Psalmenkommentar von Charles Haddon Spurgeon

PSALM 53 (Auslegung & Kommentar)


Überschrift

Vorzusingen. Hat der Leiter des heiligen Chors das Vorrecht, in so manchem Psalm ein Jubilate der göttlichen Gnade anzustimmen, so darf er sich auch nicht weigern, das Miserere der menschlichen Verderbnis zu singen. In dem folgenden Wort der Überschrift, finden manche der alten Übersetzer eine Hinweisung auf den Reigen, wonach Luther übersetzt: Im Chor umeinander (zu singen). Andere Sprachforscher raten auf ein Musikinstrument. Ansprechend ist der Vorschlag von Delitzsch, zu übersetzen: Nach schwermütiger Weise. Keil übersetzt: Über die Krankheit; und in der Tat ist ja dieser Psalm ein Lied von der schrecklichsten Krankheit der Menschheit, dem tödlichen Erbübel der Sünde. Die Bedeutung des Wortes ist ungewiss. Eine Unterweisung Davids. Beim vierzehnten Psalm enthielt die Überschrift nur den Namen des Verfassers, sowie die Widmung an den Musikvorsteher. Die Erweiterungen der Überschrift mögen die Bedeutung des Psalms hervorheben.

Inhalt
Die verderbte Natur des Menschen wird uns hier ein zweites Mal, großenteils fast mit denselben Worten wie in Ps. 14, vor Augen geführt. Die Heilige Schrift wiederholt sich nicht zwecklos; es sind vielmehr triftige Gründe vorhanden, warum sie uns zweimal mit diesem Psalm das Bild des Geschlechts, dem auch wir angehören, vorhält. Lasst uns den Psalm denn in dieser etwas veränderten Gestalt mit noch tiefer eindringender Aufmerksamkeit lesen. Wenn unsere Jahre von vierzehn zu dreiundfünfzig vorgerückt sind, wird uns die Wahrheit des Lehrinhalts dieses Psalms weit überzeugender einleuchten als in unserer Jugend.


Auslegung

2. Die Toren sprechen in ihrem Herzen: Es ist kein Gott.
Sie taugen nichts und sind ein Gräuel worden in ihrem
bösen Wesen.
Da ist keiner, der Gutes tut.
3. Gott schauet vom Himmel auf der Menschen Kinder,
dass er sehe, ob jemand klug sei,
der nach Gott frage.
4. Aber sie sind alle abgefallen und allesamt untüchtig.
Da ist keiner, der Gutes tue,
auch nicht einer.
5. Wollen denn die Übeltäter sich nicht sagen lassen,
die mein Volk fressen, dass sie sich nähren?
Gott rufen sie nicht an.
6. Da fürchten sie sich aber, da nichts zu fürchten ist;
denn Gott zerstreuet die Gebeine derer, die dich belagern.
Du machest sie zuschanden; denn Gott verschmähet sie.
7. Ach, dass die Hilfe aus Zion über Israel käme
und Gott sein gefangen Volk erlösete!
So würde sich Jakob freuen und Israel fröhlich sein.


2. Die Toren sprechen in ihrem Herzen: Es ist kein Gott. Und das tun sie, eben weil sie Toren sind. Sie sind Toren, darum reden sie wie Toren; sie sind große Toren, darum versteigen sie sich zu Dingen, die ihnen zu hoch sind, und kommen zu wahnwitzigen Folgerungen. Gottesleugner sind Menschen ohne Geist und inneren Gehalt, sind Toren in moralischer wie in intellektueller Beziehung; töricht ist ihr Herz wie ihr Kopf, töricht ihre Sittenlehre wie ihre Philosophie. Wer die Leugnung des lebendigen Gottes zum Ausgangspunkt nimmt, bei dem mögen wir wohl schließen, dass sein Weg ihn rasend schnell abwärts führen werde. Wer die Gottlosigkeit zur Grundlage seines Handelns macht, ist zu allem fähig. Kein Gott, das will sagen: kein Gesetz, keine Ordnung, kein Zügel der Wollust, keine Schranken der Leidenschaften. Wer anders als ein Tor könnte das wünschen? Welch ein Tollhaus, ja welch ein Hakeldama (Blutacker) würde die Welt werden, wenn solch zügellose Grundsätze allgemein würden! Wer in Wissen und Gewissen Gott den Abschied gibt und seine gottesleugnerische Gesinnung folgerichtig im Leben durchführt, der ist ein heilloser Mann, dem Gemeinwesen gefährlich, unvernünftig und verachtenswert. Aber jeder natürliche Mensch hat mehr oder weniger von der gottesleugnerischen Art an sich. Der praktische Atheismus ist die Religion unseres Geschlechts. Sie taugen nichts. Sie sind grundverdorben. Es hilft nichts, ihnen als aufrichtigen Zweiflern und liebenswürdigen Denkern zu schmeicheln - ihre sittliche Fäulnis macht sich zu stark bemerkbar. Man geht heutzutage mit dem gottesleugnerischen Wesen viel zu zimperlich um. Der Atheismus ist kein harmloser Irrtum, sondern abscheuliche Sünde, und rechtschaffene Leute sollten ihn in diesem Licht betrachten. Wie alle Menschen von Natur mehr oder weniger das Gift der gottesleugnerischen Gesinnung in sich haben, sind sie auch in eben dem Grad verderbt; ihr Herz ist schlecht, ihre sittliche Natur zerrüttet. Und sind ein Gräuel worden in ihrem bösen Wesen, wörtlich (mit dem Vorhergehenden): Verderbt und abscheulich (treiben sie ihr) Freveln. Schlechte Grundsätze führen unvermeidlich zu schlechtem Wandel. Die Tugend ist wahrlich durch das Beispiel eines Voltaire oder Tom Paine nicht gefördert worden. Leute, die sich nicht entblöden, so gräuliche Worte in den Mund zu nehmen, dass sie ihren Schöpfer leugnen, werden auch nicht davor zurückschrecken, schändliche Handlungen zu begehen, wenn das ihren Zwecken dient. Eben die überhandnehmende Gottesleugnung und Gottvergessenheit sind die Quelle der Ungerechtigkeit und der Verbrechen, die wir überall wahrnehmen. Wenn nicht alle Menschen äußerlich lasterhaft sind, so haben wir das dem noch immer mächtigen Einfluss anderer, besserer Grundsätze zuzuschreiben; wäre aber der in der Menschheit so allgemein verbreitete gottesleugnerische Geist seiner Entwicklung ungehemmt überlassen, so würde er nichts als die scheußlichsten Taten hervorbringen. Da ist keiner, der Gutes tut. Ohne Ausnahme haben die Menschen den richtigen Weg verlassen. Diese Anklage, zweimal in unserm Psalm ausgesprochen und auf Antrieb des Geistes ein drittes Mal des Apostels Paulus (Röm. 3,12) bezeugt, ist eine überaus schwere, allen Tugenddünkel vernichtende Beschuldigung; aber der Geist Gottes, der sie erhebt, kann nicht irren, denn er weiß, was im Menschen ist, und legt dem Menschen nicht mehr zur Last, als er beweisen kann.

3. Gott schauet vom Himmel auf der Menschen Kinder. Er hat also getan in vergangenen Zeiten (Grundtext Perf.), und auch heute noch schaut er unverwandten Blicks von seiner alles übersehenden Warte auf das Tun und Treiben der Adamskinder. Dass er sehe, ob jemand klug sei, der nach Gott frage. Wäre ein Verständiger auf Erden, einer, der seinen Schöpfer wirklich liebt, so hätte Gottes scharfes Auge ihn entdeckt. Jene unschuldigen Heiden und scharmanten Wilden, von denen man manchmal reden hört, scheinen für das Auge des Allsehenden unsichtbar zu sein; die Sache ist die, dass sie überhaupt nicht vorhanden sind, außer im Reich der Einbildung. Nicht nach hervorragenden Tugenden sah der HERR aus, nur nach Aufrichtigkeit und herzlichem Verlangen nach Gott; aber auch diese fand er nicht. Er richtete seine Blicke auf alle Völker und auf jeden einzelnen Menschen in den Völkern, auf alle Herzen und auf jede Regung in den Herzen; aber er mochte so scharf zusehen wie er wollte, er sah nirgends weder einen hellen Kopf noch ein lauteres Herz. Wo Gottes Augen kein günstiges Zeichen entdecken, da mögen wir sicher sein, dass keins zu finden ist.

4. Aber sie sind alle abgefallen. Jeder einzelne aus der Gesamtheit der Menschen ist von Gott abgewichen. "Dies Volk hat ein abtrünniges, ungehorsames Herz; sie bleiben abtrünnig und gehen immerfort weg und sprechen nicht einmal in ihrem Herzen: Lasset uns doch den HERRN, unseren Gott, fürchten, der uns Frühregen und Spätregen zu rechter Zeit gibt und uns die Ernte treulich und jährlich behütet." (Jer. 5,23 f.) Das Leben der nicht wiedergeborenen Menschen ist eine offene Fehde wider Gott und seine Gebote. Und allesamt untüchtig. Die ganze große Masse ist durchsäuert mit einem bösen Sauerteig, ist ranzig und stinkend geworden von alles durchdringender Fäulnis. Unsere gottesleugnerische Natur ist demnach in Gottes Augen nicht so verzeihlich, wie viele denken. Irrtümer, die das Wesen Gottes antasten, sind nicht kleine Fehler, sondern wahre Gräuel. Schön sind die Menschen nur für blinde Augen; der Allsehende urteilt gar anders. Da ist keiner, der Gutes tue, auch nicht einer. Wie könnte es auch anders sein, da das ganze Geschlecht vom Gift der Sünde durchdrungen ist. Die sentimentalen Schwärmereien eines Rousseau, eines Bernardin de St. Pierre von den unschuldsvollen Naturmenschen, den unverdorbenen Inselbewohnern usw. lösen sich vor der Wirklichkeit in Dunst auf. Das gefallene Menschengeschlecht hat aus sich selbst, in eigener Kraft, nicht einen einzigen hervorgebracht, der Gott liebte und heilig lebte, und wird das nie vermögen. Die Gnade muss ihre umschaffende Kraft entfalten; ohne sie würde die Menschheit auch nicht ein Beispiel eines Erdgeborenen ausweisen, der dem Guten und Wahren folgte. So lautet Gottes Urteil auf Grund seines alle Herzen durchforschenden Niederschauens. Wer will es widerlegen?

5. Wollen denn die Übeltäter sich nicht sagen lassen? Weisheit fehlt ihnen; aber sind sie denn so unvernünftig, dass sie sich gar nicht wollen sagen und durch die Erfahrung belehren lassen? Sind sie so ohne Verstand, dass sie nicht sehen können, dass es einen Gott gibt, dass es um die Sünde eine schreckliche Sache ist und dass die Feindschaft gegen Gottes Auserwählte auf der Verfolger eigenes Haupt zurückfährt, dass sie also ihre eigenen Feinde sind und sich selber zugrunde richten? Die mein Volk fressen, wie man Brot isset. Merken sie nicht, dass ihnen die Mahlzeit schlecht bekommen wird und sie sich scheußlich werden erbrechen müssen, wenn Gott diese Speise aus ihrem Bauche stößt? (Hiob 20,15) Bilden sie sich denn wirklich ein, dass der HERR sie ungestraft sein Volk werde verzehren lassen? Sie müssen in der Tat von Sinnen sein. Gott rufen sie nicht an. Sie betreiben ihre grausamen Anschläge wider die Heiligen mit einem Eifer, der einer bessern Sache würdig wäre, und bedienen sich dazu aller Mittel außer dem einen, das in jeder Sache zum Gelingen unentbehrlich ist - nämlich der Anrufung Gottes. In dieser Hinsicht handeln die offenbaren Verfolger der Heiligen in der Tat folgerichtiger als die Pharisäer, die der Witwen Häuser fraßen und dazu beteten. Der natürliche Mensch liebt, gleich dem Ismael, den geistlichen Samen nicht, ist eifersüchtig auf ihn und möchte ihn am liebsten ausrotten, weil derselbe bei Gott in Huld steht; aber die gleiche Gunst bei Gott zu suchen liegt ihnen fern. Fleischlich gesinnte Menschen neiden solche, die Gnade erlangen, und doch wollen sie nicht selber Gnade suchen. Die Sünder suchen aus boshafter Eifersucht die betenden Menschen zu zerreißen und zu verzehren; aber selber beten wollen sie nicht.

6. Da fürchten sie sich aber, da nichts zu fürchten ist. David schaut das Ende der Gottlosen und den schließlichen Sieg des geistlichen Samens. Die Empörer gehen voller Wut auf die Frommen los; aber plötzlich werden sie, ohne dass eine äußere Ursache vorhanden ist, von Schrecken ergriffen. Die einst so trotzigen Prahler zittern wie Espenlaub, ihr eigener Schatten jagt sie. Wer Gottes Dasein oder Vorsehung leugnet, ist im tiefsten Herzensgrunde ein Feigling und ähnelt in der Beteurung seines Unglaubens jenem Knaben, der auf dem Kirchhof pfiff, um seinen Mut aufrecht zu halten. - In diesem Satz und dem ganzen Vers unterscheidet sich der vorliegende Psalm bedeutend von dem vierzehnten. Der Psalmsänger sieht einen Anschlag der Feinde auf Zion von Gott vereitelt. Der veränderte Text ist nicht matter, im Gegenteil lebhafter und schwungvoller. Denn Gott zerstreuet die Gebeine derer, die dich belagern. Wohl mögen die Gottlosen verzagen, wenn sie sehen, wie ihre Genossen vom Verderben ereilt werden. Mächtig waren die Heere des Feindes, welche Zion belagerten; aber sie wurden vernichtet und ihre unbegrabenen Gebeine erwiesen vor aller Welt die Macht des Gottes, dessen Dasein sie zu leugnen sich erdreistet hatten. Du machest sie zuschanden, denn Gott verschmähet sie. Gottes Volk mag billig mit Hohn und Verachtung auf seine Widersacher blicken, da diese der Gegenstand der göttlichen Verachtung sind. In seines Gottes Macht vereitelt Israel die Anschläge der so siegesgewissen, aber von Gott verworfenen und darum schon vor der Schlacht unrettbar verlorenen Feinde. Sie spotten unser; wir aber haben viel mehr Ursache, sie zu verlachen, weil der HERR der Heerscharen sie für weniger denn nichts achtet.

7. Ach, dass die Hilfe aus Zion über Israel käme. Wollte Gott, dass der letzte Kampf vorüber wäre! Wann wird der HERR seine Auserwählten an ihren Feinden rächen? Wann wird die so lang währende Bedrückung der Frommen ein Ende nehmen für immer und ewige Freude das Haupt der Heiligen krönen? Das Wort Hilfe oder Heil steht hier in der Mehrzahl, die Größe dieses Heils zu zeigen. Es ist das ganze, volle, ewige Heil, das Gottes Volk zuteil wird. Wenn Gott das Gefängnis (oder das Elend) seines Volkes wendet, wird Jakob sich freuen und Israel fröhlich sein. (Grundtext) Das Joch ist schwer, die Gefangenschaft unmenschlich hart; desto herrlicher wird die Freiheit, desto fröhlicher der Siegesjubel sein. Die zweite Zukunft des Messias und die Wiederherstellung Israels sind unsre Hoffnung und Erwartung.

  Den Feinden Zions wankt der Mut,
  Vor Furcht erbebt ihr Herz;
  Das mächt’ge Schwert, sie kennen’s gut,
  Das dringt durch Stahl und Erz.

  Denn Gott zerbrach der Stolzen Schild
  Und dämpfte ihren Speer;
  Ihr bleich Gebein auf dem Gefild
  Zerstreuet liegt umher.

  Es muss der Zionsfeinde Rott’
  Von Scham erfüllt vergehn;
  Doch Zions Söhne segnet Gott,
  Ob Spötter jetzt sie schmähn.

  O dass der HERR nicht säumte lang
  Und kehrt’ in Zion ein!
  Dann würd’ bei heller Harfen Klang
  Sein Erbteil fröhlich sein.

   (Nach C. H. Spurgeon.)


Erläuterungen und Kernworte

Vergleichung von Ps. 53 mit Ps. 14. Der eine (14) ist jahvistisch, der andere (53), wie alle Psalmen des 2. Buchs, elohimisch, und zwar ist er das besonders streng. In Ps. 14 steht der Gottesname Jahve viermal, ist also vorherrschend; an den drei Stellen, wo Elohim steht, ist dieses Wort offenbar mit Bedacht gewählt. Ps. 53 dagegen braucht ausnahmslos (siebenmal) Elohim. Die übrigen Unterschiede sind in den ersten vier Versen (14,1-4 = 53,2-5) von wenig Bedeutung. In 2b ist das wirkungsvolle Asyndeton durch eingefügtes w: (und) aufgelöst und lwe(f (Frevel) für hlfyli(A (Handeln) gesetzt. V. 4a steht OlIkIu (ein jeder von dem Ganzen) für lkIoha (die Gesamtheit) und das gleichbedeutende, aber seltenere gsf für rsf (abweichen). In V. 5 fehlt das "alle" vor "Übeltäter". V. 7 steht "Hilfe " in der Mehrzahl statt der Einzahl. Alle diese Unterschiede sind geringfügig, sie ändern den Sinn nicht. Der 6. Vers enthält in dem ersten Gliede den Zusatz: "wo kein Schrecken war"; im weiteren Text aber ist der Vers gegen die entsprechenden Vers 5.6 des 14. Psalms so stark verändert, dass dadurch die ganze Richtung des Psalms eine andere wird. Während in Ps. 14 die Gottlosigkeit innerhalb Israels beklagt wird (aber in so allgemeinen Ausdrücken, dass Paulus ganz berechtigt war, im Römerbrief die Aussagen des Psalms auf die Menschheit im ganzen anzuwenden), hat es der 53. Psalm ganz offenbar in V. 5.6 mit auswärtigen Feinden Israels zu tun, welche das Volk Gottes belagerten, und er sieht auf eine bestimmte geschichtliche Gerichtskatastrophe zurück, durch welche Gott diese Feinde mit Schrecken geschlagen und vernichtet hatte. Es tritt einem lebhaft die Errettung Jerusalems von dem es belagernden assyrischen Heere (Jes. 36 f.) ins Gedächtnis. Eine genaue Vergleichung (nach Bäthgen) von V. 6b u. c (5b u. 6)
% whsxm h yk w#ybt yn(t c(% qydc rwdb) yk
% Ms)m) yk htw#ybh Nnx tmc(r zp) yk
zeigt eine so frappante Ähnlichkeit der Buchstaben, dass der Gedanke, die Änderungen im 53. Ps. seien das Ergebnis eines Versuchs, eine verblichene Handschrift des Ps. 14 wiederherzustellen, höchst natürlich erscheint; aber der Inhalt lässt doch wieder daran zweifeln und eine zielbewusste Änderung für wahrscheinlicher halten. Delitzsch verweist darauf, dass solche Abwandlung mittelst Buchstabenwechsels auch sonst, besonders bei Jeremia, vorkommt. - James Millard
  Gott zeigt uns in diesem Psalme:
1) die Tatsächlichkeit der Sünde. Gott ist ihr Zeuge. Er schaut vom Himmel und sieht alle Sünde der Menschen in Gesinnung und Wandel. Sie ist vor ihm in ihrer ganzen Nacktheit offenbar.
2) Die Sündlichkeit der Sünde: nichts taugend - ohne etwas Gutes - abgefallen von Gott.
3) Die Torheit der Sünde, V. 2.5.
4) Die Schmutzigkeit der Sünde: ein Gräuel V. 2, allesamt verdorben V. 4.
5) Die Quelle der Sünde. Woher kommt es, dass die Menschen so schlecht sind? Daher, dass keine Furcht Gottes vor ihren Augen ist. Sie sprechen in ihren Herzen: Es gibt keinen Gott, der uns zur Verantwortung ziehen könnte, keinen, vor dem wir uns scheuen müssten. Die schlechte Lebensart der Menschen fließt aus ihren schlechten Grundsätzen.
6) Die Frucht der Sünde. Siehe, zu welchem Grad von Roheit die Sünde schließlich die Menschen bringt! Wie unmenschlich sind sie gegen ihre Brüder! Sie verzehren sie, wie sie Brot essen, als ob sie blutgierige Raubtiere geworden wären. Sieh zugleich, wie sie Gott verachten: nicht nur rufen sie ihn nicht an, sondern sie lästern ihn und höhnen seine Allwissenheit.
7) Die Furcht und Schmach, welche die Sünde begleiten, V. 6. Da fürchten sie sich, sie, die Gott zu ihrem Feind gemacht haben; ihr eigenes schuldbeladenes Gewissen erfüllt sie mit Schrecken und Entsetzen. Eben das gibt der Jungfrau, der Tochter Zion, die Kraft, sie zuschanden zu machen, dass Gott sie verschmäht.
8) Den Glauben der Heiligen und ihre Hoffnung und Stärke gegenüber diesem großen Übel, V. 7. Sie warten auf eine mächtige Hilfe, eine große Erlösung, eine Erlösung von der Sünde und den Sündern. Ach, dass sie eilend käme, denn sie wird herrliche, fröhliche Zeiten bringen. Es gab im alten Bunde solche, die nach dieser Erlösung ausschauten, auf sie hofften und warteten und um sie beteten. Es gab auch Zeiten, wo sie Heils- und Erlösungstaten erfuhren, die alle vorbildlich auf den ewigen Sieg der Gemeinde Gottes hinwiesen. Matthew Henry † 1714.


V. 2. Die Toren sprechen in ihrem Herzen: Es ist kein Gott. In ihrem Herzen sprechen sie so, und eben das, was sie so heimlich denken und wünschen, ist der geheime Wunsch jedes unbekehrten Herzens. Wenn die Menschen Gott mit ihren Pfeilen erreichen könnten, so wäre ihm in einem Augenblick das Herz millionenfach durchbohrt. Als Gott im Fleische erschien, da war er ganz Lieblichkeit (Hohelied 5,16), er tat nicht eine einzige Sünde, er zog umher und tat wohl, und doch nahmen sie ihn und hängten ihn ans Fluchholz; sie spotteten sein und spien ihn an. Genau so würden es die Menschen heute Gott wieder machen. Das mag uns erstens zeigen, wie furchtbar die Verderbnis unseres Herzens ist. Ich wage zu behaupten, dass nicht ein unbekehrter Mensch hier gegenwärtig sei, der auch nur im entferntesten einen Begriff habe von der ungeheuerlichen Gottlosigkeit, die jetzt in seinem Innern ist. Wartet, bis ihr in der Hölle seid, da wird sie ungezügelt ausbrechen. Aber lasst mich’s euch sagen: Ihr habt ein Herz in euch, das Gott töten würde, wenn es könnte. Zweitens aber mögen wir daraus die wunderbare Liebe Christi ersehen. Er ist für uns gestorben, da wir noch Feinde waren. Robert Murray MacCheyne † 1843.
  Kein Gott. Damit wollen sie wohl nicht das Dasein eines Gottes, sondern die göttliche Vorsehung leugnen. Daniel Creßwell † 1844.
  Kein Gott. Dies gibt das Targum so wieder: Es gibt keine göttliche Weltregierung. In der Tat wird dies die Meinung sein. Eine abstrakte Gottesleugnung ist dem Altertum fremd. 10,4 wurde derselbe Ausdruck erläutert: "Gott sucht nicht heim", und die, welche Jer. 5,12 als Leugner Jahves auftreten, schwören trotzdem V. 2 bei seinem Namen. Endlich heißt es Ps. 14,2 Ende (53,3) von den Toren nur, dass sie nicht nach Gott fragen. Prof. Friedrich Baethgen 1892.
  Es ist zu beachten, dass die Schrift sagt: "Der Tor spricht in seinem Herzen", und nicht: "denkt in seinem Herzen"; das will sagen: Es ist das nicht sowohl ein fertiges Urteil seines Verstandes, sondern er möchte sich gern diesen Glauben beibringen. Er sieht, es fromme nicht für ihn, dass es einen Gott gebe; darum sucht er sich mit allen Mitteln zu überreden, dass es in der Tat keinen gebe, und gibt sich alle Mühe, dies sich selbst als feststehenden Satz zu beweisen und zu bekräftigen; aber bei alledem brennt der Funke des uns anerschaffenen Lichtes, das den Menschen zur Anerkennung einer Gottheit drängt, noch immer in ihm, und er müht sich vergeblich ab, diesen Funken völlig auszulöschen. So kommt es also aus der Verderbnis seines Herzens und Willens und nicht aus der natürlichen Denktätigkeit seines Gehirns und Begriffvermögens her, dass er sich diese Meinung bildet - wie der Komiker sagt: "Da geschah’s, dass mein Verstand meiner Meinung ward", als wären sein Verstand und sein Sinn zwei verschiedene Dinge. Darum ist es so, dass der Gottesleugner vielmehr es sich sagt und seinem Herzen einzureden sucht als wirklich denkt oder glaubt, es sei kein Gott. Franeis Bacon, Lord Verulam, † 1626.


V. 3. Der nach Gott frage. Wiewohl Gott alles erfüllt, muss man doch nach ihm suchen und forschen, wegen der Dunkelheit, die unseren Verstand infolge unserer angeborenen Sündhaftigkeit umhüllt. Denn Fleisch und Sinne und der Hang zum Irdischen hindern uns ihn zu erkennen, trotz seiner Allgegenwart. Pietro Martire Vermigli † 1562.


V. 3.4. Das Böse der Menschen wird hier stufenweise bezeichnet. Es heißt zuvörderst, dass sie nicht klug seien, weil die wahre Erkenntnis göttlicher Dinge auch der Grund des wahren Verhaltens gegen Gott ist; weiter, dass sie nach Gott nicht fragen, weil nur derjenige um ihn sich kümmert, der ihn mit heller und sicherer Einsicht als das höchste Gut erkannt hat; weiter, dass sie von ihm abgewichen seien, indem ja daraus, dass der Mensch um ihn sich nicht kümmert, auch hervorgeht, dass er von ihm entfremdet wird und seine Wege verlässt; endlich, dass sie allesamt untüchtig sind, da die rechte Kraft und Tüchtigkeit des Menschen zu edeln Dingen aus keiner andern Quelle als aus der Gemeinschaft mit Gott geschöpft werden kann. Prof. August Tholuck 1843.


V. 5. Mein Volk. David mag die Gottesfürchtigen sein Volk nennen wegen der innigen Liebe, die er für sie hegte, und der Treue, mit der sie sich in allen seinen Trübsalen zu ihm hielten. Benjamin Boothroyd † 1836.


Homiletische Winke

Man vergleiche die Winke zu Ps. 14.

V. 2. Der Tor, betrachtet von innen und außen. 1) Die Torheit der Gottesleugnung. Wer sagt, es sei kein Gott, ist ein Tor, denn a) es gibt keinen vernünftigen Grund für diese Behauptung, b) es spricht vielmehr alles dagegen. 2) Der Sitz der gottesleugnerischen Gesinnung ist im Herzen. Die Leugnung Gottes hat ihren Grund in der sittlichen Beschaffenheit des Menschen, nicht in seiner Vernunft; sie ist die Sprache des Willens, nicht des Verstandes. 3) Ursachen der Gottesleugnung: a) Liebe zum Bösen, b) Hass gegen das Gute. George Rogers 1872.
V. 3. 1) Gott hat die Menschenwelt nicht sich selber überlassen. 2) Er nimmt eingehend Kenntnis von einem jeden Menschen und all seinem Tun. 3) Das einzige, was Gott an einem Menschen schätzt, ist, wenn er nach ihm fragt, d. h. sich um ihn kümmert, ihn ehrt und Gemeinschaft mit ihm sucht.
V. 5c. Gott rufen sie nicht an. Es ist Sünde, Gott nicht anzurufen.
  I. Was heißt Gott anrufen? Dreierlei gehört dazu: 1) sich Gott nahen, 2) zu ihm sprechen, und zwar 3) betend.
  II. Wie sollen wir Gott anrufen? 1) Mit Ehrerbietung, indem wir erwägen a) Gottes Heiligkeit und Erhabenheit, b) unsre Sündlichkeit und Schwachheit (1. Mose 18,27); 2) mit Verständnis a) dessen, was wir erbitten, b) von wem wir es erbitten; 3) mit Ergebung; 4) im Glauben (Mk. 11,24; Jak. 1,6); 5) aufrichtig (Jak. 4,3); 6) ohne Unterlass, a) so dass wir beständig in der Gebetsstimmung sind, b) so dass wir jeden Anlass benutzen, unser Herz im Gebet vor Gott auszuschütten.
  III. Warum ist es also Sünde, Gott nicht anzurufen? 1) Er hat es befohlen (Jes. 55,6; 1. Tim. 2,8). 2) Das Gebet ist eins der Hauptstücke der Verehrung, die wir Gott schuldig sind.
  IV. Wer ist dieser Sünde schuldig? 1) Alle, die irgendwo anders als bei dem wahren Gott Hilfe suchen; 2) alle, die das einsame oder gemeinsame Gebet vernachlässigen; 3) alle, die beten, aber nicht recht beten. William Beveridge † 1708.
V. 6. 1) Sich selber sind die Verfolger der Heiligen die eigenen Quälgeister infolge ihrer grundlosen Befürchtungen. 2) Untereinander sind sie zwar jetzt einig, doch werden hernach ihre Gebeine verstreut sein. 3) Vor denen, gegen die sie wüten, werden sie zuschanden. 4) Vor Gott sind sie verschmäht, verworfen. George Rogers 1872.
V. 7. 1) Es gibt ein Heil, eine Erlösung für Israel. 2) Dies Heil kommt aus Zion, dem Thronsitz Jehovas. 3) Dort ist es vorhanden, auch wenn Israel von Zion verbannt ist. 4) Die Freude wird nach der zeitweiligen Entbehrung desto größer sein. George Rogers 1872.

Fußnoten

1. Der Leser wird gebeten, beim Betrachten dieses Psalms auch die Auslegung des vierzehnten zu Rat zu ziehen.