Psalmenkommentar von Charles Haddon Spurgeon

PSALM 33 (Auslegung & Kommentar)


Überschrift

Überschrift oder Angabe des Verfassers suchen wir bei diesem Lobpsalm vergeblich. Es mag uns das, wie Dickson († 1662) bemerkt, ein Fingerzeig sein, die Heilige Schrift mehr um des überall aus ihr hervorleuchtenden Geisteszeugnisses willen und nicht so sehr wegen ihrer Verfasser zu schätzen.

Inhalt und Einteilung. Das Lob Jahwes ist der Gegenstand dieses heiligen Liedes. Die Gerechten werden ermahnt, den Herrn zu preisen, V. 1-3: und zwar wegen seines herrlichen Wesens, V. 4. 5, und seiner in der Schöpfung sich offenbarenden Majestät, V. 6. 7. Die Menschheit wird aufgefordert, sich vor Jahwe zu scheuen, weil seine Ratschlüsse sich so machtvoll in der Geschichte erfüllen, V. 8-11. Gottes Volk wird selig gepriesen, V. 12. Die Allwissenheit und Allmacht des Herrn und seine Fürsorge für sein Volk werden im Gegensatz zu der Schwäche des fleischlichen Arms verherrlicht, V. 13-19. Der Psalm schließt mit einem inbrünstigen Bekenntnis des Gottvertrauens, V. 20. 21, und einer ernstlichen Bitte, V. 22.


Auslegung

1. Freut euch des Herrn, ihr Gerechten;
die Frommen sollen ihn preisen.
2. Dankt dem Herrn mit Harfen,
und lobsingt ihm auf dem Psalter von zehn Saiten;
3. singt ihm ein neues Lied;
macht’s gut auf Saitenspiel mit Schalle.


1. Freut euch des Herrn, wörtl.: Jauchzt (jubelt) über den Herrn. Freude ist die Seele des Lobgesangs. Haben wir unsre Lust an dem Herrn, so preisen wir ihn eben damit in Wahrheit, selbst wenn kein Laut über unsere Lippen kommt. Dass Gott ist, und dass er ein solcher Gott ist und unser Gott, unser auf immer und ewig, das sollte in uns nie versiegende, ja übersprudelnde Freude erwecken. Sich an zeitlichen Gütern ergötzen, ist gefährlich; sich an sich selber ergötzen, ist töricht; sich an der Sünde ergötzen, ist verderblich; aber an Gott sich ergötzen, das ist wahre, ewige Himmelslust. Wer einen doppelten Himmel haben möchte, muss hier auf Erden anfangen, solche Freude zu hegen, wie die Seligen droben sie genießen. Dies ist sonderlich eure Pflicht, ihr Gerechten. Ihr habt größere Dankesschulden dem Herrn gegenüber auf euch lasten und eure geistliche Natur ist für solches Werk besser geschickt; so seid denn die ersten in dem seligen Dienst! Auch die Gerechten sind nicht allezeit fröhlich und haben es nötig, dass sie aufgemuntert werden, ihre Vorrechte zu gebrauchen. Die Frommen sollen ihn preisen, wörtl.: Den Rechtschaffenen ziemt Lobgesang. Gott hat ein Auge für das, was sich ziemt. Wenn die Heiligen das Feierkleid des Lobgesangs tragen, sind sie schön in Gottes Augen. Zur goldenen Harfe passt nur eine reine, im Blut der Versöhnung gewaschene Hand. Kein Schmuck ziert ein gottgeweihtes Antlitz so, wie heiliger Lobpreis. Es verstößt wider allen Anstand, wenn erhabene Lobgesänge von den Lippen solcher ertönen, denen die Singkunst zu einem Gewerbe herabgesunken ist und die vielleicht heute die Arie "Ich weiß, dass mein Erlöser lebt" mit demselben Pathos vortragen, wie morgen ein Lied aus des Teufels Dichterwerkstatt. Ein geistliches Lied in ihrem Munde passt so gut wie ein goldener Ring im Rüssel eines Schweins (Spr. 11,22). Verdrehte Herzen machen verdrehte Musik; aber an den Rechtschaffenen hat Gott sein Wohlgefallen. Lobgesänge sind das Gewand der Heiligen im Himmel: Es ist nicht mehr als billig, dass sie es hier auf Erden schon sich anpassen.

2. Dankt dem Herrn mit Harfen. Die Menschen haben jede Hilfe, die sie nur erlangen können, nötig, um sie zum Preise Gottes anzureizen: das ist’s, was wir daraus lernen können, dass im alttestamentlichen Gottesdienst Musikinstrumente verwendet wurden. Israel war in der Abc-Schule und hatte allerlei kindische Dinge nötig, ihm beim Lernen zu helfen; in unseren Tagen, da Jesus uns zum geistlichen Mannesalter führt, bedürfen wir der Saiten und Pfeifen nicht, um dem Herrn zu singen und zu spielen. Wir halten nicht dafür, dass diese Dinge dem Gottesdienst förderlich seien, da wir die Sorge haben, sie möchten die edle Einfachheit und Einfalt schädigen; aber wir behaupten keineswegs, dass sie unerlaubt seien, und wenn ein Luther oder ein Bach oder Händel den Herrn mit Hilfe der wohl gestimmten Laute oder Orgel besser preisen können, wer will ihnen ihr gutes Recht bestreiten? Wir bedürfen der Musik im Gottesdienst nicht, sie würde uns im Preis des Herrn eher hindern als fördern; aber wenn andere in diesem Stück anders gesinnt sind, leben sie nicht in der evangelischen Freiheit? Lobsingt (spielt) ihm auf dem Psalter von zehn Saiten. Dem Herrn gebührt volltönendes Lob, denn alle Töne sind sein und die ganze Tonkunst gehört ihm zu. Wo, wie in unserm Vers, verschiedene Musikinstrumente erwähnt werden, wollen wir daraus lernen, unseren Gott zu preisen mit allen Kräften, die wir besitzen.

3. Singt. Das ist die beste, lieblichste Musik. Kein Instrument ist der menschlichen Stimme ebenbürtig. Nur zur Unterstützung des Gesanges dürfen Instrumente geduldet werden, denn Harfensaiten und Orgelpfeifen preisen den Herrn nicht. - Singet ihm ein neues Lied. Alle Lobgesänge sollten "ihm" geweiht sein. Singen um des Singens willen ist in Gottes Haus nichts wert; wir sollen unseren Tribut dem König darbringen und ihn nicht in den Wind streuen. Beachten das die meisten Kirchgänger wohl? Alle unsere Fähigkeiten sollten in Tätigkeit sein, wenn wir damit beschäftigt sind, den Herrn zu loben, so dass wir nicht gedankenlos in ausgefahrenen Geleisen einhergehen; wir sollten jeden Lobgesang zu einem neuen Lied machen. Die Gottesdienste stets frisch und lebendig zu erhalten, ist eine hochwichtige Sache; und soll unsere Andacht im Kämmerlein rechter Art sein, so muss es uns jeden Tag etwas Neues sein, den Herrn zu loben. Lasst uns nicht alten, abgenutzten Lobpreis dem Herrn darbringen, sondern in jeden Gesang unser Leben, unser ganzes Gemüt und Herz hineinlegen, da wir ja täglich neue Gnaden empfangen und täglich neue Schönheiten in dem Werk und Wort unsers Gottes entdecken. Machet’s gut. Es ist ganz unausstehlich, Gott in nachlässiger Weise preisen zu hören. Er verdient das Beste, was wir nur bringen können. Jeder Christ sollte sich, der Einfalt unbeschadet, bestreben, so weit nach den Regeln der Kunst zu singen, dass er in Takt und Melodie mit der Gemeinde übereinstimmt. Die lieblichsten Weisen und die schönsten Stimmen samt den herrlichsten Worten, es ist doch alles zu gering für unseren großen Gott; lasst uns nicht holprige Reime, in hart klingende Musik gesetzt und von misshelligen Stimmen gekreischt statt gesungen, dem Herrn als Opfer darbringen! Macht’s gut auf Saitenspiel mit Schalle. Man sollte es unserm Gottesdienst anmerken, dass er von Herzen kommt. Allzu feines Flüstern ist hier nicht fein. Nicht, als ob der Herr schwerhörig wäre; aber großer Freude ist es natürlich, sich kräftig zu äußern. Die Volksscharen jauchzen beim Anblick ihres irdischen Königs; sollen wir dem Sohne Davids kein lautes Hosianna bringen?


4. Denn des Herrn Wort ist wahrhaftig,
und was er zusagt, das hält er gewiss.
5. Er liebt Gerechtigkeit und Gericht.
Die Erde ist voll der Güte des Herrn.


4. Denn des Herrn Wort ist wahrhaftig (buchstäblich: gerade, d. i. rechtschaffen). Alles, was Gott redet, entspricht genau seinen Gedanken und seinem Willen. Gott ist der Gute: Darum muss auch alles, was er verordnet hat, gut, gerecht und vortrefflich sein. Es gibt nichts Verkehrtes und Schiefes im ganzen Weltall, außer was die Sünde hineingebracht hat: Des Herrn Wort hat alles gut geschaffen. Der vorliegende Vers beleuchtet aber speziell die Verheißungsworte Gottes. Sie sind redlich gemeint, das wird durch die tausendfältige Erfahrung der Gotteskinder bestätigt. Wenn wir diese Wahrhaftigkeit der Gottesworte betrachten, wie viel Grund haben wir da zu der Freude und dem Lobpreis, wozu uns die ersten Verse aufgemuntert haben! Und all sein Tun (vollzieht sich) in Treue. (Grundtext) Seine Werke sind der Ausfluss seiner Worte und sind diesen treu. Wie seine Worte mit seinen Gedanken, so stimmen seine Taten vollständig mit seinen Worten überein, wie es Luthers freie Übersetzung ausdrückt: Was er zusagt, das hält er gewiss. Er ist ein Fels. Vollkommen ist sein Tun: denn recht sind alle seine Wege. Ein Gott der Treue und ohne Falsch, gerecht und redlich ist er. (5. Mose 32,4) Was für einem herrlichen Gott dienen wir! Je besser wir ihn kennen lernen, desto anbetungswürdiger wird er uns in seinen Gedanken, Worten und Taten. Selbst wo er uns mit Trübsal heimsucht, bestätigt sein Tun die Wahrheit seines Wortes und die Lauterkeit seiner Liebesgedanken.

5. Er liebt Gerechtigkeit und Gericht (besser: Recht). Seine Wege von alters her beweisen das; denn sein ganzes Verhalten ist Gerechtigkeit und mit unverbrüchlicher Treue hält er ob dem Recht. Er stimmt dem Wahren und Rechten nicht nur zu, sondern sein innerstes Wesen hat seine Lust daran. Gottes Wesen ist ein Meer, von dem jeder Tropfen den Seinen ein Quellbrunn der Freude und des Preises werden sollte. Vor allem ist die Gerechtigkeit Jesu dem Vater teuer und um ihretwillen hat er Gefallen an denen, die mit ihr geziert sind. Anderseits ist die Sünde dem Herrn in einem für uns unermesslichen Grade verhasst und darum wehe denen, die in ihr sterben; wenn er in ihnen keine Gerechtigkeit findet, wird er an ihnen nach seiner unverbrüchlichen Gerechtigkeit handeln, und sie werden seine Liebe zum Recht als Gerichtseifer erfahren. Die Erde ist voll der Güte des Herrn. Kommt her, ihr Sternkundigen, ihr Geologen, ihr Naturforscher, ihr Pflanzenkenner, ihr Chemiker, ihr Schatzgräber der Erde, ja ihr alle, die ihr die Werke des Herrn erforscht; denn alles, was ihr Glaubwürdiges zu berichten habt, bestätigt diesen Satz. Von der Mücke, die im Sonnenstrahl spielt, bis zum Walfisch, der den Ozean durchquert, preisen alle Geschöpfe die Güte dessen, der sie geschaffen hat. Selbst die unwegsame Wüste schimmert von Erweisungen der Güte Gottes, die kein Menschenauge entdeckt, und die Tiefen der See bergen Schätze der göttlichen Liebe. Die Erde könnte ebenso gut des Schreckens wie der Güte Gottes voll sein; stattdessen ist sie bis zum Überfließen voll von Erweisen der Liebe und Barmherzigkeit. Wer für diese Güte Gottes kein Auge hat, trotzdem er in ihr lebt wie der Fisch im Wasser, ist des Todes würdig. Bezeugen aber schon die Naturwohltaten Gottes so tausendfältig seine Huld, wie herrlich wird sie sich dann an den Seinen entfalten! Und wenn die Erde schon der Güte Gottes voll ist, was muss es um den Himmel sein, wo alle Strahlen der göttlichen Gnade zusammentreffen!


6. Der Himmel ist durchs Wort des Herrn gemacht,
und all sein Heer durch den Geist seines Mundes.
7. Er hält das Wasser im Meer zusammen wie in einem Schlauch,
und legt die Tiefen in das Verborgne.


6. Der Himmel ist durchs Wort des Herrn gemacht. Die Himmel (im Hebr. stets in der Mehrzahl): Der Wohnort sowohl der Engel als auch der Sternenhimmel und die saphirblaue Feste, die sich über der Erde wölbt, sie sind durch ein Wort ins Dasein gerufen. Ja, durch das Wort; denn ohne dasselbe ist nichts entstanden von alle dem, was jetzt als Entstandenes da ist (Joh. 1,3). Es ist beachtenswert, dass im folgenden Satze der Geist erwähnt wird: Im Alten Testament ist die im Neuen erschlossene Offenbarung der Dreieinigkeit Gottes schon im Keim enthalten. Und all sein Heer durch den Geist, wörtl.: den Hauch, seines Mundes. Wie leicht ist es für den Herrn, die gewaltigsten Weltkörper sowie die herrlichsten Engel zu schaffen! (Denn auf beides, das Heer der Gestirne und das Heer der himmlischen Geister, bezieht sich vielfach in der Schrift das Wort Heer; man vergl. den Gottesnamen Herr der Heerscharen.) Es ist für Gott so leicht, ein Weltall zu schaffen, wie es für den Menschen ist, einen Hauch auszustoßen; nein, viel leichter, denn der Mensch atmet nicht aus eigner Kraft, sondern borgt den Odem seiner Nase von seinem Schöpfer. Wir mögen aus unserm Vers auch entnehmen, dass der Bestand aller Dinge durch die unendliche Weisheit geordnet ist; des Herrn Wort kann nämlich auch bedeuten: seine Festsetzung und Bestimmung. Die ganze Schöpfung ist durch das weise und gnadenreiche Wort des Herrn geordnet und durch den lebendigen Geist belebt worden und wird bis auf den heutigen Tag durch diese Kräfte erhalten.

7. Er sammelt die Gewässer des Meeres wie zu einem Haufen.1 Einst waren die Wasser zerteilt wie Korn, das auf die Tenne gestreut ist; jetzt sind sie wie zu einem Haufen an einen Ort gesammelt. (1. Mose 1,9 f.) Wer anders hätte sie so in ein Bett leiten können, als ihr erhabener Gebieter, auf dessen Geheiß die Wasser flohen? Der Ausdruck erinnert an die Erzählung von dem Wunder am Roten Meer (vergl. 2. Mose 15,8; Ps. 78,13), obwohl hier von der Schöpfung und Erhaltung2 der Welt im Allgemeinen die Rede ist. Jenes Wunder vom Schilfmeer wiederholt sich eben gewissermaßen Tag für Tag in der Natur; denn die See, die jetzt unter dem Einfluss des Mondes und der Sonne den Strand überflutet, würde das Festland gar bald verschlingen, wenn sie nicht durch die göttliche Bestimmung in ihren Grenzen gehalten würde. Und legt die Tiefen (die brausenden Wasserfluten) in das Verborgne, wörtlich: in Vorratskammern. Die Gründe des Meeres sind Gottes große Keller und Speicher, worin er das ungestüme Element verwahrt, so dass es uns nicht verderblich wird. (Vergl. Hiob 38,8 ff.: Jer. 5,22) Desgleichen sind, woran die Rabbiner bei unserem Vers denken, in dem Innern der Erde mächtige Wasserbehälter, aus denen unsere Quellen und Brunnen gespeist werden. Welch gnädige Fürsorge für ein so dringendes Bedürfnis! Bezieht sich der Text nicht auch vielleicht auf die Wolken3, diese reichen Vorratskammern von Regen und Schnee, aus denen die Landschaften der Erde so gütig versorgt werden? Nicht in Plunderkammern, sondern in Vorratskammern, also zum künftigen Gebrauch, sind diese Wassermassen aufgehäuft. Reiche, zarte Sorgfalt gibt sich in der Fürsorge unseres himmlischen Joseph zu erkennen, dessen Speicher schon gefüllt sind für die Zeiten, da die Erde unter Dürre seufzt. Diese Schätze könnten, wie einst bei der Sintflut, Kriegsvorräte der Rache sein, und je und je müssen sie auch heute noch zu Gottes Strafgerichten dienen; in der Regel aber stehen sie im Dienst des großen Verpflegungsamtes der Schöpfergüte.


8. Alle Welt fürchte den Herrn,
und vor ihm scheue sich alles, was auf dem Erdboden wohnt.
9. Denn so er spricht so geschieht’s;
so Er gebietet, so stehet’s da.
10. Der Herr macht zunichte der Heiden Rat,
und wendet die Gedanken der Völker.
11. Aber der Rat des Herrn bleibt ewiglich,
seines Herzens Gedanken für und für.


8. Alle Welt fürchte den Herrn. Nicht Israel allein, auch die Heiden. Der Verfasser unseres Psalms war nicht durch nationale Vorurteile geblendet. Er begehrte nicht, dass die Anbetung Jahwes auf den Samen Abrahams beschränkt bleibe, sondern wünschte, dass auch die fernen Völker dem Gott Israels huldigten. Sind sie nicht genügend erleuchtet, dass sie ihn preisen können, so mögen sie ihn doch fürchten. Es liegt schon eine, wenn auch noch sehr niedrige, Art der Gottesverehrung in dem Erschauern4, welches unwillkürlich die unbegrenzte Macht des Gottes anerkennt, der sich in Donner und Blitz und den anderen Naturgewalten so Furcht erregend bezeugt. Ein Gott hohnsprechender Lästerer ist ganz und gar nicht am Platze in einer Welt, die mit Beweisen der Allmacht und Göttlichkeit des Schöpfers übersät ist. Die ganze Erde kann nicht ein Fleckchen aufweisen, das für die Errichtung einer Synagoge des Atheismus passend wäre, noch einen Menschen, dem es anstehen würde, den Namen Gottes zu entweihen. Vor ihm scheue sich (erbebe) alles, was auf dem Erdboden wohnet. Mögen alle Bewohner des weiten Erdkreises ihre Götzen verlassen und in heiliger Scheu den einzig lebendigen Gott verehren. Was hier als Wunsch ausgedrückt ist, wird durch die Prophetie als gewiss verkündigt. Es kommt die Zeit, wo die Anbetung Gottes in der Tat das Weltall umfassen wird.

9. Denn Er sprach, da geschah’s. (Wörtl.) Die Schöpfung war die Folge eines Wortes. Jahwe sprach: Es werde Licht - und es wurde Licht. Die Taten des Herrn sind erhaben durch die Leichtigkeit und Augenblicklichkeit, mit der sie sich vollziehen. "Was ist das für ein Wort?" war damals die Frage der erstaunten Menge (Lk. 4,36 Grundtext) und mag noch heute unsere Frage sein. Er gebot, da stand es da. Aus dem Nichts erstand auf Gottes Befehl das Weltgebäude und dieselbe Kraft, die es einst aufgerichtet hat, erhält es jetzt. In der Erhaltung der Welt entfaltet sich, obwohl unsere Augen es nicht wahrnehmen, eine eben so große Macht wie einst bei ihrer Erschaffung. Wohl dem, der gelernt hat, sich in allen Stücken auf das gewisse Wort dessen zu stützen, der das Weltall gebildet hat! Denn auch für den heutigen Tag gilt es noch: So Er spricht, so geschieht’s; so Er gebietet, so stehet’s da.

10. Der Herr macht zunichte der Heiden Rat. Während sein Wille geschieht, nimmt der Ewige zugleich darauf Bedacht, dem widergöttlichen Willen der Menschen zuvorzukommen. Ehe seine Feinde zur Tat kommen, vereitelt er ihre empörerischen Absichten in seiner Ratskammer; und wenn sie mit all der Geschicklichkeit, die die Hinterlist ihnen verleiht, zum Angriff schreiten, macht er ihre Schurkenstreiche zuschanden und lässt ihre vielversprechenden Pläne in einem Nichts endigen. Nicht nur die Torheit der Heiden, sondern auch ihre Weisheit muss sich vor der Macht des Kreuzes Christi beugen. Wie ermunternd ist das für solche, die zu wirken haben, wo spitzfindige Vernünftelei und eine fälschlich so genannte Philosophie mit der Wahrheit, wie sie sich in Jesus geoffenbart hat, im Kampfe liegen. Und wendet, besser Luther 1524: hindert, d. i. vereitelt die Gedanken der Völker. Ihre Verfolgungen, Verleumdungen und Falschheiten sind wie Staubpilze, die man gegen eine granitene Mauer schleudert - sie sind nicht von der geringsten Wirkung; denn der Herr hat auch über das Böse die Oberhand und leitet es so, dass es zum Guten dienen muss. Gottes Sache ist nie in Gefahr: Die höllische List wird überboten von seiner unendlichen Weisheit und Satans Bosheit von Gottes unbegrenzter Macht.

11. (Aber) der Rat des Herrn bleibt ewiglich. Der Ewige ändert seinen Ratschluss nicht, noch wird, was er beschließt, je vereitelt; seine Absichten kommen zur Durchführung. Gott hat einen nach dem Rat seines Willens fest bestimmten Plan, und keiner der Anschläge seiner Widersacher kann seinen Vorsatz auch nur für einen Augenblick hintertreiben. Der Menschen Vorhaben wehen hin und her wie die Sommerfäden oder wie die Flocken der Wollblume; aber des Herrn Plan steht fester als die Erde (vergl. Lk. 21,33). Seines Herzens Gedanken für und für, wörtl.: auf Geschlecht und Geschlecht. Die Menschen kommen und gehen, die Söhne folgen ihren Vätern ins Grab; aber Gottes Absichten werden dadurch nicht gestört, sie gehen fort in ungeschwächter Kraft und bringen, was zuvor bestimmt ist, mit unfehlbarer Sicherheit zu Stande. Kein Mensch kann erwarten, dass sein Wille oder Plan von Geschlecht zu Geschlecht werde ausgeführt werden - wird doch die Weisheit eines Zeitalters vom nächsten als Torheit verlacht; aber des Herrn Weisheit bleibt allezeit Weisheit, und seine Gedanken wandeln ihre erhabene Bahn von einem Jahrhundert zum andern. Seine Macht, seine Absichten auszuführen, wird durch den Lauf der Zeiten in keiner Weise vermindert. Er, der einst an Pharao seine unumschränkte Macht offenbarte, ist heute noch auch nicht um das Geringste weniger der König aller Könige und der Herr aller Herren. Sein Rat hält seinen Siegeszug durch die Weltgeschichte und kein Geschöpf kann ihm auch nur einen Augenblick widerstehen.


12. Wohl dem Volk, dessen Gott der Herr ist,
dem Volk, das er zum Erbe erwählt hat!

Wohl dem Volk, dessen Gott der Herr ist. Israel war glücklich im Dienst des einen wahren Gottes. Das war der große Vorzug des auserwählten Volkes, dass es eine Offenbarung von Jahwe empfangen hatte. Während andere vor ihren Götzen krochen, wurde das Volk der Wahl emporgehoben durch eine geisterfüllte Religion, die es mit dem unsichtbaren Gott bekannt machte und sich ihm vertrauensvoll hingeben lehrte. Alle, die auf den Herrn ihre Zuversicht setzen, sind im umfassendsten und tiefsten Sinn des Wortes glückliche Leute und niemand kann ihr Glück zerbrechen. Wohl dem Volk, das er zum Erbe erwählt hat. Die Erwählung ist die Grundlage von allem. Niemand erwählt Jahwe zu seinem Gott, ehe Gott ihn zu seinem Eigentum erkoren hat. Wie adelt diese Wahl! Wir sind nicht zu einem geringen Stande, noch zu einem unedeln Zweck erwählt: Wir sind dazu bestimmt, das besondere Eigentum und die Lust Jahwes, unseres Gottes, zu sein. Da uns denn solch ein liebliches Los gefallen ist, lasst uns darüber frohlocken und der Welt in unserm Wandel zeigen, dass wir einem herrlichen Meister dienen.


13. Der Herr schaut vom Himmel
und sieht aller Menschen Kinder.
14. Von seinem festen Thron sieht er.
auf alle, die auf Erden wohnen.
15. Er lenkt ihnen allen das Herz;
er merkt auf alle ihre Werke.
16. Einem Könige hilft nicht seine große Macht;
ein Riese wird nicht errettet durch seine große Kraft.
17. Rosse helfen auch nicht,
und ihre große Stärke errettet nicht.
18. Siehe, des Herrn Auge sieht auf die, die ihn fürchten,
die auf seine Güte hoffen,
19. dass er ihre Seele errette vom Tode,
und ernähre sie in der Hungersnot.


13. Der Herr schaut vom Himmel. Jahwe wird hier dargestellt als hoch droben wohnend und hinab blickend. Er sieht alles, aber ganz besonders achtet er mit fürsorgender Liebe auf die, die auf ihn trauen (V. 18). Es ist eines unserer köstlichsten Vorrechte, dass wir allezeit unter des Vaters Augen sind, unserm besten Freund nie aus den Augen kommen. Und sieht aller Menschen Kinder. Alle Söhne Adams stehen unter so genauer Beobachtung wie einst Adam selbst, ihr einsamer Urahn dort im Garten Eden. Ob sie an den eis-erstarrten Polen oder in der sengenden Hitze des Äquators wohnen, ob auf den Bergen oder in den Tälern, ob in Hütten oder Palästen, - das allsehende Auge wacht über allen Gliedern der großen menschlichen Familie.

14. Von der (fest gegründeten) Stätte seiner Wohnung (andre Übers.5 sieht er (aufmerksam) auf alle, die auf Erden wohnen. Hier wird der Gedanke des vorigen Verses etwas stärker noch einmal ausgesprochen. Er ist es wert, wiederholt zu werden, und zugleich ist das sehr nötig, denn die Menschen sind überaus geneigt, gerade diese Wahrheit zu vergessen. Wie etwa vornehme Leute am Fenster sitzen und die sich unten drängenden Volksmengen beobachten, so blickt der Herr aufmerksam nieder auf seine ihm verantwortlichen Geschöpfe und vergisst nichts von dem, was er da sieht.

15. Er, der ihnen allen das Herz bildet. (Grundtext) Das Herz ist nicht nur der Mittelpunkt des leiblichen Lebens, sondern durch Vermittlung der Seele, die nach der Schriftanschauung im Blut ist, auch der Mittelpunkt aller geistigen Tätigkeiten des Menschen. Es ist die geheime Werkstätte der Gedanken, der Herd der Gemüts- und Willensbewegungen und der Sitz des Gewissens. In der Beschaffenheit des Herzens ist die Individualität des Menschen begründet. Gott ist’s, der jedem, sei er König oder Bettler, das Herz gebildet hat. Nicht nur das Leben, sondern auch die Mannigfaltigkeit der Individualität geht auf den einen Schöpfer zurück. Was hast du, das du nicht empfangen hast? (1. Kor. 4,7.) Darum hast du keine Ursache, dich eines Dinges zu rühmen, sowenig wie der Ton, den die Hand des Töpfers bildet. Unser Texteswort deutet aber an, dass der Herr, eben weil er allen das Herz gebildet hat, auch der allwissende Herzenskündiger ist. Eben darum merkt er auch auf alle ihre Werke, denn er sieht diese in der Werkstatt der Gedanken entstehen. Dies Betrachten der menschlichen Taten ist bei Gott kein müßiges. Er wägt und beurteilt unsre Handlungen genau. Er liest in unserm äußeren Verhalten die verborgenen Absichten und löst das dem Anschein nach Gute in seine Elemente auf. Das weist auf ein künftiges Gericht hin, bei dem die Ergebnisse der göttlichen Gedanken über das Tun der Menschen als Glück oder Wehe zur Austeilung kommen werden. Bedenke deine Taten, o Mensch, denn Gott bedenkt sie!

16. Einem Könige hilft nicht seine große Macht (zum Sieg). Alle Macht, die dem Tode nicht gewachsen ist, ist Einbildung, und die sich auf sie verlassen, sind einfältige Toren. Die gewaltigsten Heeresmassen haben sich je und je als unfähig erwiesen, ein Reich zu erhalten oder auch nur ihrem König das Leben zu retten, wenn vom Himmel das Urteil ergangen war, dass der Thron gestürzt werden sollte. Der Allsehende bewahrt die geringsten Seinen, ob sie auch ganz allein dastehen und nicht einen einzigen Freund haben; aber Zehntausende Wohlgewappneter können dem keine Sicherheit geben, welchen Gott dem Verderben überlässt. Ein Riese wird nicht errettet durch seine große Kraft. Geschweige, dass er andere zu schützen vermöchte, kann der kriegserfahrene Held nicht einmal sich selber helfen. Wenn sein Stündlein kommt, vermag ihn weder die Kraft seines Armes noch die Schnelligkeit seiner Füße zu retten. Der ohnmächtigste Gläubige ist wohl geborgen unter den Flügeln des Allmächtigen, während der mächtigste Sünder jede Stunde in Gefahr schwebt. Was reden wir doch so viel von unseren Armeen und unseren Helden? Des Herrn allein ist die Macht: lasst uns denn auch ihn allein rühmen.

17. Rosse helfen auch nicht, wörtl.: Trug ist das Ross zum Sieg, d. h.: Betrogen ist, wer vom Rosse den Sieg erhofft. Die gefürchtetste Kriegsmacht der morgenländischen Weltvölker waren ihre Streitrosse und Kriegswagen, die von den Propheten in den lebhaftesten Farben geschildert werden. (Vergl. Jes. 5,28; Jer. 6,23; 8,16; 47,3; 50,42; Nah. 3,2 f.; Hab. 1,8; Hiob 39,19 ff. usw.) Seit der Salomonischen Zeit ahmte Israel darin den Weltmächten nach und setzte nicht selten sein Vertrauen auf Rosse und Wagen statt auf Jahwe; aber der Psalmsänger nennt die Streitrosse eine Lüge, eine Täuschung. (Vergl. zu Ps. 20,8, S. 349.) Aber der wackere Ritter dort auf dem stattlichen Schlachtross ist doch gewiss sicher, sei es, dass er siegt, sei es, dass er flieht? Nein, - sein Ross, auf das er sich verlässt, trägt ihn in die Gefahr oder zieht ihn mit in seinen Fall. Und seine große Stärke errettet nicht (dass der Reiter entrinnen könnte). So erweisen sich die mächtigsten Helfer als weniger denn nichts, wenn sie am nötigsten sind. Auf Gott allein können wir uns verlassen, ihn allein sollen wir anbeten. Ein Sanherib kann sich mit seiner ganzen berühmten Reiterei nicht mit einem Engel des Herrn messen; Pharaos Rosse und Wagen erfuhren, dass es vergeblich ist, des Herrn Auserwählten nachjagen zu wollen. Und so wird einst die ganze verbündete Macht der Erde und der Hölle, wenn sie sich zum letzten Kampfe wider den Herrn und die Seinen aufmacht, alle ihre Pläne vereitelt und alle ihre Gewalt vernichtet sehen.

18. Siehe - denn dies ist etwas Staunenswerteres als Heere und Rosse und ein besserer Schutz und Trutz als Wagen oder Schilde --: des Herrn Auge sieht auf die, die ihn fürchten. Das ist ihre Herrlichkeit und ihr Schirm, dass dies Auge sondergleichen über ihnen offen ist. Niemand kann sie unvorhergesehen überfallen; denn der himmlische Wächter sieht die Anschläge ihrer Feinde voraus (vergl. V. 15) und trifft die nötigen Vorkehrungen. Die Gott fürchten, brauchen nichts anderes zu fürchten. Mögen sie ihren Glaubensblick auf ihn richten, so wird sein Liebesblick allezeit auf ihnen ruhen. Die auf seine Güte (Gnade) hoffen. Es könnte uns dünken, als wäre das Hoffen ein geringer Erweis des Gnadenstandes, und doch ist es ein kräftiger. Das stille Hoffen und Harren findet bei Gott seinen Lohn so gut wie der tatenmutige Glaube. Sag’, liebe Seele, ist das nicht ein Wort der Ermutigung für dich? Hoffst du nicht auch auf die Gnade Gottes, die in Christus Jesus erschienen ist? Dann ruht des himmlischen Vaters Auge so gut auf dir wie auf deinem älteren, stärkeren Bruder. Diese milden Worte sind wie mürbes Brot für solche bestimmt, die noch Kinder sind in der Gnade und darum leichter Speise bedürfen.

19. Dass er ihre Seele errette vom Tode. Des Herrn Hand geht mit seinem Auge. Er schützt mit seiner Macht die, auf die er nach seiner Gnade Acht hat. Erweisungen der vom Tode errettenden und zur Genesung zurückführenden Kraft Gottes zäunen das Leben der Gotteskinder ein; der Tod kann sie nicht antasten, bis ihm der Herr den Vollmachtsbrief unterschrieben hat. Und selbst dann kann er uns nicht eigentlich einen tödlichen Streich versetzen, vielmehr nur uns den Ritterschlag der Unsterblichkeit geben. Er tötet nicht sowohl uns als unsere Sterblichkeit seit jener Stunde, da, wie Luther sagt, "ein Tod den andern fraß." Und ernähre sie in der Hungersnot. Selbst der grausige Hunger hat seinen Meister. Für seine Eliasse hat Gott stets irgendwo Mehl und Öl. In der Hungersnot werden sie genug haben (Ps. 37,19), dies Wort der Verheißung genügt dem Glauben und die Erfahrungen eines Abraham, Isaak und Jakob, eines David, eines Elia und Elisa und vieler Gotteskinder bekräftigen es. Alle Menschenmacht erweist sich einer Hungersnot gegenüber als ohnmächtig; Gott aber wird gerade in Nöten als mächtige Hilfe erfunden (Ps. 46,2 Grundtext) und erweist seinen Kindern gerade, wenn sie in den bedrängtesten Umständen sind, seine Freigebigkeit. Mein Bruder, harre auf Gott in deinen zeitlichen Angelegenheiten! Sein Auge ist offen über dir und seine Hand wird nicht lange mit der Hilfe säumen.


20. Unsre Seele harrt auf den Herrn,
Er ist unsre Hilfe und Schild.
21. Denn unser Herz freut sich über ihn,
und wir trauen auf seinen heiligen Namen.


20. Unsre Seele harret auf den Herrn. Ein Herrliches Bekenntnis, das die Gemeinde hier ablegt, ehe sie ihr Loblied schließt. Das Harren lernt sich schwer. Still warten, geduldig hoffen, unbeirrt auf Gott trauen, das ist eine der leuchtendsten Christentugenden. Unsre Seele, unser innerstes Leben, muss an Gott hangen. Wir sollen ihm nicht nur etliche glitzernde Kleinigkeiten anvertrauen, sondern alles, was wir sind und haben. Er ist unsre Hilfe und Schild; unser Beistand beim Wirken, unser Schutz in Gefahren. Es gibt nichts, was Gottes Volk bedarf, das es nicht in seinem Gott fände. Hast du ihn, so hast du alles. Dass er Gott zum persönlichen Besitz hat (unsre Hilfe, unser Schild), unterscheidet den wahren Christen vom Namenchristen. Auf dem Er liegt der volle Nachdruck. Das geistliche Israel traut auf Ihn allein.

21. Denn unser Herz freut sich sein. Was der erste Vers empfohlen und befohlen hat, dem kommt die Gemeinde nach. Wer auf den Herrn traut, kann nicht anders als fröhlichen Herzens sein: Unser Innerstes muss über unseren treuen Gott frohlocken. Denn wir trauen auf seinen heiligen Namen. Aus der Wurzel des Glaubens sprosst zur rechten Zeit die Blume der Freude. Der Zweifel brütet Kummer aus, das Gottvertrauen erzeugt edle Fröhlichkeit.


22. Deine Güte Herr sei über uns,
wie wir auf dich hoffen.

Eine große, umfassende Bitte beschließt den Psalm. Sie erfleht Gottes Gnade; diese bedürfen auch solche, die in fröhlichem Glaubensleben (V. 21) stehen. Und sie wird erbeten nach einem Maße, das der Herr selbst geeicht hat. Dir geschehe nach deinem Glauben, ist unseres Meisters eignes Wort, und er wird an diesem seinem Scheffel nicht ein Körnlein fehlen lassen. Ja, Herr, tu mehr denn dies, wenn unser Hoffen zuzeiten matt wird, und segne uns weit über unser Bitten und Verstehen!


Erläuterungen und Kernworte

Zum ganzen Psalm. Diesen Lobpsalm wird die Gemeinde des Herrn in den letzten Zeiten noch besonders anstimmen, wenn die Allmacht Gottes alle Anschläge des Antichrists und alle widergöttliche Kraft zunichte macht und sich die Treue der göttlichen Verheißungen an denen herrlich erweist, die auf Gott geharrt haben. Samuel Horsley † 1806.


V. 1. Freuet euch, ihr Gerechten: nicht über euch selber, denn das wäre ein gefährlich Ding, sondern über den Herrn. Aurelius Augustinus † 430.
  Den Rechtschaffenen ziemt Lobgesang. (Grundtext) Ein alltäglicher Mensch, der Gottes Lob singt, ist wie ein Düngerhaufe, auf dem Blumen blühen. Wie einem Krüppel das Tanzen, also stehet den Narren an, von Weisheit zu reden (Spr. 26,7), oder den Gottlosen, Gottes Heiligkeit und Liebe zu rühmen. Wie ungeziemend ist es, Gott zu preisen, für jemand, dessen ganzes Leben ein Verunehren Gottes ist! Es ist so unerträglich, einen Gottlosen, der in seinen Sünden dahinlebt, Gott loben zu hören, als wenn ein Wucherer davon schwätzt, dass er im Glauben lebe, oder wenn der Teufel die Heilige Schrift in den Mund nimmt. Thomas Watson 1660.
  Gott gefällt der, dem Gott gefällt. Aurelius Augustinus † 430.


V. 2. Hier werden zum ersten Mal im Psalmbuch Musikinstrumente erwähnt. Es ist beachtenswert, dass die alten Kirchenväter fast einstimmig dagegen Einspruch erheben, dass solche in der Kirche gebraucht werden; wie sie denn in der orientalischen Kirche bis auf den heutigen Tag verboten sind, wo dennoch, nach dem übereinstimmenden Urteil der Fachmänner, der Gesang, der freilich nur Chorgesang ist, alles übertrifft, was wir in unseren abendländischen Kirchen hören können. John Mason Neale 1860.
  Unsere Kirche gebraucht, um Gott zu preisen, keine Tonwerkzeuge, wie Harfe oder Psalter, damit sie nicht den Juden nachzuahmen scheine. Thomas von Aquin † 1274.
- Sie waren, gerade wie die Opfer, nur den Juden erlaubt, und zwar wegen der Schwerfälligkeit und Stumpfheit ihrer Seelen. Gott ließ sich zu ihrer Schwachheit herab, weil sie soeben erst aus dem Götzendienst herausgeführt worden waren. Jetzt aber können wir, statt mit Harfen, mit unserm Leibe Gott preisen. Johannes Chrysostomus † 407. - Die Sitte, den Gesang mit Musikinstrumenten zu begleiten, wie sie unter den Juden, weil sie im Kindesalter waren, bestand, ist in die christlichen Gemeinden nicht übergegangen, sondern nur der einfache Gesang. Justin der Märtyrer † 165/7.
  Auf dem Psalter von zehn Saiten. Gott hat uns ein vielsaitiges Instrument gegeben, ihn damit zu preisen. Dürfen wir denn meinen, die Musik sei schon gut genug, wenn wir nur eine Saite rühren, d. i. nur mit der Zunge ihn preisen? Niemals. Sondern wenn der stille Ton des sinnenden Herzens, der helle Ton der bekennenden Zunge und der laute Ton der werktätigen Hand zusammenklingen, das ist ein Konzert, das Gott gefällt, und die einzige Musik, die auf ihn Eindruck macht. Sir Richard Baker † 1645.


V. 3. Singet ihm ein neues Lied. Tut alles Alte hinweg. Ihr kennt ja ein neues Lied. Ein neuer Mensch, ein neuer Bund, ein neues Lied. Dies neue Lied gehört nicht Menschen, die noch im alten Wesen sind. Keiner kann es lernen, er sei denn ein neuer Mensch, erneuert durch die Gnade. Aurelius Augustinus † 430.
  Es ist ein trauriges Zeichen des Verfalls der Kirche, wenn sie der Aufforderung: Singt ihm ein neues Lied, nicht mehr nachkommen kann; desto sorgfältiger muss sie dann aber in Bewahrung ihrer alten Lieder sein. Prof. E. W. Hengstenberg 1843.


V. 5. Die Erde ist voll der Güte des Herrn. Wenn man all das Klagen der nichtsnutzigen Bewohner der Erde hört, möchte man meinen, Gott teile Böses, nicht Gutes aus. Wenn wir aber das Werk seiner Hände prüfen, sehen wir überall das Merkzeichen der Gnade, und es gibt keinen Ort auf Erden, wo sich seine Güte nicht bezeugte. Die überfließende Gnade Gottes erfüllt die Erde. Selbst die Undankbarkeit und Gottlosigkeit der Menschen bildet selten eine Schranke für seine Gütigkeit. Er lässt seine Sonne aufgehen über die Bösen und über die Guten und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Adam Clarke † 1832.
  Gott hätte ja auch, wenn er gewollt hätte, die Welt so machen können, dass alles, was wir kosteten, bitter wäre, alles, was wir sähen, uns Abscheu erregte, alles, was wir berührten, uns verletzte, jeder Geruch ein Gestank, jeder Ton ein Missklang wäre. William Paley † 1805.


V. 6. Durch den Hauch seines Mundes. (Wörtl.) Dass man das xwr nicht durch Geist, sondern durch Hauch erklären müsse, erhellt aus dem Zusatz: seines Mundes, vergl. Jes. 11,4; und aus dem Parallelismus mit dem Worte. Dem bloßen Worte entspricht der bloße Hauch: Beides zusammen bildet den Gegensatz gegen die Kraftanstrengung, die Arbeit, den Gebrauch der Hilfsmittel und Werkzeuge, ohne die der ohnmächtige Mensch auch nicht das Geringste zustande bringen kann. Dann aus Parallelstellen wie Hiob 27,3; 33,4; Ps. 104,29 f. Auf der andern Seite aber kann eine Auslegung, die das "durch den Hauch seines Mundes" außer Beziehung zu dem Geist Gottes setzt, nicht richtig sein. In der Geschichte der Schöpfung, auf die der Verfasser hier wie in V. 7.9 überall wörtlich anspielt, wird die Schöpfung als Werk des Geistes Gottes und seines Wortes bezeichnet. Erst schwebt der Geist Gottes über den Wassern, dann spricht Gott. Man wird also annehmen müssen, dass Gottes Geist und Kraft hier unter dem Bilde des Odems erscheine, weil dieser bei dem Menschen die erste Bedingung des Lebens ist. Prof. E. W. Hengstenberg 1843.
  Durchs Wort des Herrn. Kann von dem persönlichen Wort, dem Logos, verstanden werden, wie Johannes uns lehrt (Joh. 1,1). Johannes Coccejus † 1669. (Dies ist eine Illustration zu der alten Rede, dass Coccejus Christum überall, Grotius († 1645) ihn nirgends finde. C. H. Spurgeon.)


V. 6-9. Bei Gott ist Sprechen und Tun, Verheißen und Erfüllen gleichbedeutend. Es ist für ihn eben so leicht, er ist eben so willig und vermögend, das eine zu tun wie das andere. Zwischen Gottes Sprechen und Tun ist kein solcher Abstand wie zwischen Menschen-Wort und -Tat. Sein Reden ist Tun. In seinem Wort ist die Allmacht, sei es, dass er befiehlt, sei es, dass er verheißt; daher wird es auch das Wort seiner Macht genannt (Hebr. 1,3). Ein Wort seines Mundes vermag in einem Augenblick mehr auszurichten, als die vereinten Mächte des Himmels und der Erde in einer ganzen Ewigkeit. Diese Erwägung räumt alsbald die hauptsächlichsten Schwierigkeiten hinweg, die unseren Glauben entmutigen und in seiner kräftigen Betätigung hindern könnten; denn was schwächt unsere Zuversicht mehr, als wenn wir eben die Erfüllung der Verheißungen für etwas Ungewisses oder Schwieriges oder noch in weiter Ferne Stehendes halten? Aus der oben angedeuteten Wahrheit darf aber der Glaube den Schluss ziehen, die Erfüllung der göttlichen Verheißungen sei eine gewisse, leichte und nahe Sache. David Clarkson † 1686.


V. 7. Er sammelt gleich einem Haufen die Wasser des Meers. (Grundtext) "Die Sammlung der Wasser nannte Gott Meer". (1. Mose 1,10) Auch dies unruhige Element musste unter Gesetze gestellt und in Grenzen gefasst werden, wenn eine für den Menschen und die ihn umgebenden Geschöpfe bewohnbare Erde geschaffen werden sollte. Davon, wie jenes geschehen ist, singt der Psalmist hier; es war allen Knechten Gottes ein Gegenstand des Staunens. Sie blickten von der Küste aufs weite Meer mit eben solchen Augen, wie wir sie haben, und unter dem Einfluss eines wohlbekannten Gesetzes schien es ihnen, wie uns, als berührten die schwellenden Wogen am Horizont den Himmel selbst, und die "hohe" See schien auch ihnen so viel höher als der Strand, als ob die Wogen jeden Augenblick ihr Gebiet verlassen und das Land überfluten wollten. Wir stehen trotz aller Wissenschaft ganz unter demselben Eindruck. Die Propheten sahen gerade wie wir und mit denselben Empfindungen. Wie wunderbar, dachten sie, ist dies doch: Ein niederer Wall von Sand ist in des Ewigen Hand das Mittel, die brausenden Fluten des Ozeans in Schranken zu halten! Der Herr hat dem Meer den Sand zum Ufer gesetzt, darin es allezeit bleiben muss, darüber es nicht gehen darf; und ob’s schon brodelt, so vermag doch nichts, und ob seine Wasser schon toben, so dürfen sie doch nicht darüber fahren! (Jer. 5,22.) John Duns 1868.


V. 8. Alle Welt fürchte den Herrn usw. Denn wer kann zweifeln, dass Gott Macht hat, zu tun, was er will auf Erden, da er das unbezwingbare Meer also gebändigt hat? Hugo de Groot † 1645.
  Möge alle Welt keinen andern und nichts anderes fürchten als Jahwe. Wütet ein wildes Tier gegen dich? Fürchte Gott. Liegt eine Schlange auf der Lauer? Fürchte Gott. Hassen Menschen dich? Fürchte Gott. Greift der Teufel dich an? Fürchte Gott. Denn alle Kreatur (vergl. Röm. 8,39) steht unter dessen Gewalt, den allein zu fürchten dir befohlen ist. (Vergl. auch Mt. 10,28) Aurelius Augustinus † 430.


V. 9. Er sprach, da geschah’s. Wie wir im Lateinischen sagen: dictum factum, gesagt getan; es ist keinerlei Zwischenraum zwischen Gottes Wort und Tat. Hugo de Groot † 1645.
  Die Geschöpfe sind nicht ein Ausfluss des göttlichen Wesens, wie der Emanatismus es sich vorstellt, sondern Wirkungen des göttlichen Willens, die Frucht der höchsten Intelligenz, des göttlichen Vorsatzes und Ratschlusses. William Binnie 1870.


V. 10-11. Beachte den Gegensatz zwischen dem Rat der Heiden und dem Rat des Herrn, und zwischen den Gedanken der Völker und Seines Herzens Gedanken. C. H. Spurgeon 1870.
  Für die Wahrheit, dass Gott wirklich die Welt regiert und alle menschlichen Ratschläge an seinem festen Ratschlusse scheitern müssen, hatte der fromme Israelit ein offenes Auge. Und wie oft waren die Anschläge der Heidenvölker gegen Gottes Heils- und Reichsplan mit Israel durch göttliche Machthilfe vereitelt worden! Übrigens gilt es, dass alle Anschläge der Menschen, sofern Gott sie nicht bestätigt, eitel sind. Und auch die Weltstaaten mit christlichem Namen, die ebenfalls ihre twb#xm (Gedankengespinste, Pläne) als Größegedanken, Volksbeglückungs- und Aufklärungs-Gedanken haben und diese durch die weltkluge Kunst ihrer lügenhaften Politik in ein festes System (hc(, Rat) zusammenschließen, werden über kurz oder lang durch ihren Sturz beweisen, dass es allein von dem göttlichen Regierungssystem gilt, was V. 11 gesagt ist, nämlich, dass es ewiglich bleibe. Vergl. Jes. 40,6-8; 46,10; 14,24.26 f. G. T. 1880.


V. 12. Glückselig das Volk, das der Herr erwählt hat. Jemandes Name mag in der Reichschronik verzeichnet stehen und dennoch der ewigen Vergessenheit anheim fallen; er mag in nie verwitternden Marmor gegraben sein und dennoch verderben; er mag ein Denkmal haben, das mit dem Koloss von Rhodos wetteifert, und dennoch schimpflich sein; er mag an den Toren der Wohltätigkeitsanstalten prangen und dennoch zur Hölle fahren; er mag an seinem eigenen Hause angeschrieben stehen und doch ein anderer dieses in Besitz nehmen. Alles dies heißt, seinen Namen in den Staub oder ins Wasser geschrieben haben, wo die Schriftzüge sich so schnell verwischen, wie sie geschrieben werden, und es beweist so wenig, dass jemand ein glücklicher Mensch sei, als ein Narr die Seligkeit des Pilatus daraus erweisen könnte, dass sein Name im Apostolikum steht. Wahre Glückseligkeit hat nur, wer durch das Zeugnis des Heiligen Geistes gewiss geworden ist, dass sein Name auf den ewigen Blättern des Himmels, in jenem Buch der göttlichen Wahl geschrieben steht, das nie vergehen und in alle Ewigkeit lesbar bleiben wird. Thomas Adams 1614.
  Damit nicht jemand denke, die Menschen erlangten so ein großes Gut durch ihre Bemühungen und ihren Fleiß, lehrt uns der Psalmdichter ausdrücklich, es fließe aus dem Quell der erwählenden Liebe Gottes, dass wir als Gottes Volk angesehen werden. Jean Calvin † 1564.


V. 15. Er merkt auf alle ihre Werke. Zwei Menschen geben den Armen; der eine sucht seinen Lohn im Himmel, der andre den Ruhm vor den Menschen. Du siehst bei den beiden ein Ding, Gott sieht zweierlei. Denn er merkt, was drinnen in ihren Herzen ist: er sieht ihre Absichten, die ihren Handlungen zugrunde liegenden Gedanken. Aurelius Augustinus † 430.


V. 16. Einem Könige hilft nicht seine große Macht. In der Schlacht bei Gaugamela (331 v. Chr.) wurde das ungeheure Heer der Perser von der zwanzigmal geringeren Schar Alexanders des Großen vollständig geschlagen und der einst so mächtige Darius fiel bald darauf durch Mörderhand. Napoleon führte im Juni des Jahres 1812 eine halbe Million Krieger nach Russland. Aber Frost und Hunger räumten unter dem gewaltigen Heer so furchtbar auf, dass wenige Monate später nur elende Trümmer davon übrig waren, und der von aller Welt gefeierte und gefürchtete Eroberer endete in der Gefangenschaft auf St. Helena. Auf unzähligen blutgetränkten Blättern der Weltgeschichte finden wir die Wahrheit unseres Verses bestätigt. Die mächtigsten Heere vergehen wie die Schneeflocken, wenn Gott wider sie ist. C. H. Spurgeon 1870.
  Ein Riese, wie Goliath zum Beispiel. Wie oft gerade die geschicktesten Schwimmer untergehen, so fallen die Mächtigsten nicht selten zuerst. John Trapp † 1669.


V. 16-17. weisen hin auf die Unzulänglichkeit und Ohnmacht aller menschlichen Macht, wie groß diese immer sei, wie der 10. Vers auf die Nichtigkeit alles menschlichen Scharfsinns. J. J. Stewart Perowne 1864.
  Ein Wanderer wird von einem Unwetter überrascht; er geht vom Wege ab, um unter einem mächtigen Eichbaum Schutz zu suchen, und, mit dem Rücken an den Stamm gelehnt, findet er in der Tat unter seinen Zweigen ein gutes Obdach - bis auf einmal ein mächtiger Windstoß einen starken Ast des Baumes abbricht, der den sich sicher wähnenden Wanderer zum Krüppel macht, wenn nicht gar tötet. So geht’s nicht wenigen, die, um mancherlei Mühsalen zu entgehen, von dem ihnen von Gott gewiesenen Wege abtreten, um die Gunst und den Schutz irgendeines Großen dieser Erde zu gewinnen. Mag sein, dass sie in der Tat eine Zeitlang Hilfe und Schutz finden; aber unversehens stürzt der Große, auf den sie trauten, selber in den Staub und begräbt sie mit in seinem Fall, - sie, die noch lange auf ihren Füßen hätten stehen können, wenn sie sich nicht auf den Arm des Fleisches gestützt hätten, von dem sie sich nun betrogen finden. Thomas Gataker † 1654.


V. 17. Kommt die Stärke des Rosses von Gott, dann brauche sie dankbar, aber setze nicht dein Vertrauen auf sie: sonst machst du aus ihr einen Abgott. Wie oft warnt Gott uns davor, auf die Kreatur zu trauen, da er wohl weiß, wie geneigt wir sind, uns auf irgendetwas zu verlassen, was stark ist, und wäre es ein Vieh. Trug ist das Ross zum Siege (wörtl.). Es ist, als sagte Gott: Ihr meint, Rosse könnten euch helfen; aber Ich sage euch: Es ist eitel Trug mit ihnen. Und als der Herr durch den Propheten Hosea seinem Volk eine mächtige Errettung verhieß, fügte er, damit Juda diese ja nicht von irgendwelcher irdischen Macht erwarte, ausdrücklich hinzu: Ich will ihnen helfen durch Jahwe, ihren Gott; ich will ihnen aber nicht helfen durch Bogen, Schwert, Streit, Rosse oder Reiter. (Hos. 1,7.) Joseph Caryl † 1673.
  Wir werden nie lernen, die Bürde der Sorgen von unseren Schultern abzuladen, bis wir gelernt haben, sie auf den Herrn zu werfen, dessen Auge über uns wacht (V. 18). Nie wird darauf verzichten, Fleisch für seinen Arm zu halten, wer sich nicht auf Gott lehnt. Das Menschenherz kennt zu gut seine Unfähigkeit, sich ohne Stütze aufrecht zu halten, und muss sich darum irgendeinen Halt suchen, auf den es sich lehnen kann, sei es nun eine verlässliche oder eine trügerische, eine gesunde oder eine morsche Stütze. Die sich nicht zum Heiligen in Israel halten und nach dem Herrn nichts fragen, die ziehen hinab nach Ägypten um Hilfe und verlassen sich auf Rosse und hoffen auf Wagen, dass derselbigen viel sind, und auf Reiter, darum, dass sie sehr stark sind. Aber Gottes Wort spricht das Wehe über solche: Jes. 31,1. Vergl. auch Jes. 30,15-17. John Ball † 1640.


V. 18. Siehe, des Herrn Auge steht auf die, so ihn fürchten, die auf seine Güte hoffen. Manchen erscheint diese Zusammenstellung seltsam. Es scheint ihnen, die beiden Eigenschaften seien miteinander nicht zu vereinen: Entweder werde die Furcht der Hoffnung Abbruch tun oder die Hoffnung der Furcht. Aber die beiden unterstützen und stärken einander vielmehr gegenseitig; beide Tugenden sind nicht nur nie so schön, sondern auch nie so einflussreich, außer wenn sie miteinander Hand in Hand gehen. Die rechte Gottesfurcht fördert die Hoffnung einerseits dadurch, dass sie uns die Heiligkeit und damit auch die Treue Gottes vor Augen führt, und anderseits dadurch, dass sie uns von einem nachlässigen und leichtfertigen Wandel abhält, der stets unseren Frieden und unsere Hoffnungsfreudigkeit schädigen muss. Und ebenso dient die Hoffnung zur Vertiefung der Furcht. Denn nie erscheint Gott so erhaben, so unserer vollen Ergebenheit würdig, als wenn wir auf seine Gnade hoffen; und gerade je mehr wir des gewiss werden, dass sein Blick gnädig auf uns gerichtet ist, desto ernstlicher werden wir fragen: Herr, was willst du, dass ich tun soll? Und wiederum, je mehr wir bei dem Gedanken, den Herrn zu beleidigen und zu betrüben, erzittern, desto inbrünstiger werden wir Gottes Gnade erflehen und den Herrn als unseren Heiland in Anspruch nehmen. Diese Hoffnung wird in der Schrift eine lebendige Hoffnung genannt, und die Christen wissen aus Erfahrung, dass sie auf ihr ganzes Wesen denselben Einfluss ausübt, wie der Frühling auf unsere Gärten und Felder. William Jay † 1853.


V. 18-19. Während der Belagerung von La Rochelle (1628), die die Hugenotten mit fast beispielloser Tapferkeit beinahe fünfzehn Monate aushielten, kamen die Einwohner durch die Hungersnot in das größte Elend und waren genötigt, sich mit den widrigsten Speisen das Leben zu fristen. Ein viertel Scheffel Korn soll an die fünfhundert Mark unseres Geldes gegolten haben. Viele der vermögenden Einwohner leuchteten durch ihre edle Freigebigkeit. Manche übten die Wohltätigkeit so im Verborgenen, dass ihre Namen nie entdeckt wurden. Unter anderem wird folgende Geschichte erzählt: Ein Herr de la Goute, ein königlicher Advokat, hatte eine Schwester, die Witwe eines Kaufmanns namens Prosni, eine sehr fromme und wohltätige Frau, die zu der Zeit, als die Hungersnot drückender wurde, die Armen von ihrem damaligen Überfluss aufs Freigebigste unterstützte. Ihre Schwägerin, Frau de la Goute, war anders gesinnt und tadelte daher ihr Verhalten, indem sie sie erzürnt fragte, was sie denn machen wolle, wenn sie alles, was sie besäße, ausgegeben hätte. Ihre Antwort war: "Schwester, der Herr wird mich versorgen." Die Belagerung dauerte an, der Hunger wütete immer fürchterlicher in der Stadt, und die Witwe Prosni kam bald mit ihren vier Kindern in große Bedrängnis, da ihr alle Nahrungsmittel ausgingen. Da wandte sie sich an ihres Bruders Frau um Hilfe: diese aber schalt sie, statt sie zu trösten, wegen ihres unvorsichtigen Verhaltens und fügte höhnisch hinzu, da sie so vortrefflich gehandelt habe, dass sie bei all ihrem Glauben und ihren feinen Worten, der Herr werde für sie sorgen, so heruntergekommen sei, so solle der Herr jetzt nur zu guter Zeit für sie sorgen. Die Bedauernswerte ging, von diesen Worten bis ins Herz verwundet, heim; sie war tief betrübt, doch war sie fest entschlossen, dem Tode ruhig ins Antlitz zu schauen. Als sie aber ihre Wohnung erreichte, traten ihre Kinder ihr mit freudestrahlenden Gesichtern entgegen und berichteten ihr, ein ihnen ganz unbekannter Mann habe an die bei der späten Stunde schon verschlossene Tür geklopft und, nachdem sie geöffnet hätten, einen Sack, etwa zwei Scheffel, Weizen hineingeworfen; darauf sei er, ohne ein Wort zu sagen, schnell verschwunden. Madame Prosni traute kaum ihren Augen: mit einem von Dank gegen ihren gütigen Wohltäter überfließenden Herzen lief sie, so schnell ihre durch den Hunger geschwächte Kraft es zuließ, zu ihrer Schwägerin und rief ihr zu: "Schwester, der Herr hat für mich gesorgt"; und ohne noch ein Wort hinzuzufügen, ging sie wieder heim. Durch diese so unerwartete, gerade zur rechten Stunde ihr widerfahrene Hilfe wurde sie in den Stand gesetzt, sich und ihre Kinderschar bis zum Ende der Belagerung durchzubringen, und sie hat es nie erfahren, wer in Gottes Hand das Mittel gewesen war, ihr so wunderbar aus der zweifachen Not des Leibes und des Gemütes zu helfen. The Biblical Treasury.


V. 20. Unsre Seele harrt auf den Herrn. Auf dem Wort Seele liegt ein Nachdruck, den wir beachten wollen. Denn obwohl das Wort Seele im Hebräischen sehr viel gebraucht wird, drückt es hier den Ernst und die Herzinnigkeit der Hingabe an Gott aus. Die Gemeinde spricht gleichsam: Wir trauen aufrichtig, von ganzem Herzen, auf Gott, indem wir ihn allein für unseren Helfer und Beschützer halten. Jean Calvin † 1564.
  Er ist unsre Hilfe. Als Antigonus, der König von Syrien, bei der Insel Andreos seinen Gegnern eine Schlacht liefern wollte, sandte er Kundschafter aus, die Bewegungen der Feinde zu überwachen und ihre Stärke zu erspähen. Der Bericht lautete, sie hätten mehr und besser bemannte Schiffe als er. "Was?", sagte Antigonus, "das kann nicht sein; quam multis meipsum opponis - wie viel rechnet ihr denn mich?"- womit er andeutete, dass ein Feldherr, zumal ein tapferer und erfahrener wie er, viele aufwiege. Und wo ist siegreiche Macht, wo Weisheit und Erfahrung, wenn nicht bei Gott? Er ist der rechte Kriegsmann (2. Mose 15,3), er ist der Herr der Heerscharen. Bei ihm allein ist Macht und Kraft, Israel zu erlösen aus allen seinen Nöten. Er kann, er will es tun: Er ist weise von Rat und mächtig von Tat. Außer ihm ist kein Heiland: er ist der Schild der Gerechten, die Kraft der Schwachen, die Zuflucht der Unterdrückten. Er ist instar omnium, alles in allem; wer ist ihm gleich in aller Welt? John Spencer † 1654.


Homiletische Winke

V. 1. Freude die Seele des Lobpreises. Der Herr der ewig sprudelnde Quell der Freude. Wer sind die Leute, die sich so freuen und lobpreisen können und sollen?
V. 1b. Den Rechtschaffenen ziemt Lobgesang (Grundtext): Er ist ihre Pflicht und ihre Ehre (Zierde).
  Der Lobpreis ein wohlanständiges Ding. Was für Lobpreis? Harmonischer, d. i. solcher Lobpreis, bei dem Mund und Herz übereinstimmen. Warum? Er steht uns wohl an, wie die Flügel den Engeln, denn wir schwingen uns mit ihm empor; wie die goldenen Äpfel dem Baum, denn er ist unsre Frucht; wie das priesterliche Gewand dem Priester, denn er ist unsre Pflicht; wie einer Braut der Schmuck, denn er ist unser Schmuck; wie einem König die Krone, denn er ist unsre höchste Ehre. Wann? Allezeit, aber sonderlich inmitten von Verleumdung, Verfolgung, Krankheit, Armut und Todesschmerz. Wem? Nicht den Gottlosen, Heuchlern und Gleichgültigen. - Ein Leben ohne Loben entbehrt seiner schönsten Zier.
V. 2. Der Gebrauch der Orgel und anderer Musikinstrumente im Gottesdienst. Ist er erlaubt? Ist er förderlich? Wenn ja, so zeige man den rechten Gebrauch, seine Schranken und Gesetze. Eine Predigt zur Hebung des Gemeindegesangs.
V. 3. Das neue Lied des neuen Bundes und wer allein es singen kann.
  Die Pflicht, unsere Anbetung allezeit frisch zu erhalten.
  Frische, Wohlklang und Innigkeit, drei Erfordernisse des Gemeindegesangs.
V. 4. Gottes Wort ist wahrhaftig, d. i. dem Gedanken und Willen Gottes ganz entsprechend; Gottes Tun ist getreu, mit seinem Wort übereinstimmend. Wie stellen wir uns zu beiden?
V. 4a. Alle Gottesworte, mögen sie Lehre, Gesetz, Geschichte oder Weissagung enthalten, sind durchaus wahrhaftig.
V. 4b. Gottes Tun in der Schöpfung, der Vorsehung und der Erlösung ist immer getreu, d. i. seines Wollens Wohlmeinen und seines Wortes Wahrheit bewährend.
V. 4-5. Vierfältiger Anlass zum Preise Gottes, aus seiner Wahrhaftigkeit (4 a), Treue (4 b), Gerechtigkeit (5 a) und Güte (5 b) hergenommen.
V. 5. Die Gerechtigkeit und die Güte Gottes: Beide leuchten gleichermaßen aus seinem Walten hervor.
V. 5b. Für jemand, der ein offenes Auge und eine beredte Zunge hat, ein Thema, das seinesgleichen sucht.
V. 6. Die Macht des Wortes und des Geistes bei der alten (irdischen) und der neuen (geistlichen) Schöpfung.
V. 7. Gottes Gewalt über die zerstörenden und die segensvollen Mächte.
  Die Vorratskammern des großen himmlischen Gutsherrn.
V. 8. Die allgemeine Verehrung Gottes. Ihre gegenwärtigen Hindernisse, ihre Aussichten für die Zukunft, und was für Pflichten uns diesem Ziel gegenüber obliegen.
  Ehrfurcht vor Gott, ein unumgängliches Erfordernis der wahren Anbetung.
V. 9. Wie unwiderstehlich das Wort Gottes wirkt a) in der Schöpfung, b) in der Berufung der Auserwählten, c) in ihrer Tröstung und Errettung, und d) in der Vollendung des Heils bei der neuen Schöpfung (2. Petr. 3,13).
V. 10. Wie Gott die Gedanken der Völker wendet: a) indem er sie vereitelt, b) indem er sie dem Evangelium gehorsam macht (2. Kor. 10,5).
V. 10-11. Gottes Rat und Menschenrat, oder: Irdische und himmlische Staatskunst.
V. 11. Die Ewigkeit, Unveränderlichkeit, Wirksamkeit und Weisheit der göttlichen Ratschlüsse. Gottes Absichten sind "die Gedanken seines Herzens", daher voller Weisheit, vor allem aber voller Liebe.
V. 12. Das Glück des Volkes Gottes.
  Gottes Wohlgefallen an den Seinen und ihr Wohlgefallen an Ihm.
V. 13. Gottes Allwissenheit und was sie uns lehrt.
V. 13-15. Die göttliche Vorsehung.
V. 15. Wie und woher kennt Gott aller Menschen Herz und wie merkt er auf ihre Taten?
  Die Verschiedenheit und die Gleichartigkeit der göttlichen Anlage im Menschen.
V. 16-18. Das Trügerische alles Vertrauens auf die Kreatur und die Sicherheit des Vertrauens auf Gott.
V. 18. Wahres und falsches Hoffen auf Gottes Güte.
  Gott sieht auf die usw. 1) mit dem Blick des Kennens, 2) mit dem Blick der Liebe, und 3) mit dem Blick seiner Vorsehung.
V. 19. Ernährung in der Hungersnot, leiblicher und geistlicher.
V. 20. Das Harren auf den Herrn. Es schließt ein: 1) eine gewisse Überzeugung, dass Gott das höchste Gut ist; 2) ein Verlangen nach seinen Heilsgütern; 3) Hoffnung: 4) Geduld. William Jay † 1853.
  Das Christenleben ein stündliches Harren auf Gott.
V. 21. Der Glaube - die Quelle der Freude.
V. 22. Ein Gebet, das nur für Gläubige passt.
  Maß um Maß, oder: Inwiefern und warum bemisst Gott seine Gnadenerweisungen nach unserm Glauben?

Fußnoten

1. So ist nach dem masoretischen Text zu übersetzen. Luthers Übersetzung "Schlauch" ruht auf den alten Übersetzungen, die fast sämtlich statt dnsI, das Haufe, bes. Erntehaufe, heißt, dno (= d)no), Schlauch, gelesen oder die beiden Wörter verwechselt haben. Es liegt jedoch kein Grund vor von der masoretischen Lesart abzugehen, da diese einen guten Sinn gibt. Entweder: wie zu einem (auftürmten) Erntehaufen; einem solchen gleich ragen die konvexen Meereswasser, fest zusammengehalten, über das niedriger scheinende Festland (Delitzsch). Oder wie zu Garbenhaufen, wobei das Meer als ein wogendes Ährenfeld, die aufgestauten Gewässer als die Garbenhaufen desselben gedacht sind (Fr. W. Schultz).

2. Die Partizipien des Grundtext werden nach dem vorhergehenden Vers präsentisch zu fassen sein.

3. Siehe Hiob 38,2. f. 37. An unserer Stelle wird aber diese Auffassung, die auch Hitzig teilt, durch: Mwht, das die brausende Tiefe bezeichnet, verwehrt.

4. Vergl. in beiden Vershälften das Nmi in dem das scheue Zurückweichen liegt.

5. So übersehen die meisten. Zu Luthers Fassung vergl. Rosenmüller: Nwkm ist ein bereiteter und fest gegründeter Ort oder Sitz (Thron) von Nwk bereiten, gründen. So wird der Tempel genannt 2. Mose 15,17; 1. Könige 8,13; Jes. 4,5; der Himmel 1. Könige 8,39. 43. 49; 2. Chr. 6,33. 39. Wtb# seiner Wohnung, d. i. wo er diesen gewissen und festen Sitz hat, von dem er nimmer weicht. Das Bild ist von den Königen genommen, die in ihrem Palast einen sicheren und besonderen Sitz, den Thronsitz, zu haben pflegen.