Psalmenkommentar von Charles Haddon Spurgeon

PSALM 47 (Auslegung & Kommentar)


Überschrift

Ein Psalm, vorzusingen, oder: dem Musikmeister. Viele herrliche Lieder wurden diesem Chorleiter übertragen; aber er fühlte sich dadurch nicht überbürdet. Gott zu dienen ist solche Wonne, dass es uns nie ermüden kann, und dieser köstlichste Teil des Gottesdienstes, das Singen seines Lobes, bietet so viel Befriedigung und Genuss, dass wir sein nie überdrüssig werden. Der Kinder Korah. Es ist uns nicht möglich, denen beizupflichten, welche diese Überschrift so verstehen, dass darin den Kindern Korah die Urheberschaft1 dieser Psalmen zugeschrieben werde. Wir meinen zu deutlich die Handschrift des Sohnes Jesse in ihnen zu entdecken. Oder sollten wir uns so sehr irren? Als Sänger aber eigneten sich die Söhne Korah, diese lebendigen Beweise der Gnade Gottes, trefflich.

Inhalt
Die alten Ausleger beziehen diesen Psalm auf die Überführung der Bundeslade aus dem Hause Obed-Edoms nach dem Berge Zion. Andere nehmen einen hervorragenden Sieg Israels als Anlass an. Wo die Gelehrten uneins sind, wer will sich da zum Schiedsrichter aufwerfen? So viel ist klar, dass der Psalm sowohl die gegenwärtige Weltherrschaft Jehovas, als auch die großen letzten Siege von Jehova-Jesus besingt. Auch weist der Psalm prophetisch auf die Himmelfahrt Jesu als seine Erhöhung zum Königsthron hin.

Einteilung. Der kurze Psalm bedarf keiner andern Teilung als derjenigen, welche durch die Musikpause am Ende von V. 5 angedeutet ist.


Auslegung

2. Frohlocket mit Händen, alle Völker,
und jauchzet Gott mit fröhlichem Schall!

Frohlocket mit Händen, d.i., klatscht in die Hände. Im Blick auf die Siege des HERRN und seine die ganze Welt umfassende Herrschaft mag sich der Jubel wohl auf solch begeisterte Weise äußern. Unsre Freude am HERRN darf übersprudeln; Gott wird uns deswegen nicht rügen. Alle Völker. Das Frohlocken soll sich allen Nationen mitteilen. Das auserwählte Volk mag den Vortritt haben, aber alle Völker sollen sich dem herrlichen Triumphzug anschließen und in das Lob des großen Königs miteinstimmen; haben sie doch gleichen Anteil an diesem Reich, wo weder Grieche ist noch Jude, sondern alles und in allen Christus (Kol. 3,11). Schon in dieser Zeit ist das (ach, dass sie es erkennten!) die beste Hoffnung aller Nationen, dass der Ewige über sie regiert. Noch ist der Tag nicht gekommen, da alle Volker in einer Sprache Gott preisen werden; aber dieser symbolischen Sprache der Hände können sie sich alle bedienen, um Gott als ihrem König zuzujauchzen (vergl. 2. Könige 11,12). In den letzten Tagen wird der HERR über alle Völker herrschen, und alle werden fröhlich sein über seinem Regiment; wären sie klug, so würden sie sich ihm jetzt schon unterwerfen und sich freuen, das tun zu dürfen, ja sie würden schon bei dem bloßen Gedanken, dass ein so weiser, gütiger und mächtiger Fürst ihr König sein will, voller Begeisterung in die Hände klatschen. Und jauchzet. Lasst eure Stimme mit euren Händen wetteifern. Gott. Ihm gebührt die Ehre des Tages; lasst sein Lob laut und fröhlich aus aller Mund und Herzen erklingen! Mit fröhlichem Schall, mit lautem Jubel, wie es sich zu Ehren eines so großen Königs und zum Preise so glänzender Siege und eines so herrlichen Regiments im Munde so glücklicher Untertanen geziemt. Es sind der menschlichen Sprachen viele, und doch sollen die Völker als mit einer Stimme ihm lobsingen. Blicken wir mit dem Auge des Glaubens auf Gottes Weltregierung, so können wir nicht anders als fröhlich sein, und der Ausblick auf die allgemeine Herrschaft des Friedensfürsten ist so herrlich, dass auch der Stummen Zunge dadurch zum Singen gebracht werden kann. Wie wird erst die volle Wirklichkeit sein?


3. Denn der HERR, der Allerhöchste, ist erschrecklich,
ein großer König auf dem ganzen Erdboden.

Denn der HERR, d. i. Jehova, der ewige, schlechthin freie und allein wahre Gott, der Allerhöchste, unvergleichlich an Macht, Reichtum, Weisheit und Herrlichkeit, ist erschrecklich: niemand vermag seiner Macht zu widerstehen oder seiner Rache zu trotzen. Da der himmlische König sich mit solchen Schrecken aber zum Schutz und Heil seiner Untertanen gürtet, sind diese Schrecken für sie ein Grund der Freude. Dieselbe Allmacht, welche den einen so entsetzlich ist, weil sie von ihrer Wucht zermalmt werden, ist der Trost der andern, die sich in ihrem Schule bergen. Wenn ein mächtiger Fürst eine große Musterung seiner Truppen abhält, freuen sich alle getreuen Untertanen, dass ihr Kriegsherr zur Verteidigung seines Volkes so wohl gerüstet und bei seinen Feinden so gefürchtet ist. Ein großer König auf dem ganzen Erdboden. Nicht über Judäa allein, sondern bis zu den fernsten Inseln erstreckt sich sein Reich. Israels Gott ist nicht eine Landesgottheit und nicht ein Stammeshäuptling; er herrscht in unbegrenzter Majestät über ein Reich ohnegleichen als der unbedingt freie Lenker der Geschicke, als der allerhabene Monarch über alle Lande, als der König aller Könige und Herr aller Herren. Nicht ein kleiner Weiler, nicht ein noch so unbedeutendes Eiland ist von seiner Herrschaft ausgeschlossen. Welch goldenes Zeitalter wird das sein, wenn alle sein Zepter küssen und in Jesus die Herrlichkeit des HERRN schauen werden!


4. Er zwingt die Völker unter uns
und die Leute unter unsere Füße.

Er, des die Allmacht ist, zwingt die Völker unter uns. Der Streit ist nicht unser sondern des HERRN. Er wartet seine Stunde ab, aber er wird es gewisslich zum Sieg hinausführen zum Heil seines Volkes. Wahrheit und Gerechtigkeit werden durch Gottes Gnade doch die Oberhand behalten. Wir stehen nicht in einem Kampfe, dessen Ausgang zweifelhaft wäre. Auch das widerstrebende Herz und der eigensinnigste Wille soll sich noch vor der alles bezwingenden Gnade beugen. Deswegen mögen wohl alle, die zu dem Volk des HERRN gehören, seien sie von Geburt Juden oder Heiden, jubeln und jauchzen, denn Gottes Sieg ist ihr Sieg; naturgemäß haben aber die Propheten, Apostel und Evangelisten, überhaupt diejenigen, welche für Gottes Sache am meisten gelitten und gestritten haben, auch den größten Anteil an dieser Freude. Noch werden wir allen Götzendienst, allen Unglauben und Aberglauben unter unsere Füße treten, wie man die Steine auf der Landstraße in die Erde stampft. Und die Leute unter unsere Füße. Die Gemeinde des HERRN wird einst noch das größte Königreich auf Erden werden, und ihr Sieg wird der wunderbarste sein, der je erstritten worden. Und dieser Sieg wird entscheidend sein. Christus wird sich mit seiner Macht gürten und das Reich einnehmen, und alle Geschlechter der Menschen werden dann zugleich seine und seines Volkes Herrlichkeit anerkennen. Welch ein Umschwung wird zu jener Zeit vor sich gehen. Lange ist das Volk Gottes unter den Füßen der Menschen gewesen, grausam ist es verfolgt und täglich geschmäht worden; aber Gott wird die Sache umkehren, so dass die von Charakter Edelsten auch die größte Ehre empfangen.


5. Er erwählet uns unser Erbteil,
die Herrlichkeit Jakobs, den er liebet. Sela.

Noch sehen wir nicht, dass ihm, dem großen Könige, alles untertan sei; doch freuen wir uns, schon jetzt uns selbst und unser ganzes Geschick seiner Hand anvertrauen zu dürfen. Er erwählet uns unser Erbteil. Wir fühlen uns unter seinem Zepter so wohl, dass wir keinen anderen Wunsch haben, als ihm im vollsten Maße untertan zu sein. Wir unterwerfen ihm gänzlich unseren Willen; nicht wir wollen wählen, er soll für uns wählen, was ihn gut dünkt; alle unsere Wünsche sollen in seinem Willen aufgehen. Wir überlassen es ihm ganz, welches Erbteil er uns jetzt und hernach geben will; er tue mit uns, was ihm beliebt. Die Herrlichkeit Jakobs, wörtl.: den Stolz Jakobs, d. h. das (herrliche Land), worauf Jakob stolz sein kann, den er liebet. Seinem alten Bundesvolk teilte er das Erbe zu, und wir sind’s zufrieden, wenn er uns ebenso behandelt. Er selber war der Stolz und Ruhm Israels, er ist und soll sein auch der unsrige. Er liebte sein Volk und ward seine schönste Zier; er liebt auch uns und wird in Ewigkeit unsre Freude und Herrlichkeit sein. Was die zukünftige Weltzeit betrifft, so begehren wir nichts Besseres, als dass uns das vom HERRN bestimmte Los zufalle; denn wenn wir nur an Jesus teilhaben, so ist das schon genug, unsre höchsten Wünsche vollauf zu befriedigen. Unsre Herrlichkeit, unser Ruhm und Reichtum bestehen darin, dass wir einen solchen Gott unser eigen nennen, dessen liebender Fürsorge wir uns vertrauensvoll überlassen dürfen.
  Sela. Ja, haltet ein wenig inne, ihr eifrigen Sänger; fehlt es hier doch wahrlich nicht an Stoff zu heiligem Sinnen!


6. Gott fähret auf mit Jauchzen,
und der HERR mit heller Posaune.

Gott fähret auf mit Jauchzen. Der Glaube hört die Menge schon jubeln. Wozu der erste Vers aufgefordert hatte, das erscheint hier als vollendete Tatsache. Die Schlacht ist vorbei, der Sieger besteigt den Triumphwagen und fährt hinauf zu den Toren der Stadt, die von dem Frohlocken und Jauchzen über seine Rückkehr widerhallt. Die Worte unseres Verses lassen sich sehr wohl auf die Himmelfahrt unseres Erlösers anwenden. Es kann kein Zweifel darüber sein, dass die Engel und die verklärten Geister Jesus bei seinem Einzuge in die himmlische Stadt mit rauschendem Beifall willkommen geheißen haben. Oder sollte der, bei dessen Herniederkommen die himmlischen Heerscharen ihren Lobgesang ertönen ließen, unter dumpfem Schweigen der Himmelsbewohner in die Herrlichkeit zurückgekehrt sein? Und der HERR mit heller Posaune. Jesus ist Jehova. Der helle Ton der Posaunen zeugt von dem Glanz seines Triumphzugs. Es ziemte sich, ihn, der aus dem größten aller Kriege zurückkehrte, mit Siegeshymnen zu bewillkommnen. Er kommt geradeswegs von Bozra, noch ist sein Gewand rotfarben von der Kelter, die er getreten (Jes. 63,1 ff.); im Triumphzug fährt er in die Höhe, die Gefangenen mit sich führend (vergl. Ps. 68,19). Wohl mag da froher Posaunenschall die siegreiche Rückkehr Immanuels weithin verkünden.


7. Lobsinget, lobsinget Gott;
lobsinget, lobsinget unserm Könige!

Lobsinget. Wie hoch muss der Jubel steigen, da fünfmal nacheinander (V. 7.8) die Aufforderung zum Preise über die Erde ergeht! Gott, dem dieser Lobgesang gilt, ist es aber auch wert. Hat er doch allen das Leben gegeben und sich so herrlich als der Allgütige erwiesen. Lobsinget Gott. Fahret fort in dem seligen Werk. Lasst eure Harfen nie verstummen. Da er nicht müde wird, uns seine Güte zu erzeigen, so lasst auch uns nimmer müde werden, ihm unseren Dank darzubringen. Ist es nicht seltsam, dass wir zu einer so seligen, wahrhaft himmlischen Beschäftigung so angetrieben werden müssen? Lobsinget unserm Könige, lobsinget! (Wörtl.) Lasst uns allen Ruhm ihm spenden. Niemand sonst soll auch nur ein Quäntchen davon haben, Jesu allein soll er ganz geweiht sein. Seine souveräne Hoheit sei der Quell unsrer Freude. Wohl ist seine Majestät unvergleichlich groß; doch erfüllt gerade dies die Gläubigen mit Wonne. Wir wollen ihm unsre Huldigung nicht in Seufzern, sondern in Lobgesängen darbringen. Er begehrt nicht Sklaven als Zier seines Thrones; ist er doch kein Despot. Freudiger Lobpreis aus liebenden Herzen ist die würdige Huldigung für einen so gesegneten und gnadenreichen König. Mögen darum alle, die seinem Zepter von Herzen untertan sind, ohne Aufhören ihm lobsingen; haben wir doch ohne Aufhören Ursache des Dankes, dass wir im Schatten eines solchen Thrones wohnen dürfen.


8. Denn Gott ist König auf dem ganzen Erdboden;
lobsinget ihm klüglich!

Denn Gott ist König auf dem ganzen Erdboden. Die Juden nahmen es übel auf, als Jesus und die Apostel diese Wahrheit verkündigten. (Vergl. z. B. Lk. 4,28; Apg. 13,45) Wäre es aber um ihr Herz richtig bestellt gewesen, so hätten sie sich der heilvollen Wahrheit gefreut. Aber sie wünschten ihren Gott für sich allein zu haben und wollten die Heiden, diese Hunde, nicht einmal die Brosamen unter ihres Herrn Tische essen lassen. Ach, wie verwandelt doch die Selbstsucht süßen Honig in bittere Galle! Jehova ist nicht allein der Juden Gott; alle Völker der ganzen Erde sollen noch den Messias, und in ihm Gott selbst, als ihren Herrn anerkennen. Inzwischen aber regiert er schon auf dem Thron der Vorsehung alles, was unter dem Himmel ist. Lobsinget ihm klüglich.2 Sogar unter der alttestamentlichen Haushaltung der Vorbilder und Zeremonien sah Gott darauf, ob der Gottesdienst Israels geistlichen Gehalt habe, und wollte mit Nachdenken, mit Verständnis und mit tiefer Würdigung der Gründe, die uns zu seinem Preise drängen, gelobt sein. Die nachlässige, gleichgültige Art, welche sich nicht wenige beim Singen zuschulden kommen lassen, führt zu dem Schluss, dass sie wähnen, für Gott sei alles gut genug. Auf der anderen Seite lässt uns die übergroße Aufmerksamkeit und Begeisterung, welche manche der rein musikalischen Seite des Kirchengesangs zuwenden, befürchten, dass die Triebfeder ihres Eifers nur der Schönheitssinn, nicht die geheiligte Vernunft sei, dass also auch sie dem HERRN nicht klüglich lobsingen. Ist es aber nicht eine Sünde, vorzugeben, dass man Gott preise, während man nur den Ohren der Menschen einen musikalischen Genuss darbietet oder sich selber einem solchen Ohrenschmaus hingibt? Was hat das sinnliche Entzücken an Orgelkonzerten, kunstvollen Wechselgesängen und dergleichen mit der Anbetung Gottes zu tun? Verwechselt man da nicht seelische Reize mit geistlichen Regungen? Bringt man Gott nicht oft genug Musik als Opfer dar, die weit mehr auf das Vergnügen der Menschen als auf Gottes Wohlgefallen berechnet ist? Nur ein vom Geiste Gottes erleuchtetes und geheiligtes Gemüt ist in Wahrheit fähig, Gott ein seiner würdiges Lobopfer darzubringen.


9. Gott ist König über die Heiden;
Gott sitzt auf seinem heiligen Stuhl.

Jetzt, zu dieser Stunde, übt Gott sogar über die verkommensten götzendienerischen Völker eine verborgene Herrschaft aus. Dem Glauben ist dies nicht zweifelhaft. Wie sollten wir uns nach dem Tage sehnen, da diese Wahrheit vor aller Welt offenkundig sein wird und die Völker sich der jetzt noch unerkannten Gottesherrschaft von ganzem Herzen freuen werden! Die unbestreitbare Wahrheit, dass Gott als erhabener Lenker aller Geschicke jetzt schon König ist über die Heiden, ist die sichere Bürgschaft, dass auch in dem herrlichen Sinn der evangelischen Verheißungen sein Reich kommen wird. Gott sitzt auf seinem heiligen Stuhl. Unbeweglich nimmt er seinen Thron ein, und alle seine Erlasse und Regierungsakte sind die Heiligkeit selbst. Welcher Thron ist diesem gleich, der nie mit Ungerechtigkeit befleckt, nie durch irgendeine Sünde entweiht ward! Und der darauf thront, gerät nie in Bestürzung oder irgendwelche Verlegenheit. In völliger Ruhe sitzt er da, des wohl bewusst, dass es seiner Macht nie fehlen und keiner seiner Pläne je misslingen kann. Ist nicht Anlass genug, einem solchen König mit heiligen Lobgesängen zu huldigen?


10. Die Fürsten unter den Völkern sind versammelt
zu einem Volk dem Gott Abrahams; denn Gottes sind die Schilde auf Erden, er hat sich sehr erhöhet.

Die Fürsten (wörtl. die Edlen) unter den Völkern sind versammelt. Der Psalmsänger sieht mit Prophetenblick die willigen Untertanen des großen Königs versammelt, seinen Ruhm zu feiern. Nicht nur Leute aus geringem Stande scharen sich um seinen Thron, sondern auch die Edlen beugen sich freudig unter sein Zepter. "Alle Könige werden ihn anbeten." (Ps. 72,11) Jede Nation wird vertreten sein; die großen Männer unter den Nationen sollen groß sein vor allem an Trefflichkeit des Charakters, und die von adligem Geblüt sollen des wahren Adels der neuen Geburt aus Gott nicht ermangeln. Wie erhaben wird diese Reichsversammlung sein, deren Sitzung der Herr Jesus selber eröffnen wird und wo die Edelsten der Völker sich erheben werden ihm Ehre zu erweisen! Zu einem Volk dem Gott Abrahams.3 Derselbe Gott, der einst nur hie und da einem Patriarchen, wie Abraham, dem Vater der Gläubigen, bekannt war, wird dann von einem Samen, so zahlreich wie die Sterne am Himmel, verehrt werden. Da wird jene Bundesverheißung erfüllt sein: In dir und deinem Samen sollen alle Völker auf Erden gesegnet werden (1. Mose 12,3; 22,18). Der Held wird kommen, und demselben werden die Völker anhangen (1. Mose 49,10). Die Zerstreuung von Babel (1. Mose 11) wird durch den sammelnden Arm des großen Hirtenkönigs für immer aufgehoben werden.
  Denn Gottes sind die Schilde auf Erden. Die Wappenschilde der Hohen der Erde, die Insignien der Macht und Würde, wie die Schilde der Gerüsteten, sie alle werden dem König des Weltalls die schuldige Huldigung darbringen. Die Erlauchten der Erde werden sich vor dem Lichtglanz Jesu neigen und die Könige ihre Kronen vor seinem Throne niederwerfen. Die Schilde der Erde, die mächtigen Beschützer der Staaten, haben ihre Macht von ihm und sind sein. Alle Herrschaften und Gewalten sollen noch Jehova und seinem Gesalbten untertan werden, denn er hat sich (oder: ist) sehr erhöhet. Nach Wesen, Macht und Ruhm ist ihm niemand zu vergleichen. Glorreiche Vision der goldenen Zukunft! Eilet, ihr Räder der Zeit! Bis jener Tag aber anbricht, seid ihr Gläubigen fest, unbeweglich, und nehmet immer zu in dem Werk des Herrn, da ihr wisset, dass euer Werk nicht vergeblich ist in dem Herrn!


Erläuterungen und Kernworte

Zum ganzen Psalm. Der Gedanke der Weltherrschaft des Gottes Israels, auch sonst in den Psalmen, insbesondere Ps. 93-100, gefeiert, wird hier bis zu der sonst im Alten Testament nicht erreichten Höhe, dass die Völker der Erde ein Volk des Gottes Abrahams geworden sind, lyrisch durchgeführt. Deutlich erkennbar sind zwei Gedankengruppen: Jahve hat seine unvergleichliche Größe vor alters durch die Unterwerfung der Kanaaniter unter Israel bewiesen (V. 2-5): nun hat er wieder neuerdings seinen Thron auf Zion machtvoll eingenommen und empfängt die Huldigungen der Völker (V. 6-10). Der messianische Charakter des Psalms ist daher unverkennbar.
  Die auf die Bestimmung zu liturgisch-antiphonischem Vortrag hinweisenden Wiederholungen in V. 7.8 lassen, wie schon Calvin erkannt hat, vermuten, dass hier ein von vornherein zu gottesdienstlichem Gebrauch bestimmtes Lied vorliegt. Schon darum ist es misslich, nach einem besonderen zeitgeschichtlichen Anlass des Psalms zu fragen. Ein solcher kann vorliegen, braucht aber nicht vorzuliegen. Die Vermutungen der Ausleger, die zwischen Josaphats Sieg (2. Chr. 20) über die feindlichen Nachbarn Israels (so Venema, Hengstenberg, Delitzsch) und der Besiegung der Idumäer durch Joh. Hyrkanus (Olshausen) als äußersten Terminen variieren, schweben in der Luft. Eine allgemeine Berührung des Psalms mit Jesaja 40-66 ist vorhanden; doch sind die Gedanken des Psalms Gemeingut der messianisch gerichteten Prophetie überhaupt, und die Vermutung, die Erbauung des zweiten Tempels habe den Sänger zu diesem Liede begeistert (Bäthgen), ist unsicher.
  Die Synagoge verwendete den Psalm (wegen des Schofarblasens V. 6) als Neujahrspsalm, die Kirche (wegen hl( V. 6.10) als Himmelfahrtspsalm. Lic. Hans Keßler 1899.


V. 2. Im Gefühl der Größe dessen, was der HERR für sein Volk getan, hält es der Sänger nicht für genug, wenn dieses allein ihm seinen Dank darbringt: alle Völker der Erde fordert er auf, diesem König mit Freudengebärde und Lobgesang zu huldigen; denn also pflegte es bei Salbung der Monarchen zu geschehen. (2. Könige 11,12; 1. Samuel 10,24.) Prof. August Tholuck 1843.
  Alle sollen jubeln dem HERRN mit Herzen, Mund und Händen. Prof. E. W. Hengstenberg 1843.
  Klatschet in die Hände. Solche Ausbrüche übersprudelnder Freude und Zuneigung mögen manchen anstößig sein. Aber wir sollten uns hüten, in solchen Dingen voreilig zu richten und abzuurteilen, geschweige denn sie lächerlich zu machen; denn wenn solche Gebärden der ungekünstelte Ausdruck eines warmen Herzens sind, wird Gott die Größe der Liebe ansehen und das Unpassende der äußeren Form übersehen. Matthew Henry † 1714.
  Jauchzet Gott. Jubilate Deo: in Gott, über Gott und zur Ehre Gottes. Martin Geier † 1681.


V. 4. Er zwingt die Völker unter uns usw. Die Folge der Himmelfahrt war, dass das allmächtige Wort des Herrn nun siegreich vordrang und ein Volk nach dem andern bezwang. Das ist der große Eroberungszug, der in den Siegen Josuas, Davids und anderer Helden vorgebildet war. Bischof George Horne † 1792.
  Eine herrliche Tröstung, dass sie Gott stark genug rüsten werde, damit sie den Feinden obliegen und sie überwinden mögen, denn er ist ihr Gott. Glauben sie an ihn, so wird er unter ihre Gewalt die Feinde wohl zwingen, allein dass sie an ihm halten und ihn lassen ihren Gott sein. Auf diese Weise würden auch wir zu rechten Rittern geschlagen und die Feinde verachten können; aber wir vertrauen in’s Teufels Namen mehr dem Zeitlichen denn Gott und setzen unsere Hilfe mehr auf menschliche Ratschläge, auf Kreaturen und gegenwärtige Hilfe, denn auf den lebendigen Gott. Martin Luther † 1546.


V. 5. Erwählen heißt hier die Wahl aufrecht halten, wie Jes. 14,1; Sach. 1,17, sachlich so viel als gegen die Feinde schützen. Prof. Fr. W. Schultz 1888.
  Die Erwählung, welche allerdings als grundlegende Tatsache ein einmaliger Akt ist, erneuert sich, sooft Gott sie seinem Volke bestätigt, Sach. 1,17. Das heilige Land heißt der Stolz Jakobs als die Gnadengabe, mit welcher dieses, das Volk der göttlichen Liebe, prangen kann. Prof. Franz Delitzsch † 1890.
  Er, der besser weiß als wir, was heilsam ist, erwählt oder bestimmt uns unser Los und Erbteil für Zeit und Ewigkeit nach seiner Gnade und Barmherzigkeit. John Boys † 1643.
  Er erwählet uns unser Erbteil. Eine schwerkranke Frau wurde einst gefragt, ob sie lieber leben oder sterben wolle. Sie antwortete: "Wie Gott will" "Aber", sagte jemand zu ihr, "wenn Gott Ihnen die Wahl überließe, wofür würden Sie sich entscheiden?" "Ich würde", antwortete sie, "es ihm wieder übergeben, für mich zu entscheiden." William Secker 1660.


V. 6. Gott fähret auf usw. Wie das Heer in die heilige Stadt, so kehrte der Heerführer zum Himmel zurück. Dass das Aufsteigen Gottes seine Rückkehr zu seinem himmlischen Sitz seine unsichtbare Himmelfahrt ist, welche erfolgt, nachdem er sich auf Erden in Taten der Allmacht und Liebe kundgegeben und dort seines Volkes Sache geführt, im Vorspiel der Himmelfahrt Christi, zeigt Vers 9 und die Vergleichung anderer Stellen, in denen des Aufsteigens Gottes gedacht wird, wie 1. Mose 17,22; Richt. 13,20; Ps. 7,8 und besonders Ps. 68,19, welcher Stelle typische Beziehung auf die Himmelfahrt Christi im neuen Testament zugleich für die unsrige gilt. Prof. E. W. Hengstenberg 1843.


V. 8. Es ist, als sagte er: Was habe ich gesagt? Unser König (V. 7)? Das ist viel zu wenig; er ist König auf dem ganzen Erdboden. John Trapp † 1669.
  Lobsinget ihm klüglich. Wie können wir, wie Paulus sagt, dem Herrn in unserm Herzen singen und spielen? Wir müssen ihm klüglich, mit Verständnis, lobsingen. Der Takt muss sich nach den Worten richten. Wir sollen überhaupt mehr noch dem Inhalt als der Musik unsre Aufmerksamkeit zuwenden, also ebensosehr beachten, was wir singen, als wie wir sinken. Die Melodie mag unser Gefühl anregen, aber der Inhalt ist es, der eigentlich das Herz beeinflusst, und darauf kommt es vor Gott doch an. Sonst wäre ja das Singen im Gottesdienst eher die Aufgabe von Gesangkünstlern als von Christen, und wir müssten dann an dem künstlichen Wechselgesang, wie er in manchen Kirchen üblich ist, mehr Gefallen finden als an den inspirierten Psalmen, die wir singen. Es verhält sich mit dem Singen wie mit dem Beten: bei beidem müssen Kopf und Herz dabei sein, sonst sind sie wenig nütze. Wenn wir ohne Verständnis singen, so verrät das Nachlässigkeit oder Herzenshärtigkeit. Dann aber ist, was wir Gottesdienst nennen, eine Unverschämtheit. John Wells † 1676.
  Lasset Sinn und Ton übereinstimmen. Lasst eure Stimme vom Verstand und vom Herzen geleitet werden. Seht zu, dass ihr verstehet, was ihr singt, und fühlet, was ihr versteht. Adam Clarke † 1832.


V. 10. Die Edlen - ein Volk des Gottes Abrahams. (Wörtl.) Ich entnehme hieraus, dass es für große Männer nicht unmöglich ist, auch Vorbilder der Tugend, und für die Gewaltigen der Erde, schlichte Jünger Jesu zu sein, wiewohl beides leider selten beisammen getroffen wird; hören wir doch aus Davids eignem Munde das Bekenntnis, in welch großer Gefahr er war, als es ihm wohlging, siehe Ps. 30,7. Ein altes Wort sagt: Homo victus in paradiso, victor in stercore, d. i.: Im wonnigen Paradiese ward Adam von der Schlange besiegt, während Hiob im tiefsten Elend ein Überwinder war. Unsre alte (englische) Liturgie hat das treffliche Gebet: "Lieber Herr, erlöse uns allezeit von unserm Reichtum!" Aber wir sehen, so groß ist die rettende Gnade Gottes, dass nicht nur geringe Leute, sondern sogar die mächtigen Fürsten der Heidenvölker zu der Gemeinde des Gottes Abrahams versammelt werden sollen. John Boys † 1643.
  Das Volk des Gottes Abrahams ist der geistliche Same Abrahams. Zu ihm gehören alle, die die Verheißung Gottes in demselben Geist des Glaubens ergreifen, welchen Abraham hatte. Bischof Launcelot Andrewes † 1626.
  Gottes sind die Schilde auf Erden. Zwei Beziehungen der irdischen Machthaber werden hier namhaft gemacht; sie sind scuta Deo, sie sind Gottes, und sie sind scuta terrae, Schilde der Erde. Und in beiden Beziehungen haben sie beides, Würde und Pflicht. Sie gehören Gott zu, und das ist ihre Ehre; das legt ihnen aber auch die Pflicht auf, ihm untertan zu sein. Sie sind die Schilde, die Beschützer der Erde; das ist ihre Ehre, die sie über die andern Menschen erhebt, das legt ihnen aber auch die Pflicht auf, wirkliche Beschützer zu sein. Bischof Edward Reynolds † 1676.
  Es wird von den Amtleuten gesagt, dass sie das Schwert tragen, aber nicht, dass sie Schwerter seien. Hier jedoch heißt es: Sie sind Schilde, nicht: Sie tragen Schilde. Das ist ein Wink, dass das Beschirmen und Erhalten ungleich mehr zum Wesen ihres Amts gehört als das Züchtigen und Zerstören. Joseph Caryl † 1673.
  Man bezieht diese Worte in der Regel auf die Fürsten, und sie lassen auch diese Deutung zu. Indessen dürfte es noch zutreffender sein, die Worte auf Gott zu beziehen. Gott ist es, der die Welt schirmt und erhält; darum richtet sich zum Schluss in den Worten: Er ist hoch erhöhet, der Blick voller Bewunderung au diese einzigartige Majestät, die ein so erhabenes und schwieriges Werk, wie es die Bewahrung der Welt ist, so herrlich vollführt. Die Mehrzahl Schilde würde dann auf die mannigfaltigen und fast zahllosen Gefahren hindeuten, die fortwährend jeden Teil der Welt bedrohen und die die göttliche Vorsehung notwendig auf mannigfaltige Weise, gleichsam mit vielen Schilden, abwehren muss. Jean Calvin † 1564.


Homiletische Winke

V. 2. Ungewöhnliche begeisterte Freudenbezeugungen; wann sind sie zu rechtfertigen und sogar wünschenswert?
V. 2-5. Freude die Triebfeder der Anbetung. 1) Freude über Gottes Wesen, 2) über seine Herrschaft, 3) über die Siege seines Evangeliums, und 4) über seine Huld gegen sein Volk.
V. 3. Die furchtgebietende Erhabenheit des HERRN dem Glauben ein Gegenstand der Freude.
V. 3b. Die Königsherrschaft Gottes über die ganze Erde, in ihrer jetzigen und ihrer dereinstigen Entfaltung.
V. 4. Die Siegeshoffnung der Gemeinde des Herrn. Wer soll unterworfen wenden? Durch wen? (Uns.) In wessen Macht? (Er zwingt sie unter uns.) Wann wird dies vollendet werden? Was bürgt uns dafür? Die Auffahrt Jesu (V. 6).
  Der Sieg der Heiligen Gottes. 1) Er bedeutet die Unterwerfung aller Feinde, der inneren und der äußeren, der irdischen und der höllischen Widersacher. Diese Unterwerfung geschieht a) jetzt stufenweise, b) einst vollkommen. 2) Die Macht, welche diesen Sieg herbeiführt: a) Gott, b) aber nicht ohne Werkzeuge (uns); doch c) nicht diese Werkzeuge erringen den Sieg, sondern d) Gott durch diese Werkzeuge, die er bestimmt und erst durch seine Macht wirksam macht. George Rogers 1870.
V. 5. 1) Gott wählt uns unser Los und Erbteil für Zeit und Ewigkeit. 2) Seine Wahl ist besser als die unsrige, ist herrlich, (Grundtext:) derart, dass wir darauf stolz sein können. 3) Wählen wir selbst, so müssen wir die Folgen tragen. 4) Er hilft uns, dass wir das auch erlangen und behalten, was er für uns gewählt hat. George Rogers 1870.
V. 6. Die Himmelfahrt. Öffentlich, feierlich, triumphierend. Wer ist aufgefahren? Wohin ist er aufgefahren? Zu welchem Zweck? Mit welchem Erfolg?
V. 7. Die Wichtigkeit heiligen Lobsingens. Die Wiederholung rügt unsre Lässigkeit und deutet an, dass der HERR mit Inbrunst und herzlicher Freude, oft und von all den Seinen gepriesen werden soll.
V. 8. Lobsinget ihm klüglich. Wie unser Singen beschaffen sein muss, um ein Teil unseres "vernünftigen Gottesdienstes" (Röm. 12,1) zu sein.
V. 9b. Gott sitzet auf seinem heiligen Stuhl. Gottes unumschränkte Herrschaft stets im Einklang mit seiner Heiligkeit.
  Gott hat 1) einen Thron der Heiligkeit, um deswillen ist er von allen Menschen zu fürchten; 2) einen Thron der Gnade, um deswillen ist er von den Erlösten zu lieben; und 3) einen Thron der Herrlichkeit, um deswillen ist er von der ganzen Schöpfung zu preisen.
V. 10. Der Schild ist 1) eine barmherzige Waffe; 2) eine kühne Waffe, da sie die Pfeile und Hiebe anfängt, die einem andern (dem, den sie schirmt) gelten; 3) eine starke Waffe, an der die Pfeile der Bosheit abprallen und zersplittern; 4) eine ehrenvolle Waffe, denn den Schild sich rauben zu lassen war ein schmähliches Zeichen der Niederlage, ihn bewahren ein Zeichen der Ehre. 5) Man denke daran, dass ein Schild stets eines Auges bedarf, das ihn lenkt -: ihr seid die Schilde, das Gesetz das Auge. Bischof Edward Reynolds † 1676.

Fußnoten

1. Vergl. dazu die Anm. zu Ps. 42,1.

2. Luther folgt hier der LXX und Vulgata. Doch darf lykIi&:ma nicht als Adverb gefasst werden. Es ist vielmehr ein Substantiv und bezeichnet eine besondere Liederart. Luther übersetzt das Wort sonst: eine Unterweisung. Doch will diese Bedeutung Lehrgedicht, lehrhaftes Lied an unsrer Stelle (wie an den meisten andern) nicht passen. Vergl. zu Ps. 32.

3. Wörtl.: ein Volk des Gottes Abrahams, Apposition zu: die Edlen.