Psalmenkommentar von Charles Haddon Spurgeon

PSALM 7 (Auslegung & Kommentar)


Überschrift

Die Unschuld Davids, davon er sang dem Herrn, von wegen der Worte des Chus, des Benjaminiten. Wörtlich: Ein schiggajon Davids, welches er sang. Das Wort NOygIf$i (schiggajon) hat von altersher mannigfache Deutung erfahren. Die Tradition der Synagoge bezog es, sicher unrichtig, auf die Verirrung (die Sünde) Davids; Luthers Übersetzung "Unschuld" ist ebenfalls unhaltbar. Das Wort, das nur hier und Hab. 3,1 (dort im Plural) vorkommt, bezeichnet ohne Zweifel eine Dichtungs- oder Sangesart; jede genauere Deutung aber ist unsicher. Am meisten Anklang hat die Vermutung Ewalds gefunden, das Wort bezeichne ein Lied in wechselndem Ton (von hg# taumeln, umherirren, wie der griech. Dithyrambus, Irrgedicht, Taumellied). Franz Delitzsch bemerkt dazu: "Angstvolle Unruhe, Trotz bietendes Selbstvertrauen, triumphierender Aufschwung, getrostes Vertrauen, prophetische Gewissheit, - all diese Stimmungen kommen in der unregelmäßigen Strophenfolge dieses Davidischen Dithyrambus zum Ausdruck." Wahrlich, auch der Psalm unseres Lebens setzt sich aus wechselnden Versen zusammen: Eine Strophe rollt dahin im erhabenen Versmaß des Triumphes, eine andere bewegt sich schwerfällig im gebrochenen Tonfall der Klage. In den Liedern der Heiligen hienieden klingen oft die tiefen Töne stark durch. Unsere Erfahrungen sind veränderlich wie das Wetter.
  Aus der Überschrift erfahren wir den Anlass zur Abfassung dieses Liedes. Vermutlich hatte Chus, der Benjaminiter, den David bei Saul einer hoch verräterischen Verschwörung gegen dessen königliche Würde beschuldigt. Dem schenkte der eifersüchtige König gewiss nur allzu willig Glauben. Man vergleiche 1. Samuel 24,10; 26,19. Wir erinnern uns dabei, dass dieser Chus mit Saul gleichen Stammes war. Möglich, dass er, obwohl sein Name sonst nirgends genannt ist, mit dem König eng befreundet war. Wer dem Throne nahe steht, kann einem Untertanen mehr schaden als ein gewöhnlicher Verleumder. Der Name $WkI Chus, besser Kusch geschrieben, lautet nach besser bezeugter Lesart y$iWkI, Kuschi. Luther fasste dies Wort nicht als Eigennamen, sondern gleich Kuschiter, was er (vergl. Jer. 13,23) mit Mohr übersetzt. Er sah darin eine Bezeichnung Simeis, des Feindes Davids aus dem Geschlecht Sauls (2. Samuel 6,5-12), als eines "schwarzen" Menschen: "als der Poet (Juvenal) saget: Hic niger est, hunc tu, Romane, caveto. Er ist schwarz, du Römer, hüte dich vor ihm."
  Wir können diesen Psalm wohl das Lied des verleumdeten Heiligen nennen. Selbst die Verleumdung, dies schmerzlichste der Übel, kann also Anlass zu einem Psalmlied werden. Was für ein Segen würde es sein, könnten wir wie David auch das bitterste Erlebnis zum Gegenstand eines Psalms machen und so das Blatt wider den Erzfeind wenden! Lernen wir hierin auch von Luther: "David", sagte er einst, "dichtete Psalmen, und auch wir wollen Psalmen dichten und singen, so gut wir’s können, unserm Herrn zu Ehren und dem Teufel zum Trotz und Spott."

Einteilung. Vers 2.3 zeigen die Gefahr an und flehen um Hilfe. Darauf beteuert der Psalmist feierlich seine Unschuld (V. 4-6). Er trägt dem Herrn sein Anliegen vor, dass er sich zum Gericht erhebe (V. 7.8). Der Herr auf seinem erhabenen Throne hört auf den erneuten Hilferuf des verleumdeten Schutzflehenden (V. 9.10). Und nun spricht er seinen Knecht frei und bedroht die Ruchlosen (V. 11-14). Ein Gesicht zeigt, wie der Verleumder einen Fluch über das eigene Haupt herabzieht (V. 15-17), während David siegreich aus der Prüfung hervorgeht und seinem gerechten Helfer ein Loblied singt (V. 18). Wir haben hier eine gute Illustration zu dem Text Jes. 54,17: Eine jegliche Waffe, die wider dich zubereitet wird, der soll es nicht gelingen; und alle Zunge, so sich wider dich setzt, sollst du im Gericht verdammen.


Auslegung

2. Auf dich, Herr, traue ich, mein Gott.
Hilf mir von allen meinen Verfolgern, und errette mich,
3. dass sie nicht wie Löwen meine Seele erhaschen
und zerreißen, weil kein Erretter da ist.

David erscheint vor Gott, um ihm seine Sache wider den Verkläger, der ihn der Treulosigkeit und des Verrats beschuldigt hat, vorzulegen. Er eröffnet die Darlegung des Rechtsfalles (vergl. den Eingang der Rede des Tertullus, Apg. 24,3) mit einem Bekenntnis der Zuversicht zu Gott. Wie immer unsere Lage sich gestalten mag, wir werden es nie zu bereuen haben, wenn wir am Vertrauen auf Gott festhalten. Herr, mein Gott, - mein durch besonderen Bund, der mir versiegelt ist durch das Blut der Sühne und in meinem Herzen bestätigt durch das Bewusstsein meiner Gemeinschaft mit dir. Auf dich, und auf dich allein, traue ich, auch jetzt in meiner tiefen Betrübnis. Ich erbebe, aber mein Fels wankt nicht. Es ist nie recht, Gott zu misstrauen, und nie vergeblich, ihm zu trauen. Der Grundtext besagt noch mehr: Bei dir berge ich mich, d. h. suche ich Schutz. Und nun bringt David, durch beides, seine Gemeinschaft mit Gott und seine heilige Zuversicht ermutigt, sein Anliegen vor: Hilf mir von allen meinen Verfolgern. Seiner Verfolger waren viele, und ein jeder derselben war grimmig genug, ihn zu zerreißen. Darum ruft er um Errettung von ihnen allen. Wir sollten unsere Gebete nie für vollständig halten, wenn wir nicht um Bewahrung vor aller Sünde und allen Feinden bitten. Und errette mich. Befreie mich aus ihren Fallstricken und sprich mich frei von ihren Anklagen; lass mir eine volle Ehren- und Lebensrettung zuteilwerden in dieser Not, da man mir meinen guten Namen antastet und mich zu verderben trachtet. Wie klar legt er seine Sache dar! Achten wir darauf, dass wir wissen, was wir erlangen wollen, wenn wir dem Thron der Gnade nahen. Halt eine kleine Weile inne, bevor du betest, dass du nicht leere Worte vor Gott bringest. Mache dir eine klare Vorstellung von dem, was dir Not ist; umso kräftiger wird sich dein Gebet dann ergießen.
  Dass er nicht wie ein Löwe meine Seele erhasche und zerreiße. (Grundtext Einzahl, so auch Luther 1524.) Hier bringen Furcht und Glaube gemeinsam ihre Sache vor. Einer unter Davids Feinden war gewaltiger als die übrigen; bei ihm verbanden sich Ansehen und große Macht mit dem Grimme, er war wie ein Löwe. Um Errettung aus den Klauen dieses Feindes fleht der Psalmist inbrünstig. Vielleicht war das Saul, sein königlicher Feind. Auch wir haben einen Feind vor andern, der umhergeht wie ein Löwe, suchend, welchen er verschlinge (1. Petr. 5,8), und hinsichtlich dessen wir immer rufen sollten: "Erlöse uns von dem Bösen." - Man beachte das Markige der Schilderung: Dass er nicht erhasche und zerreiße, weil kein Erretter da ist. Es ist ein Bild aus Davids Hirtenleben. Wenn der grimme Löwe das wehrlose Lamm mit seinen Krallen gepackt hat, so reißt er es in Stücke, zermalmt die Knochen und verschlingt alles miteinander, weil kein Hirte da ist, das Lamm vor dem raubgierigen Untier zu beschützen oder es ihm zu entreißen. Das ist ein erschütterndes Bild eines Gläubigen, der dem Willen Satans preisgegeben ist. Dieser Hilferuf muss Gottes innerstes Erbarmen erwecken. Ein Vater kann nicht still zusehen, wenn sein Kind in solcher Gefahr ist. Wie könnte er den Gedanken ertragen, seinen Liebling im Rachen des Löwen zu wissen! Er wird sich aufmachen und den Verfolgten erretten. Unser Gott ist sehr barmherzig; er wird ganz gewiss die Seinen aus so hoffnungslosem Verderben herausreißen. Es wird gut sein, uns zu erinnern, dass hier die Gefahr geschildert wird, welcher der Psalmist durch verleumderische Zungen ausgesetzt war. Wahrlich, das Bild ist keine Übertretung. Wunden, die das Schwert schlägt, pflegen zu heilen; aber die Wunden, die die Zunge verursacht, schneiden tiefer als ins Fleisch und heilen nicht so bald. Die Verleumdung lässt einen Flecken zurück, auch wo sie völlig widerlegt wird. Obgleich die öffentliche Meinung als öffentliche Lügnerin bekannt ist, hat sie doch viele gläubige Anhänger. Lasst nur erst ein böses Wort in den Mund der Leute kommen: ihr bringt es so leicht nicht wieder hinaus. Die Italiener sagen, der gute Ruf sei wie die Zypresse, die, wenn sie einmal verstümmelt wird, nie wieder frische Triebe hervorbringt. Dies Sprichwort trifft zwar nicht zu, wenn unser Ruf durch fremde Hand ohne unsere Schuld verletzt wird; doch selbst dann wird er nicht leicht grünen wie zuvor. Es ist eine über alle Maßen schändliche Niederträchtigkeit, die Ehre eines redlichen Mannes meuchlings zu morden; aber der teuflische Hass kennt nichts von Ritterlichkeit in seiner Kampfesweise. Auch wir müssen auf solche Prüfung vorbereitet sein, denn sie wird uns schwerlich erspart bleiben. Wurde Gott selber sogar schon im Paradies verlästert, so wird es uns in diesem Land der Sünde sicher nicht an boshaften Angriffen auf unsere Ehre fehlen. Gürtet eure Lenden, ihr Kinder der Auferstehung, denn diese Feuerprobe steht euch allen bevor.


4. Herr mein Gott, hab ich solche getan,
und ist Unrecht in meinen Händen;
5. hab ich Böses vergolten denen, so friedlich mit mir lebten;
oder die, so mir ohne Ursache Feind waren, beschädigt:
6. so verfolge mein Feind meine Seele, und ergreife sie,
und trete mein Leben zu Boden,
und lege meine Ehre in den Staub. Sela.

In diesem zweiten Teil des rasch wechselnden Liedes beteuert der Sänger seine Unschuld, und er ruft die Rache auf sein eigenes Haupt herab, wenn es nicht rein sein sollte von dem ihm zur Last gelegten Unrecht. Wir übersetzen: Habe ich Böses angetan dem, der mit mir in Frieden lebte - ich errettete aber vielmehr den, der mich ohne Ursache befehdete - so verfolge der Feind meine Seele usw.1 David war davon so fern, verräterische Absichten zu hegen oder eines Freundes Wohlwollen mit Undank zu vergelten, dass er sogar seinen Feind hatte entrinnen lassen, da dieser völlig in seiner Hand war. Zweimal hatte er Sauls Leben geschont: einmal in der Höhle Adullam (1. Samuel 24,4 ff.), und wieder, da er ihn schlafend fand inmitten seines schlummernden Heeres (1. Samuel 26,5 ff.). So konnte er sich mit reinem Gewissen auf den Himmel berufen. Wessen Seele von Schuld rein ist, der braucht den Fluch nicht zu fürchten. Doch ist die Art, wie David hier in Form einer Selbstverwünschung seine Unschuld beschwört, eine überaus starke Redeweise, die nur zu rechtfertigen ist durch die äußerste Not seiner Lage, sowie durch die Natur des alten Bundes, unter welchem er lebte. Uns ist durch unseren Meister geboten, unser Ja Ja und unser Nein Nein sein zu lassen; was darüber ist, ist vom Bösen (Mt. 5,37). Kann man uns auf unser Wort nicht glauben, so wird auch unserem Eidschwur nicht zu trauen sein. Dem wahren Christen ist sein einfaches Wort so bindend, wie einem andern ein Eid. Hüte aber auch der Unbekehrte sich, mit feierlichen Beschwörungen zu spielen; Gott lässt sich nicht spotten, wie er es so manchmal erwiesen hat.
  Sela. David verstärkt das Feierliche seiner Berufung auf Gottes Richterstuhl, indem er hier eine Pause eintreten lässt.
  Aus diesen Versen sehen wir, dass keine Unschuld gegen die Verleumdungen der Gottlosen Schutz gewährt. David hatte mit peinlicher Sorgfalt jeden Schein der Auflehnung gegen Saul, den er stets ehrfurchtsvoll als den Gesalbten des Herrn bezeichnete, vermieden; aber das alles konnte ihn vor den Lügenzungen nicht schützen. Wie der Schatten dem Körper, so folgt der Neid der Tugend. Nur auf den Frucht beladenen Baum wirft man mit Steinen. Mit der Erfüllung des Wunsches, ohne Verleumdung zu leben, werden wir bis zum Himmel warten müssen. Hüten wir uns wohl, den in der Luft schwirrenden Gerüchten zu glauben, die allezeit redliche Menschen verfolgen. Wenn niemand den Lügen Glauben schenkte, so würde die Falschheit einen flauen Markt finden, und der Ruf rechtlicher Leute bliebe unangetastet. Die Sünder hegen jedoch einen unauslöschlichen Widerwillen gegen die Heiligen; darum können wir gewiss sein, dass sie nichts Gutes von ihnen sagen werden.


7. Stehe auf, Herr, in deinem Zorn,
erhebe dich über den Grimm meiner Feinde,
und wache auf zu mir, der du Gericht verordnet hast,
8. dass sich die Völker um dich sammeln;
und über ihnen kehre wieder zur Höhe.

Wir vernehmen nun ein neues Gebet, das sich auf das soeben abgelegte Bekenntnis gründet. Wir können nicht zu oft beten. Ist unser Herz aufrichtig, so wird es uns so natürlich sein, uns zu Gott im Gebet zu wenden, wie der Magnetnadel, sich zum Nordpol zu kehren. - Die Sprache des Dichters schwingt sich hier hoch auf.
  Stehe auf, Herr, in deinem Zorn. Die Not lässt dem Psalmisten den Herrn wie einen Richter erscheinen, der den Richtersitz verlassen und sich zur Ruhe zurückgezogen hat. Der Glaube möchte den Herrn bewegen, für die Sache seiner Heiligen einzutreten. Erhebe dich über den Grimm (Grundtext Mehrzahl: über die Wutausbrüche) meiner Feinde. Ein noch stärkerer Ausdruck des ängstlichen Verlangens, der Herr möge doch seine Macht anziehen und den Thron besteigen. Stehe auf, o Gott; erhebe dich über sie alle, und lass es sich erweisen, wie himmelhoch deine Gerechtigkeit über ihre Schlechtigkeiten erhaben ist. Wache auf (und wende dich) zu mir, der du Gericht verordnet hast. Abermals eine Steigerung, ein noch kühneres Wort. Es deutet nicht nur auf Untätigkeit, sondern auf Schlaf hin und kann demnach von Gott nur mit einer starken Übertragung gebraucht werden. Er schläft noch schlummert nie. Zwar scheint er es oft zu tun. Die Gottlosen haben die Oberhand, und die Heiligen werden in den Staub getreten. Aber Gottes Schweigen ist die Geduld der Langmut. Währt es den Heiligen lange, so sollen sie es dennoch ertragen in der Hoffnung, dass noch Sünder dadurch zur Buße geführt werden mögen (vergl. 2. Petr. 3,9). Und eine Versammlung der Völker umgebe dich. (Wörtl.2 Deine Heiligen werden sich zu deinem Richterstuhl drängen mit ihren Klagen, oder: sie werden mit ihren Huldigungen ihn umringen. Wie, wenn ein Richter (nach der englischen Sitte der Rundreisen der Richter) in seinem Sprengel die Gerichtstage hält, alle ihre Rechtssachen vor seinen Gerichtshof bringen, um Gehör zu finden, so werden die Gerechten sich sammeln um ihren Herrn. Und über ihr kehre zur Höhe, um deinen himmlischen Richterthron wieder einzunehmen. 3 Man kann auch (wie Luther 1524) übersetzen: Und um ihretwillen kehre wieder zur Höhe. 4 Dann stärkt David sich hier im Gebet, indem er vor Gott geltend macht, dass, wenn er den Richterstuhl besteigen wollte, Scharen von Heiligen sowohl als David selbst glückselig sein würden. Bin ich zu gering, dass meiner sollte gedacht werden, so komm doch um ihretwillen, um der Liebe willen, die du zu deinem auserwählten Volk hegst, aus deinem verborgenen Gezelt hervor und sitze im Tor, dem Volke Recht zu sprechen. Ist meine Sache eins mit den Wünschen aller Gerechten, so wird sie gewiss gefördert werden. Denn wird Gott nicht Recht schaffen seinen Auserwählten? (Lk. 18,7 Grundtext)


9. Der Herr ist Richter über die Völker.
Richte mich, Herr, nach meiner Gerechtigkeit und Frömmigkeit!
10. Lass der Gottlosen Bosheit ein Ende werden, und fördere die Gerechten;
denn du, gerechter Gott, prüfest Herzen und Nieren.

Wie es scheint, hat David nun mit dem Auge seines Geistes den Herrn zu seinem Richtersitz aufsteigen sehen, und indem er ihn dort thronend erschaut in königlicher Majestät, drängt er sich näher herzu, seine Sache aufs Neue vorzutragen. Die königlichen Herolde verkünden die Eröffnung der Gerichtsverhandlung mit den feierlichen Worten: Der Herr ist Richter über die Völker. Unser Schutzflehender erhebt sich sofort und ruft dringend und demütig: Richte mich (schaffe mir Recht), Herr, nach meiner Gerechtigkeit und Frömmigkeit. Seine Hand liegt auf einem redlichen Herzen, und sein Ruf richtet sich an einen gerechten Richter. Er sieht ein huldvolles Lächeln auf des Königs Angesicht, und im Namen dieser ganzen versammelten Schar ruft er laut: Lass der Gottlosen Bosheit ein Ende werden, und fördere (stärke) die Gerechten. Ist das nicht das einmütige Verlangen der ganzen Schar der Erwählten? Wann werden wir einmal frei sein von dem befleckenden Umgang mit diesen Leuten von Sodom? Wann werden wir der Unsauberkeit Mesechs und den schwarzen Zelten Kedars für immer entrinnen?
  Was für eine ernste und gewaltige Wahrheit enthält der letzte Satz des zehnten Verses: Du, gerechter Gott, prüfest Herzen und Nieren! Wie tief erkennt Gott uns, wie genau, wie sorgfältig, wie eindringend ist sein Prüfen! Er prüft die Herzen, die geheimen Gedanken, und die Nieren, die innersten Triebe. Es ist alles bloß und entdeckt vor seinen Augen (Hebr. 4,13).


11. Mein Schild ist bei Gott,
der den frommen Herzen hilft.
12. Gott ist ein rechter Richter
und ein Gott, der täglich dräuet.
13. Will man sich nicht bekehren, so hat er sein Schwert gewetzt,
und seinen Bogen gespannt, und zielet,
14. und hat drauf gelegt tödliche Geschosse;
seine Pfeile hat er zugerichtet, zu verderben.

Der Richter hat die Sache angehört, hat den Unschuldigen freigesprochen und sein Urteil gegen die Verfolger abgegeben. Treten wir näher heran, das Ergebnis der großen Gerichtssitzung zu erfahren. Dort steht der Verleumdete mit der Harfe in der Hand. Er besingt die Gerechtigkeit des Herrn und freut sich jubelnd der erfahrenen Befreiung. Mein Schild ist bei Gott (ruht auf ihm, er hält ihn), der den frommen Herzen hilft. Wie gut ist es, ein frommes, d. h. ein gerades, aufrichtiges Herz zu haben! Die durchtriebenen Sünder werden mit all ihrer List zuschanden gegenüber dem, der aufrichtigen Herzens ist. Gott schützt das Recht. Schmutz haftet nicht lange auf den reinen weißen Kleidern der Heiligen. Die göttliche Vorsehung wird ihn hinwegfegen, denen zum Verdruss, deren ruchlose Hände den Gottseligen damit beworfen haben. Wenn Gott unsere Sache prüft, dann geht unsere Sonne auf und die Sonne der Gottlosen für immer unter. Die Wahrheit kommt wie das Öl immer obenauf. Keine Macht unserer Feinde kann sie unter Wasser halten. Ihre Verleumdungen werden alle zunichte werden an dem Tage, da die Posaune die Toten erweckt, und wir werden mit Ehren bestehen, wenn die Lippen der Lügner auf ewig zum Schweigen gebracht werden. Du Mann des Glaubens, fürchte dich nicht, was immer deine Feinde wider dich sagen oder tun mögen. Dem Baum, den Gott gepflanzt hat, dürfen die Stürme keinen Schaden tun. Gott ist ein rechter Richter. Er hat dich deinen Hassern nicht preisgegeben, dass du solltest durch ihren Mund verdammt werden. Deine Widersacher können sich nicht auf Gottes Thron setzen, noch deinen Namen aus seinem Buch austilgen. So lass sie gehen. Gott wird die rechte Zeit für seine Vergeltung finden.
  Gott ist ein Gott, der täglich den Gottlosen droht mit seinem Zorngericht. Nicht nur, dass er die Sünde selbst verabscheut, er zürnt auch denen, die sich hartnäckig der Sünde hingeben. Wir haben es nicht mit einem gefühllosen und gleichgültigen Gott zu tun. Er kann zürnen. Ja, er zürnt heute und jeden Tag über euch, ihr Gottlosen und unbußfertigen Sünder. Der beste Tag, der je über die Sünder aufgeht, bringt einen Fluch mit sich. Böse Menschen mögen viele festliche Tage haben, aber sie haben nicht einen einzigen sicheren Tag. Vom Anfang des Jahres bis zu seinem Ende ist keine Stunde, da nicht Gottes Ofen glüht und bereit ist für die Gottlosen, die wie Stroh sein werden (Mal. 3,19).
  Will man sich nicht bekehren, so hat er sein Schwert gewetzt. Was für Streiche werden von diesem schon so lange erhobenen Arm ausgeteilt werden! Gottes Schwert ist geschliffen auf dem Wetzstein unserer täglichen Gottlosigkeit, und wenn wir nicht bereuen wollen, wird es uns bald in Stücke hauen. Bekennen oder Brennen ist des Sünders einzige Wahl. Er hat seinen Bogen gespannt und zielet. Schon sehnt sich der durstige Pfeil, sich mit dem Blut des Verfolgers zu netzen. Der Bogen ist gespannt und gerichtet; der Pfeil liegt auf der Sehne. Wie, Sünder, wenn er eben jetzt auf dich abgedrückt würde? Und richtet auf ihn (den Gottlosen) tödliche Geschosse. (Wörtl.) Bedenke, Gottes Pfeile verfehlen nie ihr Ziel, und jeder von ihnen ist tödlich. Und seine Pfeile macht er zu brennenden (Grundtext), zu Brandpfeilen, wie solche bei den Alten üblich waren. Wenn Gott lässt den Eifer brennen, brennt er bis zum Höllengrund. Gottes Gericht mag säumen, aber es wird nicht zu spät kommen. Gottes Mühlen mahlen langsam, mahlen aber desto feiner.


15. Siehe, der hat Böses im Sinn,
mit Unglück ist er schwanger, und wird Lüge gebären.
16. Er hat eine Grube gegraben und ausgehöhlt,
und ist in die Grube gefallen, die er gemacht hat.
17. Sein Unglück wird auf seinen Kopf kommen,
und sein Frevel auf seine Scheitel fallen.

In drei anschaulichen Bildern sehen wir des Verleumders Geschichte. Ein Weib in Geburtsnöten dient zu dem ersten Bilde. Siehe, der ist in Wehen mit Bösem. (Wörtl.5 Er ist davon voll. Er leidet Pein, bis er es ausführen kann. Er sehnt sich, seinen Willen ins Werk zu setzen. Er ist voller Unruhe, bis seine böse Absicht verwirklicht ist. Unheil hat er empfangen. Dies ist der Ursprung seines schändlichen Anschlages. Der Teufel hat sich mit ihm zu schaffen gemacht, und des Bösen Gift ist in ihm. Und nun siehe auf die Frucht dieser heillosen Schwangerschaft. Das Kind ist seines Vaters würdig. Dessen Name war von alters her "der Vater der Lügen", und das Kind verleugnet den Vater nicht: Trug hat er geboren. Damit ist das erste Bild vollständig durchgeführt. Nun erläutert der Psalmist seinen Gedanken durch ein anderes, das von den Kunstgriffen des Jägers hergenommen ist. Eine Grube hat er gegraben und tief ausgehöhlt. Er war schlau in seinen Plänen und eifrig in der Ausführung. Er ließ sich zu dem unsauberen Werk des Ausgrabens herbei. Er scheute sich nicht, die Hände zu beschmutzen. Er war bereit, in einer Grube zu arbeiten, wenn nur andere dann hineinfallen. Was für niedrige Dinge tun nicht die Menschen, um ihre Rache an den Gottesfürchtigen auszulassen! Sie jagen auf redliche Menschen, als wären es unvernünftige Tiere. Ja, sie gönnen ihnen nicht einmal die offene Jagd, die man dem Hasen und dem Fuchs gewährt, sondern müssen hinterrücks sie verstricken, weil sie sie weder niederrennen noch niederschießen können. Unsere Feinde treten uns nicht offen entgegen; sie fürchten uns nämlich ebenso sehr, als sie vorgeben, uns zu verachten. Doch sehen wir auf das Ende der Szene. Der Vers sagt: Er ist in die Grube gefallen, die er gemacht hat. Ha, da ist er drin! Wir mögen wohl lachen über sein Missgeschick. Sieh, er selbst ist das Wild: er hat auf die eigene Seele Jagd gemacht, und die Jagd hat ihm eine schöne Ausbeute gebracht. So sollte es immer sein. Kommt her und seht eure Lust an diesem Jäger, der sich selber in der Schlinge gefangen hat. Kein Mitleid mit ihm: es wäre weggeworfen bei solch einem Elenden. Er hat nur seinen gerechten Lohn empfangen; er ist mit seiner eigenen Münze bezahlt worden. Er hat Böses aus seinem Munde gespien, und es ist in seinen Busen gefallen. Er hat das eigene Haus in Brand gesetzt mit der Fackel, die er angezündet hatte, um das des Nachbars zu verbrennen. Die Rute, die er schwang, hat seinen eigenen Rücken getroffen. Das Unheil, das er plante, kommt auf seinen Kopf zurück, und sein Frevel stürzt auf seine eigene Scheitel. (Wörtl.) Flüche sind wie junge Hühner: sie kommen immer zu ihrer Stange heim. Asche fliegt allezeit dem ins Gesicht, der sie emporwirft. "Er wollte den Fluch haben: der wird ihm auch kommen." (Ps. 109,17) Wie oft hat sich dies wiederholt in der alten und neuen Zeit! Die Leute haben sich die eigenen Finger verbrannt, wenn sie ihren Nachbar zu brandmarken hofften. Und trifft das nicht sogleich zu, so kommt es künftig. Der Herr hat die Hunde Ahabs Blut lecken lassen mitten in Naboths Weinberg. Früher oder später haben schlimme Taten sich immer an ihren Urhebern gerächt. So wird es sein an dem letzten großen Tage, wenn Satans feurige Pfeile alle in sein Herz als in ihren Köcher zurückkehren werden und wenn alle seine Nachfolger ernten werden, was sie gesät haben.


18. Ich danke dem Herrn um seiner Gerechtigkeit willen,
und will loben den Namen des Herrn, des Allerhöchsten.

Wie wohltuend sticht dieser Schlussvers ab! Darin stimmen alle die bisherigen Psalmen (Ps 1-7) zusammen: sie schildern sämtlich die Glückseligkeit des Gerechten und lassen die Farben derselben leuchtender hervortreten durch den Gegensatz gegen das Elend der Gottlosen. Der glänzende Juwel funkelt in schwarzer Fassung. Danken und Lobpreisen ist der Beruf der Gottseligen, ihre Aufgabe in der Ewigkeit und jetzt schon ihre Freude. Darum lassen die Heiligen ihre Lieder erklingen vor dem Allerhöchsten. Wir sehen: Der verleumdete Knecht des Herrn schließt mit Lobpreis Gottes. Bei dem Weh seines Herzens wegen der Bosheit seiner Feinde war sein Lobgesang verstummt, aber nur für eine gar kurze Frist. Jetzt sehen wir ihn zuletzt noch mit Macht in die klangvollen Saiten seiner Harfe greifen, dass ihr Wohllaut zu dem dritten Himmel anbetender Lobpreisung emporsteigt.


Erläuterungen und Kernworte

Zum ganzen Psalm. Was immer die Veranlassung zu diesem Psalm gewesen sein mag, der eigentliche Gegenstand desselben scheint mir zu sein die Berufung des Messias auf Gott gegen die falschen Anklagen seiner Feinde. Denn gerade in dem Erleiden der Verleumdungen und seiner Berufung auf Gott war David ja ein Vorbild auf Christus. Und sollte Vers 8 nicht eine Weissagung auf die schließliche Bekehrung der ganzen Welt enthalten? Jedenfalls weist Vers 9 deutlich auf das zukünftige Gericht hin. jur. Samuel Horsley † 1806.
  Über diese Anfechtungen, so wir in den vorhergehenden Psalmen gehabt, ist noch eine hinterstellig, nämlich Aufruhr, welche die Christen auch müssen leiden. Und musste Christus selber mit diesem Titel auch sterben. Wie jetzund dem Evangelium wird Schuld gegeben, dass es mache aufrührerische, rumorische Leute, richte Uneinigkeit und Krieg an. Das muss man lernen, dass es nicht anders will sein. Das Evangelium lehret ja Friede und Gehorsam; dennoch muss es den Namen haben, dass es eine aufrührerische Lehre sei, das machet, dass wir auch nicht alles wollen tun, das sie wollen. Martin Luther 1530.
  Das Gebet Luthers im Gasthause zu Miltenberg April 1520 auf der Reise zum Augustinerkonvent in Heidelberg, das den Grafen Eberhard von Erbach aus einem Feinde und Verfolger in einen Freund Luthers und der evangelischen Sache verwandelte, war aus dem 7. Psalm geschöpft. - James Millard
  Der 2. Vers unseres Psalms ist in Vater Goßners alter Bibel rot angestrichen, und daneben steht das Datum; 12.5.1824. Johannes Goßner, seit 1820 Pfarrer an der Malteserkirche in Petersburg, wurde am 8. Mai 1824 plötzlich außer Landes verwiesen. Kosaken brachten ihn über die russische Grenze. 1829 sagte er in seiner Antrittspredigt in der Böhmischen Gemeinde zu Berlin unter anderem Folgendes: "Vor fünf Jahren um diese Zeit stand ich wie ein Vater, der all seiner Kinder auf einmal beraubt wurde, wie ein Hirte, der in einem Tage alle seine Schafe verloren hatte, unter freiem Himmel, nicht wissend, wohin. Da blickte ich gen Himmel auf zu dem Gott Jakobs (1. Mose 28), weil meinem tausendfach verwundeten und zerrissenen Herzen um Trost sehr bange war und ich auf der ganzen weiten Welt keinen finden konnte. Und der Gott Jakobs schaute auch auf mich herab und antwortete mir - denn ich schlug das heilige Bibelbuch auf, das mich auf meiner Flucht begleitete, und da fiel mir der 7. Psalm auf. Ich las: Auf dich, Herr, traue ich ... bis V. 7.8: und hilf mir wieder in das Amt, das du mir befohlen hast; dass sich die Leute wieder zu dir sammeln, und um derselben willen komme wieder empor. (Alte Lutherübers.) Ich las, las wieder, sprach: Wer hat diesen Psalm gemacht? Wann? Wie? - Ich fasste wieder Mut und dachte: Der den verworfenen, verstoßenen David wieder einsetzte in sein Amt, sollte der dir nicht helfen können und wollen? Und gelobet sei er, er hat meine Hoffnung nicht zuschanden werden lassen und hat mir wieder geholfen in das selige Amt, und die Leute sammeln sich wieder, wie es heut am Tage ist, um derselben willen bin ich wieder emporgekommen. - Nach Johann Dettloff Prochnow 1864.


V. 2. Zunächst lehrt uns der Prophet, dass wir nicht murren noch ungeduldig sollen sein, also, dass wir uns nicht zur Rache und Eifer reizen lassen wider solche falsche Ankläger, Schänder und Verfolger, wie denn die Leute pflegen zu tun, sondern wir sollen vor allen Dingen Zuflucht haben zu dem Herrn, der da sagt: Mein ist die Rache, ich will vergelten (5. Mose 32,35), vor welchem wir unsere Verfolgung und falsche Anklage sollen frei heraussagen mit voller Hoffnung und Vertrauen; welche Hoffnung in diesem Falle die Unschuld und ein gut Gewissen sehr helfen: wie denn David hier bittet, errettet zu werden von allen seinen Verfolgern. Martin Luther 1519.
  yhaÆl)EhfOh:y, Herr, mein Gott. Dies ist das erste Mal in den Psalmen, dass David den Allmächtigen mit den beiden Namen Jahwe und mein Gott anredet. Mit keinem geeigneteren Wort könnte ein Gebet oder eine Lobpreisung beginnen. Diese Namen zeigen den Grund auch für die im Folgenden ausgedrückte Zuversicht. Sie bezeichnen die höchste Ehrfurcht und das innigste Vertrauen zugleich. Sie schließen in sich die Anerkennung der unendlichen Vollkommenheiten Gottes und seiner Gemeinschaft mit uns im Bund und in der Gnade. William S. Plumer 1867.
  Auf dich, Herr, traue ich, wörtl.: Bei dir suche ich Zuflucht. Das hebräische Zeitwort hsx heißt eigentlich: den Zipfel der Kleider eines andern anrühren, anfassen, unter dem Schatten seiner Flügel Zuflucht suchen, sich bei jemand gleichsam verkriechen und in seinem Schutz geborgen wissen, wie ein Küchlein Zuflucht sucht unter dem Flügel der Henne. Prof. Johannes Wichelhaus † 1858.


V. 3. Man will beobachtet haben, dass Tiger bei dem Geruch wohlriechender Gewürze in Wut geraten. So reizt es die Gottlosen, wenn sich ihnen die geheiligte Art wahrer Gottseligkeit kundgibt. Ich habe von wilden Völkern gelesen, dass sie, wenn die Sonne heiß auf sie herabscheint, ihre Pfeile gegen sie abschießen; dasselbe tun gottlose Menschen gegen das Licht und die Wärme wahrer Frömmigkeit. Es besteht eine natürliche Abneigung zwischen frommen und gottlosen Menschen. 1. Mose 3,15; Ich will Feindschaft setzen zwischen deinem Samen und ihrem Samen. Jeremiah Burroughs † 1646.


V. 4. In den ersten Zeiten wurden auf das Volk Gottes viele Schmähungen gehäuft. Was für wunderliche Dinge berichtet uns Tertullian (im 3. Jahrhundert), die man ihnen vorwarf, wie, dass sie in ihren Versammlungen Mahlzeiten hielten, gleich der des Thyestes, der seinen Bruder zum Mahle lud und ihn mit dem Fleisch des eigenen Sohnes bewirtete. Man beschuldigte sie der Unzucht, weil sie des Nachts zusammenkamen (denn bei Tage durften sie es nicht wagen, sich zu versammeln), und man sagte, sie bliesen die Lichter aus, wenn sie beisammen wären, und trieben dann Schändlichkeiten. Man hielt ihnen Unwissenheit vor: Sie seien alle ungelehrt. Darum pflegten wohl die Heiden zu Tertullians Zeit den Gott der Christen mit einem Eselskopfe und mit einem Buch in der Hand abzubilden, um anzudeuten, dass sie, ob sie wohl auf Bildung Anspruch machten, doch ein ungebildetes, einfältiges Volk wären, roh und unwissend. Bischof Jewell († 1571) wendet in einer Predigt diese Worte Tertullians auf seine Zeit an. "Tun nicht unsere Gegner das Gleiche gegen alle, die sich zum Evangelium von Christus bekennen? Wer sind doch die, sagen sie, welche es mit dieser Partei halten? Schuhmacher, Schneider, Weber und andere von der Art, die nie auf einer Hochschule gewesen." Ebenso führt er nachher ein anderes Wort Tertullians an, die Christen würden als Staatsfeinde angesehen. Josephus teilt uns eines gewissen Apollinaris Urteil über die Juden und die Christen mit: Diese seien unvernünftiger als irgendein Barbar. Der Altertumsforscher Paul Fagius († 1549) erzählt von einem Ägypter, der von den Christen sagte, sie seien eine Rotte von schmutzigem, unzüchtigem Volk. Über ihre Sabbatsheiligung berichtet er die Sage, sie hätten einen Aussatz an sich und seien daher froh, am siebenten Tage zu ruhen. Nicht anders war es zu Augustins Zeiten im 4. Jahrhundert. Er schreibt: Jeder, der anfängt, gottesfürchtig zu werden, muss sofort darauf gerüstet sein, von den Zungen der Feinde geschmäht zu werden. Ihre gewöhnliche Spottrede sei: "Was werden wir an dir haben, einen Elia oder einen Jeremia? Gregor voll Nazianz († 390) sagt in einer seiner Reden: "Das Schmähen ist so gewöhnlich, dass ich nicht daran denken kann, frei auszugehen." Den Athanasius haben sie Satanasius genannt, weil er ein besonderes Rüstzeug gegen die Arianer war. Jeremiah Burroughs † 1646.
  Ich leugne nicht, ihr dürft, ihr müsst ein Gefühl haben für die Schmach, die eurem Namen angetan wird. Denn wie ein guter Name eine ausgeschüttete Salbe ist (vergl. Hohelied 1,3), so ist ein schlechter Name eine schwere Heimsuchung. Darum dürft ihr gegen Verleumdungen und Schmähungen, durch die euer guter Name verlästert wird, nicht gleichgültig sein und sagen: "Mögen die Leute von mir reden, was sie wollen; ich frage nichts danach, solange ich mich unschuldig weiß." Denn obwohl das Bewusstsein deiner Unschuld dir ein Trostgrund sein darf, so muss es doch deine Sorge sein, nicht nur Gottes Beifall zu erlangen, sondern auch an der Menschen Gewissen dich zu empfehlen (vergl. 2. Kor. 4,2; 8,20 f.) und auf deinen guten Namen mit möglichster Vorsicht zu achten. Wenn aber andere schmählich von dir reden, darfst du keinerlei Verdruss oder Leidenschaft an den Tag legen. Thomas Gouge 1660.
  Es ist ein Zeichen, dass etwas Gutes in dir ist, wenn eine gottlose Welt dich lästert. "Quid mali feci?" fragte Sokrates, "was habe ich Schlimmes getan, dass dieser schlechte Mensch mir Beifall spendet? Thomas Watson 1660.
  O wie nötig ist’s, dass man Liebe von reinem Herzen, von gutem Gewissen und von ungefärbtem Glauben bewahre und sich vor Blutschulden, Unterdrückung anderer, Sammlung eines unrechten Guts und andern bösen Tücken hüte; denn es kommt eine Zeit, da man Vorwürfe bekommt und sich auch gegen Gott auf seine Gerechtigkeit und Frömmigkeit soll berufen können. Magnus Friedrich Roos † 1803.
  Ein gutes Gewissen ist ein lebendiger Quell froher Zuversicht. Denn unser Ruhm ist dieser: das Zeugnis unseres Gewissens, dass wir in Einfältigkeit und göttlicher Lauterkeit, nicht in fleischlicher Weisheit, sondern in der Gnade Gottes auf der Welt gewandelt haben, allermeist aber bei euch (2. Kor. 1,12). Ihr Lieben, so uns unser Herz nicht verdammt, so haben wir eine Freudigkeit zu Gott (1. Joh. 3,21). Ein gut Gewissen ist ein sanftes Ruhekissen. Wer es hat, bleibt gleich Noah oder den drei Freunden Daniels mitten in Wasserflut und Feuersglut klar und heiter, aufrecht und unerschrocken. Ein gutes Gewissen sagt zur gläubigen Seele: Ich stehe dir zur Seite, ich stärke dich, ich halte dich aufrecht, ich bin dir ein Trost im Leben und ein Freund im Sterben. Sollten alle von dir lassen, ich verlasse dich nicht. Thomas Brooks † 1680.


V. 5. Das ist ein Triumph der Gnade und ein Zeichen eines edlen und tapferen Geistes, wenn man sich nicht durch das Böse überwinden lässt (denn das beweist Schwäche), sondern das Böse überwindet. Der durch Gottes Vorbild (Mt. 5,43-48) uns gewiesene Weg ist, durch Wohltun den zu beschämen, der uns unrecht getan hat. Das ist die beste Art, über ihn zu siegen. Sogar das eisigkalte Herz Sauls schmolz, als David ihm den abgeschnittenen Zipfel seines Rockes als unwiderleglichen Beweis seines Verschonens zeigte, und in Tränen ausbrechend sagte er: Du bist gerechter denn ich (1. Samuel 24,18). Thomas Manton † 1677.


V. 6. So trete er mein Leben zu Boden. Diese Worte spielen auf die Grausamkeit an, womit die Besiegten oft behandelt wurden, wenn man über sie hinritt oder Menschen sie in den Staub traten. Davids Gedanke ist: Wenn er schuldig wäre, so würde er’s zufrieden sein, dass sein Feind über ihn triumphierte, ihn überwältigte und ihn mit der äußersten Schmach und Verachtung behandelte. Albert Barnes † 1870.
  Und lege meine Ehre, d. h. meine Seele (vergl. 16,9; 30,13; 57,9; 108,2; 1. Mose 49,6), in den Staub. Als Achilles den Leichnam Hektors im Staube um die Mauern Trojas schleifte, verfuhr er nur nach der herrschenden Sitte jener barbarischen Zeiten. David wagt es im Bewusstsein seiner Unschuld, solch schmähliches Geschick auf sich herabzurufen, wenn in der Tat die Anklage des benjaminitischen "Mohren" wahr sein sollte. Von wie lauterem Golde muss ein Charakter sein, der solch ein Gottesgericht herauszufordern wagt! C. H. Spurgeon 1869.


V. 7-9. Während uns andern bei den zahllosen Übertretungen des Rechts, die tagtäglich vor unseren Augen vor sich gehen, der Gedanke fast entschwindet, dass sie alle in dem Gedächtnis eines gerechten Weltrichters aufbewahrt werden, schaut David im Geiste, wie dieser Richter, der keine andern Sünden vergisst, als die, welche in Glauben und Buße vergeben worden, vom Himmel herabkommt, den Richterstuhl besteigt, die Welt zu seinen Füßen um seinen Richterstuhl versammelt, im Augenblick das Gericht vollendet und in seinen Himmel wieder zurückkehrt. Und ob tausendmal der Augenschein solchem Glauben widerspräche, dürfen wir doch nicht daran zweifeln, dass dieser Glaube in jedem Augenblicke als Tatsache vor unsere Augen treten könnte. Prof. August Tholuck 1843.


V. 7. Hier sieht man, was es heißt, unter Verleugnung seines eigenen Zornes dem Zorn Raum geben (Röm. 12,19). Karl Heinrich Rieger † 1791.
  Der du Gericht verordnet hast. Davids Bitte ruht auf Gottes Wort und Verheißung, und der Sinn seines Gebets ist dieser: Herr, ich werde nicht von Ehrgeiz getrieben oder durch törichte, halsstarrige Leidenschaft, gedankenlos von dir alles zu erbitten, was meinem Fleisch und Blut gefällt, sondern es ist das helle Licht deines Wortes, das mich leitet, und darauf verlasse ich mich mit voller Zuversicht. Johann Calvin † 1564.


V. 8. Die Versammlung der Völker: entweder 1) eine große Zahl von allerlei Völkern, welche von deiner Gerechtigkeit, Heiligkeit und Güte in der Führung meiner gerechten Sache wider meinen grimmigen und unversöhnlichen Bedrücker Zeugen sein werden, oder 2) die Gesamtheit des Volkes Israel, worauf das Wort hdf(dI (Versammlung, Gemeine) gewöhnlich in der heiligen Schrift bezogen wird. Dich umgeben mögen sie, und ich, als ihr König und Herrscher an deiner Statt, will Sorge tragen, dass sie von allen Seiten kommen und sich versammeln, dich anzubeten und dir Preis und Opfer darzubringen für deine Huld gegen mich und für die mannigfachen Wohltaten, die ihnen durch mich und unter meiner Herrschaft zufließen werden. Um derselben willen, d. h. um deiner Gemeinde willen, die nun so kläglich zerstreut und unterdrückt und in so hohem Grad aller Gerechtigkeitspflege und Religionsübung verlustig gegangen ist, kehre wieder zur Höhe, zu deinem erhabenen Sitz; setze dich auf den Richterstuhl und entscheide meine Sache. Der königliche Thron, auf dem auch Gericht gesprochen wurde, war gewöhnlich hoch erhaben (vergl. 1. Könige 10,19). Matthew Pool † 1679.


V. 9. Ihr Gläubigen, lasst euch die Schrecken jenes Tages nicht entmutigen. Mögen die, welche den Richter gering geschätzt haben und immer noch ihm und seinen heiligen Wegen Feind sind, ihre Häupter hangen lassen, wenn sie an sein Kommen denken. Ihr aber erhebet eure Häupter (Lk. 21,28) mit Freuden; denn der jüngste Tag wird euer bester Tag sein. Der Richter ist euer Haupt und Bräutigam, euer Erlöser und Fürsprecher. Ihr müsst erscheinen vor dem Richtersitz, aber ihr werdet nicht verdammt werden. Er kommt, nicht euch zu richten, sondern euch selig zu machen. Anders ist es mit den Ungläubigen: Der verschmähte Heiland wird ein strenger Richter sein. Thomas Boston † 1732.


V. 10. Du, gerechter Gott, prüfest Herzen und Nieren.
  Mir, dem Unendlichen, ist unverhüllt,
  Was in den Tiefen deiner Seele quillt.
  Des Seemanns Senkblei reicht nur bis zum Grund;
  Mir ist auch, was dir selbst verborgen, kund.
   Nach Francis Quarles † 1644.

  Die allgemeine Erfahrung zeigt, dass die Empfindungen des Gemütes, zumal die Erregungen der Freude, des Kummers und der Furcht, eine merkliche Wirkung auf die Nieren haben. (Spr. 23,16; Ps. 16,7; 73,21.) Daher, und um ihrer verborgenen, im Fett verhüllten Lage im Körper willen, werden sie oft bildlich gebraucht, die geheimsten Regungen und Empfindungen der Seele anzudeuten. Die Nieren sehen und prüfen heißt, die geheimsten Gedanken und Begierden der Seele sehen und prüfen. John Parkhurst 1762.
  Das Herz mag wohl die Gedanken, die Nieren mögen die Empfindungen bedeuten. Henry Ainsworth † 1622.


V. 11. Mein Schild ist bei Gott, wie Ps. 62,8: Mein Heil ist bei Gott. (Beide Male l(a, wörtlich: auf Gott; Delitzsch: Meinen Schild trägt Gott.) Die Vorstellung mag von dem Schildträger hergenommen sein, der stets zur Hand war, dem Krieger die nötige Waffe zu reichen. Andrew A. Bonar 1859.


V. 12. Ein Gott, der täglich droht. Die LXX, Vulg. und der Syr. haben, offenbar an dem Satze, dass Gott seinen Zorn täglich kundtue, Anstoß nehmend, l)a statt l)sI gelesen oder eine Fragepartikel eingeschoben und so den Sinn des Satzes in sein Gegenteil verwandelt. Dem folgen namhafte Ausleger. Aber besonders wenn man M(azf mit Luther und andern drohen übersetzt, tritt uns ohnehin in diesen Worten, wie einerseits die Gefährlichkeit der Lage des Sünders, der beständig unter dem Zorne Gottes steht und nie vor dessen plötzlichem Losbrechen gesichert ist, so anderseits die Langmut Gottes entgegen, die den Untergang nicht über den Gottlosen kommen lässt, ohne ihn vorher täglich bedroht zu haben. - James Millard
  Droht oder zürnet. Der Ausdruck des Grundtextes M("zo ist hier sehr stark: die Grundbedeutung scheint das Schäumen des Mundes im Grimm zu sein. (So auch Siegfried und Stade, 1893). Richard Mant 1824.


V. 12-14. Er ist ein Gott, der täglich droht. Solches muss man Not halben denen Gottlosen sagen; denn sie fühlen Gottes Zorn nicht, so glauben sie nicht, auch fürchten sie Gott nicht. - Will man sich nicht bekehren u., V. 13.14: Der Prophet nimmt von einem groben menschlichen Gleichnis eine Lehre, auf dass er denen Gottlosen ein Erschrecken beibringe. Denn er redet wider unverständige und verstockte Leute, die den Ernst göttlichen Gerichts, davon er zuvor geredet, nicht verstehen wollen, es sei denn, dass solches ihnen durch den Brauch menschliches Ernsts angezeigt werde. - Nun hat der Prophet nicht eine Genüge daran, dass er des Schwerts gedenket, sondern setzt auch hinzu, den Bogen; damit er noch nicht gesättigt, sondern sagt, wie er ihn bereits gespannt habe, und ziele, und habe seine Pfeile zugerichtet; wie hernach folgt. So harte, halsstarrig, und so unverschämt sind alle Gottlosen, dass man auch so viel Drohungen haben muss; noch werden sie gleichwohl nicht weich. Mit diesen Worten aber beschreibet er gar fein, wie Gottes Zorn nahe sei über die Gottlosen; welches sie doch nicht ehe verstehen, bis dass sie es fühlen. - Dies ist auch hier zu merken, dass wir bis hierher in keinem Psalm so eine schreckliche Drohung und Zorn wider die Gottlosen gehabt haben; es hat sie auch der Geist Gottes nie mit so vielen Worten angetastet. Denn in den folgenden Versen wird er auch ihre Anschläge und ihren Rat erzählen, wie dieselbigen nicht alleine vergebens sein werden, sondern werden auf ihren Kopf wieder kommen. Dass also klar und offenbar erscheine allen denen, die da Unrecht und falsche Lästerworte leiden, ihnen zum Trost, wie Gott solche Lästermäuler und Schänder vor allen anderen Leuten hasse. Martin Luther 1519.


V. 13. Will man sich nicht bekehren. Wenige glauben, wie ernstlich Gott streitet wider die gottlosen Menschen, und zwar nicht nur wider die Ausschweifenden, sondern auch wider die Scheinheiligen und Heuchler. Glaubten wir es, wir würden vor der Gemeinschaft mit ihnen nicht minder zurückschrecken als vor dem Verweilen in einem einstürzenden Hause. Wir würden trachten, uns zu retten aus diesem verehrten Geschlecht (Apg. 2,40). Ist es sicher, da zu weilen, wo die Pfeile Gottes jeden Augenblick unser Haupt umschwirren können? Wie fürchtete sich der Apostel Johannes nach der bekannten Erzählung des Irenäus, mit dem Irrlehrer Cerinth im Bade zu sein! "Weichet", spricht Gott durch Mose, "von den Hütten Korahs, Dathans und Abirams, dass ihr nicht vielleicht umkommt in irgend ihrer Sünden einer!" (4. Mose 16,26) Lot würde ins Verderben gebracht worden sein durch die Nachbarschaft der Sodomiter, hätte ihn Gott nicht durch ein Wunder errettet. Verlangt ihr, dass Gott Wunder tut, um euch aus eurer gottlosen Gesellschaft herauszureißen? Es ist gefährlich, mit Räubern auf der Straße gefunden zu werden, wenn Gottes Racheschrei hinter ihnen her ist. Lewis Stuckley † 1687.


V. 13-17. Bei der gewöhnlichen Auffassung der Vers 13 ff. muss man einen mehrfachen Wechsel des Subjekts (V. 13 a der Frevler oder man, V. 13 b Gott, V. 15 der Frevler) annehmen, ohne dass dieser Wechsel vom Dichter angedeutet ist. Einige (z. B. Hupfeld, Ötinger) suchen daher alles auf Gott zu deuten. Bäthgen bezieht nach Ewalds Vorgang alles auf den Frevler. Das wird dann als Schwurformel, zum Ausdruck des Unwillens, und bW$yf als Umschreibung des Adverbialbegriffs "wiederum" aufgefasst. Der Sänger sieht nach dieser Deutung, wie der Feind schon wieder einen Angriff vorbereitet, V. 13 f.; er weiß aber auch, dass sein Vorhaben erfolglos bleiben (V. 15), ja dass es ihm selbst zum Verderben ausschlagen wird (V. 16 f.). "13 Wahrhaftig, schon wieder wetzt er (der Frevler) sein Schwert, seinen Bogen hat er gespannt und zielet, 14 und hat sich Todeswerkzeuge bereitet; seine Pfeile macht er zu brennenden. 15 Aber sieh, er kreißt mit Nichtigem u." - James Millard


V.14. Während wir Myqil:dol: "zu brennenden," d. h. Brandpfeilen, übersetzen, fassen es LXX, Vulg. und Syr. "für die Brennenden", worunter die chald. und engl. Übersetzung, jüdische Ausleger sowie Calvin die Verfolger verstehen. Sie, die Verfolger, brennen vor Zorn und Bosheit gegen den Gottesfürchtigen; Gott aber richtet seine Pfeile gegen sie. Matthias Flacius, gen. Illyricus († 1575), bringt eine Geschichte, die zu den beiden Seiten unseres Verses nach dieser Auffassung wohl einen Beleg geben kann. Ein gewisser Graf Felix von Wartenberg, einer der Hauptleute des Kaisers Karl V., schwur in Gegenwart verschiedener Zeugen beim Abendtisch, ehe er sterbe, wolle er bis zu den Sporen im Blut der Lutheraner reiten. Das war also einer, der von Bosheit glühte. Aber sieh, wie Gott seine Pfeile wider ihn bereitete: in eben dieser Nacht traf ihn die Hand Gottes so, dass er im eignen Blut erstickte. So badete er sich - nicht bis an die Sporen, sondern bis an den Hals - nicht im Blut der Lutheraner, aber in seinem eignen Blut, bevor er starb. Jeremiah Burroughs † 1646.


V. 15. Er ist in Wehen mit Frevel, Unheil hat er empfangen. Während doch nach dem Lauf der Natur die Empfängnis vor den Geburtswehen kommt, gehen hier die Wehen voran. Der Grund davon ist, dass die Gottlosen so hitzig auf das Unheil aus sind, welches ihre Bosheit beabsichtigt, dass sie es auf der Stelle ausführen würden, wüssten sie nur wie. Sie tragen sich also mit Frevel, ehe sie die Gedanken zur Ausführung des Unheils "empfangen haben." Aber zuletzt bringen sie nur einen Trug hervor: sie finden, dass das eigne Herz sie betrogen hat, als es einen guten Ausgang versprach, - und nun kommt der schlimme. Eine beachtenswerte Stelle, die sowohl die üble Lage des Gottlosen, zumal wo er etwas wider den Gerechten unternimmt, darlegt, um ihn zur Einkehr zu bewegen, - denn du hast Gott zum Feind, dessen Gewalt du nicht widerstehen kannst (V. 13 f.), - als auch das unbändige Verlangen der Gottlosen, Böses zu tun. Aber alles, was sie im Sinne haben, wird zur Fehlgeburt führen (wie Luther übersetzt: aber er wird einen Fehl gebären.) John Mayer 1653.
  Trug hat er geboren. Jede Sünde ist eine Lüge. Augustinus † 430.


V. 16. Auch die Hölle hat ihre festen Ordnungen. Sind die Qualen nicht für alle die gleichen, so ist doch ihr Verhältnis zur Schuld genau abgemessen. Hier sind unselige Gäste, die sich einst zu viel mit den verstohlenen Wassern der Sünde (Spr. 9,17) zu schaffen gemacht haben: Siehe, nun sind sie tief in einer Grube, darin kein Wasser ist. Der reiche Mann dort, der so viele Tonnen Weines vergeudet hat, kann sich nun kein Wasser verschaffen, nicht einen Krug voll, nicht eine Hand voll, nicht einmal einen Tropfen Wassers, seine Zunge zu kühlen. Desideravit guttam, qui non dedit micam. (Augustinus Hom. 7.) Gerechte Vergeltung: er wollte keine Krume Brots geben, nun wird er keinen Tropfen Wassers bekommen. Es gibt kein kleineres Stückchen vom Brot, als eine Krume ist; so hat das Wasser kein winzigeres Teilchen, als ein Tropfen ist. Wie jener dem Lazarus im Leben den geringsten Trost verweigerte, so wird ihm Lazarus nicht den geringsten Trost im Tode bringen. So entspricht die Pein um der Sünde willen der Lust an der Sünde. Was Augustinus von der Zunge sagt, gilt von jedem Gliede: Will es Gott nicht dienen mit seinem Tun, so wird es ihm dienen mit seinem Leiden. Thomas Adams † 1784.
  Fallgruben waren bei den Alten im Gebrauch, nicht nur, um wilde Tiere zu fangen, sondern auch als Kriegslist gegen die Menschen. Hier liegt also die Vorstellung von einem Menschen zu Grunde, der eine derartige Grube für Menschen oder Tiere ausgeworfen und sie so zugedeckt hat, dass die Gefahr völlig verhüllt ist, und der dann unachtsamerweise selbst in die eigene Schlinge tritt und in die Grube fällt, die er für andere bereitet hatte. John Kitto 1855.


V. 15-17. David erkennt recht wohl, dass Gott die Ruten, um die Bösen auszupeitschen, und die brennenden Pfeile, um sie zu töten, nicht erst aus dem Himmel fallen zu lassen braucht, dass sie vielmehr auf Erden allüberall gegenwärtig sind. In wie unzähligen Fällen winden sich die Gottlosen in ihrer Gottlosigkeit die eigene Geißel und stürzen sich durch ihre eigene Freveltat, wie Luther sagt: "Wo wollte auch Gott so viele Stricke hernehmen, um alle Diebe zu henken, wenn sie es nicht selbst an sich täten?" und wie der Prophet (Jes. 1,31) spricht: Der Gewaltige wird der Werg sein, seine Tat der Funke, und beides verbrennt allzumal, und niemand löscht. Prof. August Tholuck † 1843.


V. 17. Der witzigste unter den puritanischen Auslegern, der alte John Trapp († 1669), erzählt zur Beleuchtung dieses Verses folgende Anekdote, die wir hier wiedergeben, ohne damit das Verfahren gutzuheißen. Einer der Feinde der Reformation, Dr. Story, war in den Tagen der Königin Elisabeth aus dem Gefängnis entkommen. Er kam nach Antwerpen. Dort glaubte er dem Bereich der Rute Gottes entkommen zu sein. Unter Herzog Alba wurde ihm der Auftrag, aus England entlaufende Schiffe nach Büchern zu durchsuchen. Ein gewisser Parker aber, ein englischer Kaufmann, wusste ihn in der eignen Schlinge zu fangen. Er ließ ihm geheime Kunde zugehen, im Schiffe Parkers seien Vorräte ketzerischer Bücher, und ließ ihm Winke geben, wie sie zu finden sein würden. Dr. Story eilte auf das Schiff. Mit scharfen Blicken auf die armen Matrosen durchsuchte er jede Kabine, jede Kiste und jeden Winkel auf dem Deck; in der Tat fand sich einiges, das zu weiterem Forschen ermutigte. So befahl er, die Luken zu öffnen, was man ungern zu tun schien und wobei Zeichen großer Furcht auf den Gesichtern bemerkbar wurden. Dies bewog den Doktor, in den Kielraum hinabzusteigen, und nun war die Maus in der Falle; da konnte sie nagen, aber nicht mehr entrinnen. Die Luken wurden geschlossen, die Segel aufgehisst, und ein frischer Wind blies hinein und trieb das Schiff der englischen Küste zu. Nach der Landung währte es nicht lange, so stand Story vor Gericht, wurde des Hochverrats überführt und in Tyburn hingerichtet, wie er’s reichlich verdient hatte.
  Die Erzählung von dem Stier des Phalaris, der erfunden war, andere zu martern, und der nachmals für ihn selbst den Dienst tun musste, ist in der Geschichte des heidnischen Altertums bekannt. - Es war ein freiwilliges Gericht, das Erzbischof Cranmer, einer der Hauptmänner der englischen Reformation, der sich im Kerker zur Verleugnung des evangelischen Glaubens hatte bereden lassen, über sich selbst verhängte, als er bei dem auf seinen heldenmütigen Widerruf (1556) über ihn verhängten Feuertode die Hand zuerst ins Feuer hielt und verbrannte, mit der er die römischen Artikel unterzeichnet hatte, indem er ausrief: "O meine unwürdige rechte Hand! Aber wer will leugnen, dass auch die Hand des Allmächtigen darüber waltete? William Turner 1697.


V. 18. Gott für Wohltaten zu preisen, das ist der Weg, sie zu mehren (Ps. 50, 23). Ihn für Trübsale zu preisen, ist der Weg, ihnen ein Ende zu machen. Kein Gut währt so lange wie das, welches man durch Dank erhöht; kein Übel stirbt so bald wie das, welches man mit Geduld erträgt. William Dyer 1696.


Homiletische Winke

V. 2. Wer Gott sucht, muss glauben. Man zeige die Nutzlosigkeit eines Gebetes ohne Zuversicht zu Gott.
V. 2-3. Ein Gebet um Befreiung von allen Feinden, besonders von Satan, dem Löwen (1. Petr. 5,8).
V. 4. Wann ist die eigne Ehrenrettung möglich, ratsam, nützlich? Was ist über die Gesinnung zu sagen, in der man sie versuchen soll?
V. 5. Die schönste Rache. Böses für Gutes tun ist teuflisch, Böses für Böses tun tierisch, Gutes für Gutes tun menschlich, Gutes für Böses tun göttlich.
V. 7. Wie und in welchem Sinne der Gerechte auf die Offenbarung des Zornes Gottes hoffen darf.
  Feuer durch Feuer gedämpft, oder: Des Menschen Zorn gebändigt durch Gottes Zorn.
V. 7-8. Christi Kommen zum Gericht - das Heil seiner Gläubigen.
V. 9. Was für ein Richter es ist, vor dem wir alle uns stellen müssen.
V. 10a. Das Gebet: Lass der Gottlosen Bosheit ein Ende werden. Der Herr wird’s tun 1) durch Umwandlung ihrer Herzen, oder 2) durch Schranken, die er ihrem Willen setzt, oder 3) durch Zerstörung ihrer Macht, oder 4) durch ihre Verwerfung. - Man zeige, wann und aus welchen Ursachen ein solches Gebet erlaubt ist, und wie wir, im Sinne von 1), für seine Erhörung tätig sein können.
V. 10. Dieser Vers enthält zwei große Bitten, sowie einen trefflichen Beweisgrund dafür, dass Gott sie erhören könne.
  Die Sünde hat ihre Zeit, der Gerechte die Ewigkeit.
V. 10b. Wie prüft Gott die Menschenherzen?
V. 11. Das Vertrauen des Gläubigen auf Gott und Gottes Fürsorge für ihn. Wie der Glaube Schutz und Huld gewährt, und wie die Erfahrung des göttlichen Schutzes den Glauben stärkt.
  Die frommen Herzen.
V. 12. Gottes gegenwärtiger, täglicher und beständiger warnender und richtender Zorn über die Gottlosen.
V. 15-17. Die Anschläge der Gottlosen und ihre Nichtigkeit, durch drei Gleichnisse erläutert.
V. 18. Die Pflicht der Lobpreisung.
  Dieser Vers in Verbindung mit dem Grundgedanken des Psalms zeigt uns die Befreiung des Gerechten und den Untergang der Gottlosen als Gegenstände des Gesanges.

Fußnoten

1. Schon manche jüdische und auch viele deutsche Ausleger fassen V. 5b so als einen das Gegenteil der Anklage beteuernden Zwischensatz auf. Dafür spricht, dass dann das piel von Claxf seine in den Psalmen gewöhnliche Bedeutung erretten behält. Immerhin findet auch die von Luther befolgte andere Auffassung viele Verteidiger. Man gibt dann dem Zeitwort in Verstärkung seiner Grundbedeutung "losmachen, ausziehen" hier die Bedeutung ausplündern, berauben: oder (habe ich) den, der mich ohne Ursache befehdete, beraubt. - Auch hier steht, entsprechend V. 3, im Grundtext die Einzahl.

2. Hieronymus, Kimchi und etl. and. israelit. und christl. Ausleger, beziehen dies bes. um des Wortes hdf(dI (Versammlung, Gemeine) willen und, was MymIi)ul: (Völker) betrifft, mit sinnreicher Berufung auf die Verheißungen 1. Mose 17,6. 16; 28,3; 35,11 auf das Volk Israel, und Spurgeon legt es daher von den Heiligen aus die sich um den göttlichen Richterstuhl sammeln. Aber diese Beziehung ist schwerlich richtig; es ist offenbar hier von dem Völkergericht die Rede, zu dem sich die Nationen sammeln müssen.

3. Nach etlichen Auslegern, z. B. Delitzsch, wäre der Sinn vielmehr der, dass der Herr nach vollzogenem Gericht zu seiner seligen Ruhe zurückkehre. Für die andere, von Spurgeon und manchen Auslegern befolgte Auffassung des Sinnes spricht, dass erst V. 9 von dem Vollzug des Gerichtes die Rede zu sein scheint.

4. Wir halten die Übersetzung über ihnen resp. über ihr (der Völkerversammlung) für richtig.

5. Grundtext: Siehe, er ist in Wehen mit Nichtigem, oder: mit Bösem. Die beiden folgenden Zeitwörter stehen im Perf.: er hat empfangen und geboren. Die überaus drastische Schilderung des Verses hat mannigfache Auslegung erfahren, umso mehr, als die drei Objekte doppelsinnig sind: Nwe)f Nichtiges und Böses; lmf(f Mühsal und das sich Abmühen im Frevel; Selbstbelügung, Vereitlung oder aber Lüge, Trug an andern. Spurgeons Auslegung knüpft an die ersten Bedeutungen an. Die deutschen Kommentatoren dagegen ziehen zumeist die an zweiter Stelle gegebenen Bedeutungen vor und erblicken in diesem Vers demnach die Prophezeiung davon, wie die Versündigung der Gottlosen zu ihrem eigenen Verderben ausschlage. Das Gericht, das im vorhergehenden Vers als Gottes Gericht über den Frevler geschildert war, wird hier als natürliche Folge seiner Missetaten, als der Fluch, der sich mit innerer Notwendigkeit daran heftet, veranschaulicht, wie im folgenden Vers unter einem anderen Bild.