Psalmenkommentar von Charles Haddon Spurgeon

PSALM 31 (Auslegung & Kommentar)


Überschrift

Ein Psalm Davids, vorzusingen. Die Anweisung an den Musikvorsteher zeigt, dass auch dieser Gesang mit seinen wechselnden Weisen, in denen sich so manche Töne der Klage und des tiefen Herzeleids finden, für den öffentlichen Gottesdienst bestimmt war; damit wird der Ansicht, dass in der Gemeinde nur Lobgesänge erklingen dürften, ein tödlicher Streif versetzt. (Vergl. zu Ps. 14, S. 198.) Manche der so bezeichneten Psalmen wären in der Tat vielleicht als zu traurige Weisen vom Gottesdienst des Tempels ausgeschlossen worden, wenn in dieser Hinsicht nicht unter der Leitung des heiligen Geistes besondere Fürsorge getroffen worden wäre.

Inhalt
Der Psalmdichter ist in schwerer Anfechtung von seinen Feinden. Aber er fleht mit herzlicher Zuversicht und heiligem Ungestüm zu seinem Gott um Hilfe und fühlt sich bald innerlich so gestärkt, dass er den Herrn für seine große Güte preisen kann. Nach der Überschrift ist David dieser Betrübte und von Gott Getröstete und wir sehen keinen triftigen Grund, diese Überlieferung umzustoßen. Bei Jeremia finden sich viele Anklänge an unseren Psalm; das beweist uns nur, wie auch ihm der Psalter ein Herzbüchlein war. Was die besondere Lage betrifft, die David zum Dichten dieses Liedes veranlasst hat, so denken manche an seine Umzingelung durch Saul in der Wüste Maon (1. Samuel 23,25 f.), andere an seine Bedrängnis durch die Treulosigkeit der Bürger zu Kegila (1. Samuel 23,12); uns scheint der tiefe Klageton des Psalms und die Erwähnung der Sünde Davids (V. 11) eher auf die Zeit der Flucht vor Absalom zu weisen. Es ist aber vielleicht ebenso gut, dass wir über die Zeit und Veranlassung der Abfassung nichts Gewisses ermitteln können: wir möchten sonst so viel Fleiß darauf verwenden, den Psalm auf Davids Lage anzuwenden, dass wir darüber ganz vergessen, dass er auch uns viel zu sagen hat (vergl. V. 24.25). - Im 6. Vers hören wir die Stimme unseres sterbenden Erlösers. Dass Jesus sich in dem letzten Augenblick seines Erdenlebens unseres Psalms bedient hat, macht uns diesen besonders wertvoll.

Einteilung. Scharfe Grenzlinien finden wir nicht. Die Klänge des Psalms bewegen sich wellenförmig auf und ab; bald sinken sie in den tiefen Ton der Klage, bald erheben sie sich in freudiger Zuversicht. Zur Erleichterung der Übersicht wollen wir aber folgende Einteilung geben: David bezeugt sein Gottvertrauen und bittet um Hilfe, V. 2-7. Er gibt seinem Dank für empfangene Gnade freudig Ausdruck, V. 8.9. Er beschreibt im Einzelnen seine jammervolle Lage, V. 10-14, und bittet abermals dringend um Befreiung, V. 15-19. Voll Zuversicht und Dank redet er in der Sprache des Glaubens von dem Heil, das er erwartet, als lebte er schon im vollen Genuss desselben, V. 20-23, und er schließt, indem er zeigt, wie seine Erfahrung auf alle Gläubigen passt und ihnen zur Ermutigung dienen soll,


Auslegung

2. Herr, auf dich traue ich,
lass mich nimmermehr zuschanden werden;
errette mich durch deine Gerechtigkeit!
3. Neige deine Ohren zu mir, eilend hilf mir!
Sei mir ein starker Fels
und eine Burg, dass du mir helfest!
4. Denn Du bist mein Fels und meine Burg,
und um deines Namens willen wollest du mich leiten und führen.
5. Du wollest mich aus dem Netze ziehen, das sie mir gestellt haben;
denn Du bist meine Stärke.
6. In deine Hände befehle ich meinen Geist;
du hast mich erlöst, Herr, du treuer Gott.
7. Ich hasse, die da halten auf eitle Götzen;
ich aber hoffe auf den Herrn.


2. Herr, auf dich traue ich. Nirgendwo anders suche ich Zuflucht, mag das Unwetter noch so toben. Der Psalmsänger hat einen Bergungsort, und den besten, einzig sicheren. Er wirft im Sturme den Anker des Glaubens aus. Mag anderes zweifelhaft sein, - dass er auf seinen Gott vertraut, das bezeugt er aufs Bestimmteste als eine Tatsache. Er nagelt dies gleichsam fest. Und zwar tut er das gleich zu Anfang des Psalms; er möchte die Tatsache sonst später über dem ungestümen Andrang des Kummers aus den Augen verlieren. Dies Bekenntnis des Glaubens ist der Stützpunkt, an dem er den Hebel ansetzt, um den Sorgenstein auszuheben und fortzurücken. Er beruft sich auf sein Vertrauen auf den Herrn, um dadurch teils sich selber zu trösten, teils seinen Bitten vor Gott Nachdruck zu geben. Von Verdienst redet er kein Wort; der Glaube stützt sich auf Gottes Huld und Treue und auf sie ausschließlich. Lass mich nimmermehr zuschanden werden. Wie könnte Gott den Mann, der auf ihn allein seine Hoffnung setzt, schließlich der Enttäuschung preisgeben? Dann würde er nicht als der Gott der Gnade und der Wahrheit handeln. Es würde Gott selber Unehre bringen, wenn der Glaube nicht zuletzt seinen Lohn fände. Brächte das Vertrauen auf den Herrn keinen wirksamen Trost und keine Hilfe mehr, so wäre es um die Frömmigkeit geschehen. Errette mich durch deine Gerechtigkeit. Du bist nicht ungerecht, dass du eine Seele, die bei dir Zuflucht sucht, in die Not hinausstoßen oder deine Zusagen brechen könntest. Du wirst die Gerechtigkeit deiner oft so geheimnisvoll waltenden Vorsehung rechtfertigen und mich eine Befreiung erfahren lassen, dass ich fröhlich rühmen kann. Der Glaube darf es wagen, selbst von dem scharfen Schwert der Gerechtigkeit Beschützung zu erwarten. Solange Gott der Gerechte ist, wird er es nicht zulassen, dass das Gottvertrauen sich als nichtig, als Schwärmerei erweise. Wie lieblich klingt uns das Bekenntnis des Glaubens in unserm Vers, wenn wir es am Fuß des Kreuzes stehend lesen in der Gewissheit, dass die Verheißungen des Vaters in dem Sohne Ja und Amen sind.

3. Neige deine Ohren zu mir. Lass dich zu meiner Niedrigkeit herab; lausche meinen Bitten, wie einer, der sich kein Wort entgehen lassen möchte. Der Himmel könnte mit all der Fülle und Herrlichkeit seiner überweltlichen Harmonien Gottes Aufmerksamkeit wohl ganz für sich in Anspruch nehmen; dennoch merkt der Herr zu jeder Stunde auch auf das schwächste Seufzen seiner geringsten Kinder auf Erden. Eilend hilf mir! Wir haben Gott nicht Zeit und Stunde vorzuschreiben; das schließt jedoch nicht aus, dass wir, bei völliger Ergebung in Gottes Willen, dennoch um schnelle, wie um gewisse Hilfe bitten dürfen. Gottes Gunsterweisungen werden oft gerade durch die Eile, womit er sie gewährt, doppelt wertvoll. Verzögerten sie sich, so könnten sie zu spät kommen; - aber er fährt auf dem Cherub und stiegt auf den Schwingen des Windes daher, wenn er seinen Auserwählten Hilfe bringen will. (Vergl. Ps. 18,11.) Sei mir ein starker Fels, oder: ein Fels der Schutzwehr. Sei du mein Engedi (1. Samuel 24,1), mein Adullam (1. Samuel 22,1); mein unveränderlicher, unbeweglicher, uneinnehmbarer hoch erhabener Hort der Zuflucht. Und eine feste Burg, dass du mir helfest, buchstäblich: ein Burgenhaus, darin ich völlig sicher wohnen könne. David will nicht nur für den Augenblick der höchsten Not bei dem Allmächtigen Schutz suchen, sondern sich allezeit in dem Gott seines Heils bergen. Wie einfältig und doch mächtig betet der Mann Gottes! Er gebraucht keinerlei Redeschmuck; es ist ihm viel zu ernst mit seinem Anliegen, als dass er in seinen Worten anders denn schlicht sein könnte. Es wäre zu wünschen, dass alle, die öffentlich beten, die gleiche Regel beobachteten.

4. Denn Du bist mein Fels und meine Burg. In diesen Worten bekennt der schwer geprüfte Knecht des Herrn abermals seine volle Zuversicht zu Gott. Wiederholungen, die zur Bekräftigung des Glaubens dienen, sind nicht müßig. Wenn wir in Zeiten der Not und Anfeindung bezeugen, dass wir unser Vertrauen auf den Herrn setzen, so ist das eine der besten Weisen, Gott zu verherrlichen. Gott mit Taten des Glaubens zu dienen, ist gut; aber im stillen Dulden den Glauben bewähren, ist in Gottes Augen nicht um einen Deut weniger wert geachtet. Der Psalmsänger umfasst in diesen Worten gleichsam den Herrn mit zuversichtlichem Griff; er will ihn nie loslassen. Mit den beiden besitzanzeigenden Fürwörtern: mein Fels, meine Burg, gräbt sich der Glaube wie mit Widerhaken in die Treue des Herrn ein. O möge uns Gnade geschenkt werden, dass unser Herz fest werde in niemals wankendem Glauben! Das Bild des Felsen und der Burg können wir uns am besten an der großen Felsenfeste Gibraltar nahe bringen, die von den Feinden Britanniens oft bedrängt worden ist, sich aber stets als unüberwindlich erwiesen hat. Obwohl die alten Bergfesten unserer modernen Kriegsführung nicht widerstehen können, waren sie in jenen fernen Zeiten, da kleine Häuflein sich in den Bergfesten sicher fühlten, von ähnlicher Bedeutung. Beachten wir die sonderbare Tatsache, dass David den Herrn anfleht, sein Bergungsort zu sein (V. 2), auf Grund davon (denn), dass er sein Bergungsort ist (V. 3), und lernen wir daraus, dass wir bitten dürfen, das in der Erfahrung zu genießen, was wir im Glauben ergriffen haben. Der Glaube bildet die Grundlage des Gebets. Und um deines Namens willen wollest1 du mich leiten und führen. Der Psalmsänger führt die Logik des Glaubens ins Feld (mau vergleiche das Denn am Anfang des Verses). Weil du mein Gott bist und ich zuversichtlich auf dich traue, so sei mein Führer. Leiten und Führen (vergl. Ps. 23,2.3) scheinen gleichbedeutend; wir können aber nach dem Hebräischen in dem ersten Wort mehr die sichere, in dem zweiten mehr die sanfte Art der göttlichen Leitung angedeutet finden. Dass der Psalmsänger seine Bitte doppelt ausdrückt, zeigt, wie dringend ihm das Anliegen ist. Wir haben das Geleit in der Tat doppelt nötig; erstens sind wir Toren, die leicht irregehen, und zweitens bietet sich auf dem Wege manche Gefahr. Die Begründung, womit David seiner Bitte Nachdruck verleiht, stammt aus dem Waffendepot der freien Gnade: Nicht um meines, sondern um deines Namens willen führe du mich. Wir berufen uns nicht auf irgendwelche eingebildete Kraft oder Vortrefflichkeit, die unserm Namen innewohnte, sondern auf die Gnade und Barmherzigkeit, die in dem geoffenbarten Wesen des Gottes Israels so herrlich erglänzt. Der Herr kann unmöglich dulden, dass seine Ehre befleckt werde. Dies würde aber fraglos geschehen, wenn solche, die auf ihn trauen, umkämen. Das hielt auch Josua Gott vor: Was willst du denn für deinen großen Namen tun? (Jos. 7,9.)

5. Du wollest mich aus dem Netze ziehen, das sie mir gestellt haben. Davids Feinde waren ebenso hinterlistig wie mächtig. Konnten sie ihn nicht mit offener Gewalt besiegen, so suchten sie ihn mit List zu fangen. Unsere geistlichen Feinde sind vom gleichen Schlage, - sie gehören zu der Schlangenbrut und suchen uns durch ihre Tücke zu verstricken. Die Bitte Davids setzt die Möglichkeit voraus, dass ein Gläubiger gleich einem Vogel in der Schlinge gefangen werde; und wir sind in der Tat so töricht, dass dies nicht selten geschieht. Der Vogelsteller geht so geschickt zu Werke, dass gar mancher Unerfahrene von seinem Netz umgarnt ist, ehe er sich’s versieht. Auch ein David fühlt sich, nach unserm Vers, schon in der verderblichen Schlinge gefangen; aber er schreit zu Gott um Befreiung, und diese Bitte ist berechtigt und darf auf Erhörung rechnen. Selbst aus dem Rachen des Löwen und aus dem Bauche der Hölle (Jona 2,3) vermag die ewige Liebe die zu erretten, die in ihrer Angst zum Herrn rufen. Es mag eines heftigen Ruckes bedürfen, um eine Seele aus dem Netz der Versuchung zu befreien, und eines gewaltsamen Zuges, um einen Menschen aus den Schlingen boshafter Tücke herauszureißen; aber der Herr, der allein Weise und allein Gewaltige, ist jeder Not gewachsen, und ob der Jäger seine Netze auch mit noch so großer Cleverness legt, werden sie doch nie und nimmer imstande sein, einen der Auserwählten Gottes gefangen zu halten. Wehe denen, die so geschickt sind, Fallen zu stellen: Wer andere zu verderben sucht, wird selbst verderbt werden. Schurken, die im geheimen Schlingen legen, werden vor aller Augen ihren Lohn bekommen. Denn Du bist meine Stärke.2 Welche Erquickung ist in diesen kurzen Worten zu finden! Wie fröhlich können wir an unser Werk gehen und wie getrost die Last der Leiden auf uns nehmen, wenn wir auf himmlische Stärke rechnen dürfen! Gottes Macht wird alle Garne der Feinde entzweireißen und alle Tücken und Ranke unserer Widersacher zuschanden machen. Wohl dem, der solche außergewöhnliche Macht als Verbündeten auf seiner Seite hat. Unsere Stärke wird uns wenig nützen, wenn wir in den Netzen gemeiner List verstrickt sind; aber Jahwes Stärke erweist sich stets als vollgenügend. Wir haben sie nur anzurufen, so werden wir sie stets bei der Hand finden. Wenn wir uns im Glauben einzig auf die Stärke des starken Gottes Israels (Jos. 22,22) verlassen, dürfen wir mit David unser Flehen mit dieser unserer heiligen Zuversicht begründen.

6. In deine Hände befehle ich meinen Geist. Dieses Lebenswort Davids wählte der Heiland zu seinem Sterbenswort und es ist seither von manchem Gotteskind in der Stunde des Abscheidens gesprochen worden. Auch wir können diese auserlesenen, weisen und erhabenen Worte jetzt und in unserm letzten schweren Stündlein zu den unseren machen. Man beachte, dass des Gottesmannes große Sorge im Leben und im Sterben nicht sein Leib, noch weniger sein Hab und Gut, sondern sein Geist ist. Dieser ist sein köstlichstes Gut, sein verborgener Schatz. Ist der wohlverwahrt, dann ist alles gut. Merke, was David mit dieser Perle tut. Er befiehlt sie den Händen seines Gottes. Von Gott hat er den Geist erhalten (1. Mose 2,7), er gehört Gott zu, Gott hat ihn bisher ihm bewahrt und er ist mächtig, ihn ferner zu bewahren; er ist der rechte Vertrauensmann, dem wir dies köstliche Gut in Verwahrung geben können. In Jahwes Händen ist alles wohlgeborgen; was wir dem Herrn anvertrauen, ist sicher, sowohl jetzt als auch an jenem großen Tage, dem wir entgegeneilen. Ohne Rückhalt übergibt sich der Mann Gottes den Händen seines himmlischen Vaters. Es genügt ihm, sich, in solch treuer Hut zu wissen. Ja, so lässt sich’s ruhig leben und selig sterben! Wir sollten zu allen Zeiten uns selbst mit allen unseren Anliegen der heiligen Fürsorge unseres Gottes und Heilands übergeben; dann kann unsere Seele, ob unser Leben auch an einem Faden hinge und unserer Widerwärtigkeiten viel würden wie Sand am Meer, doch erhabenen Gottesfrieden genießen und sich wohlgeborgen wissen. Du hast mich erlöst,3 Herr, du treuer Gott. Die Erlösung ist eine sichere Grundlage der Zuversicht. David kannte das Wunder von Golgatha noch nicht; aber was er von zeitlicher Erlösung erfuhr, das erfreute seinen Geist. Und sollte uns die ewige Erlösung nicht noch viel kräftiger trösten und erquicken? Was wir bisher von Gottes rettender Macht erfahren haben, dürfen wir dem Herrn als Beweggrund zum Eingreifen in den gegenwärtigen Nöten vorhalten. Was der Herr getan hat, wird er wieder tun, denn er ändert sich nicht. Er ist ein Gott der Wahrheit, der seinen Verheißungen treu bleibt und seinen Heiligen die Gnade hält. Er lässt sein Volk nicht im Stich.

7. Ich hasse,4 die sich da verlassen auf eitle Götzen. Wer sich nicht auf den allein starken Arm lehnen will, macht sich sicherlich andere, betrügliche Stützen. Der Mensch muss einen Gott haben und wenn er nicht den lebendigen und wahren Gott anbeten will, macht er sich zum Toren und erweist leeren Truggebilden abergläubische Verehrung und setzt seine Hoffnung auf trügerische Nichtigkeiten. Die solches taten, waren Davids Freunde nicht; er hatte einen Abscheu vor ihnen. Er hasste sie, weil sie Gott hassten. Er wollte keine Götzendiener um sich haben; sein Herz war ihnen Feind wegen ihrer Torheit und Gottlosigkeit. Er kannte ihren abergläubischen Gebräuchen gegenüber keine Duldsamkeit und nannte ihre Götzen eitle Nichtigkeiten, Nichtse der Nichtsnutzigkeit. (Man vergl. den Grundtext) Das geringste Maß voll Höflichkeit ist schon mehr, als Römlinge und Puseyten5 für ihre Torheiten verdienen. Desgleichen sind Leute, die ihre Reichtümer, ihre Personen, ihre Klugheit und Gelehrsamkeit oder irgendetwas anderes zu ihrem Gott machen, von denen zu meiden, deren Glaube sich auf Gott in Christus Jesus gründet. Jene sind wahrlich nicht zu beneiden, vielmehr zu bemitleiden; denn sie verlassen sich auf eitle Nichtigkeiten. Ich aber hoffe (oder; traue) auf den Herrn. Dies mochte sehr altmodisch sein; aber David hatte den Mut, ein Sonderling zu sein. Das böse Beispiel, das uns ringsum entgegentritt, sollte uns nicht bewegen, weniger entschieden für die Wahrheit einzutreten; inmitten des allgemeinen Abfalls sollten wir im Gegenteil desto kühner werden. Eben damit begründet David so oft seine Bitten, dass er hervorhebt, wie er sich durch nichts vom Vertrauen auf den Herrn abbringen lässt. Das angefochtene Gotteskind flieht in die Arme seines Vaters und wagt auf Gottes Treue hin alles.


8. Ich freue mich und bin fröhlich über deiner Güte,
dass du mein Elend ansiehst,
und erkennst meine Seele in der Not,
9. und übergibst mich nicht in die Hände des Feindes;
du stellst meine Füße auf weiten Raum.


8. Jubeln will ich und mich freuen über deine Gnade. (Grundtext) Für die empfangenen Gnadenerweisungen ist David dankbar und im Blick auf die zukünftigen, die er im Glauben als vollendete Tatsachen schaut (vergl. die folgenden Perfekte des Grundtexts), hüpft schon jetzt sein Herz vor Freuden. Auch im dringendsten Flehen sollen wir immer wieder einmal innehalten, um den Herrn zu preisen. Solche Ruhepausen, da wir uns all Gottes Gnade weiden, sind keine verlorene Zeit. Das Lob Gottes hält uns nie im Flehen auf, stärkt uns vielmehr mächtig darin. Es ist lieblich, dann und wann die hellen Töne der Zimbel durchklingen zu hören, wenn die dumpfen Klänge der tiefen Posaune die Herrschaft haben. Die beiden Worte jubeln und sich freuen sind eine lehrreiche Verdoppelung: Im heiligen Frohlocken brauchen wir uns nicht ängstlich zu beschränken; diesen Wein können wir in großen Zügen trinken, ohne ein Übermaß zu fürchten. Dass du mein Elend ansiehst oder angesehen hast. Du hast deinen Blick väterlich auf mein Leid gerichtet, du wägst den auf mir lastenden Druck, setzt meinem Jammer eine Grenze und machst mein Elend in jeder Hinsicht zum Gegenstand deiner erbarmungsvollen Beachtung. Schon bei einem wahrhaft gefühlvollen Menschen liegt darin, dass er das Elend des Nächsten ansieht, dies, dass er mit Herz und Hand hilfsbereit ist; was muss es um das Dreinsehen Gottes sein! Und erkennest (hast erkannt) meine Seele in der Not. Gott erkennt seine Heiligen an, auch in Zeiten, wo andere sich schämen, sich zu ihnen zu bekennen. Er weigert sich nie, seine Freunde zu kennen. Er hält nicht weniger von ihnen, wenn sie in Ziegenfellen (Hebr. 11,37) oder gar in Lumpen einhergehen müssen. Er beurteilt sie nicht ungerecht, noch stößt er sie von sich, wenn ihre Angesichter von Krankheit abgezehrt sind oder ihre Herzen unter schwerem Druck seufzen und zagen. Eigentlich ist wohl zu übersetzen: Du kennst meine Seelennöte, du hast ein Wissen um sie. Doch handelt es sich nicht um ein theoretisches Erkennen, sondern um ein praktisch sich betätigendes, liebevolles Kenntnisnehmen, weshalb man meist übersetzt: Dass du dich um meine Seelennöte gekümmert hast. In hellem Licht erscheinen diese Worte, wenn wir sie auf unseren himmlischen Hohepriester anwenden. Der Herr Jesus kennt in einziger Weise alle unsre Seelennöte. Wenn kein anderer in unseren Kummer eindringen kann, weil er ihn nicht aus Erfahrung versteht, taucht Jesus mit uns in die tiefsten Tiefen; er hat ein volles Verständnis für das bitterste Herzeleid, weil er es einst selbst empfunden hat. Jesus ist ein Arzt, der sich auf jeden Fall versteht; ihm ist nichts neu und fremd. Wenn wir so in Verwirrung geraten, dass wir über unseren eigenen Zustand ganz im Unklaren sind, kennt er uns doch durch und durch. "Mensch, erkenne dich selbst!", ist eine gute Philosophen-Mahnung; aber "Mensch, du bist von Gott erkannt", ist ein besserer Trost. - Das Wort Not steht im Grundtext in der Mehrzahl; der Gerechte muss viel leiden (Ps. 34,20).

9. Und übergibst mich nicht (hast mich nicht übergeben) in die Hände des Feindes. In die Hand des Feindes verschlossen sein (wörtl.) heißt, seiner Willkür gänzlich preisgegeben sein. Der Gläubige nun ist nicht in der Gewalt des Todes, noch des Teufels, noch viel weniger in der Gewalt von Menschen. Der Feind mag vorübergehend die Oberhand über uns haben; aber wir sind wie in einem Gefängnis, dessen Tür offensteht. Gott lässt es nicht zu, dass wir eingeschlossen werden; er sorgt zu jeder Zeit, dass ein Entrinnen möglich ist. Du stellst (hast gestellt) meine Füße auf weiten Raum. Gelobt sei Gott für die Freiheit. Bürgerliche Freiheit ist wertvoll, religiöse Freiheit kostbar, geistliche Freiheit unschätzbar. Bleibt uns diese, so können wir Gott in aller Drangsal preisen. Nicht wenige Heilige haben die größte innere Freiheit genossen, als sie äußerlich in der größten Bedrängnis waren. Ihre Seele war in weitem Raum, während ihr Leib im finsteren Kerker schmachtete. Die Macht der Gnade ist jeder Not gewachsen; ja noch mehr, sie macht die Not zur guten Gelegenheit, ihre Herrlichkeit zu offenbaren.


10. Herr, sei mir gnädig, denn mir ist angst;
meine Gestalt ist verfallen vor Trauern, dazu meine Seele und mein Leib.
11. Denn mein Leben hat abgenommen vor Betrübnis,
und meine Zeit vor Seufzen;
meine Kraft ist verfallen vor meiner Missetat,
und meine Gebeine sind verschmachtet.
12. Es geht nur so übel, dass ich bin eine große Schmach wurde meinen Nachbarn
und eine Scheu meinen Verwandten;
die mich sehen auf der Gasse, fliehen vor mir.
13. Ich bin vergessen im Herzen wie ein Toter;
ich bin geworden wie ein zerbrochen Gefäß.
14. Denn ich höre, wie mich viele schelten,
Schreien ist um und um;
sie ratschlagen miteinander über mich
und denken, mir das Leben zu nehmen.


10. Nachdem er sein Herz im Gottvertrauen gestärkt hat, geht der Mann Gottes jetzt dazu über, seinen Jammer bis ins Einzelne genau zu schildern. Er schüttet sein Herz vor seinem himmlischen Freunde aus, er legt seine Wunde bloß und gibt seiner tiefen inneren Erschütterung Ausdruck. Herr, sei mir gnädig: dieses erste Gebetswort fasst alles in sich zusammen; es ist gleichsam der Text zu der folgenden Ausführung. Unser Elend bewegt das Erbarmen. Dieses bedarf keiner weiteren Überführung durch logische Gründe; darum stützt der Psalmist seine Bitte "Sei mir gnädig" einfach mit der Begründung; Denn mir ist angst, oder: ich leide Drangsal. - Mein Auge (Grundtext wie 6,8) ist verfallen vor Trauern. Matte, eingesunkene Augen sind ein deutliches Anzeichen, dass die Gesundheit erschüttert ist. Die Tränen entziehen ihr Salz unserer Kraft und wenn sie in Fluten hervorbrechen, zerstören sie leicht die Quelle, der sie entströmen. Gott will, dass wir ihm die Symptome unserer Krankheit anzeigen, nicht etwa, weil er sonst nicht wüsste, was uns fehlt, sondern damit wir unsere Hilfsbedürftigkeit dadurch anerkennen. Dazu meine Seele und mein Leib. Seele und Leib sind so innig verbunden, dass der eine Teil nicht leiden kann, ohne dass der andere es mitempfindet. Dem, der dies schreibt, ist dieser zweifache Verfall der Kräfte, welchen David hier schildert, nichts Fremdes. Wir haben es oft erfahren, wie der Leib unter körperlichen Schmerzen ermattete und dabei zugleich die Seele von inneren Leiden verzehrt wurde.6 Wenn zwei solche Sturzseen zusammentreffen, dann ist’s für uns gut, dass der Lotse dort am Steuer mit den Fluten wohl vertraut ist und gerade in den Stürmen seine Kunst bewährt.

11. Denn mein Leben (meine Lebenskraft) schwindet hin in Kummer und meine Jahre in Seufzen. (Grundtext) Trauern und Seufzen war seine tägliche Beschäftigung geworden; er verbrachte alle seine Tage im Kerker des Kummers. Seines Lebens Saft und Kraft schwand dahin, wie eine Kerze sich im Brennen verzehrt. Das Herzeleid verkürzte sein Leben und grub ihm ein frühes Grab. Der Marktplatz des Kummers ist ein düsterer, trauriger Ort. Es wird uns schwer, wenn wir dort alles ausgeben müssen, was wir an seelischer und leiblicher Lebenskraft (Grundtext Mehrzahl) haben; dennoch können wir dort viel vorteilhaftere Einkäufe machen als auf dem luftigen Jahrmarkt der Eitelkeit.7 Es ist besser, in das Klagehaus zu gehen als in das Trinkhaus (Pred. 7,2). Schwarz trägt sich gut. Das Tränensalz ist eine heilsame Arznei. Besser ist’s, wir verbringen unsere Jahre mit Seufzen als mit Sündigen. Meine Kraft ist wankend worden ob meiner Missetat. (Wörtl.) David sieht seinem Leiden auf den Grund und entdeckt da die Sünde. Das ist gesegneter Kummer, der uns dazu bringt, uns über unsre Missetat zu bekümmern. War es das Schuldbewusstsein seiner dunkelsten Tat, was jetzt an dem Herzen des Psalmsängers nagte und seine Kraft verzehrte? Mag sein.8 Der Kelch der Wollust ist süß an den Lippen; aber wehe dem, der ihn schlürft; er entdeckt zu spät, dass es ein Giftbecher war. Geben wir der Sünde leichtfertig einen Teil unserer Kraft hin, so nimmt sie uns nach und nach auch den Rest. Wir verlieren durch die Sünde die körperliche, die intellektuelle, die sittliche und die geistliche Kraft. Und meine Gebeine sind verschmachtet. Die Schwäche drang bis ins Innerste; das Mark der Knochen wurde gleichsam ausgetrocknet, die festesten Teile seines Körpers wurden von dem allgemeinen Verfall mitbetroffen. Wie bedauerlich ist der Zustand eines Menschen, mit dem es so weit gekommen ist!

12. Wegen aller meiner Bedränger bin ich eine Schmach geworden. (Grundtext) Meinen Feinden ist es eine Lust, etwas zu haben, womit sie mich bewerfen können; mein Klagen und Stöhnen ist ihnen Musik, weil sie meine traurige Lage boshaft als ein Gericht vom Himmel auslegen. Von der Schmach denken solche wohl gering, die sie nicht ertragen müssen; wer aber durch sie Spießruten laufen muss, weiß, welch tiefe Wunden sie schlägt. Der beste Mensch kann die bittersten Feinde haben und den grausamsten Schmähungen unterworfen sein. Und bei meinen Nachbarn wie sehr! (Wörtl.) Die am nächsten stehen, können am schärfsten stechen. Wir empfinden die Geringschätzung derer, von welchen wir mehr als von anderen Mitleid erwarten durften, am bittersten. Selbst die Freunde Davids fürchteten vielleicht, wenn seine Feinde ihm eines Tages den Garaus machten, sein Los teilen zu müssen, und wandten sich daher gegen ihn, um sich für diesen Fall eine milde Behandlung, wenn nicht die Gunst seiner Feinde zu sichern. Der Eigennutz beherrscht die meisten Menschen; wo es sich um den eignen Vorteil handelt, zerreißt man kurzerhand die heiligsten Bande und lässt sich ohne Bedenken zu den größten Gemeinheiten verleiten. Und eine Scheu meinen Verwandten (Grundtext: Bekannten). Je vertrauter sie zuvor waren, desto fremder stellten sie sich nun. Unser Heiland wurde von Petrus verleugnet, von Judas verraten und in der Stunde der Gefahr von allen seinen Jüngern verlassen. Gegen den verwundeten Hirsch wendet sich das ganze Rudel. Die Milch der Menschenfreundlichkeit gerinnt, wenn einer der verachteten Frommen das Opfer verleumderischer Anklagen ist. Die mich sehen auf der Gasse, fliehen vor mir. Sie scheuten es, in der Gesellschaft eines so gehassten und verachteten Mannes erblickt zu werden; darum flohen sie, die sich einst um seine Gunst beworben hatten, jetzt vor ihm, als ob er mit der Pest behaftet wäre. Welch ein hässliches Ding ist es doch um die Verleumdung, die einen so hervorragenden Gottesmann, der einst die Bewunderung seines Volkes war, zum Ziel des Hohnes und der Verachtung aller, zum Abscheu der ganzen Menschheit machen konnte! In welche Tiefen der Schmach kann die Unschuld hinabsinken!

13. Mein ist vergessen im Herzen wie eines Toten, wörtlich: Vergessen bin ich wie ein Toter aus dem Herzen (= dem Sinn). Schon als Jüngling war David seines Volkes Retter geworden (1. Samuel 17); aber alle seine Heldentaten waren jetzt in Vergessenheit begraben. Für Dankesschulden haben die Menschen ein schlechtes Gedächtnis. Einst waren die Frauen aus allen Städten Israels eben diesem David (vergl. die LXX 1. Samuel 18,6) im Reigen entgegengegangen mit Pauken, Jubel und Zimbeln und hatten sein Lob gesungen; aber nichts ist vergänglicher als die Volksgunst. Wer heute in aller Munde ist, kann morgen von jedermann vergessen sein. Es ist für einen Manne bestimmt besser, im offenen Kampfe zu sterben, als im Sumpf der Verleumdung zu ersticken. Von den Toten sagen wir nichts als Gutes; von David aber redete man nur Übles. Wer für Taten der Menschenliebe den Lohn diesseits des Himmels erwartet, ist zu bedauern; denn die Menschheit zahlt ihre treuesten Diener jämmerlich schlecht und stößt sie auf die Gasse, wenn nichts mehr aus ihnen herauszupressen ist. Ich bin wie ein zerbrochenes (wörtl.: ein zugrunde gehendes) Gefäß geworden - ein gänzlich unnütz und wertlos geachtetes Ding, das man beiseite wirft und achtlos seinem Verderben überlässt. Eine traurige Lage für einen König! Lasst uns hierin ein Abbild des Königs aller Könige in seiner tiefen Erniedrigung sehen, da er verachtet und für nichts gerechnet wurde (Jes. 53,3). In diesen Versen 10-14 unseres Psalms erblicken wir ja überhaupt (mit Delitzsch) eine typische Vorausdarstellung der Passion.

14. Denn ich höre das Gezischel vieler. (Grundtext) Eine zischelnde Natter genügt schon, allem Wohlsein ein Ende zu machen - wie aber, wenn ein ganzes Schlangengezücht auf uns sein Gift ausspeit? Ein Sprichwort sagt; "Was ich nicht weiß, macht mir nicht heiß"; aber das Geflüster derer, die David übel redeten,9 war laut genug, in seine Stille einzubrechen. Die bösen Mäuler waren so frech geworden, dass sie sich nicht scheuten, in Gegenwart ihres Opfers ihre Lügen auszusprechen. Simei war nur einer aus einer ganzen Klasse und sein Ruf. "Hinaus, hinaus, du Bluthund, du heilloser Mann!" (2. Samuel 16,7) war die gemeine Rede von Hunderten heilloser Leute. Die ganze Meute Beelzebubs mag einen Mann ankläffen und doch kann er des Herrn Gesalbter sein. Schrecken ist um und um. Wie ein Wild vor den Jägern, so war David ringsherum eingeschlossen von schrecklichen Einflüsterungen, Drohungen, Erinnerungen und Vorahnungen; von allen Seiten wurde er angegriffen, nirgends blieb ein Ausweg. Indem sie miteinander wider mich ratschlagen, sinnen sie darauf, mir das Leben zu nehmen. (Grundtext) Die Gottlosen handeln bei ihren Anschlägen wider die Redlichen und Gottseligen in voller Einigkeit. Es ist in der Tat verwunderlich, dass die Sünder oft besser miteinander übereinstimmen als die Heiligen, und beim Ersinnen und Ausführen ihrer verruchten Pläne nicht selten mit mehr Sorgfalt und Vorbedacht zu Werk gehen als die redlichen Leute bei ihren heiligen Unternehmungen. Man beobachte den grausamen Eifer, den die Feinde des biederen Mannes bewiesen; sie waren mit nichts als mit seinem Blut zufrieden. Ihm das Leben zu nehmen, darauf ging all ihr Dichten und Trachten. Lieber noch wollten wir einem Löwen in die Klauen geraten, als der Willkür boshafter Verfolger preisgegeben sein; denn die Bestie verschont ihre Beute vielleicht doch, wenn ihr Hunger gestillt ist; aber die Bosheit des Menschen ist unersättlich und blutdürstig wie ein Wolf. Der grausamste aller Feinde ist der Neid. Wie traurig war des Dichters Lage, als die vergifteten Pfeile voll tausend Bogen alle auf sein Leben zielten! Dennoch wankte bei dem allem sein Glaube nicht und sein Gott ließ ihn nicht im Stich. Ist das nicht auch für uns ermutigend?


15. Ich aber, Herr, hoffe auf dich
und spreche: Du bist mein Gott!
16. Meine Zeit steht in deinen Händen.
Errette mich von der Hand meiner Feinde und vor denen,
die mich verfolgen.
17. Lass leuchten dein Antlitz über deinen Knecht;
hilf mir durch deine Güte!
18. Herr, lass mich nicht zuschanden werden; denn ich rufe dich an.
Die Gottlosen müssen zuschanden werden und in der Hölle verstummen.
19. Verstummen müssen falsche Mäuler,
die da reden wider den Gerechten frech,
stolz und höhnisch.

In diesem Teil des Psalms erneuert David sein Flehen und zwar trägt er dieselben dringenden Bitten vor, die er schon zu Anfang geltend gemacht hatte. Wem es ganzer Ernst ist, der versucht die gleichen erprobten Mittel immer wieder, um sein Ziel zu erreichen.

15. Ich aber, Herr, hoffe (oder: traue) auf dich. Ungeachtet all der betrübenden Umstände behauptete Davids Glaube seinen Stand und ließ sich durch nichts das Ziel verrücken. Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwindet. Mag der Kampf noch so heiß entbrennen, sein Ausgang kann nicht fraglich sein. Solange uns der Schild des Glaubens deckt, sind wir gesichert; könnte man uns den entwinden, dann würden wir freilich so gewiss erschlagen werden, wie Saul auf den Bergen Gilboa (2. Samuel 1,21). Und spreche; Du bist mein Gott. Mit erhobener Stimme bekennt David, dass er unverrückt an Jahwes Treue festhalte, mag es auch scheinen, als hätte Gott ihn dem Untergang preisgegeben. David war keiner von denen, deren Glaube nur bei schönem Wetter standhält; er konnte sich auch bei scharfem Frost in sein Gottvertrauen als einen warmen Mantel hüllen, der ihn vor allen Unbilden des Wetters schützte. Wer sagen kann, was David hier bekennt, braucht keinen Cicero um seine Beredsamkeit zu beneiden. "Du bist mein Gott", dies Glaubenswort hat mehr Süßigkeit in sich, als irgendwelche andere, noch so wohl geformte Rede. Man beachte, wie auch hier wieder David seinen an Gott sich anklammernden Glauben erwähnt, um den Herrn dadurch zu bewegen, seine Treue durch eilende Hilfe zu verherrlichen.

16. Meine Zeiten (Grundtext) mit allem, was sie mir an Freuden und Leiden bringen, also meine Geschicke, stehen in deinen Händen. Der unumschränkte Herr der Geschicke hat alle Zeitereignisse und Zeitumstände unseres Lebens in seiner Gewalt. Wir sind kein herrenloses Gut; auch werden wir nicht, wie ein Schiff ohne Steuermann, auf dem Ozean des Schicksals von den Wogen hin und her geworfen, sondern eine kundige Hand, ja die unendliche Weisheit selbst, steuert unser Boot dem Friedenshafen zu. Die göttliche Vorsehung ist ein sanftes Ruhekissen für sorgenbeschwerte Gemüter und ein Grab für alle Gedanken des Verzagens. Errette (entreiße) mich von der Hand meiner Feinde und von denen, die mich verfolgen. Es ist uns erlaubt zu bitten, dass wir, wenn es Gottes Wille ist, den Verfolgern entrinnen mögen. Und kann uns dies Begehren nicht in der Weise, wie wir es erfüllt sehen möchten, gewährt werden, so wird uns die erhaltende Gnade in anderer Weise ihre befreiende Macht erfahren lassen, indem sie uns befähigt, die Wut der Feinde im Glauben zu verachten.

17. Lass leuchten dein Antlitz über deinen Knecht. Lass meiner Seele die himmlische Sonne leuchten, so will ich allen Sturmwettern der Erde die Stirn bieten. Gewähre mir die eine Bitte, dass ich die Empfindung deiner Huld genieße und dessen gewiss sei, dass dein Wohlgefallen auf meinem Wandel ruht, so mögen alle Menschen mich finster anblicken und mich verleumden, so viel sie wollen. Einem Knecht genügt es, wenn nur sein Meister mit ihm zufrieden ist. Mag er andern nicht gefallen, das ficht ihn nicht an. Er ist nicht ihr Knecht, sie zahlen ihm nicht den Lohn; so haben ihre Ansichten für ihn kein Gewicht. Hilf mir durch deine Güte (oder: Gnade). Der Psalmsänger stützt seine Hoffnung einzig auf die Gnade. Mag, wer den Mut dazu findet, sich vor Gott auf sein Verdienst berufen, David kam das nicht im Traum in den Sinn.

18. Herr, lass mich nicht zuschanden werden, denn ich rufe dich an. Mach’ mich nicht schamrot wegen meines Flehens! Solltest Du es den Lästermäulern auf die Zunge legen, über mein Gottvertrauen zu spotten? Die Gottlosen müssen zuschanden werden und verstummen in der Hölle, wörtlich: zur Hölle, d. h. dadurch, dass sie zur Hölle (d. i. zur Unterwelt) hinabfahren. Lass sie zu ihrem Entsetzen erfahren, dass du meine zertretene Ehre wieder aufrichtest und mir Recht schaffst für das Unrecht, das sie mir zugefügt haben, ihren Stolz aber in den Staub beugst und ihre Lügenzungen auf ewig verstummen lassest! Unter dem sanften Regiment des Friedensfürsten waltet in unsern Gebeten ein milderer Geist; so können wir Worte, wie diese, nur in ihrem prophetischen Sinn, nicht aber als Bitten in den Mund nehmen. Das wissen wir freilich gar wohl, dass ewige Schande und ewiges Verstummen das Beste ist, was gottlose Sünder erwarten können. Eben das, was sie den verachteten Frommen wünschen, wird über sie selbst kommen, nach einem Rechtsspruch der vergeltenden Gerechtigkeit, den sie mit aller Spitzfindigkeit nicht werden zunichtemachen können: Wer nach Unglück ringet, dem wird’s begegnen (Spr. 11,27).

19. Verstummen müssen falsche Mäuler (wörtl.: die Lügenlippen). Ein rechtes, christliches Gebet; denn wer, außer den Ruchlosen, möchte den Lügnern mehr Freiheit geben, als er muss? Möge Gott sie zum Schweigen bringen, entweder dadurch, dass er sie zur Buße leitet, oder dadurch, dass er sie gänzlich zuschanden werden lässt oder sie in Lagen bringt, wo, was sie sagen, ohne Einfluss ist. Die da Freches (Grundtext) reden wider den Gerechten stolz und höhnisch. Die Sünde der Verleumder liegt teils in dem, was sie reden: Freches, teils in der Art, wie sie reden: mit Hochmut und Verachtung; sie reden, als wären sie der Rahm der menschlichen Gesellschaft, die Gerechten aber die Hefen des Volks. Hochmütige Selbstüberschätzung ist stets mit verächtlicher Geringschätzung anderer verbunden. Je mehr Raum unser liebes Ich beansprucht, desto weniger Raum können wir mit Fug und Recht unseren Nachbarn überlassen. Welche Gottlosigkeit ist es doch, dass die Unwürdigsten stets am lautesten auf die Guten zu schelten wissen! Sie sind ganz unfähig, sittliche Größe zu würdigen, da sie derselben völlig ermangeln, und doch haben sie die Frechheit, sich auf den Richterstuhl zu setzen und über Leute abzuurteilen, im Vergleich mit denen sie wie Müll sind! Die heilige Entrüstung über diese Dinge mag uns wohl reizen, irgendetwas zu begehren, was die Welt von solch unerträglicher Unverschämtheit und verabscheuungswürdiger Anmaßung säubern würde.


20. Wie groß ist deine Güte, die du verborgen hast für die, die
dich fürchten,
und erzeigst vor den Leuten denen, die auf dich trauen!
21. Du verbirgst sie heimlich bei dir vor jedermanns Trotz;
du verdeckst sie in der Hütte vor den zänkischen Zungen.
22. Gelobt sei der Herr,
dass er hat eine wunderbare Güte mir bewiesen in einer
festen Stadt.
23. Denn ich sprach in meinem Zagen;
"Ich bin von deinen Augen verstoßen";
dennoch hörtest du meines Flehens Stimme,
als ich zu dir schrie.

In der Kraft des Glaubens, von dem sein Herz voll ist, preist der Sänger nun Gott für die Güte, die zu erfahren er gewiss ist.

20. Wie groß ist deine Güte! Ist es nicht seltsam, solch eine freudige Sprache inmitten so viel Leides zu vernehmen? Wahrlich, das Leben des Glaubens ist ein Wunder! Der Glaube führte David zur Betrachtung seines Gottes; da konnte David gar nicht anders, als alsbald singen und lobpreisen. Der Psalmist sagt uns nicht, wie groß Gottes Güte ist; das konnte er nicht. Es gibt kein Maß, womit wir die unermessliche Güte Jahwes, der die Güte, der Inbegriff alles Guten selber ist, messen könnten. Die anbetende Bewunderung greift zu Empfindungswörtern, wo alle Eigenschafswörter den Dienst versagen. Wo wir nicht messen können, können wir staunen; und ob wir nicht in der Lage sein mögen, scharfe Definitionen zu geben, können wir doch mit Inbrunst anzubeten. Die du verborgen, d. h. im Verborgenen als köstlichen Schatz aufgespeichert (vergl. Ps. 17,14 Grundtext) hast für die, die dich fürchten. Der Psalmsänger teilt bei seinem Sinnen über Gottes Güte diese, sozusagen, in zwei Teile; in einen verborgenen Gnadenschatz und in das, was aus diesem Schatze je und je ausgeteilt wird. Der Herr hat für die Seinen unermessliche Vorräte aufgespeichert. In der Schatzkammer des Bundesvermächtnisses, in den tiefen Schächten der Erlösung, in den Juwelenkästchen der Verheißungen, in den Kornspeichern der Vorsehung hat der Herr für alle nur irgend möglichen Bedürfnisse seiner Auserwählten überreichlich Vorsorge getroffen. Er teilt nicht alle Schätze auf einmal aus und verbirgt wohl je und je den Reichtum seiner Güte; aber dann spart er sie nur auf wie einen Schatz, um sie zur rechten Zeit umso freigebiger mitzuteilen. Und doch bleibt sein Schatzhaus stets gefüllt. Wir sollten oft die Schätze, die Gott den Seinen noch nicht ausgeteilt hat, betrachten; das würde in uns jene anbetende Dankbarkeit entzünden, von der Davids Herz glühte. Und erzeigst vor den Leuten denen, die auf dich trauen. Nicht ganz hat Gott den Reichtum seiner Güte in seiner Schatzkammer verborgen; auf tausend Weisen hat sie sich bereits offenbar gemacht an denen, die den Mut haben, zu bekennen, dass Gott ihre Zuversicht und ihre Burg sei. Und zwar hat sich diese Güte des Herrn je und je angesichts der Menschenkinder (wörtl.) an den Gottseligen erzeigt, damit das glaubenslose Geschlecht ihrer Tage beschämt dastehe. Überwältigend sind die Erweise der göttlichen Huld gegen die, die auf den Herrn trauen; die Geschichte strotzt von staunenswerten Beispielen und unsre eigenen Lebensführungen sind voll von Wundern der Gnade. Wahrlich, wir dienen einem guten Meister! Der Glaube findet jetzt schon reichen Lohn und doch erwartet er sein volles Erbteil erst in der Zukunft. Wer wollte nicht mit Freuden das gesegnete Los der Knechte eines solchen Herrn teilen, dessen unergründliche Liebe alle geheiligten Gemüter mit Bewunderung erfüllt!

21. Du schirmest sie im Schirm deines Antlitzes vor den Rotten10 der Menschen. (Grundtext) Schon am Roten Meer beschirmte die Herrlichkeit des Herrn das auserwählte Volk vor seinen Feinden. (2. Mose 14,19 f.) Die Feuer- und Wolkensäule war ein Schirm, ein Versteck, worin die Kinder Israel sicher geborgen waren; was tat’s, dass die ganze Macht der Ägypter sich wider sie zusammengerottet hatte? Und das ist nicht eine vereinzelte Erfahrung. Wer auf den Herrn traut, darf sich mit der schirmenden Gegenwart seines Gottes trösten. Und ist Gott für uns, wer mag wider uns sein? (Man vergl. zu dem Vers auch Jes. 4,5 f.) Du verdeckest sie in einer Hütte vor dem Hader der Zungen. (Grundtext) Die Zungen der Menschen sind mehr zu fürchten als die Zähne der Raubtiere und wenn sie über die Gottseligen herfallen, ist es, als wenn ein ganzes Rudel Wölfe daherstürzte. Aber der Gläubige ist auch in solcher Gefahr wohl geborgen; mögen die Wölfe draußen heulen, ihm können sie nichts anhaben. Die Hütte (ohne Artikel) lässt uns aber eher noch an ein Obdach vor dem Ungewitter (vergl. Jes. 4,6) denken. Wohlan denn, mögen die hadernden Zungen draußen toben und wüten wie ein Sturmwetter; dem Gotteskind ist von Jahwe ein schützendes Obdach bereitet, in dem geborgen es in heiterer Seelenruhe dem Widerstreit der Elemente zusehen kann. Man beachte auch, wie nachdrücklich die Bewahrung der angefochtenen Gläubigen dem unmittelbaren Walten Gottes zugeschrieben wird: Du schirmest sie, Du verdeckest sie. Der Herr selbst ist auf dem Plan, um seine Getreuen zu retten.

22. Gelobt (wörtl.: gesegnet) sei der Herr. Gott seine Wohltaten zu vergelten, sind wir nicht im Stande; doch eins können wir: ihn für sie preisen. Dass er hat eine wunderbare Güte mir bewiesen (wörtlicher: mir seine Güte wunderbar erwiesen) in einer festen Stadt. War dies zu Mahanaim, wo der Herr dem David über die Heerscharen Absaloms Sieg gab? Oder bezieht es sich auf Rabba der Kinder Ammon, der Stadt, der David eine so furchtbare Niederlage bereitete? Oder, was uns am besten gefallen würde, war Jerusalem die feste Stadt, wo David die Gnade seines Gottes so wundersam erfahren hatte? 11 Eins ist gewiss: Der Dankbarkeit fehlt es nie an Veranlassungen zum Preise Gottes. Ihre Eben-Ezer stehen so nahe beieinander, dass sie ihren Weg zum Himmel auf beiden Seiten wie eine Mauer einfassen. Ob es eine Stadt oder ein Dörfchen gewesen, wo unser hochgelobter Herr sich uns geoffenbart hat, wir können den geweihten Ort nie vergessen. Die Höhe des Tabor oder das Dorf Emmaus, das Felseneiland Patmos oder die Wildnis des Horeb, die Stätten, wo Gott uns die Geheimnisse seiner Liebeshuld erfahren lässt, sind alle gleich berühmt.

23. Fehltritte zu bekennen, geziemt sich jederzeit; und wenn wir über die Güte Gottes nachsinnen, sollten wir uns stets unserer Fehler und Verstöße bewusst werden. Ich aber sprach in meinem Zagen. Was wir in der Bestürzung (wörtl.) denken und sprechen, ist gewöhnlich verfehlt. Solche Worte, die uns in der Angst und Unruhe des Augenblicks entfahren, liegen wohl nur einen Moment auf der Zunge, aber sie können jahrelang auf dem Gewissen lasten. "Ich bin von deinen Augen verstoßen", buchstäblich: abgeschnitten von vor deinen Augen, d. h. von dem Bereich deiner Fürsorge. Solche Gedanken waren des Gottesmannes unwürdig; aber der Unglaube findet auch im Herzen des standhaftesten Gläubigen noch einen Winkel, wo er sich verstecken kann und von wo aus er allerlei böse Reden wider den Herrn murmelt, wenn die Wege der Vorsehung nicht so glatt sind, als es das Fleisch gern möchte. Es ist noch nie gehört worden, dass einer, der auf den Herrn traut, von feinen Augen wäre verstoßen worden, auch ist das, nach Gottes Treue, nie möglich; dennoch ist kein Zweifel, dass viele schon solche Gedanken des Unglaubens gehabt und mehr als einer sie auszusprechen gewagt hat. Möge solch düsterer Argwohn für immer aus unserm Sinn verbannt sein! Dennoch hörtest du meines Flehens Stimme, als ich zu dir schrie. Welche Gnade ist’s, dass Gott dennoch treu bleibt, ob auch unser Glaube wankt, und er unser Flehen erhört, selbst wenn wir uns mit Zweifeln quälen, die seinen Namen verunehren. Wenn wir bedenken, welche Hindernisse sich unserm Flehen in den Weg stellen und wie armselig wir unsre Gebete vor Gott bringen, ist es uns in der Tat ein Wunder, dass diese je etwas bei Gott ausrichten. In uns liegt wahrlich der Grund nicht!


24. Liebet den Herrn, alle seine Heiligen.
Die Gläubigen behütet der Herr,
und vergilt reichlich dem, der Hochmut übet.
25. Seid getrost und unverzagt,
alle, die ihr des Herrn harret!


24. Liebt den Herrn, alle seine Frommen. (Grundtext) Eine zum Herzen dringende liebliche Mahnung, die uns so recht zeigt, wie inbrünstig der Psalmsänger seinen Gott liebte. Das Wort ist von umso größerer Schönheit, als es von des Dichters Liebe zu dem Gott zeugt, dessen Rute er doch eben, als er den Psalm schrieb, so tiefschmerzlich empfand. Da sehen wir jene Liebe, die auch viele Wasser nicht auslöschen können (Hohelied 8,7). Gott zu preisen, wenn er uns mit Wohltaten überschüttet, ist leicht; aber sich an ihn anzuklammern, wenn er uns alles nimmt und unbarmherzig scheint, das ist eine Frucht der Gnade. Allen Heiligen dienen die geheiligten Trübsale einer in Gottes Schule gereiften Seele zum reichen Gewinn, wenn sie sich durch solch ernste Mahnungen bewegen lassen, ihren Gott desto treuer zu lieben. Wenn die Heiligen den Herrn nicht lieben, wer soll es denn tun? Liebe ist die eine große Schuld aller, die zu den Erlösten des Herrn gehören. Wer möchte sich wohl von dieser Verpflichtung entbunden wissen? An Gründen, Gott zu lieben, kann es uns nicht fehlen; denn die gläubige Liebe ist nicht blind. Die Gläubigen, d. i. die Treuen,12 behütet der Herr. Wohl wird ihre Treue auf manche Probe gestellt, aber ihr Lohn kommt doch zuletzt, und in der Zwischenzeit kann alle Bosheit ihrer Feinde sie nicht verderben. Und vergilt reichlich dem, der Hochmut übt. Auch das ist ein Grund zur Dankbarkeit; denn der Hochmut - die in Gottes Augen schwerste Sünde - ist in seinen Früchten so abscheulich, dass Er, der ihm seine Vergeltung nach gerechtem Maße zuteilen wird, die Liebe aller Gutgesinnten verdient.

25. Seid getrost und Stärke beweise euer Herz! (Grundtext, wie Ps. 27,14) Haltet den Mut aufrecht, lasst keine feigen Gedanken eure Wange entfärben! Furcht schwächt, guter Mut stärkt und belebt. Der Sieg wartet derer, die tapfer zu ihrer Fahne stehen. Alle, die ihr des Herrn harrt. Ihr alle, die ihr im Glauben euer Auge beharrlich auf Jahwe richtet; euer Harren wird herrlich enden. Gott ist getreu, sein Vaterherz ist voller Redlichkeit; was sollten wir denn zagen?


Erläuterungen und Kernworte

Zum ganzen Psalm. Hat David im 30. Psalm von einem falschen Vertrauen berichtet in V. 7, so berichtet er im 31. von einem Zustand des Zagens, in dem er geglaubt hat, gänzlich verstoßen und ausgetilgt zu sein vor Gottes Augen, V. 23. Im Allgemeinen gehört dieses Lied den tiefsten Klagepsalmen an und David gibt darin ein vollständiges Gemälde seines wechselvollen Zustandes während der langen Zeit der saulschen Verfolgung, wo in der Tat alles, was über einen Menschen kommen kann, sich zu verbinden schien, um den Mut des ritterlichen Dulders zu brechen. Eine Aneinanderkettung von Leiden, wie kein Mensch sie wieder erlebt hat. Hervorzuheben sind V. 6, von Christus am Kreuz gesprochen (Lk. 23,46): V. 14, ein Lieblingsspruch des Jeremias, vergl. Jer. 20,10, und die schöne Sentenz V. 20.21 von der heimlichen und offenbaren Güte Gottes. Der Schlussvers ist eine ähnliche Ermunterung, nicht müde und matt zu werden im Streit und Harren des Glaubens, wie Ps. 27,14. Prof. Johannes Wichelhaus † 1858.
  David beschreibt seinen guten Kampf, den er kämpft erstens von der Seite her, wie Zuversicht und Freudigkeit nach der Empfindung der Not die Oberhand gehabt haben, V. 2-9. Er legt aber nun auch solche Erfahrungen und die darunter aufgestiegenen Seufzer vor, da die Empfindung der Not und Gefahr fast über die Glaubenszuversicht den Überschwang gewinnen wollte, V. 10-20 Er zeigt nun, wie man dies sein Exempel und die an ihm kund gewordenen Wege des Herrn gebrauchen könne und solle; V. 21 bis zum Beschluss. Karl Heinrich Rieger † 1791.


V. 2. Herr, auf dich traue ich. Lasst uns alles Misstrauen scheuen. Der Zweifel führt zum Tod, im Vertrauen allein ist Leben. Lasst uns aber darüber klar sein, dass wir auf den Herrn und nicht etwa auf unseren Glauben trauen. Lass mich nimmermehr zuschanden werden. Wenn ein David wider das Zuschandenwerden bittet, wollen auch wir uns dagegen sträuben. Wer den Herrn liebt, sollte es im Ernst für eine Schande achten, zuschanden zu werden. C. H. Spurgeon 1870.
  Errette mich durch deine Gerechtigkeit. Zur Stärkung deines Glaubens beachte wohl, dass dieser sich sogar auf Gottes Gerechtigkeit, ebenso wohl als auf seine Barmherzigkeit, stützen darf. Siehe Paulus’ Hoffnungsgrund 2. Tim. 4,7 f. und des Psalmsängers kühne Berufung auf Gottes Gerechtigkeit Ps. 35,24. Wir dürfen gewiss sein, dass den Herrn seine Wahrhaftigkeit, Treue und Gerechtigkeit bewegen werden, das zu erfüllen, was ihn seine Güte, Gnade und Barmherzigkeit zu verheißen bewogen haben. William Gouge † 1653.


V. 3. Neige deine Ohren zu mir, damit dir kein Wort von dem entgehe, was ich in meiner Schwachheit (vergl. V. 11) zu äußern fähig bin. Die Worte scheinen mir darauf anzuspielen, dass wir unser Ohr zu den Lippen Schwerkranker und Sterbender hinabzuneigen pflegen, um hören zu können, was sie sagen. Adam Clarke † 1832.
  Eilend hilf mir. In dieser Bitte kommt die Größe der Gefahr, in der der Dichter schwebte, zum Ausdruck. Es ist, als sagte er: Bald ist es um mein Leben geschehen, wenn Gott mir nicht eilend hilft. Jean Calvin † 1564.


V. 4. Denn, und ebenso V. 5b: denn. Diesem zweimaligen Anschluss mit denn liegt der Gedanke zu Grunde: Erweise mir dein Heil, denn du bist mein Heiland. Köster (1837) findet das unlogisch, aber es ist das die Logik aller gläubigen Gebete. Der Dichter bittet, dass Gott ihm das werde actu reflexo, was er für den actus directus seines Glaubens jetzt schon ist. Prof. Franz Delitzsch † 1890.
  Um deines Namens willen. Stände nur die Ehre von Geschöpfen, etwa das Ansehen eines Predigers oder der Ruhm von Engeln, auf dem Spiel, dann könnte die Errettung der Menschen in der Tat fraglich sein. Aber mit dem Erlösungswerk ist Schritt für Schritt die Ehre Gottes unzertrennlich verbunden. Wenn Gott das begonnene Werk nicht bis zum letzten Schluss-Stein vollendete, würden alle annehmen, es geschähe aus Gründen, die dem Allmächtigen zur Unehre gereichen müssten. Das kann nimmer geschehen. Aus ureigenem Antrieb hat Gott das Erlösungswerk begonnen. Sein glorreicher Name verbietet, daran zu zweifeln, dass der Schluss-Stein es krönen werde. William S. Plumer 1867.


V. 5. Du wollest mich aus dem Netze ziehen usw. Mit diesen Worten deutet David an, dass seine Feinde nicht nur mit offener Gewalt wider ihn stritten, sondern ihn auch mit allerlei Kunstgriffen zu überlisten suchten, wie z. B., als sie ihn nach Sauls Anweisung beredeten, des Königs Schwiegersohn zu werden und zu dem Ende hundert Vorhäute von den Philistern als Morgengabe zu bringen, wobei sie Liebe zu ihm vorgaben, aber seinen Untergang suchten (1. Samuel 18,20-27); oder als Saul in der Nacht Boten nach dem Hause Davids schickte, um ihn zu bewachen und am Morgen zu töten (1. Samuel 19,11); oder als die Siphiter Saul Davids Zufluchtsort verrieten (1. Samuel 23,19-24). Aber David traute auf seinen Gott und betete, dass der Herr ihn auch weiterhin aus allen solchen Schlingen erretten möchte. John Mayer 1653.
  Denn Du bist meine Stärke. Die Allmacht zerreißt das Netz, das die Schlauheit um uns gewoben hat. Wenn wir kleinen, armseligen Geschöpfe im Netz sind, so ist Gott es doch nicht. In der alten Fabel befreite die Maus den Löwen; hier rettet der Löwe das Mäuslein. C. H. Spurgeon 1870.


V. 6. In deine Hände befehle ich meinen Geist. Das waren die letzten Worte von Polykarp, St. Bernhard, Hus, Hieronymus von Prag, Luther, Melanchthon und vielen andern. (Man vergleiche vor allem auch die letzten Worte des ersten christlichen Blutzeugen, des Stephanus) Wohl denen, sagt Luther, die nicht nur für den Herrn sterben, als Märtyrer, nicht nur in dem Herrn, wie alle Gläubigen, sondern gleicherweise mit dem Herrn, indem sie ihr Leben mit diesen selben Worten aushauchen: In deine Hände befehle ich meinen Geist. J. J. Stewart Perowne 1864.
  In deine Hände befehle ich meinen Geist. Dies Wort hat nicht nur den Heiland selber hinübergeleitet aus dieser Welt zum Vater, sondern auch viele seiner Gläubigen zu allen Zeiten: einen Bischof Epiphanius von Pavia anno 497, Karl den Großen anno 8l4; Luther wiederholte den Ruf mehrmals vor seinem Verscheiden (15. Febr. 1546), ebenso Kurfürst Joh. Friedrich der Großmütige von Sachsen (anno 1547). Mit diesen Worten brach im Massacre von Vassy anno 1562 der Prediger Léonard Morel unter den Säbelhieben der Bande des Guisen zusammen. Und wie vielen, deren Namen kein Geschichtsbuch nennt, ist dies Wort Trost in Todesnot gewesen! - Die Kraft der Psalmen, von A. von Salis 1902.
  Diese Worte standen so, wie sie in der Vulgata lauten, bei unseren Vorvätern in hohem Ansehen. In manus tuas, Domine, commendo spiritum meum pflegten die Sterbenden zu sprechen, wenn sie den Tod herannahen fühlten; und wenn sie nicht mehr bei Bewusstsein waren, sagte es der Priester für sie. In Gebeten für Kranke und Sterbende standen diese Worte oft lateinisch, obwohl das übrige in der Muttersprache abgefasst war. Man nahm an, es wohne diesen Worten selbst eine geheime Kraft inne und brauchte sie daher in allen Gefahren und Nöten. Aber der Missbrauch soll uns im rechten Gebrauch derselben nicht hindern. Adam Clarke † 1832.
  Grundtext: In deine Hand, das ist, in deine Kraft und Macht, die du hast, die Deinigen zu erhalten und zu verherrlichen. Befehle ich meinen Geist, wie man etwa ein Depositum oder Beilage einem in Verwahrung gibt. Johann David Frisch 1719.
  In deine Hände. Wenn diese Hände mich losließen, wäre ich wahrlich verlassen und elend; doch wenn sie mich bewahren und erhalten, dann bin ich wohl geborgen, bin hoch erhöht, bin stark und erfüllt mit allem Guten
  So nimm mich denn hin, ewiger Vater, um des Wortes und Verdienstes Christi willen; denn mein Heiland hat durch seinen Gehorsam und sein Sterben nun alles von dir erworben, was ich nimmer verdiene In deine Hände, mein Gott und Vater, befehle ich Geist, Seele und Leib, alle meine Kräfte, alle meine Bedürfnisse. Deinen Händen opfere ich alles hin. Ihnen befehle ich, was ich bisher gewesen bin, damit du alles vergibst und zurecht bringst; meine Wunden, dass du sie heilst; meine Blindheit, dass du sie in Licht verkehrst; meine Kälte, dass du sie erwärmst; meine gottlosen Irrwege, dass du mich auf den rechten Weg führst; ja all das Böse, das in mir ist, dass du es mit allen seinen Wurzeln mir aus der Seele reißest. Ich befehle deinen hochheiligen Händen, mein Gott, und opfere ihnen hin, was ich bin; und was ich bin, weißt du weit besser als ich, - schwach, elend, verwundet, wankend, blind, taub, stumm, arm, entblößt von allem Guten, nichts, ja weniger denn nichts, meiner vielen Sünden halben, und elender, als ich erkennen oder aussprechen kann. Herr, nimm mich hin und mache mich so, wie das Gotteslamm mich haben will! Ich befehle und übergebe deinen göttlichen Händen alle meine Angelegenheiten, meine Sorgen, meine Neigungen, meine Erfolge, meine Erquickungen, meine Mühen, kurz alles, wovon du weißt, dass es über mich kommen wird. Lenke alles so, dass es zu deiner Herrlichkeit und Ehre diene: lehre mich in allen Stücken deinen Willen tun und in allem das Wirken deiner Hände erkennen; gib, dass ich nichts begehre, als was du mir zu geben für gut findest, und mir deine Wege, eben weil es deine Wege sind, wohl gefallen lasse.
  Ihr Hände des Ewigen, die ihr um meinetwillen Himmel und Erde einst gemacht habt und bis auf den heutigen Tag erhaltet, und die ihr mich eurethalben erschaffen habt, lasst es nie zu, dass ich euch entrinne! In jenen Händen besitze ich mein Gotteslamm, Ihn, den allein meine Seele liebt; in ihnen muss ich denn mit ihm auch sein. Mit ihm will ich in diesen liebewarmen Händen in Frieden ruhen und schlafen, da er in seinem Tode mir’s erworben hat, dass ich auf sie und ihre unendliche Barmherzigkeit hoffen darf, und mich in sie als meine einzige Zuflucht geborgen hat. Da diese Hände mir das Geben gegeben und erhalten haben und ich alles, was ich bin, ihnen zu verdanken habe, gib mir Gnade, in ihnen zu leben und zu sterben; in ihnen zu leben in der Liebe zu unserm Herrn und von ihnen allein alles Gute zu begehren und zu erwarten, - damit ich von ihnen zuletzt mit dem Herrn die Krone empfange. Fra Thomé de Jesu † 1582
  David übergab Gott seinen Geist, dass er nicht sterben müsse: Christus aber, und alle Christen nach ihm, übergeben ihren Geist Gott, damit sie im Tode und nach dem Tode unvergänglich leben mögen. Durch dies Wort berührt sich der vorliegende Psalm mit dem 22. Psalm. Beide benutzte unser Herr am Kreuz. Dem 22. entnahm er jenes Wort der höchsten Seelenangst "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen", diesem jenes letzte Wort der Liebe und des Glaubens, welches er unmittelbar vor seinem Tode aussprach. Der Psalter war das Gebet- und Gesangbuch Christi. Christopher Wordsworth 1868.
  Nicht das Schattenbild eines düstern Schicksals steht vor Jesus am Ziele seiner Laufbahn, obwohl er am Kreuze sterben muss; das Angesicht des Vaters leuchtet ihm entgegen. Nicht in die dunklen Fluten der Vergänglichkeit sieht er sein Leben zerrinnen: Er übergibt es in die Hände seines Vaters. Nicht in dem allgemeinen Geiste der Menschheit allein will er fortleben: fortleben will er in der bestimmten Persönlichkeit seines Geistes, umschlossen von der bestimmten Obhut und Treue seines Vaters. So übergibt er sein Leben nicht verzagend dem Tode zum Untergang, sondern mit triumphierendem Bewusstsein dem Vater zur Auferstehung. Das war der innerste Mittelpunkt seines Testamentes: Lebenszuversicht, Übergabe seines Lebens in die Hand des lebendigen Vaters. Mit lauter Stimme rief er es in die Welt hinein, die immer, immer wieder in das heidnische Bewusstsein des Todes, der Todesfurcht, des Verzagens an Unsterblichkeit und Auferstehung versinken will, weil sie sich immer wieder das Bewusstsein der Persönlichkeit Gottes und der persönlichen Verbindung mit ihm verdunkeln und erschüttern lässt. Mit Löwenmut zeugte der sterbende Christus noch einmal von dem Leben mit einem Ausdruck, der sich an das alttestamentliche Psalmwort anschloss (Ps. 31,6) und davon zeugte, dass der Geist des ewigen Lebens schon im Alten Bunde in prophetischem Vorgefühl wirksam gewesen war. So lebendig wie je übergab er sein Leben durch den Tod hindurch an den ewig Lebendigen. Sein Tod war die letzte, höchste Tat, die Krone seines heiligen Lebens. - Aus dem "Leben Jesu" von Prof. Joh. Pet. Lange 1847.


V. 7. Ich hasse. Heilige Männer haben starke Affekte und sind nicht so mild und gutmütig gegen Unheilstifter, wie glattzüngige Apostel der religiösen Gleichgültigkeit (Indifferentismus) es gern sähen. Wer das Böse nicht hasst, liebt auch das Gute nicht (Vergl. Röm. 12,9) Es gibt einen rechtschaffenen Hass. C. H. Spurgeon 1870.
  Die da halten auf usw. Die Römischen dichten ihren Heiligen allerlei Wunder an, um sie, wie sie meinen, dadurch zu verherrlichen. So phantasiert man, das Haus, worin die Jungfrau Maria war, als der Engel Gabriel zu ihr kam, sei viele hundert Jahre später durch einen Engel erst von Galiläa nach Dalmatien und von dort übers Meer nach Italien getragen worden. Viele wunderbare Heilungen seien durch dasselbe gewirkt worden und sogar die Bäume hätten sich vor ihm geneigt. Solcher Geschichten gibt es unzählige, ganz besonders in der von dem Dominikaner Jacobus de Votagine († 1298) bearbeiteten Heiligenlegende, welche die goldene genannt wird, einem Buche, das so voll geschmacklosen Unsinns ist, dass Ludovicus Vives († 1540), ein Katholik, aber ein gelehrter Mann von klarem Verstand, entrüstet ausrief: "Was kann verabscheuenswerter sein als dies Buch?", und sich wunderte, warum man es golden nenne, da sein Verfasser vielmehr ein Mensch mit einem eisernen Mund und einem bleiernen Herzen gewesen sei. Und Melchior Canus († 1550), ein bedeutender katholischer Dogmatiker, fällte dasselbe Urteil über das Buch und beklagte (wie Vives vor ihm), dass ein Laertius die Lebensgeschichten von Philosophen und ein Suetonius die der Casären wahrheitsgetreuer beschrieben habe, als gewisse christliche Schriftsteller die der Heiligen und Märtyrer!
  Und wie nichtig und abergläubisch ist die Verehrung, welche die katholische Kirche den Reliquien der Heiligen entgegenbringt, ihren toten Leibern oder Teilen derselben, ihren Knochen, Haaren, ja selbst den Kleidern, die sie einst getragen haben sollen. "Ihr könnt jetzt überall", sagt der berühmte Erasmus († 1536) zu Mt. 23,5, "zum Zweck des Gewinnes ausgeboten sehen Milch der Jungfrau Maria (welcher Reliquie man fast so viel Verehrung darbringt wie dem geweihten Leibe Christi); ferner so viele Stückchen vom Kreuz, dass ein großes Schiff sie kaum fassen könnte, wenn sie alle gesammelt würden. Hier wird die Mönchskappe des heiligen Franziskus zur Schau gestellt, dort das unterste Gewand der Jungfrau Maria; an einem Ort der Kamm der heiligen Anna, an einem andern Josephs Stumpf; hier ein Schuh von Thomas von Canterbury; dort sogar die Vorhaut Christi, welche man, obwohl es eine sehr unsichere Sache ist, eifriger verehrt als Christi ganze Person. Auch behandelt man diese Dinge nicht als Sachen, die etwa geduldet werden können, um den niederen Anschauungen des einfachen Volkes Rechnung zu tragen, sondern es wird fast die ganze Frömmigkeit in sie verlegt." Christopher Wordsworth 1868.


V. 8. Ich freue mich über deiner Güte. Wenn uns wieder ein neuer Erweis der Güte Gottes zugekommen ist, sollte der Grund unserer Freude, mehr noch als die Gabe selbst, die Quelle sein, aus der sie geflossen: Denn diese Quelle lässt uns hoffen, dass wir aus ihr noch öfters trinken, ähnliche Wohltaten immer wieder empfangen werden. David Dickson † 1662.
  Dass du mein Elend ansiehst. Das ist kein herz- und kraftloses Ansehen, sondern verknüpft mit dem Affekt des Mitleidens und mit dem Effekt der wirklichen Errettung. Johann David Frisch 1719.
  Du erkennst meine Seele in der Not. Es kam ein betrübter Mann zu Gotthold, der einst ein großes Vermögen besessen hatte, jetzt aber durch Kriegsbeschwerden, Krankheit und andere Not in Dürftigkeit geraten war, klagend, dass er einem seiner nahen Anverwandten begegnet, der aber ihn keiner Rede gewürdigt, sondern, als kennte er ihn nicht, über die Seite sehend vorbeigegangen, was, wie er sagte, ihm ein Pfriem ins Herz gewesen wäre. Mein!, sagte Gotthold, kennt ihr die Welt noch nicht? Ich hätte wahrlich gemeint, euer so vielfaches Kreuz und Trübsal hätte euch längst von Herzen singen gelehrt:

  Von allen Menschen abgewandt,
  Zu dir mein’ Seel’ erhoben
  Hab’ ich allein, mein Herr und Gott!
  Lass mich nicht werden bewogen.

  Die Welt ist übersichtig; das Niedrige und was auf Erden liegt, sieht sie nicht. Ich weiß aber einen Mann, der sich zwar hoch gesetzt hat, sieht aber auf das Niedrige im Himmel und auf Erden (Ps. 113,5 f.) Von diesem sagt der königliche Prophet: Du erkennst meine Seele in der Not (Ps. 31,8) Wenn wir schon unseren Schmuck verloren haben und in alten Lumpen aufgezogen kommen, wenn schon unsere Gestalt verfallen ist vor Trauern und alt geworden (V. 10; Ps. 6,8), wenn schon Krankheit und Herzeleid unsere Schönheit wie Motten verzehrt (Ps. 39,12), wenn schon unser Angesicht voller Schande, Tränen und Staubs ist (Ps. 69,8), so erkennt er uns doch und schämt sich unser nicht. Dessen getröstet euch, dass, wenn euch Menschen nicht kennen wollen, Gott doch euer nicht vergessen hat. Ihr seid auch der nicht erste, dem es also geht; König David hat dies Trauerliedlein längst und oft in seine Harfe gesungen: Ich schaue zur Rechten, spricht er, und siehe, da will mich niemand kennen; niemand nimmt sich meiner Seele an (Ps. 142,5). Meine Freunde hast du ferne von mir getan, du hast mich ihnen zum Gräuel gemacht. Meine Gestalt ist jämmerlich vor Elend. Du machst, dass meine Freunde und Nächsten und meine Verwandten sich ferne von mir tun um solches Elends willen (Ps. 88,9.10.19) Merket, dass der Prophet sagt, es komme von Gott, wenn uns die Freunde nicht kennen wollen, ohne Zweifel darum, dass wir bei ihm allein die beständigste und treueste Freundschaft suchen sollen. Darum:

  Allein auf Gott setz’ dein Vertraun,
  Auf Menschenhilf’ sollst du nicht baun;
  Gott ist allein, der Glauben hält,
  Sonst ist kein Glaub’ mehr in der Welt.

Aus Gottholds zufälligen Andachten, von Christian Scriver 1671.


V. 9. Und hast mich nicht beschlossen in Feindeshand (Grundtext) Er tut auf und niemand schließt zu (Off. 3,7). Lasst uns den Herrn preisen, der uns eine offene Tür gegeben hat, die weder Mensch noch Teufel zumachen kann. Noch sind wir nicht in der Menschen Händen, und zwar, weil wir in Gottes Händen sind. Sonst wären unsre Füße längst in Stock und Eisen und nicht in dem weiten Raum der Freiheit. Wenn unsere Feinde so viel Macht wie Willen hätten, würden sie längst mit uns verfahren haben, wie es der Vogelfänger mit dem Vöglein macht, wenn er es in seine Hand schließt. C. H. Spurgeon 1870.


V. 10. Mein Auge (Grundtext) ist verfallen (geschwunden, matt worden) vor Trauer. Dieser Ausdruck scheint andeuten zu sollen, dass das Auge tatsächlich unter dem Einfluss großer Betrübnis leide. Man hatte früher die Meinung, die noch jetzt unter den Laien herrscht, dass das Auge bei tiefem Gram und unaufhörlichem, überreichem Tränenerguss selbst einfallen und zugrunde gehen könne. Diese Ansicht entbehrt der tatsächlichen Grundlage. Dagegen gibt es eine sehr gefährliche, den Augenärzten unter dem Namen Glaukom (grüner Star) wohlbekannte Krankheit des Auges, welche durch Gemütsbewegungen niederdrückender Art stark beeinflusst zu werden scheint. Ich habe in meiner Praxis nicht wenige höchst auffällige kennen gelernt, wo eine konstitutionelle Neigung zu Glaukom bestand und irgendein schwerer Kummer einen heftigen Anfall der Krankheit hervorbrachte, der zu unheilbarer Blindheit führte. In solchen Fällen ist die Sache wohl etwa folgendermaßen zu erklären: Zur normalen Ausübung seiner Funktionen bedarf das Auge eines genau bemessenen Grades von Elastizität und dieser wiederum hängt davon ab, dass ein genaues Gleichgewicht bestehe zwischen der Menge der im Auge befindlichen Flüssigkeit und der äußern, faserigen Hülle oder dem Sack, der diese Flüssigkeit enthält und einschließt. Wenn dies Ebenmaß gestört wird, wenn also die Flüssigkeit übermäßig an Menge zunimmt und das Auge zu hart wird, kann plötzlich eine höchst schmerzhafte Einzündung im Innern bewirkt und das Augenlicht sehr rasch ausgelöscht werden. Es ist eine ganz besondere Nervenpartie, die über diesen eigentümlichen Zustand die Aussicht hat und das Auge in der entsprechenden Elastizität hält, und es ist eine beachtenswerte Tatsache, dass bei den meisten Menschen das Auge das ganze lange Leben hindurch diese elastische Beschaffenheit behält. Wird aber, wie es unter dem Einfluss heftigen Kummers oder irgendeines starken Gemütsdruckes ganz wohl geschehen kann, die Tätigkeit dieser Nerven geschwächt, so kann das Auge plötzlich hart werden. Noch vor verhältnismäßig kurzer Zeit führten schwere Fälle von Glaucoma oder plötzlicher hochgradiger Spannung des Augapfels unter starken Schmerz und heftiger Einzündung zu vollständiger und hoffnungsloser Erblindung; jetzt aber ist es, dank dem berühmten Albr. v. Gräfe († 1870), möglich, durch eine Operation (Ausschneiden eines Stückes der Regenbogenhaut) Hilfe zu bringen. - Mitteilung Dr. George Crichet’s, des ersten Arztes der königl. Augenheilanstalt zu London, an C. H. Spurgeon, 1870.


V. 11. Vor meiner Missetat. Ich finde, dass Gottes Kindern, wenn sie sich in Trübsalen befinden und tief gebeugt sind, kleine Sünden große Gewissenspein bereiten; aber in Zeiten, wo es uns äußerlich wohl geht, ist das Gewissen ein Papst, der uns bereitwillig Dispens erteilt und viel Spielraum lässt. Das Kreuz ist eben darum so nötig; denn ohne die läuternde Trübsal würden wir wohl alle der herrlichen Krone verlustig gehen, die der Bewährten wartet. Samuel Rutherford † 1661.


V. 12. Ich bin eine Schmach worden usw. Die Masse der Gegner, die David hatte, gereichte ihm doch zuletzt auch in den Augen Besserer zu der Beschimpfung eines Thronräubers und Empörers; diejenigen, bei denen er freundnachbarliche Zuflucht fand, fühlten sich allmählich, weil gefährdet, auch belästigt, und wie sehr die mit ihm nicht bloß oberflächlich, sondern intim Bekannten, menschlich angesehen, Ursache hatten, den Umgang mit ihm zu fliehen, zeigt das traurige Geschick Ahimelechs und der andern Priester von Nob. Prof. Franz Delitzsch † 1890
  Von meinen Kinderjahren an wunderte es mich, dass überall die frommen, gottesfürchtigen Leute, die sich um ihr eignes und anderer Menschen Seelenheil ernstlich mühten, als Sonderlinge angesehen und allerlei üblen Nachreden, besonders von den lasterhaftesten und schändlichsten Menschen, ausgesetzt waren. Die Leute, welche doch Sonntag für Sonntag dieselben Glaubensartikel als ihr Bekenntnis, dieselben Gottesgebote als das für sie gültige Gesetz, dieselben Bitten des Vaterunsers als ihr Gebet hersagten, sich also zu der gleichen Religion bekannten, schmähten dennoch allerorten diejenigen, welche sich bestrebten, ernstlich nach dem, was sie bekannten, zu leben. Ich hielt damals dafür, es sei dies bei den Weltleuten nichts anders als die unverschämteste Heuchelei, dass sie die für die unausstehlichsten Menschen im ganzen Lande hielten, die doch nur mit ihrer Religion Ernst machten und sich anstrengten, das in die Tat umzusetzen, was ihre Feinde selbst als ihr eigenes Bekenntnis und Gelübde ablegten. Ich urteilte: Ist unsere Religion schlecht, ist unser Glaube nicht wahr, warum bekennen sich diese Leute dazu? Ist aber unsere Religion gut und wahr, warum hassen und schmähen sie, wenn sie sie auch selber nicht befolgen wollen, die, welche damit vollen Ernst machen? Aber es ist umsonst, von solchen Vernunft zu erwarten, deren innerer Sinn durch die Macht der Sünde und des fleischlichen Wesens verfinstert ist. Seit ich einerseits den Lauf der Welt genauer beobachtet und anderseits die Übereinstimmung zwischen dem Wort und der Vorsehung Gottes tiefer erkannt habe, ist es mir ein bedeutsamer Erweis für den gefallenen Zustand des Menschen, wie für die Wahrheit der heiligen Schrift und den übernatürlichen Ursprung der wahren Heiligung, dass wir eine solche allgemeine Feindschaft zwischen dem heiligen Samen und dem Schlangensamen finden, dass die Geschichte von Kain und Abel fort und fort wiederkehrt und noch immer der nach dem Fleisch Geborene den verfolgt, der nach dem Geist geboren ist (Gal. 4,29). Und es scheint mir, gerade dies diene bis auf den heutigen Tag wesentlich zur Stärkung unseres Glaubens. Richard Baxter † 1691.
  Trachtet jemand darnach, Geduld und Demut zu beweisen, so ist er ein Heuchler. Macht er Gebrauch von dem, was die Erde Gutes bietet, so ist er ein Schwelger. Sucht er sein Recht zu wahren, so ist er unleidsam; tut er es nicht, so ist er ein Narr. Trachtet er vorsichtig zu handeln, so ist er geizig; sucht er andern wohl zu tun, so ist er verschwenderisch. Gibt er sich dem Gebet hin, so ist er hochmütig und sucht eitlen Ruhm. Und gerade dies dient der Kirche zum großen Schaden, dass durch solch falsche Urteile viele vom Guten zurückgehalten werden. Jene Schmähungen sind aber nicht neu, wie denn schon der Psalmist klagt: Ich bin eine Schmach, ein Schimpf geworden. Johannes Chrysostomus † 407.
  Sei klar wie Eis, sei rein wie Schnee, - der Verleumdung entgehst du dennoch nicht. William Shakespeare † 1616.


V. 13. Wie ein Toter bin ich vergessen (und) aus dem Sinn (gekommen). Ein ausfallendes Beispiel, wie selbst ruhmgekrönte Fürsten im Tode vergessen werden, bietet Ludwig XIV. von Frankreich († 1. Sept. 1715), der einst auf dem Gipfel der Macht und des Glanzes gestanden hatte. "Der Louis, der war, liegt nun vergessen und verlassen da, ein verabscheuter Haufe Staubes, den man einigen geringen Leuten und etlichen Priestern der Chapelle Ardente überlässt, die ihn so eilig als möglich in einen doppelten Bleisarg legen und dabei Massen geistiger Getränke hinunterschütten. Der neue Louis fährt mit seinem Hofstaat durch den sommerlichen Nachmittag nach Choisy. Noch fließen die königlichen Tränen; aber ein von Monseigneur d’Artois unrichtig ausgesprochenes Wort bringt die ganze Gesellschaft zum Lachen und man weint nicht mehr." -Die französische Revolution, von Thomas Carlyle † 1881.
  Wie ein zerbrochen Gefäß. Ein Gefäß mag seinem Eigentümer noch so nützlich und notwendig gewesen sein, - ist’s zerbrochen, so wird es weggeworfen und nicht mehr beachtet. Das ist genau die Lage eines Mannes, der von denen seinem Verderben überlassen wird, die ihn als werten Freund behandelten, solange er ihnen zu Diensten stehen und für sie von Vorteil sein konnte. Robert Cawdray 1609.


V. 14. Indem sie sich miteinander wider mich beraten usw. Sie zerrissen grausam seinen guten Namen, und ihn selber suchten sie zu töten; aber sie verfuhren dabei so, dass sie ihre Gottlosigkeit mit dem Schein würdigen und bedächtigen Verfahrens deckten, indem sie sich miteinander wider ihn berieten als wider einen Menschen, den man nicht länger auf Erden dulden dürfe. (Man vergleiche dazu die häufigen Beratschlagungen der Hohenpriester und Ältesten wider Jesus.) Jean Calvin † 1564.


V. 15. Ich aber, Herr, habe auf dich vertraut. (Wörtl.) Indem David die Festigkeit seines Gottvertrauens den versuchlichen Angriffen, welche er eben erwähnt hat, gegenüberstellt, leugnet er, dass ihm je der Glaubensmut entglitten sei, behauptet vielmehr, dass er die Hoffnung unverrückt festgehalten habe, Gott werde ihn befreien. Das soll aber nicht heißen, dass er mit seinem Glaubensmut prahle, als könne er gar nicht durch die Schwachheit des Fleisches zu Fall kommen. So sehr das eine dem andern zu widersprechen scheinen mag, sind diese Dinge doch oft in einem und demselben Menschen beieinander und sollen beieinander sein, nämlich, dass er, während er vor Kummer verschmachtet und aller Kraft beraubt ist, dennoch von einer so starken Hoffnung getragen wird, dass er unablässig zu Gott ruft. David war daher von seinem tiefen Kummer und all seinen anderen schweren Leiden nicht so überwältigt, dass das verborgene Licht des Glaubens nicht inwendig in seinem Herzen hätte leuchten können; auch seufzte er unter der schweren Last der Anfechtungen nicht in dem Maße, dass er dadurch verhindert worden wäre, sich zum Anrufen Gottes aufzuraffen. Er kämpfte sich durch alle Hindernisse durch. Sodann erklärt er, welcherart sein Glaube sei, nämlich, dass er bei sich selbst gesagt habe, Gott werde ihn nicht verlassen noch versäumen. Ich habe gesagt; Du bist mein Gott! Mit den Worten deutet er an, er sei von dieser Wahrheit, dass Gott sein Gott sei, so völlig überzeugt gewesen, dass er auch nicht einen gegenteiligen Gedanken habe bei sich aufkommen lassen. Und solange diese Überzeugung nicht in uns so mächtig wird, dass sie ganz von uns Besitz nimmt, werden wir stets in Ungewissheit hin und her wanken. Es ist aber zu beachten, dass diese Erklärung, die David mehr mit dem Herzen als mit der Zunge ablegt13, nicht nur eine innere, verborgene ist, sondern dass sie an Gott selbst, als ihren alleinigen Zeugen, gerichtet ist. Nichts wird uns schwerer, wenn wir unser Gottvertrauen von aller Welt verlacht sehen, als, unsere Worte an Gott allein zu richten und uns an diesem Zeugnis genügen zu lassen, das unser Gewissen uns gibt, nämlich, dass er unser Gott ist. Und es ist sicherlich ein unzweifelhafter Erweis echten Glaubens, wenn wir, so gewaltig die Wogen auch sein mögen, die auf uns anstürmen, und so heftig die Angriffe, von denen wir erschüttert werden, dies als unbeweglichen Grundsatz festhalten, dass wir zu jeder Zeit unter Gottes Schutz sind und mit Freimut zu ihm sagen können: Du bist mein Gott. Jean Calvin † 1564.
  Wie viel mehr als zehntausend Goldgruben ist es wert, sagen zu können: Gott ist mein! Der Knecht Gottes erfasst die volle Glückseligkeit, die darin liegt. Darum erlabt er sich an diesem großen Gut, vor welchem alles, was er leiden und entbehren muss, in ein Nichts verschwindet. Das gibt ihm vollkommenen Trost. An dem Hofe des Cyrus war ein hoher Würdenträger, der sich der besondern Gunst des Königs erfreute. Er sollte seine Tochter mit einem sehr vornehmen Manne verehelichen, hatte aber kein großes Vermögen. Darum fragte ihn jemand, woher er doch die Mittel nehmen wolle, seiner Tochter eine standesgemäße Mitgift zu geben, und worin denn eigentlich sein Reichtum bestehe. Er erwiderte; Was brauche ich dafür zu sorgen, o{pou Ku=ro/j moi fi/loj, da doch Cyrus mein Freund ist? Aber können wir nicht noch viel freudiger sagen: o{pou Ku/ro/j moi fi/loj? Da der Herr mein Freund ist, er, der in sich selbst alle vollkommene Fülle ist, was brauche ich mehr? John Stoughton † 1639.
  Du bist mein Gott. Was kannst du mehr haben? Du hast nicht die Welt, aber du hast den Schöpfer der Welt und das ist mehr. Wer Gott als sein alles in allem hat, dessen Schatz ist so groß, dass er nicht gemessen werden kann. - Aus der vorletzten Predigt C. H. Spurgeons, gehalten am 17. Mai 1891.


V. 16. Alles, was den Gläubigen betrifft, ist in den Händen des allmächtigen Gottes. Meine Zeiten (Grundtext) ändern sich und wechseln; aber sie ändern sich nur der ewigen Liebe gemäß und sie wechseln nur nach dem Ratschluss eines, bei dem keine Veränderung ist, noch Wechsel des Nichts und der Finsternis. Sturm und Stille wechseln nach göttlicher Bestimmung. Ob die Zeiten erfrischend oder niederdrückend sind, steht bei ihm, der der Herr der Zeit und der Ewigkeit ist, und wir freuen uns, dass es in seinen Händen liegt. - Brüder, wir sind auf stürmischer Fahrt; aber ist es nicht eine köstliche Sache, zu wissen, dass der Herr selbst am Steuerruder ist? Den Kurs kennen wir nicht, nicht einmal den Längen- und Breitengrad, wo wir uns jetzt befinden; aber der Steuermann kennt uns völlig und kennt das Meer. Wir werden weise tun, uns nicht in die Befehle unseres Kapitäns zu mischen. Auf Dampfschiffen liest man wohl die Warnung: "Es ist verboten, mit dem Steuermann zu sprechen." Wir sind in unserm Unglauben sehr geneigt, mit dem zu disputieren, dem das Steuer unseres Schiffes anvertraut ist. Wir werden, Gott sei Dank, ihn nicht in Verwirrung bringen, aber wir verwirren und quälen uns oft selber durch unser törichtes Klagen. - Schon das Wort Zeiten setzt Veränderungen für dich voraus; aber da dein Gott von diesen Veränderungen nicht berührt wird, ist alles gut. Dinge werden geschehen, die du nicht vorhersehen kannst; aber dein Herr hat alles vorhergesehen und für alles gesorgt. Nichts kann ohne seine göttliche Erlaubnis geschehen und er wird nichts zulassen, was dir wirklich und dauernd zum Schaden dienen könnte. "Ich möchte gern wissen", sagt einer, "ob ich bald sterben werde." Habe keinen Wunsch in dieser Sache; deine Stunde wird kommen, wann es am besten ist. Die beste Weise, ohne alle Todesfurcht zu leben, ist die, jeden Morgen zu sterben, ehe du dein Schlafgemach verlässt. Der Apostel Paulus sagt; "Ich sterbe täglich." Bist du in die heilige Gewohnheit hineingekommen, täglich zu sterben, so wird es dir leicht werden, zum letzten Mal zu sterben. Den Tod fürchten, ist oft der Gipfel der Torheit. Ein großer Prophet lief einmal viele Meilen, um nicht durch die Hand einer tyrannischen Königin zu sterben. Er war der tapfersten einer unter den Tapferen und doch eilte er in die Einöde, um vor der Drohung eines Weibes zu entfliehen. Als er seine ermüdende Wanderschaft beendet hatte, setzte er sich nieder und betete tatsächlich: "Lass mich sterben!" Das war ein seltsames Ding, laufen, um sein Leben zu erretten, und dann ausrufen; "Lass mich sterben". Dieser Mann starb niemals; er war ja der Elia, der in einem feurigen Wagen gen Himmel fuhr. Gott erhört nicht alle Gebete der Seinen, denn er hat bessere Dinge für sie, als die, welche sie begehren. Zittert nicht vor dem, was vielleicht niemals geschieht! Selbst wir werden vielleicht nie sterben. Einige von uns mögen leben und überbleiben bei dem Kommen des Herrn, wer weiß? Siehe, er kommt bald. Jedenfalls wollen wir uns nicht ängstigen wegen des Todes, denn der ist in seinen Händen. - Aus derselben Predigt C. H. Spurgeons 1891.
  Meine Zeiten stehen in deinen Händen. Ist dies Wort in besonderem, gar tröstlichem Sinne wahr von den Gläubigen, so gilt es doch auch von allen Menschen. Es scheint zwar wohl, als hätten gewisse Menschen keinen Meister, als wären sie nur bestimmt, andern ein Gesetz zu sein, und hätten sie selber kein Gesetz, dem sie sich beugen müssten. Und doch sind auch ihre Zeiten in Gottes Hand, wie die Bahnen der Planeten ganz von dem Sonnensystem abhängen, dem sie angehören, und wie der Gang eines jeden Mondes völlig in der Gewalt seines Planeten ist. E. Paxton Hood 1865.


V. 17. Lass leuchten dein Antlitz über deinen Knecht. Wenn die Wolken der Trübsal die Sonne der göttlichen Huld verbergen, weiß der Glaube doch, dass sie wieder hervorleuchten kann, und sendet darum seine Bitten durch die Wolken, damit diese zerteilt werden. David Dickson † 1662.


V. 18. Denn ich rufe dich an. Damit dringt der Betende nicht auf seines Gebets Würdigkeit oder Verdienst, sondern auf die Wahrheit der göttlichen Verheißung, weil Gott verheißen hat, die Seinen zu erhören und zu erretten. Johann David Frisch 1719.


V. 19. Falsche Mäuler, die da reden wider den Gerechten frech, stolz und höhnisch. In jenem alt-ehrwürdigen und eigenartigen Denkmal der alten Waldenserkirche, der Nobla Leyçon, einem aus dem 12. Jahrhundert14 stammenden religiösen Lehrgedichte, findet sich folgende Stelle:

  Ist irgendeiner, der den Heiland liebt und ehrt,
  Nicht flucht, nicht schwört, die Wahrheit nicht in Lüge kehrt,
  Nicht unkeusch lebt, nicht mordet, keines Schaden sucht,
  Dem Feind von Herzen wohl tut, segnet, wo man flucht;
  Hinweg mit ihm, dem Ketzer, er ist auch voll der Brut
  Des Valdez, ruft alle Welt mit Wut.

  Aus der Geschichte der Waldenserkirche von Antoine Monastier 1847.


V. 20. Wie ein vorsichtiger Hausvater seine Freigebigkeit gegen Fernerstehende stets so regeln wird, dass er seinen Kindern und Angehörigen nicht das ihnen Zukommende entzieht oder sie gar in Armut stürzt dadurch, dass er seine Habe in verschwenderischer Weise zu Gunsten anderer verwendet, so weiß auch Gott bei aller Mildtätigkeit gegen solche, die nicht zu den Seinen zählen, doch seinen Kindern das aufzubewahren, was ihnen nach dem Erbrecht, das ist auf Grund ihrer Gotteskindschaft, gehört. Jean Calvin † 1564.
  Glaubt es nur, ihr hohen Herren, ihr habt keine Ahnung davon, was für einen Freund ihr an Gott haben würdet, wenn ihr euch nur bewegen lassen wolltet, in seine Bundesgemeinschaft einzugehen, sein, ganz sein eigen zu werden! Ich sage euch, viele, die früher auch gedacht und gehandelt haben, wie ihr jetzt, das heißt, Christus gering geschätzt und Gott gehasst und nichts der Liebe Wertes in ihm gesehen haben, sind jetzt ganz andern Sinnes und würden ihren Anteil an Gott nicht für zehntausend Welten aufgeben. Wer darf sagen, dass der Herr ein harter Meister sei? Wer, der ihn kennt, wird behaupten, er sei ein ungütiger und untreuer Freund? O was tun doch die armseligen Geschöpfe damit, dass sie solch harte, lieblose Gedanken von Gott hegen! Wie, meinen sie, es seien leere Worte, wenn David sagt: Wie groß ist deine Güte, die du verborgen hast denen, die dich fürchten? Nimmt der Psalmsänger etwa den Mund zu voll? Sagt er mehr, als er und andere erhärten können? Fragt ihn; er wird euch in Vers 22 sagen, dass sein Herz des Lobes Gottes voll ist. Das sind Dinge, von denen er aus persönlicher Erfahrung reden konnte, und wie er können es viele Tausende, denen Gott wunderbare Güte bewiesen hat. Darum bittet und mahnt er inständig Gottes Volk, doch den Herrn zu lieben, V. 24, und dem, was sie von Gottes Güte im Herzen spüren, doch wärmer und würdiger Ausdruck zu geben, damit die Welt dadurch angereizt werde, sich bessere Gedanken von Gott zu bilden. James Janeway † 1674.
  Denen, die auf dich trauen. Wie Gottes Treue uns zum Glauben bewegt, so bewegt anderseits, sozusagen, unser Glaube Gottes Treue, die Verheißungen zu erfüllen. Nathanael Hardy † 1670.


V. 21. Du verbirgst sie usw. Das macht unser lieber Gott heimlich, dass es keine menschlichen Augen sehen müssen und können, und die Gottlosen wissen nicht, dass ein Gläubiger in Gott und in der Gegenwart Gottes so wohl verwahrt ist, dass ihm kein Hohn und Spott, keine zänkische Zunge schaden kann. Johann Arnd † 1621.


V. 22. Die feste Stadt ist Gott selbst15 und sein gewaltiger und gnädiger Schutz, in dem wir viel sicherer sind, als in einer festen Stadt. Ps. 46,5 f. Johann Arnd † 1621.


V. 23. Seht wohl zu, wenn ihr die Lebensgeschichte berühmter Christen leset, dass ihr sie mit Vorsicht gebrauchet; denn nicht alles, was Erfahrung eines Christen ist, ist wirklich christliche Erfahrung. Ein Gläubiger kann vieles erleben, was er nicht als Gläubiger erlebt, sondern deshalb, weil sein Glaube ihn im Stich lässt. Manchmal haben wir eine Erfahrung eines frommen Mannes eher als ein Warnungszeichen anzusehen, das uns auf verborgene Klippen hinweist, denn als einen Leuchtturm, der uns den Hafen zeigt. Der Rheumatismus ist sicherlich eine menschliche Krankheit; aber ich würde keinem raten, nach Rheumatismus zu streben, um seine Menschheit zu beweisen. Wir können sehr wohl auf manches verzichten, was gewissen großen Männern eigentümlich war, da es sie weder zierte noch stärkte, vielmehr entstellte und schwächte. Es ist gut, David zu folgen, aber besser ist es, dem großen Davidssohn zu folgen; denn jener verirrte sich manchmal wie ein verlorenes Schaf, dieser aber ist der große Hirt der Schafe, dessen Fußstapfen die Herde stets ruhig folgen kann. Lasst uns David nicht nachahmen, wenn er in der Bestürzung redet und spricht: Ich bin von deinen Augen verstoßen. Doch in drei andern Stücken lasst uns ihm genau folgen: Dass wir nämlich unsere Fehler bekennen, sobald sie uns zum Bewusstsein kommen, dass wir zu Gott schreien in der Not und dass wir von der großen Güte Gottes, die sich trotz unserer Fehlerhaftigkeit an uns erweist, Zeugnis ablegen, wie David es hier tut.
  Ich sprach. Der Unglaube ist gewöhnlich schwatzhaft. Ich sprach. Es wäre für ihn besser gewesen, wenn er so etwas nicht einmal gedacht hätte, und da er so Unrechtes dachte, war es höchst unweise, den Gedanken auszusprechen. Ich habe etwa Leute sagen hören: "Wenn es in meinem Herzen ist, kann es ebenso gut herauskommen"; aber das ist nicht wahr. Wenn ich hier eine Klapperschlange in einem Kasten hätte, ich glaube, es würde niemand unter euch dafür sein, dass ich sie losließe. In einer Flasche mag tödliches Gift sein, doch wird es niemand schaden, bis der Pfropfen herausgezogen ist; wie weit dann aber der Schade gehen mag, kann niemand sagen. Wenn du einen schlechten Gedanken hast, so bereue ihn, aber sprich ihn nicht aus! Er mag dir schon geschadet haben, aber er wird doch keinem andern schaden, wenn du ihn in deinem Innern sterben lassest. Begrabe stillschweigend diesen Sprössling deiner Seele, dessen sie sich zu schämen guten Grund hat.
  Ich bin von deinen Augen verstoßen. Nein, David, nein und noch einmal nein. Es ist nicht so. Du bist aus der Achtung der Menschen verstoßen durch Verleumdung und bist aus der Freundschaft derjenigen verstoßen, die dich nicht lieb hatten und deren Gemüt jetzt durch böse Gerüchte gegen dich erbittert worden ist; aber du bist nicht von Gott verstoßen. Das ist wahr; du bist von den öffentlichen Gottesdiensten im Hause des Herrn abgeschnitten und bist gezwungen, dich in den Felsklüften und Erdhöhlen zu verbergen; aber von Gott, aus dem Bereich seiner Augen, bist du nicht abgeschnitten (wörtlich). Du weißt, dass du es nicht bist; warum redest du denn so?
  Bemerkt wohl, dass Gott dennoch sein Flehen hörte. Wir bilden uns manchmal ein, Gott werde unser Gebet nicht hören, wenn es noch irgendwie mit Unglauben vermischt sei. Wäre das zutreffend, so ist mir bange, dass der Herr uns nicht oft hören würde; denn selbst im stärksten Glauben ist noch ein Maß von Unglauben. Es ist eine große Gnade, dass wir, wenn wir klagen: "Ich bin von seinen Augen verstoßen", aber dennoch zur selben Zeit zu Gott flehen und schreien können, für unsere Bitte bei Gott ein gnädiges Ohr finden. Gott handelte mit David nicht nach seinem Unglauben, sondern nach seinem Glauben. Wir sind ein trauriges Gemisch von Naturen und wenn mit uns nach unserer schlechten Seite gerechnet würde, wer könnte bestehen? Davids Glaube war klein, war aber doch wahrer Glaube. Es war ein Kindesglaube, der schreien konnte, ein ringender Glaube, der flehen konnte, ein geduldiger Glaube, der warten konnte, und darum ein Glaube, der beim Herrn Annahme fand und Segnungen erlangte. C. H. Spurgeon 1882.
  Ich habe Gnade erlangt, ich, die ich dachte, meine Gnadenzeit sei vorbei auf ewig; ich habe eine Hoffnung auf den Himmel, die ich meinte, ich sei um meines Unglaubens willen schon verdammt! Wie oft habe ich gesagt, für mich sei keine Hoffnung beim Sterben und wie oft meinte ich schon das Schrecklichste zu sehen! Ich war so in Verzweiflung, dass ich schließlich in stumpfe Gleichgültigkeit versank und mich nicht mehr darum bekümmerte, was aus mir werden würde. Oft war ich am Rande des Grabes und der Hölle, ich stand an den offenen Toren des Todes, - da schloss Christus sie vor mir zu. Die Liebe Gottes ist unergründlich. Wie unvergleichlich ist seine Güte, dass er, der Hohe und Erhabene, mich angesehen und sich eines solchen Wesens angenommen hat und hat mir Frieden gegeben, die ich voller Schrecken war und beständig wie inmitten von Feuer und Schwefel wandelte. Sarah Wright.


V. 24. Liebet den Herrn, alle seine Heiligen! Wenn eine blinde Welt in Gott keine Schönheit sieht und ihn deshalb nicht liebt, so liebet doch ihr, seine Heiligen, euren Herrn. Wenn die Feinde des Höchsten andere Götter aufrichten und vor ihnen niederfallen, wenn sie abweichen auf ihre krummen Wege und ihren falschen Göttern nachhuren, so steht doch ihr fest und wendet euch zu eurem Bundesgott und liebt ihn beständig! Dient ihm nicht nur, sondern liebt ihn. O ihr vom Hause Israel, seid nicht seine Sklaven! Dient eurem Gott nicht, wie die Heiden ihren Göttern dienen, aus Furcht und Schrecken, sondern liebt den Herrn, alle seine Heiligen! Seid nicht wie die Untertanen eines Pharaos, die der Stock des Treibers zur Arbeit zwingen muss, sondern zeigt euch als pflichttreue Kinder eines liebenden Vaters. Dient ihm, sage ich, und freut euch vor ihm. Die Liebe versüße euren Dienst. Gebt ihm euer ganzes Herz; macht ihn zum höchsten Gegenstand aller Wünsche eurer Seele. Lebt stets für ihn, wie ihr durch ihn lebt. C H Spurgeon 1884.
  Die Gläubigen. Das Wort kommt vor Jesaja erklärt’s am besten: Das gerechte Volk, das den Glauben bewahret (Jes. 26,2). Johann David Frisch 1719


V. 25. Seid getrost, buchstäblich: seid fest; und Starke beweise euer Herz. Der christliche Mut kann etwa so beschrieben werden: Er ist die unerschrockene Kühnheit, womit sich ein geheiligtes Herz für eine gute Sache und auf Gottes Befehl in Gefahren wagt und Mühsalen unterzieht. Das Herz ist die Festung, in der der Mut das Kommando führt und militärische Zucht übt. Meine Lieben, die Tapferkeit besteht nicht in einem durchbohrenden Blick, einem grimmigen Aussehen oder trotzigen Reden, sondern in dem Feuer, in der Kraft, die drinnen im Herzen sind. Hinter einer dröhnenden Stimme und einem grimmigen Blick kann ein Feigling verborgen sein, während sich wahrer Heldenmut in dem Herzen eines Menschen finden kann, dessen äußeres Benehmen kaum oder gar nicht darauf schließen lässt. Sodann beachtet, dass hier von dem Mute gottgeweihter, geheiligter Seelen die Rede ist. So handelt es sich denn auch hier nicht um die Tapferkeit als eine menschliche Tugend, deren auch Heiden, die keinen Gott haben, fähig sind und in der sich viele, die nicht gläubige Christen sind, rühmlich ausgezeichnet haben, sondern hier handelt es sich tun die Tapferkeit als eine Gnadengabe, welche Gott in den Seinen auf Grund seines Bundes wirkt. Und es sind drei Stücke, die diesen christlichen Heldenmut charakterisieren und von der gewöhnlichen, menschlichen Tapferkeit unterscheiden. Erstens: Die Quelle dieser Kühnheit ist die Liebe zu Gott: Alle ihr Heiligen, die ihr den Herrn liebt, seid gutes Muts. War einer kühn, dann der Apostel Paulus. Aber was sagt er? "Die Liebe Christi bedränget mich also!" (2. Kor. 5,14) Zweitens: Die den christlichen Helden bestimmende Regel ist das Wort Gottes, mit andern Worten das, was der Herr für gut befunden hat, auf heiligen Blattern den Christen zu ihrer Rettung urkundlich zu hinterlassen. Vergl. 1. Chr. 22,12 f. Seid lauter Feuer und Flamme; aber sehet zu, dass euer Feuer heiliges Feuer, euer Eifer göttlicher Eifer sei und ihr genau in den Schranken des göttlichen Wortes bleibt. Und drittens: Das Ziel dieses kühnen Ringens ist Gott und seine Verherrlichung. Denn jedem geheiligten Menschenkind ist Gott der Zielpunkt all seiner Taten und Unternehmungen und nur in Gott findet seine Seele Befriedigung. - Soll ich nun einige der Heldentaten andeuten, die uns allen durch das Gewissen als unsere Ausgabe gewiesen werden? Das Werk der Ertötung der fleischlichen Lüste, das Ausreißen des Auges, das Abhauen der Hand, des Fußes; - meint ihr, eine Memme werde das vollbringen? Überdies sind in dem Innern des Christen Festungen einzunehmen und Bollwerke zu zerstören; da sind hohe Hügel und Wälle, die dem Erdboden gleichzumachen sind, es sind Laufgräben anzulegen und Täler auszufüllen. Geliebte, nur eben erwähnen will ich, dass auf dem Wege zum Himmel mächtige Berge vor uns liegen, die wir erklimmen müssen, und schroffe Felsen, über die wir hinüberklettern müssen, und ohne Mut wird dies alles nicht vollbracht werden. Auch sind die Mauern Jerusalems auszubessern und der Tempel ist wieder aufzubauen. Wäre Nehemia nicht ein beherzter Mann gewesen, so hätte er nie das große Werk durchsetzen können, das er unternommen hatte. Wie dies auf unsere Zeit, die Zeit der begonnenen Reformation, anzuwenden ist, will ich eurem Nachdenken überlassen. Ich bitte euch, Neh. 4,11 f. (17 f.) zu lesen: Die da Last trugen, mit einer Hand taten sie die Arbeit, und mit der andern hielten sie die Waffe. Und ein jeder, der da baute, hatte sein Schwert an seine Lenden gegürtet und baute so; und der mit der Posaune blies, war neben mir. Also während sie an der Arbeit standen, waren sie alle kriegsbereit. Ist solcher Mut nicht begehrenswert? - Aus einer Predigt, gehalten von Simeon Ash vor den Befehlshabern der bewaffneten Macht Londons, 1642.


Homiletische Winke

V. 2. Einfältiges Bekenntnis des Glaubens, Bitte um Abwendung der Schande und Zuwendung der göttlichen Hilfe.
V. 2a. Öffentliches Bekennen des Glaubens. 1) Was ihm vorhergehen muss; ernste Selbstprüfung usw. 2) Auf welche verschiedenen Weisen es geschehen kann. 3) Welches Verhalten denen geziemt, welche gläubig zu sein bekennen.
V. 2b. Inwiefern ist die Gerechtigkeit Gottes an der Errettung des Gotteskindes beteiligt?
V. 3. Dass Gott unser Gebet hört, ist eine große Herablassung.
V. 3b. Inwieweit dürfen wir auch in Betreff der Zeit des göttlichen Eingreifens in den Herrn dringen?
V. 3c. 4a. Auch was wir schon haben, dürfen wir zum Gegenstand des Bittens machen.
V. 4a. Man führe das Bild von Gott als der Feste der Seele aus.
V. 4b. Göttliche Leitung; 1) eine Gnade, die wir sehr brauchen; 2) eine Gnade, die wir erlangen können; 3) der Grund, auf den hin wir diese Gnade erwarten dürfen; um deines Namens willen.
V. 5. 1) Wer sind die Vogelsteller? 2) Wie wird das Netz gelegt? 3) Wie wird das Vöglein gefangen? 4) Sein Notschrei in den Fesseln. 5) Seine Befreiung.
V. 5b. Der Ohnmächtige mit Allmacht gegürtet.
V. 6. 1) Sterben ist in den Augen eines Christen kein leichtes Werk. 2) Die vornehmste Sorge der Kinder Gottes beim Herannahen des Todes ist ihr abscheidender unsterblicher Geist. 3) Alle aber, welche Gott als ihren Gott erwählt haben, haben beim Sterben reichen Trost, indem sie ihren Geist in Gottes Hände befehlen können mit der gewissen Hoffnung, dass sie auf ewig in Gott geborgen und in der Gemeinschaft mit ihm glücklich sein werden. Daniel Wilcox † 1733.
  Das Requiem des Gläubigen.
  Die Erlösung der Grund unserer Ruhe in Gott.1) Was wir tun: uns Gottes Händen übergeben im Leben und im Sterben. 2) Was Gott getan hat: Er hat uns erlöst.
V. 7. Heiliger Abscheu, als eine Tugend der Bigotterie entgegengesetzt. Oder: Löbliche Intoleranz.
V. 8. Freude in trüber Zeit.
V. 8b. Die Bekanntschaft des Herrn mit den bedrängten und verkannten Seinen.
V. 9. Äußere und innere Freiheit, beides ein Anlass der Freude für den Christen.
V. 10-14. Die Klage eines Betrübten, der seinen Jammer vor seinem Gott ausschüttet.
V. 10.11. Übermäßiges Leid; die schädlichen Wirkungen, die es auf das körperliche, geistige und geistliche Leben ausübt; seine Sündhaftigkeit und seine Heilung.
  Das Wehklagen der Leidenden - eine Mahnung an die, welche sich guter Gesundheit erfreuen.
V. 11. Meine Kraft ist verfallen ob meiner Missetat. Der schwächende Einfluss der Sünde.
V. 12. Der Gerechte als Opfer der Verleumdung.
V. 13. Wie die Welt es ihren besten Freunden macht.
V. 15. Der Glaube in Zeiten großer Trübsal besonders herrlich.
  Wie der Glaube im Sturm den Anker auswirft.
V. 16. Der Gläubige in der besonderen Hut der Vorsehung.
V. 16a. Siehe die vorletzte Predigt Spurgeons, gehalten am 17. Mai 1891, Baptist. Verlag, Kassel. Vergl. die Bruchstücke S. 588 f.
  1) Veränderlichkeit ist das Gepräge der irdischen Erfahrungen aller Gotteskinder. 2) Diese Veränderlichkeit oder Mannigfaltigkeit hat den Vorzug, dass sie a) die verschiedenen Seiten des christlichen Charakters enthüllt, b) den christlichen Charakter stählt und c) uns die Unwandelbarkeit Gottes schätzen lehrt. 3) Der Trost zu allen Zeiten ist: a) Die Unwandelbarkeit Gottes schließt in sich, dass alle die Wechselfälle unseres Lebens unter seiner Aufsicht stehen; b) dass Gott die Seinen unter ihnen erhalten wird, und dass sie c) nur zu ihrer Förderung dienen werden. 4) Das uns gebührende Verhalten ist: Dass wir uns mutig Gott weihen in Zeiten der Verfolgung, dass wir gottergeben und genügsam seien in Zeiten der Armut und des Leidens und dass wir Eifer und Hoffnungsfreudigkeit beweisen in den Zeiten, in denen wir wirken sollen.
V. 17a. Empfindung der göttlichen Huld. 1) Ihr Wert; 2) wie wir ihrer verlustig werden; 3) wie wir sie aufs Neue erlangen und 4) stetig behalten können.
  Des Gottesknechtes bester Lohn.
V. 17b. Ein Gebetswort, das für alle Gotteskinder in allen Lagen passt. Beachte 1) was es erfleht: Hilf mir; 2) wovon es diese Hilfe erwartet; von Gottes Gnade. Das Wort geeignet für den Bußfertigen, den Kranken, den Zweifelnden, den Angefochtenen und Verfolgten, den schwächsten wie den gereiftesten Gläubigen und für das sterbende Gotteskind.
V. 18. Das Zuschandenwerden und Verstummen der Gottlosen in der Ewigkeit.
  Das Grabesschweigen und seine ernste Beredsamkeit.
V. 20. Davids heiliges Staunen über den verborgenen und offenbaren Reichtum der Güte Gottes.
V. 21. Die Lichtherrlichkeit des Herrn, der Schirm der Seinen.
V. 22. Wunderbare Güte. Wunderbar, weil mir erwiesen, in solchen Umständen, auf solche Weise, in solchem Maße und immer wieder aufs Neue, seit so langer Zeit.
  Denkwürdige Lebensereignisse sollen wir beachten, berichten, überdenken, wiederholen und zum Anlass des Dankes und zum Grund der Zuversicht machen.
V. 23. Der Unglaube der Gläubigen, oder: Beschämter Kleinglaube, oder: Menschlicher Kleinmut und Gottes Großmut.
  Das Unheil hastiger Worte.
  Ein hastiges Wort reumütig zurückgenommen. Pred. Von C. H. Spurgeon, siehe: Schwert und Kelle, 2. Jahrg., 1882, S. 17. Baptist. Verlag, Kassel. Vergl. die Bruchstücke S. 590 f.
V. 24. Liebt den Herrn, alle seine Heiligen. Abendmahlspredigt von C. H. Spurgeon, siehe; Schwert und Kelle, 4. Jahrg., 1884, S. 97. Baptist. Verlag, Kassel. Vergl. das Bruchstück S. 59t f.
  Eine liebliche Mahnung. 1) Ihr Gegenstand; Liebet den Herrn. 2) An wen ist sie gerichtet? An seine Heiligen. 3) Von wem geht sie aus? (Von David - vom heiligen Geist.) 4) Womit wird sie begründet? Die Gläubigen behütet der Herr.
V. 25. Heiliger Mut. Seine Vortrefflichkeit, seine Hindernisse und Fördernisse und seine Siege.

Fußnoten

1. Besser: wirst. Ebenso V. 5. Die Imperfekte V. 4.5 sprechen Erwartungen aus, die sich mit Notwendigkeit aus dem, was Jahwe dem Psalmsänger ist, ergeben. (Delitzsch)

2. Andere: meine Schutzwehr, vergl. V. 3 u. Ps. 27,1.

3. David blickt hier nicht, wie Spurgeon meint, auf frühere Erfahrungen zurück, sondern das Perf. ist das Perf. der Gewissheit. "Das sehnlich Erhoffte gilt dem so sich Gott befehlenden Glauben als bereits geschehen." (Delitzsch)

4. Alle alten Übersetzer haben ht)n#, du hassest, gelesen. Diese Lesart empfiehlt sich wegen des folgenden gegensätzlichen "Ich aber".

5. Zum besseren Verständnis dieser Auslassung Spurgeons diene Folgendes: Die römische Kirche hat bei ihren Bemühungen die durch die Reformation in England verlorene Stellung wiederzugewinnen eifrige Bundesgenossen an den Puseyten oder Ritualisten, der extremsten Richtung der hochkirchlichen Partei in der englischen Staatskirche. In dieser Kirche stehen sich bekanntlich zwei Lager gegenüber, die aristokratische strengkirchliche, auf die apostolische Sukzession der Bischöfe besonderes Gewicht legende, die Tradition in Lehre und Kultus als Ausfluss des heiligen Geistes ansehende und dadurch der römischen Kirche sich nähernde High-Church party und die mit den Dissentern in der evangelischen Allianz verbundene und in der innern und äußern Mission tatkräftig zusammenwirkende Low-Church party, die sich Evangelical party nennt. Beide Parteien sind in ihrer Art orthodox und stehen dadurch im Gegensatz zu der dritten, ebenfalls namhafte Männer (sehr verschiedenen Geistes) aufweisenden, aber an Zahl verschwindend kleinen Broad-Church party, die als Schlagwörter die Weitherzigkeit der Ansichten und die Barmherzigkeit hat, aber zum Rationalismus neigt. - Die Puseyten haben ihren Namen von dem Oxforder Prof. Pusey, der i. J. 1833 in Verbindung mit seinem Kollegen, dem 1890 als römischer Kardinal verstorbenen Newman, in den Tracks for the time zuerst die öffentliche Meinung durch die anglokatholischen Ideen aufregte. Viele Puseyten traten wie Newman, zur römischen Kirche über. Die in der anglikanischen Kirche Verbleibenden erachten es nach dem Wort eines ihrer Führer, als ihre Aufgabe, "für die Vereinigung mit der heiligen römischen Kirche, von welcher ihre Kirche durch die Sünden des 16. Jahrhunderts getrennt ist, zu kämpfen." Sie haben in den letzten Jahrzehnten dadurch immer mehr Ärgernis gegeben, dass sie mit einem einer besseren Sache würdigen Eifer für die Wiederherstellung der sieben katholischen Sakramente, besonders der Ohrenbeichte und der letzten Ölung, ferner für die Verwandlungslehre und Opfertheorie beim Abendmahl eintraten, sogar das Fronleichnamsfest, die Anrufung der Jungfrau Maria, die Seelenmessen und viele andere römische Zeremonien einzuführen bestrebt waren. Zum Beweis, wie geistesverwandt diese Puseyten der römischen Kirche sind, seien einige Bruchstücke aus der ritualistischen Liturgie, und zwar aus der Anweisung, wie der "Priester" sich bei der "Feier der Messe" zu verhalten habe, nach der Christian World vom 30. August 1894 angeführt. "Der Priester soll sich bei dem Weiheakt der Sorgfalt befleißigen im Machen des Leibes Christi, der Verehrung bei der Berührung des Leibes Christi, der Anbetung beim Empfang des Leibes Christi. Wenn der Priester die Hostie in die Hand nimmt, soll er große Verehrung bezeugen, denn sie birgt den allerheiligsten Leib Christi; und noch mehr, denn sie birgt seine allerheiligste Seele; und zu allermeist, denn sie birgt seine allerheiligste Gottheit." - Bei der Darbringung der Hostie spricht der Priester: "Empfange, o heilige Dreieinigkeit, diese Oblation (dieses Opfer), welche ich unwürdiger Sünder darbringe deiner Ehre und in Verehrung der gebenedeiten Jungfrau und all deiner Heiligen, für meine Sünden, für die Errettung der Lebendigen und für die Ruhe der heiligen Toten"

6. Bekanntlich litt Spurgeon sehr häufig schwer unter den Schmerzen eines Gichtleidens, die ihn oft nicht nur zu aller Denkarbeit unfähig machten, sondern auch sein Gemüt schwer bedrückten.

7. Bekannt aus Bunyans Pilgerreise.

8. Delitzsch, der den Psalm für ein Lied aus der äußeren und inneren Anfechtung der Zeit hält, da David von Saul verfolgt wurde, bemerkt: Dass David seine Sündenschuld als dasjenige namhaft macht, wodurch seine physische Kraft wankend worden, kann auch in einem Psalm der Saulischen Verfolgungszeit nicht befremden, denn je länger diese währte, desto tiefer musste David fühlen, dass er dieser Leidensschmelze bedürfe.

9. Die meisten Ausleger beziehen das Gezischel nicht auf die Verleumdungen, sondern auf die heimlichen Pläne, V. 14c.

10. Die Bedeutung des nur hier vorkommenden Wortes ist ungewiss. Schon die alten Übersetzungen weichen stark voneinander ab.

11. Delitzsch, der den Psalm in die Zeit der Verfolgung durch Saul setzt, denkt an Ziklag, wo David nach langem Fluchtleben gleichwie in einer Feste ein sicheres Asyl gefunden hatte.

12. Die abstr. Fassung: Treue hält der Herr, wäre (mit Riehm, Delitzsch u. a.) nach dem verwandten Ausdruck Jes. 26,2 vorzuziehen, wenn nicht die betonte Stellung des Wortes, sowie das parallele letzte Versglied für die konkr. Fassung sprächen (Kautzsch, Bäthgen).

13. Sprechen hat im Hebr. oft den Sinn von: bei sich selbst sagen, denken.

14. Nach neueren Forschungen ist das Werk jedoch 400 Jahre jünger. - James Millard

15. Es ist möglich, das bI: als bI: essentiae (vergl. z. B. 2. Mose 6,3) zu fassen und übersetzen: als eine feste Stadt.