es stehe Gott auf, dass seine Feinde zerstreuet werden!" A. v. Salis 1902.


V. 2. Es stehe Gott auf. Die Barmherzigkeit Gottes ist ersichtlich an seiner Geduld gegen die Gottlosen, auf welche dieser Ruf hindeutet; denn es ist, als schlafe er und bemerke all das Unrecht nicht. Der HERR nahm sich zur Zerstörung einer Stadt (Jericho) mehr Zeit als zum Bau der ganzen Welt. Er ist langsam zum Zorn und schnell zu vergeben, und erhebt sich nicht zur Bestrafung einzelner und noch viel weniger zu allgemeinen Gerichten, ohne dass er vorher lange Zeit Geduld geübt und viel Güte bewiesen hat. John Boys † 1643.


V. 2.3. Die Leute, auf welche diese Verse hinweisen, werden mit dreierlei Namen genannt als so vielen Brandmalen, die ihnen auf die Stirn geprägt sind. Sie sind 1) Feinde, 2) Gotteshasser, 3) Gottlose. Was Gott veranlasst, seiner Geduld ein Ende zu machen und wider sie aufzustehen, ist, dass sie sich wider ihn und seine Gemeinde verbunden und versammelt haben, wie daraus hervorgeht, dass sie zerstreut werden. Ihre Vernichtung wird in viererlei Ausdrücken geschildert: sie sollen 1) zerstreut werden, 2) fliehen, 3) verschwinden wie Rauch, 4) zerschmelzen wie Wachs; und dies alles fasst sich zusammen in dem Wort: sie müssen umkommen vor dem Angesicht Gottes. Anthony Farindon † 1658.


V. 2-4. Erst bei dem letzten Kommen des Herrn wird dies Gebet im Vollmaß erfüllt werden. Zwar hat Gott schon oft eingegriffen mit seinen Gerichten, sei es, um seine Gemeinde zu retten, sei es, um die Gottlosen zur Buße zu wecken; aber jede solche Dazwischenkunft war vorübergehend, und die Welt wurde dann wieder der gewöhnlichen Regierung der Vorsehung überlassen. Gott hat es an Zeichen nicht fehlen lassen, die der Welt zur Genüge dartun konnten, was er tun werde, wenn der Tag seines Zornes gekommen sei. Trotzdem sind Welt und Kirche noch voller Gottlosigkeit und voll Sündenelends. Die den HERRN hassen, fliehen nicht vor ihm, sondern dürfen noch ihren Mund zu Lästerungen auftun; auch sind die Gottlosen noch nicht umgekommen vor dem Angesichte Gottes. Als Glieder der christlichen Kirche bekennen wir immer wieder, dass wir an die Zukunft Christi als des Richters glauben, und es mag sein, dass wir auch je und dann über seine glorreiche Erscheinung nachsinnen; aber haben wir daraus einen Gegenstand des Gebets vor dem Gnadenthron gemacht, so dass wir mit dem Psalm flehen: Gott stehe auf? - Es verdient unsere Beachtung, dass uns nur ein Gebet der abgeschiedenen Heiligen zur Kenntnis gegeben ist und dass dies eine (Off. 6) dem Inhalt und Zweck nach sich der vorliegenden Bitte anschließt. Wiewohl die Blutzeugen, aus deren Munde jenes in der Offenbarung uns mitgeteilte Gebet zu Gott emporsteigt, dem Schauplatz der Sünde und des Jammers entrückt und vor allen Angriffen der Gottlosen gesichert sind und die Freude vor Gottes Angesicht genießen, ist ihr Glück doch noch nicht vollkommen, und sie finden noch Anlass zu heißem Flehen. Sie sehnen sich nach dem Tage, an welchem der HERR aufsteht, um Gericht zu halten und all dem Triumph der Gottlosen ein Ende zu machen. Mit diesem Gebet schließt auch das Neue Testament. Es kann darum kein Zweifel obwalten, dass es unsere Pflicht ist, dies Gebet zu dem unseren zu machen. Alexander MacCaul 1840.
  Steht Gott auf, so zerstieben seine Feinde usw. Was einst die Priester zu Mosis Zeit, wenn die Bundeslade sich erhob, gesungen haben, das hat sich auch diesmal bestätigt, das ist das Thema, welches sich in der Geschichte des Gottesreichs auf Erden in immer neuen Wendungen fugenartig wiederholt, bis einst das Weltgericht alle früheren Gerichte in sich aufnimmt und zur Vollendung führt. Prof. August Tholuck 1843.
  In einem anschaulichen Bilde stellt den Inhalt unseres Verses dar, was nach Mt. 28,4 mit den Wächtern am Grabe geschah. Prof. E. W. Hengstenberg 1844.
  Wie der Rauch vertrieben wird. Ein treffendes Bild, zu veranschaulichen, wie leicht Gott die Anschläge der Feinde zunichte machen kann. Wir halten es für ganz unglaublich, dass solch eine furchtbare feindliche Angriffslinie in einem Augenblick verschwinden könnte. Aber der heilige Geist bedient sich dieses Bildes, um die Furchtsamkeit unserer fleischlichen Denkweise zu züchtigen und uns zu zeigen, dass unsere Feinde gar keine solche Kraft haben, wie wir uns denken, - dass wir uns von dem Staub, den sie aufwirbeln, die Augen blenden lassen und von dem kühnen Widerstand, den sie uns entgegensetzen, dazu verführen lassen, die Wahrheit zu vergessen, dass selbst die Berge fliehen vor dem Angesicht des HERRN. Jean Calvin † 1564.
  "Ihr Ende war wie das des Rauches," sprach ein betagter Lehrer der Wahrheit. "Was meinst du damit, Meister?" fragte sein noch junger Schüler. "Ich dachte an das Ende der Ungerechten," antwortete der Alte, "und wie oft ich gleich dem Psalmisten neidisch gewesen bin, wenn ich die Gottlosen im Glück sah. Ihr Leben erschien mir in so glänzenden und glühenden Farben, dass es mir der Flamme eines fröhlichen Winterabendfeuers zu gleichen schien. Aber da ich sie beobachtete, vergingen sie plötzlich gleich der Flamme, die zu schwarzem, hässlichem Rauch erlischt. So habe ich aufgehört, sie zu beneiden. Traue nicht dem, was so glänzend zu sein scheint, sondern beobachte, was sein Ende ist, damit du dich nicht betrügen lassest." Parabeln von Hubert Bower 1871.


V. 4. Die Gottlosen fliehen vor der Gegenwart Gottes, weil sie sie mit Schrecken erfüllt; die Gerechten aber freuen sich derselben, weil sie nichts wissen, das ihnen köstlicher wäre als das Bewusstsein der Nähe Gottes. Jean Calvin † 1564.


V. 5. Macht Bahn. Spielt auf die Gewohnheit an, dass vor den Monarchen des Orients, wenn sie daherzogen, die Landstraßen geebnet wurden. Prof. August Tholuck 1843.
  Herfährt. Der Ausdruck ist vielleicht mit Bezug auf die Cherubim gewählt, auf denen fahrend Jehova auch an anderen Stellen gedacht ist, z. B. Ps. 18,11. Gott reitet gleichsam als der Führer und Feldherr seines Volkes an dessen Spitze, wie ein irdischer Heerführer, auf dem Schlachtross sitzend, seine Armee anführt. J. J. Stewart Perowne 1864.
  Gott zieht stets an der Spitze seines Volkes durch die Wüsten des Elends und der Bedürftigkeit; in den Einöden der Not hat es an ihm einen treuen Führer. Prof. E. W. Hengstenberg 1844.
  Jah ist, als Konzentration von Jehova, der stärkere Ausdruck. Der Name kommt zum ersten Mal 2. Mose 15,2 vor. Rudolf Stier 1862.


V. 6. Ein Richter der Witwen. Es ist geziemend, dass er nicht etwa Gemahl der Witwen genannt wird. Phil. Burk. 1760.
  Hat Jakobus nicht Kap. 1,27 seines Briefs diese Stelle vor Augen? Wir finden dort die Witwen und Waisen und dann auch die Heiligkeit des Gottes, dem wir dienen. Andrew A. Bonar 1859.


V. 6.7. Es ist besonders lieblich, wenn man es auch in seinem Teil so trifft, wie der Psalm dazu anleitet, dass man nämlich mit den größten Werken, die Gott zu seiner Selbstverwirklichung auf dem Erdboden tut, immer auch das tägliche freundliche Bezeugen desselben gegen alle Hilfsbedürftigen, das gemeinere Retten seiner Auserwählten aus allerlei Not, verbindet, dass einem also das täglich Vorkommende ein Beweis von dem unermüdlichen Treiben seines Werks und also eine unfehlbare Vertröstung auch auf das Weitere ist. Karl Heinrich Rieger † 1791.
  Und ist die Meinung des Heiligen Geistes, dass Gott der Herr so ein gnädiger, freundlicher Gott und König ist, dessen allererstes, höchstes und vornehmstes Werk ist, dass er auf die miserabiles personas am meisten achtgibt, das ist, auf die Personen, deren man sich billig erbarmen soll, weil sie hilflos und trostlos sind. Große Potentaten in der Welt tun das nicht; die respektieren die Herrlichsten und Reichsten im Lande, welche ihren Hof zieren und ihre Macht und Ansehen stärken können. Gottes höchster Ruhm aber ist, dass er sich der Elenden erbarmet. Johann Arnd † 1621.
  Die heilige, d. h. hehre und herrliche Wohnung Gottes ist der Himmel (vergl. Ps. 11,4) im Gegensatze gegen die Erde, die Stätte der Ungerechtigkeit und Lieblosigkeit. Für die Witwen und Waisen gilt das sursum corda! - Die Einsamen in V. 7 sind solche, die von aller menschlichen Hilfe verlassen sind, vergl. Ps. 25,16, wo "einsam" in Verbindung mit "elend". Die nächste Wohltat, deren diese bedürfen, ist, dass sie erhalten, wo sie ihr Haupt hinlegen, unter Dach und Fach gebracht werden. - Die Empörer oder Widerspenstigen sind die hartnäckigen Feinde des Herrn und seiner Gemeinde. Diese werden von Gott gleichsam in die Wüste verbannt und ausgeschlossen von den Erweisungen seines väterlichen Wohlwollens. Das empörerische Israel (vergl. Lk. 19,14; Joh. 19,15) hat die Wahrheit dieser Worte nicht weniger an sich erfahren müssen, wie das empörerische Heidenvolk, Amalek (2. Mose 17,14.16) und Pharao an der Spitze. Prof. E. W. Hengstenberg 1844.


V. 10. Das Erbe ist hier nicht das Land Kanaan, sondern, wie gewöhnlich, das Volk Israel; nur in Bezug auf dieses passt der Zusammenhang: Dein Erbe, auch wenn es ermüdet, hast du gefestigt. Lic. Hans Keßler 1899.
  Deine Liebe war wie ein mächtiger Schauer, - unser Dank nur wie ein Tautröpflein, und dieses Tröpflein noch befleckt mit Sünde! James Harrington Evans † 1849.
  Ein Strom wässert das Paradies, sagt Cyrill von Jerusalem, † 386, und der Regen, der über die ganze Erde fällt, ist überall der gleiche; er erscheint weiß im Hagedorn, rot in der Rose, purpurn in der Hyazinthe, doch ist es stets der gleiche und von der gleichen Art. So ist es auch mit dem Heiligen Geist: wiewohl er derselbe einig Gott und nicht teilbar ist, teilt er doch einem jeglichen zu, nach dem er will. (1. Kor. 12,11) Thomas Le Blanc † 1669.
  Das Du steht im Grundtext mit Nachdruck: Dein Erbe, das dürr oder ermattet war, Du erquicktest oder stärktest es. Du, der allein die Matten erquicken kann, tatest dies an deinem Volke. A. R. Fausset 1866.


V. 12. Der Siegesbotinnen ist ein großes Heer. (Grundtext) Dies Ausbreiten der Kunde von Israels Sieg lässt sich auf den Sieg anwenden, welchen der erhöhte Erlöser errang, als diejenigen, welche nicht wollten, dass die Menschheit errettet werde, durch die Auferstehung Christi überwunden und die heidnischen Völker gezwungen wurden, seine Macht anzuerkennen; und auch dieser große Sieg ward zuerst durch Frauen den Jüngern kundgetan. Frau Thomson 1826.
  Der Herr gab sein Wort bei seiner Himmelfahrt, und derer war ein großes Heer, die es verbreiteten, und dadurch wurden mächtige Könige samt ihren Heeren in die Flucht geschlagen. Sie siegten mit dem Wort; es gibt keine andere so gewaltige Waffe. William Strong † 1654.


V. 13. Die Heerscharen sind die zahlreichen, wohlgerüsteten Heere, welche die Könige der Heiden in den Kampf wider das Volk Gottes führen; das sonst ungewohnte "Könige der Heerscharen" lautet wie ironisch herabsetzendes Gegenstück zu dem gewohnten "Jehova der Heerscharen". Prof. Franz Delitzsch † 1896.
  Teilet den Raub aus. Nicht nur, wie Hupfeld will: empfängt ihren Anteil an der Beute, sondern eher: teilt unter ihre Töchter und Mägde usw. den Anteil an der Beute, den ihr Ehegemahl heimgebracht hat. J. J. Stewart Perowne 1864.


V. 14. Wollt ihr zwischen den Hürden lagern? (Grundtext) Eine scharfe Zurechtweisung. Wollt ihr es euch in eurem ländlichen Stillleben als Hirten gemütlich machen, wie die Taube mit unbeflecktem Gefieder in ihrem warmen Nest, während eure Brüder in dem Gewirre und Staub des Kampfes sind? Vergl. Richt. 5,16 (woher diese Anspielung genommen ist) und 17. Thomas J. Conant 1871.
  Wiewohl ihr zwischen den Hürden laget: wiewohl ihr von den Ägyptern als eine Sippschaft verächtlicher Hirten behandelt wurdet und als solche ihnen ein Gräuel waret. Vergl. 1. Mose 46,34. William Green 1762.
  Wenn ihr lagert zwischen Hürden, sind der Tauben Fittiche überzogen mit Silber und ihre Schwingen mit glänzendem Goldgrün. Das Lagern zwischen den Hürden ist ein Bild wohlhäbigen Friedens, welches (wie V. 8.28) an das Lied Deboras Richt. 5,16, vergl. 1. Mose 49,14, zurückweist. Eine solche Zeit steht auch jetzt Israel bevor, eine Zeit friedlichen, durch reiche Beute gehobenen Wohlstandes. Es wird alles blinken und glitzern von Silber und Gold. Israel ist Gottes Turtel (Ps. 74,19; vergl. Ps. 56,1; Hos. 7,11; 11,11). Deshalb wird der neue Wohlstand mit dem Farbenspiel einer sich sonnenden Taube verglichen. Ihre Flügel sind da wie mit Silber überzogen, also wie silbern, und ihre Schwungfedern mit Goldgrün, und zwar (wie in der hebräischen Verdoppelungsform liegt) schillerndem oder glitzerndem, von Hoch- oder Feingold. Prof. Franz Delitzsch † 1890.


V. 15. Da ward es schneeweiß auf dem Zalmon. (Grundtext) Das Bild scheint sagen zu wollen, dass nach dem Sieg alles so glanzvoll und herrlich erschien für das Volk Gottes wie der Zalmon dem Auge, wenn er im Schnee erglänzt. Da der Schnee in Judäa etwas viel Selteneres ist als bei uns und er viel kürzer liegen bleibt, ist es leicht begreiflich, dass er noch viel mehr bewundert ward. So spricht Jesus Sirach. mit Entzücken von ihm: Er ist so weiß, dass er die Augen blendet, und das Herz muss sich verwundern ob solches seltsamen Regens. (Sirach. 43,20.) Samuel Burder 1839.


V. 16. Der Berg Basans ist nicht das Haurangebirge, speziell der Dschebl Kleb, der für eine Vergleichung mit dem Zion zu fern lag (selbst vom galiläischen See aus noch 15 Meilen) und bei dieser Entfernung nicht hoch genug war (6000 Fuß), sondern der Hermon, der Grenzberg Basans im Norden (5. Mose 3,8), der den Bewohnern Palästinas immer wieder in die Augen fiel. Prof. Fr. W. Schultz 1888.
  Ein Berg Gottes ist ein Berg, der durch seine Größe lebhaft an Gottes Schöpfermacht erinnert und sich als von ihm begünstigt darstellt, vergl. zu Ps. 36,7. Dem Berge Elohims (Elohim der allgemeinste Gottesname) steht der Berg entgegen, den der HERR (Jehova) wählt zu seiner Wohnung. Der Berg Gottes ist hier Emblem (Sinnbild) der durch Gottes Gnade mächtigen Weltreiche, vergl. Ps. 65,7 und andere Stellen. Der Berg Basans ist das hohe Schneegebirge des Antilibanon oder des Hermon, die äußerste Grenze Basans, noch selbst zu ihm gehörig. Die übrigen Berge Basans sind von verhältnismäßig geringer Höhe. Der Hermon war außerdem durch seine Lage gerade an der Grenze der Heidenwelt trefflich geeignet zum Symbol der Weltmacht. Prof. E. W. Hengstenberg 1844.


V. 17. Auf den Berg, da Gott Lust hat zu wohnen. Ja, diesen niedrigen, unscheinbaren und unfruchtbaren Hügel hat Gott sich erkoren; und eben diese Wahl Gottes macht den Unterschied aus, gerade wie zwischen Aarons Stab und den übrigen, und desgleichen zwischen der Gemeinde des HERRN und der übrigen Welt. Das Lamm Christus ist auf dem Berge Zion. (Off. 14,1.) John Trapp † 1669.


V. 19. mit Eph. 4,8. Unter ai)cmalwsi/a sind nach Judith 2,9; 3. Esr. 6,5; Off. 13,10 Gefangene, und zwar eine Truppe oder Gruppe derselben, und nicht das Gefängnis (Luther) zu verstehen; das lehrt der Psalm im Folgenden: auch Widerspenstige. Ja, das nächste Glied bezeichnet den Begriff der ai)cmalwsi/a deutlich genug als einen Haufen Gefangener, da es nun redet von Gaben an Menschen, als in Menschen bestehenden Geschenken, die Er empfangen habe und mit sich führe in das Heiligtum. Karl Braune 1875.
  In dem Worte genommen (Grundtext) liegt offenbar eine Prägnanz, wie sie in den Stellen 1. Samuel 30,11; Ps. 22,22; 30,4; Jes. 38,17; Jer. 14,2 zwar bei andern Zeitwörtern, aber in ähnlicher unvermittelter Weise vorkommt. Wir dürfen die Prägnanz des hebräischen Textes etwa so auflösen: Du hast genommen Gaben (um sie zu bringen) unter die Menschen. Danach war Paulus ganz im Recht, ohne weiteres gegeben zu sagen. Prof. Eduard Böhl 1878.
  Und hast das Gefängnis gefangen. Diese alte Weissagung geht hier am Fuße des Ölbergs in Erfüllung. Das Gefängnis gefangen nehmen heißt, dass Christus die verbündeten Fürstentümer und Mächte, Teufel, Sünde, Tod und Hölle besiegt und sie der Mittel, womit sie die Menschen sich zu Sklaven gemacht hatten, beraubt habe. Er brachte nicht nur die Kanonen auf dem geistlichen Gibraltar zum Schweigen, sondern er nahm Felsen, Festung und alles ein. Er stürzte die Türme um, schleifte die Burgen und nahm die Kerkerschlüssel an sich. Er ist fortan Meister, und zwar für immer. Er erlöste zur gleichen Zeit die Seinen. Wo, Jesu, ist das Heer, dessen Herzog du bist? "Hier ist es! Alle Namen meiner Streiter stehen in Perlenschrift auf meinem hohepriesterlichen Brustschild." Sobald er das Grab verlassen hatte, fing er an, seine Gaben auszuteilen, und er fuhr damit fort auf dem ganzen Weg zu dem Hause seines Vaters; ganz besonders aber überschüttete er die Menschen mit Gaben, nachdem er in den Himmel eingegangen war, gleich einem mächtigen Eroberer, der mit Schätzen beladen heimkehrt, um mit denselben seine Getreuen, die ihm Heerfolge geleistet, und sein Volk zu bereichern und zu schmücken. Es waren Gnadengeschenke: Gaben für die Widerspenstigen, nämlich für solche, die ihre Waffen in reuevoller Unterwerfung zu seinen Füßen niederlegten. Christmas Evans † 1838.
  Auch die Abtrünnigen. Ich fürchtete auch, dass dies eben das Zeichen sei, welches der HERR dem Kain aufgeprägt hatte, nämlich beständige Furcht und Zittern unter der erdrückenden Schuld der Bluttat an seinem Bruder Abel. So wand und krümmte ich mich unter der Last, die auf mir lag, und diese bedrückte mich so, dass ich weder ruhig stehen noch gehen noch liegen konnte. Doch kam mir manchmal das Wort aus dem 68. Psalm in den Sinn: Er hat Gaben empfangen auch für die Abtrünnigen. "Auch für die Abtrünnigen?" dachte ich - "nun, das sind ja solche, die einst ihrem König untertan gewesen, Leute, die, nachdem sie seinem Zepter Gehorsam gelobt hatten, wider ihn zu den Waffen gegriffen haben. Das ist ja gerade mein Zustand. Einst liebte ich ihn, hatte Ehrfurcht vor ihm und diente ihm; jetzt aber bin ich ein Empörer: ich habe an ihm Verrat geübt und ihm im Herzen den Abschied gegeben. Aber er hat ja Gaben auch für Abtrünnige, und wenn das wahr ist, warum sollte er nicht auch für mich noch Gnade haben?" John Bunyan † 1688.
  Du sahst nicht an ihren früheren Ungehorsam, sondert. fuhrst trotz ihres Widerstrebens fort, ihnen Gutes zu tun, bis du sie zu deiner Wohnung machtest. Theodoret † um 457.
  Das Targum gibt folgende Umschreibung: Und auch die Widerspenstigen, welche Proselyten werden und bußfertig umkehren, auch auf die wird sich die Schechina der Herrlichkeit Jehovas niederlassen. Prof. Franz Delitzsch † 1890.


V. 20. Gelobet sei der Herr. Man kann leicht wahrnehmen, dass bei David der Hallelujas (der Lobpreisungen) mehr sind als der Hosiannas (der Hilferufe), dass er noch mehr dankt als fleht. Oft preist er Gott, ohne um irgendetwas zu bitten; kaum je aber bittet er um eine Wohltat, für die er nicht im Voraus dankt. Bischof Joseph Hall 1625.
  Der uns täglich mit Wohltaten beladet. (Andere Übers.) Wiewohl einige mehr haben mögen als andere, so hat doch jeder seine Last, soviel er tragen kann. Nicht jedes Schiff kann die gleichen Segel ertragen; darum setzt Gott, um uns vor dem Kentern zu bewahren, einem jeden gerade so viel Segel bei, als dienlich ist, um ihn zu dem Himmel, dem Hafen, dem wir zusteuern, zu bringen. Bischof Ezekiel Hopkins † 1690.


V. 21. Ein Gott zu Errettungen. (Grundtext) Nicht ohne Ursache setzt er die Mehrzahl, damit wir wissen, dass, wenn uns auch unzählige Tode belagern, Gott auch unzählige Weisen der Errettung in Bereitschaft hat. Jean Calvin †1564.
  Ausgänge vom Tode, d. i. der Ausgang oder das Entrinnen vom Tode: sowohl in der Auferstehung, als in den mannigfachen Gefahren des gegenwärtigen Lebens. Thomas Le Blanc † 1669.
  Ausgänge für den Tod gleich Ausgänge gegen den Tod, d. i. in Todesgefahren, wie sie der Gemeinde durch die Welt bereitet werden. Ausgänge bedeutet Wege, die aus den Gefahren führen, oder geradezu evasiones, Entrinnen, nach der Bedeutung des Zeitworts in 1. Samuel 14,41; 2. Könige 13,5; Pred. 7,18. Nach Prof. Fr. W. Schultz 1888.
  Gottes sind alle Wege, die vom Tode ausführen; er hat die Schlüssel des Tores, das uns aus dem Tode herauslässt. Wenn ein Mensch im Tal der Todesschatten ist, wo soll er hinaus? Wo gibt es einen Durchlass? Nirgendwo, sagen die Menschen; er kann nicht entrinnen. Aber Gott hat den Ausweg. Wenn die Menschen meinen, sie hätten uns im Rachen des Todes verschlossen, so kann er ihn öffnen und uns befreien. Joseph Caryl † 1673.


V. 22. Den Haarschädel, d. i. auch die furchtbarsten Feinde, die mit ihrem grässlichen, durch langes Haar entstellten Aussehen denen, welche sie sehen, Schrecken einjagen möchten. Eduard Leigh † 1671.
  Es war bei manchen der alten Einwohner Arabiens Sitte, die Haare oben auf dem Kopf üppig wachsen zu lassen, im Übrigen aber das Haupt zu scheren. Francis Hare 1740.


V. 23. Wen verheißt oder droht Gott aus Basan und aus Meeresstrudeln, d. i. aus Meeresabgründen, zurückzuholen? Als nach der Zerstörung Jerusalems ein Schiff mit vornehmen jungen Gefangenen nach Rom abging, welchen die Schmach der Prostitution bevorstand, stürzten sie sich, dieses Schriftworts sich getröstend, sämtlich ins Meer. Sie fassten also V. 23 als Verheißung, welche Israel zum Objekt hat, und so auch das Targum; aber der Zwecksatz V. 24 und die Umschreibung bei Amos (9,2 f.) zeigt, dass die Feinde Israels als Objekt gedacht sind. Prof. Franz Delitzsch † 1890.
  Sowohl der vorhergehende als der folgende Vers beweisen, dass hier von den Feinden die Rede ist und nicht, wie manche Ausleger meinen, von dem Volke Gottes. Basan war östlich, das (mittelländische) Meer westlich; so dass der Sinn ist, Gott werde seine Feinde von allen Enden zusammenbringen, damit sie von seinem Volke getötet werden. Benjamin Boothroyd † 1836.


V. 24. Dass dein Fuß in der Feinde Blut gefärbt werde. Wie wir an Ahab und Isabel, den argen Feinden der Kirche und Prophetenmördern, sehen im Alten Testament, und im Neuen an Julian, Licinius, Maxentius, in welcher Blut die Überwinder freilich ihre Füße gefärbt haben, und das geschieht noch, sooft die Kirche Gottes und das Evangelium wider die Blutpraktiken der Feinde wunderlich siegt, erhalten und geschützt wird. Und so wird’s wohl bleiben bis ans Ende, wie Röm. 8 steht: Wir werden um deinetwillen erwürget täglich und sind geachtet wie die Schlachtschafe; aber in dem allen überwinden wir weit um des willen, der uns geliebt hat. Johann Arnd † 1621.


V. 28. Benjamin, der Kleinste, wird hier an die erste Stelle gesetzt. So ist auch im himmlischen Jerusalem der erste Grundstein ein Jaspis (Off. 21,19), der auf dem Brustschildlein Aarons der letzte Edelstein war, und auf diesem war Benjamins Name eingegraben. (2. Mose 28,10.20.21.) Aus diesem Stamm war Paulus, der hervorragendste aller und doch, von anderem Gesichtspunkt aus, der geringste aller Apostel (1. Kor. 15,9). Henry Ainsworth † 1622.


V. 29. Der Dichter blickt nun V. 29 ff. über den Bereich Israels hinaus und beschreibt die Folge der Gerichts- und Erlösungstat Jehovas in der Heidenwelt. Die Anrede zu Anfang von V. 29 geht an Israel oder vielmehr an dessen König: Gott, dem alles dienstbar ist, hat Israel Sieg und Macht über die Welt gegeben. Aus dem Bewusstsein, dass auf dieser Höhe der Macht, auf welche Israel gestellt ist (durch den), der allein es erhalten kann, der es daraufgestellt hat, erwächst die Bitte: Befestige, Gott, was du für uns erwirkt hast. Prof. Franz Delitzsch † 1890.


V. 31. Der abgöttische König Ägyptens wird hier bildlich dargestellt als gleich dem Krokodil im Schilf des Nils wohnend, und daneben werden die Stiere und Kälber genannt, die Götzen des ägyptischen Volks, um welche dieses bei seinen abergläubischen Festen tanzte. Unterdrücke, o Gott, diese Beleidigungen meiner Majestät; doch vernichte nicht nur den Aberglauben Ägyptens, sondern auch seine kriegerische Macht, damit die Heiden sich zu dir bekehren und die Götzenbilder gänzlich vertilgt werden. Edward G. Marsh 1832.
  Wenn Gottes Feinde sich gegen seine Gemeinde erheben, ist es an der Zeit, dass die Gemeinde vor Gott niederfalle und ihn zur Hilfe wider diese Feinde aufrufe. Heilige Gebete sind mächtiger als profane Schwerter. Es hat der Gemeinde des HERRN nie an Feinden gefehlt, und es wird ihr in dieser Weltzeit nie an solchen fehlen. Die Gottlosen haben keinen Frieden, spricht Gott; so sagen die Gottlosen: Die Gottseligen sollen keinen Frieden haben. Die Gottlosen haben den Frieden nicht, den Gott geben kann; die Gottseligen werden nimmer den Frieden haben, den die Welt ihnen nehmen kann. Thomas Wall 1657.
  Er zerstreuet die Völker, die da gerne kriegen. Bei den Völkern deutscher Abkunft war es ehedem Sitte, dass man in streitigen Fällen ein unmittelbares Gottesurteil zur Hilfe rief und von dem Ausgang eines Zweikampfes, von der Wirkung der Elemente, des Feuers und des Wassers, die Offenbarung der Schuld oder Unschuld erwartete. In der Form, in welcher der theokratische Gesichtspunkt, den das Christentum einführte, von diesen Völkern aufgefasst wurde, konnten diese Gottesurteile leicht einen Anschließungspunkt finden. Doch der Bischof Avitus von Vienne († 525) erklärte sich nachdrücklich gegen dieselben, als der König Gundebad sie in die burgundische Gesetzgebung einführte. Dieser Fürst berief sich darauf, dass in Kriegen ein Gottesurteil zwischen den Völkern richte und der Partei, welche das Recht für sich habe, den Sieg gebe. Avitus antwortete ihm: "Wenn Regenten und Völker das Gericht Gottes achteten, so würden sie sich zuerst vor den Worten des 68. Psalms fürchten: Er zerstreuet die Völker, die da gerne kriegen, und sie würden handeln nach dem, was Röm. 12,19 geschrieben ist: Die Rache ist mein, ich will vergelten, spricht der HERR." Prof. J. A. Neander 1842.


V. 33 ff. Die aus allen Völkern gesammelte Gemeinde singt dem, der nach vollbrachtem Leiden aufgefahren ist, um seinen alten Thron, hoch über allen Himmeln, wieder in Besitz zu nehmen, und der von dort aus zu der Welt redet durch sein herrliches Evangelium, mächtig wie der Donner, gewaltig in seinen Wirkungen auf die Menschenherzen. Die Macht der Stimme Christi zeigte sich schon, als er auf Erden war, in der gewaltigen Wirkung solcher Worte wie: "Jüngling, ich sage dir, stehe auf!" "Lazarus, komm heraus!" "Schweig und verstumme!" Und sie wird sich noch gewaltiger erweisen, wenn einst alle, die in den Gräbern sind, seine Stimme hören und aus denselben hervorgehen werden. Bischof George Horne † 1792.


Homiletische Winke

V. 2.3. 1) Die Gemeinde des HERRN hat stets gehabt und wird stets haben Feinde und Hasser; denn eben gegen solche wappnet der Psalmist sich und die Gemeinde mit diesem Gebet. 2) Die Feinde der Gemeinde Gottes sind Gottes Feinde; diejenigen, welche die Gemeinde Gottes hassen, hassen Gott. 3) Es scheint manchmal, als schlafe Gott oder verhalte er sich untätig und als lasse er die Feinde und Hasser für eine Weile nach Belieben schalten. 4) Es kommt aber eine Zeit, da Gott aufsteht. 5) Dann ist auch die Stunde da, wo die Feinde zerstreut werden und die Hasser fliehen müssen. 6) Es ist die Pflicht der Gläubigen, Gott aufzurufen, wenn er zu ruhen scheint, und ihn zu verherrlichen mit Lobpreis, wenn er dann aufsteht, um ihnen beizustehen und sie zu befreien; denn diese Worte sind in Moses Mund Gebet, in Davids Mund wohl eher ein Siegesruf: Gott steht auf - seine Feinde zerstieben usw. Thomas Case 1644.
V. 2-4. als Gebet um das Kommen des Herrn zum Gericht über die Gottlosen und zum Heil der Frommen.
V. 5. 1) Der Name, der zu dem Gesang begeistert: Jah gleich Jehova -der schlechthin selbständige und ewig beständige Bundesgott. 2) Der Gesang, zu dem der Name begeistert: a) ein Lied anbetenden Lobpreises, b) der Glaubenszuversicht, c) der Freude. George Rogers 1871.
V. 6. Das Anrecht der Witwen und Waisen auf die Fürsorge der Gemeinde des HERRN, auf Grund des innigen Verhältnisses, in welchem Gott zu ihnen steht, und der Einwohnung Gottes in der Gemeinde.
V. 7. 1) Zwei heilbare Übel: Einsamkeit und Gebundenheit. 2) Zwei reiche Segnungen: der im Hause wohnen macht, herausführt zu Wohlergehen. 3) Ein ungeheuerliches Übel und seine jammervollen Folgen: Nur die Widerspenstigen sind im dürren Lande geblieben.
V. 8.9. 1) Gott hat seine Zeiten für das Befreien der Seinen aus ihren Trübsalen: Da du usw. 2) Seine Befreiung ist vollkommen: Da bebte die Erde usw. - alles musste vor ihm Platz machen. 3) Die Befreiung wird durch den Verzug umso größer: a) an sich; b) sie wird mehr geschätzt, wie an dem Fall Hiobs, Abrahams, Israels am Roten Meer, Daniels, seiner drei Freunde usw. ersichtlich ist. George Rogers 1871.
V. 10. I. Gottes Gnade verglichen mit einem Regenschauer. 1) Sie kommt unmittelbar vom Himmel (nicht durch Menschen, Priester usw.). 2) Sie ist rein und unvermischt. 3) Niemand hat auf sie das alleinige Anrecht. 4) Es gibt für sie keinen Ersatz. 5) Gott teilt sie aus nach seinem freien Willen in Bezug auf a) Zeit, b) Ort, c) Weise und d) Maß. 6) Sie wirkt kräftig (Jes. 55,10). 7) Gebet kann sie erlangen. II. Es gibt Zeiten, da solche Regenschauer fallen. 1) Im Hause Gottes. 2) Durch die Gnadenmittel. 3) Beim Gebet. 4) In der Trübsal. 5) Wenn die Gläubigen ermattet sind, a) durch Arbeit, b) durch Krankheit, c) durch Erfolglosigkeit. 6) Durch den heiligen Geist, der die Herzen belebt. III. Diese Regenschauer haben den Zweck, Gottes Volk zu befestigen. (Wörl.) IV. Sie sind jetzt vonnöten.
  1) Die Gemeinde des HERRN ist Gottes Erbe oder Besitztum a) durch Wahl, b) durch Kauf, c) durch Besitznahme. 2) Trotz dieses hohen Vorrechts wird sie doch zuzeiten matt und dürr. 3) Aber dann wird er sie erquicken. George Rogers 1871.
V. 11. Besondere Wohltaten, einem besonderen Volke besonders bereitet.
V. 12. Der göttliche Ursprung des Evangeliums; die mannigfaltigen Weisen und Werkzeuge seiner Verkündigung.
V. 13b. Die Stellung der Gemeinde beim Erlösungswerk gleicht derjenigen der Gattin eines Kriegshelden, die daheim bleibt, während ihr Eheherr den Kampf ausficht. Ihre häuslichen Pflichten. Die Beute des glorreich vollendeten Werkes ihres Herrn und ihr Austeilen derselben.
V. 16.17. 1) Die Überlegenheit des Berges Zion (der Gemeinde des HERRN) a) an Fruchtbarkeit gegenüber dem durch seine Weiden berühmten Basan - den weltlichen Wollüsten; b) an Ruhm gegenüber allen Höhen, auch gegenüber den menschlichen Höhen der Gelehrsamkeit und Macht. 2) Die Ursache dieser Überlegenheit: Zion ist die Stätte a) der göttlichen Wahl, b) der steten Lust Gottes, c) seiner Wohnung, d) seines ewigen Bleibens. George Rogers 1871.
V. 17. 1) Die Gemeinde des HERRN als die Wohnstätte Gottes. a) Sie ist dazu vor alters erwählt. b) Sie ist für immer mit Gottes Wohlgefallen gekrönt. c) Sie gewährt Ruhe und Sicherheit. d) Sie wird dadurch, dass Gott in ihr wohnt, hoch geehrt. 2) Darum wird die Gemeinde von andern beneidet. a) Diese fühlen ihre Größe durch sie überragt. b) Sie suchen sie von ihrer Höhe zu stürzen. c) Aber sie handeln damit töricht.
V. 18.19. 1) Vergleichung zwischen Zion und dem Sinai. a) Der gleiche Herr ist da: Der Herr ist unter ihnen. b) Die gleichen Begleiter des Höchsten sind da: Der Wagen Gottes sind viel tausendmal tausend. 2) Der Gegensatz zwischen beiden. a) Gott stieg hinab auf den Sinai, er fuhr auf aus der Nähe Zions. b) Auf dem Sinai legte er den Menschen ein Joch auf, auf Zion führte er das Gefängnis gefangen. c) Auf dem Sinai stellte er Forderungen, in Zion teilt er Gaben aus. d) Auf dem Sinai redete er also, dass alles Volk entsetzt floh; in Zion empfängt er Gaben auch für die Abtrünnigen. e) Auf dem Sinai erschien er für eine kurze Zeit, zu Zion wohnt er immerdar. George Rogers 1871.
V. 19. 1) Christi Auffahrt. 2) Seine Siege. 3 Die Gaben, welche er für die Menschen empfangen hat, und 4) der herrliche Zweck, zu welchem er sie austeilt. John Newton † 1807.
V. 20. Die Schwäche des Volkes Gottes. (Es bedarf täglich des Tragens) Diese gibt Anlass, täglich die machtvolle Treue Gottes zu erfahren. Sie ist daher ein Grund nicht zum Klagen und Zagen, sondern zum Vertrauen auf den wahren, lebendigen Gott (Gott ist unsere Hilfe) und zum Lobpreisen dieses Gottes (Gelobt sei der Herr).
V. 21. In Gottes Hand sind 1) die Auswege aus Todesgefahr; 2) die Eingänge zu dem Tod; 3) der Ausgang aus demselben im Jenseits; 4) aber auch das Tor, das uns, wenn Gott es zuschließt, ewiglich im Tode gefangen hält.
  1) Was ist Gott seinem Volk gewesen? a) Ein Gott, der da hilft; b) ihr Teil: Wir haben einen Gott. 2) Was wird er seinem Volke sein? Er wird mit ihnen sein a) bis zum Tode; b) im Tode; c) nach dem Tode. George Rogers 1871.
V. 21.22. Das königliche Vorrecht, Predigt von C. H. Spurgeon, Schwert und Kelle, 4. Jahrgang 1884, S. 33. Baptist. Verlag Kassel. 1) Das unumschränkte Vorrecht Gottes: V. 21b Grundtext 2) Der Charakter des Herrschers, der dies Vorrecht besitzt: V. 21a Grundtext 3) Die feierliche Warnung dieses unumschränkten Herrn: V. 22.
V. 22. Die Macht, der Stolz, die Weisheit und die Lebenskraft des Bösen werden von Gott vernichtet werden.
V. 23. Die Unmöglichkeit für die Feinde Gottes, sich vor Gott zu verbergen.
V. 36. Gelobt sei Gott! Ein kurzer, aber reichhaltiger Text.

Fußnoten

1. Die meisten übersetzen: freigebiger, d. i. reichlicher Regen. Fr. W. Schultz u. Keßler halten dagegen an der außer Ps. 110,3 durchweg vorliegenden konkreten Bedeutung des Plurals tObdfn: fest. Das Reichliche liegt schon in M$egIe, Gussregen.

2. Andere beziehen das "darin" auf das Land Kanaan.

3. Man kann auch "es" ergänzen; dann wäre das Land gemeint.

4. Grundtext: Der (Sieges-) Botinnen ist ein großes Heer. Ohne Zweifel ist nach dem Grundtext an eine Freudenbotschaft, also an die Verkündigung des Sieges, und zwar durch Frauen, zu denken. (Vergl. dazu 1. Samuel 18,6 f.; 2. Mose 15,20 f.; Richter 5.)

5. Am natürlichsten ist es, als Grundstelle von V. 14a Richter 5,16 (aus dem Lied der Debora, das in unserm Psalm ja mehrfach anklingt) anzunehmen. Dann werden die Worte auch hier (wie in der Grundstelle) als ironische Frage zu fassen sein: Wollt ihr (während eure Brüder im Kampfe ihr Leben einsetzen) zwischen den Hürden lagern? Die dann 14b u. c folgende Schilderung des Farbenspiels der im Sonnenschein fliegenden Taube ist an sich klar; doch verstehen wir nicht mehr, in welcher Beziehung sie zu dem Vorhergehenden stehen soll. Wahrscheinlich sind die Worte eine Anspielung auf ein damals wohlbekanntes Lied. Der Psalm strotzt ja, wie Keßler bemerkt, von Zitaten und Anspielungen.

6. Indem sie das nur hier vorkommende Wort N)fn:$i, das wir mit Wiederholung übersetzen, als Syn. von K:)fl:ma, Engel, auffassen.

7. MOrmIfha mit Artikel ist sonst immer die Himmelshöhe. Vergl. Ps. 7,8; 18,17; 93,4; 102,20.

8. Man muss dann das l: nach bekanntem spät-hebräischem Gebrauch als Ersatz des Akkusativs ansehen.

9. Nach der von den meisten Neueren angenommenen Lesart Cxar:tIi. Wahrscheinlich liegt diese Lesart, nur mit anderer Auffassung der Konstruktion, auch den LXX zugrunde, deren Übersetzung (auf dass dein Fuß sich [tauche und so] färbe im Blut) Luther folgt. Kimchi und Delitzsch gewinnen den gleichen Sinn wie die LXX durch Annahme einer Umsetzung der Konsonanten: CmaxetIe von Cxamf rot sein (Jes. 63,1).

10. So übersetzen die meisten, indem sie entweder auf das im Chaldäischen gebräuchliche Substantiv Nm" Anteil verweisen oder Otnfm: lesen. Zu der maskulinischen Konstruktion bei NO$lf vergl. Ps. 22,16; Spr. 26,38.

11. Diese Übersetzung der Verbalform ist nicht sicher.

12. Andere übersetzen: Erweise dich stark, o Gott, der du für uns gewirkt hast.

13. An eine topographische Bestimmung darf man freilich nicht denken; denn dann wäre das Verhältnis umgekehrt. Doch vergl. man, dass vom Tempel das Wort hinaufgehen gebräuchlich ist, auch wenn Jerusalem der Ausgangspunkt ist, wie 1. Könige 8,1.4 usw.